Produktdetails
- Verlag: Berenberg Verlag GmbH
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 138
- Erscheinungstermin: Dezember 2006
- Deutsch
- Abmessung: 231mm x 164mm x 16mm
- Gewicht: 364g
- ISBN-13: 9783937834146
- ISBN-10: 3937834141
- Artikelnr.: 20866628
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Géza von Cziffra erinnert sich an Joseph Roth / Von Hubert Spiegel
Als Géza von Cziffra seinen Freund Joseph Roth, den er längere Zeit nicht mehr gesehen hatte, eines Tages im gemeinsamen Berliner Stammcafé trifft, lobt er zur Begrüßung die schöne Fliege am Hals des Schriftstellers. "Sulka, Paris", sagt Roth, bindet die Fliege ab, drückt sie dem Freund als Geschenk in die Hand und sagt tiefernst: "So benimmt sich ein ungarischer Husarenoffizier!"
Die Anekdote ist bezeichnend für Roth und seinen impulsiven Hang zur großen Geste, und sie macht Eindruck, auch wenn man nicht weiß, daß Sulka damals, Ende der zwanziger Jahre, der teuerste und bekannteste Herrenausstatter in ganz Europa war. Ihr Kern erschließt sich indes erst, wenn man erfährt, daß Roth weder Ungar noch Husarenoffizier war, daß Husarenoffiziere niemals Fliegen trugen und Roth die meiste Zeit seines Lebens in Geldnöten steckte.
Géza von Cziffra zeigt uns hier Roth wie im Brennglas, großzügig und großspurig, versponnen, ein Aufschneider, der es mit der Wahrheit nicht sehr genau nimmt. Der Journalist, der sich als Reisekorrespondent der "Frankfurter Zeitung" einen Namen gemacht hatte, ist ein notorischer Schwindler ohne jedes Unrechtsbewußtsein, denn er stellt, wie er selbst einmal gesagt hat, die innere Wahrheit über die Wirklichkeit. Und welcher wirkliche Ungar hätte sich mehr als Husarenoffizier fühlen können als der galizische Jude Joseph Roth in jenem Moment, als er dem Freund das teure Geschenk überreichte?
Aber die Geschichte geht noch weiter. Von Cziffra hatte sich nämlich von dem Maler Rudolf Schlichter mit der neuen Fliege porträtieren lassen, und als Roth das Werk im Atelier des Künstlers zum ersten Mal betrachtet, sagt er mit der ganzen Gehässigkeit, zu der er bei aller Großzügigkeit eben auch fähig war: "Das Schönste an dem Bild ist meine Krawatte." Schlichter wirft beide sofort hinaus.
Der Heilige Trinker", in den siebziger Jahren erstmals erschienen, seit langem vergriffen und jetzt in einer ansprechenden Ausgabe im Berenberg Verlag neu aufgelegt, ist ein Erinnerungsbuch der besonderen Art. Géza von Cziffra trug darin alles zusammen, was er über den Freund wußte oder gehört hatte. Der Regisseur von Unterhaltungsfilmen wie "Kauf dir einen bunten Luftballon" oder "Graf Bobby" setzt darin nicht nur dem Freund ein kleines Denkmal, unprätentiös und ohne jede Verklärung, sondern liefert auch ganz nebenbei Vignetten aus der großen Zeit der Berliner Boheme von Brecht über Kisch bis Zuckmayer. Wenig später begegnen sich die besten dieser Köpfe in Salzburg oder Ostende, Nizza oder Zürich, denn die Zeit des Exilantentums hatte begonnen. Der Autor des "Radetzkymarsches" gehörte dabei zu den politisch hellsichtigsten Gegnern der Nazis. Gleichzeitig verrannte er sich in einen naiven Monarchismus und träumte davon, daß sein geliebtes Kakanien den verhaßten "Tapezierer" Hitler gemeinsam mit England und Frankreich zum Teufel jagen würde.
"Der Heilige Trinker", der seinen Titel der gleichnamigen Erzählung Joseph Roths verdankt, beläßt dem Schriftsteller seine ganze Widersprüchlichkeit und weckt so, wie Marcel Reich-Ranicki in seinem Vorwort schreibt, das "größte Interesse für das Werk eines Erzählers, dessen Bücher sich durch eine sonderbare Mischung aus Naivität und Skepsis auszeichnen; aus östlicher Phantasie und westlicher Paradoxie; aus christlicher Demut und jüdischem Zweifel". Und durch nichts ließe sich dieses Interesse besser stillen als durch die soeben erschienene Sonderausgabe der Werke Joseph Roths (Werkausgabe im Schuber, Kiepenheuer & Witsch, 149,90 [Euro]). Sie versammelt das journalistische und das erzählerische Werk von Joseph Roth: Sechs Bände aus der Feder eines genialen Autors, der sich zu Tode trank, weil es einmal nicht geflunkert war, als er dem Freund erklärte, daß ihm auf Erden nicht zu helfen sei.
Géza von Cziffra: "Der Heilige Trinker. Erinnerungen an Joseph Roth." Mit einem Vorwort von Marcel Reich-Ranicki. Berenberg Verlag, Berlin 2006. 141 S., geb., Abb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Die Erinnerungen des Filmregisseurs Geza von Cziffra an Joseph Roth sind, nachdem sie lange vergriffen waren, wieder zu haben, stellt Hubert Spiegel zufrieden fest. Von Cziffra hat kein Buch der verklärenden Sorte geschrieben, sondern zeigt Roth in seiner ganzen Ambivalenz und in all seinen einnehmenden wie problematischen Facetten, lobt der Rezensent. Dass er dabei auch die "Berliner Boheme" der Zwischenkriegsjahre in gelungenen Miniaturen ins Gedächtnis ruft, macht für Spiegel diese Erinnerungen besonders reizvoll.
© Perlentaucher Medien GmbH
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