Nicht für immer so unglücklich sein
Der neue Roman von Elli Kolb mit dem wunderschönen Titel „Das Leuchten des Himmels an dunklen Tagen“ schließt emotional an den Vorgänger „9 Grad“ an und beweist erneut, dass Kolb die Generation der 20-30jährigen von innen kennt und beschreibt wie keine zweite
Autorin.
Vorn beginnend: Endlich mal eine ideale Triggerwarnung, sprich, vorn darauf hinweisen,…mehrNicht für immer so unglücklich sein
Der neue Roman von Elli Kolb mit dem wunderschönen Titel „Das Leuchten des Himmels an dunklen Tagen“ schließt emotional an den Vorgänger „9 Grad“ an und beweist erneut, dass Kolb die Generation der 20-30jährigen von innen kennt und beschreibt wie keine zweite Autorin.
Vorn beginnend: Endlich mal eine ideale Triggerwarnung, sprich, vorn darauf hinweisen, dass hinten eine (naturgemäß spoilernde) Triggerwarnung zu finden ist, so dass Lesende, die sich sicher sind, mich triggert nichts, sie nicht wahrnehmen müssen, aber alle anderen sie wahrnehmen können, danke an die Autorin dafür – so geht’s!
Dann ein vorangestelltes Zitat – ich bin ja grundsätzlich nicht so Fan davon, aber hier hat es mich auch endlich mal befriedet, denn erstens: Nur eins! Nicht fünf, wie es neuerdings Trend ist. Und zweitens direkt themenbezogen und verbunden mit dem Buch, noch bevor ich starte, wie ein kleiner innerer Auftakt. Inhaltlich auch einfach wirklich schön, so viel dran, ich habe das Buch direkt noch einmal kurz weggelegt, um das Zitat einfach nur so mitzunehmen.
Dann geht es hinein in die Welt von Romy – und die ist keine einfache, klar, sonst würde sich ja auch ein Roman nicht lohnen. Romy ist aufgewachsen bei ihrem Opa Egon, nicht bei ihrer Mutter, obwohl diese lebt und auch Kontakt zu Romy hat. Als Egon stirbt, stürzt das Romy in einen emotionalen Strudel. Alles um sie herum scheint dunkel zu sein und auch ihre Freundinnen finden keinen wirklichen Kanal zu ihr - bis Jakob auftaucht, den sie bei einer Party kennengelernt hat. Jakob hat bringt die gute Fähigkeit mit, Romy genau im Moment zu nehmen, sie sein zu lassen, wer sie ist. Jakob bleibt, wo andere gehen. Dumm nur, dass Jakobs Tage an Romys Seite von Anfang an begrenzt sind. Über all dem fliegen und torkeln die Stadttauben, zum einen Zausel, die Lieblingstaube von Opa Egon, die jeden Tag an sein Fenster kam, zum anderen eine Fundtaube, die bei Romy einzieht und deren Gesundungsprozess ein Spiegel von Romys Seele ist.
Romy geht mir als Charakter direkt ins Herz. So viel Liebe in ihr, die wartet, gegeben zu werden, die enge Bindung zu Egon, der Kampf um die Aufmerksamkeit ihrer Mutter, die große Unsicherheit in ihr, die Suche nach einem Platz im Leben, die Angst vor Bindung und Emotion und zeitgleich dieser brennende Hunger genau danach, die Eifersucht in den Freundschaftsbeziehungen, immer wieder zwischendurch verblüffende Klarsicht, dann wieder heftiger Emotionsstau und fehlende Impulskontrolle, das Thema Dissoziation, das in dieser Generation leider auch ein sehr großes ist, warum eigentlich? Ist das Außen wirklich so sehr zu viel geworden? Die zögerliche, leicht angstgeprägte Beziehung zu den Tauben, ererbt von Egon, so eingängig, weil Romy selbst eine absolute Taube ist, Fluchttier, aber neugierig, freiheitsbezogen, aber Nähe suchend, schreckhaft, aber immer wieder auch dreist und mutig, nichts wird gekaut, alles wird direkt geschluckt – und dann arbeitet es innen weiter.
Viele Themen, die gut integriert sind, wie die weichen Drogen als Ausweichen, die Präsenz in sozialen Medien, das kaschierte Leben und der Druck, der daraus entsteht, das dauernde temporäre Jobben, die Notwendigkeit, global zu sein, flexibel, bereit für Ortswechsel, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und, wie auch schon in 9 Grad, wenn auch etwas anders: Der Fluss als Thema, da steckt ja auch so viel drin, Strömung, Leben gebend, die Lethe auch Leben nehmend, das Vergessen, das Treibenlassen, die Entscheidung, doch anzurudern, Leichtigkeit und Schwere zugleich, einfach so passend. Und über allem schwebt die Trauer und man weiß gar nicht: Ist es die Trauer über Egon? Oder über das eigene Leben, die verpasste Kindheitsbeziehung zu Eltern? Was bricht sich da Bahn?
Und dann die Tauben! Wie die kranke Taube immer auf die Seite kippt, rückwärts fliegt, das Leben komplett neu lernen muss – so ein schöner Spiegel für Romy, die noch gar nichts davon bemerkt. Wundervoll auch, wie viele Infos über Tauben eingebunden werden, z. B. das Fakt, dass Tauben vom Menschen gezielt als krasse Vermehrer gezüchtet wurden - um jetzt genau dafür gehasst zu werden. Manchmal geht die Autorin mit den Themen auch durch, ob nun wirklich Klimawandel, Krieg etc. auch noch in den Roman mussten, kann man hinterfragen. Ja, natürlich ist das Teil des Denkens und Empfindens der Millenials und der Gen Z – aber hier hätte mir wirklich gar nichts gefehlt, wenn es nicht beschrieben worden wäre. Es wird nicht weiterverfolgt, macht aber so einen großen Raum auf, dem ich dann gern auch mehr Bedeutung gegeben hätte.
Was aber unbenommen bleibt ist die besondere Fähigkeit von Elli Kolb, der Generation Millenials und Gen Z und deren Innenleben eine Stimme zu geben. Besonders Menschen im Alter von 20-35 dürften sich in diesem Buch ungemein gesehen fühlen. Aber auch auf alle anderen wartet hier eine dichte Lesereise, ein Buch, das ich verschlungen habe und das mich sehr berührt hat an vielen Punkten.