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Produktdetails
  • Annals of Communism Series
  • Verlag: Yale University Press
  • 2000.
  • Seitenzahl: 278
  • Englisch
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 644g
  • ISBN-13: 9780300080216
  • ISBN-10: 0300080212
  • Artikelnr.: 09598743
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.02.2001

Organisationsfetischisten
Ausgewählte Briefe zwischen Stalin und Dimitroff 1934 bis 1943

Dimitrov and Stalin 1934-1943. Letters from the Soviet Archives. Edited by Alexander Dallin and F.I. Firsow. Yale University Press, New Haven, London 2000. 278 Seiten, 22,50 Pfund.

Er war der Held des Leipziger Reichstagsbrand-Prozesses, in dessen Verlauf er den Zeugen Hermann Göring in Schwierigkeiten brachte: Georgi Dimitroff, bulgarischer Kommunist, Leiter des Westeuropäischen Büros der Kommunistischen Internationale (KI) in Berlin. Nach seinem Freispruch triumphal in Moskau empfangen, wurde er 1934 zum Generalsekretär der Kommunistischen Internationale, des "Generalstabs" der kommunistischen Weltrevolution bestimmt.

Formell eine eigenständige Organisation, 1919 gegründet, bestehend aus nationalen "Sektionen", das heißt Parteien, wurde die KI bald zu einem Anhängsel der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU). Ihre vornehmste Aufgabe wurde es, die Außenpolitik der Sowjetunion zu verteidigen. Obwohl Stalin der Tätigkeit der KI nicht allzuviel Respekt bezeugte, war er doch ihr eigentlicher Herr, und so entstanden enge Beziehungen zwischen Stalin und Dimitroff, die sich über mehrere Jahre erstreckten - bis zur Auflösung der Komintern 1943 und sogar noch darüber hinaus. Das vorliegende Buch veröffentlicht 54 Dokumente aus dem Schriftverkehr, der heute im Russischen Staatsarchiv für Politik- und Sozialgeschichte aufbewahrt wird.

Als Dimitroff seine neue Funktion als Generalsekretär der Komintern antrat, waren die Sowjetunion und die Komintern dabei, eine ihrer großen strategischen Schwenkungen vorzunehmen - von der ultra-linken, vor allem gegen die Sozialdemokratie gerichteten Politik der "Klasse gegen Klasse" zu einer Strategie der Einheitsfront, einem möglichst breiten Bündnis gegen Nationalsozialismus/Faschismus. Die Schwenkung wurde nicht sofort von allen kommunistischen Parteien verstanden, und die Komintern mußte nachhelfen, um sie durchzusetzen. Das Abhängigkeitsverhältnis einer großen kommunistischen Partei von der Moskauer Zentrale der KI wird unter anderem sichtbar in der Anfrage der französischen KP, ob sie der gerade gebildeten Volksfrontregierung beitreten sollte: Dimitroff sagte nein. Obwohl formell zu solchen Entscheidungen befugt, zog Dimitroff es vor, zunächst Stalin zu befragen.

Aus mehreren Dokumenten ist die peinliche Situation zu ersehen, die sich für die Komintern und kommunistische Parteien durch den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom August 1939 ergab. Plötzlich waren die "imperialistischen Staaten" insgesamt der Hauptfeind.

Jacques Duclos, Chef der französischen KP, berichtete nach der Niederlage Frankreichs im Juni 1940, daß Vertreter seiner Partei mit den deutschen Besatzungsbehörden Kontakt aufgenommen hätten, um die Erlaubnis zur Herausgabe des Zentralorgans "L'Humanité" zu erwirken. Dimitroff gab zunächst grünes Licht, änderte aber drei Tage später seine Entscheidung und verbot jeden Kontakt mit den deutschen Besatzungsbehörden.

Als sich der Sieg der Anti-Hitler-Koalition abzeichnete, verlor auch die Komintern an Bedeutung. Im Mai 1943 beschloß das Präsidium der Komintern, das heißt die vierzehn in Moskau anwesenden Vertreter kommunistischer Parteien (ohne einen Vertreter der KP China), die KI aufzulösen, da sie zu einem Hindernis für die selbständige Entwicklung der kommunistischen Parteien geworden sei. Tatsächlich sollte den westlichen Verbündeten vorgespiegelt werden, daß die kommunistischen Parteien in ihren Ländern nicht mehr unter Kontrolle einer ausländischen Organisation stünden. Das Protokoll der betreffenden Sitzung berichtet, daß der deutsche Vertreter, Walter Ulbricht, sich für die Beibehaltung des umstrittenen Begriffs "Organisationsfetischismus" eingesetzt habe, worauf sein französischer Kollege André Marty verärgert erklärte: "Ihr Deutschen könnt ohne Organisation nicht einmal urinieren."

Ein Teil der Aufgaben der Komintern wurde mit anderen Mitteln fortgesetzt. Von Interesse ist die Angabe, daß es Stalin war, der darauf gedrängt hat, daß die Formulierung "Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre", in den Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 aufgenommen wurde.

Das vorliegende Buch bringt keine grundlegend neuen Erkenntnisse über Politik und Strategie der Komintern, aber es vermittelt Einblicke in den inneren Mechanismus dieser Organisation, den Einfluß Stalins und die Rolle des Generalsekretärs. Man kann jedoch fragen, warum die "Säuberungen" der dreißiger Jahre, unter denen auch der Apparat der Komintern erheblich zu leiden hatte, kaum erwähnt werden. Die Dokumente werden durch sachkundige Erläuterungen der Herausgeber eingeführt; im Unterschied dazu ist die Lektüre der oft langen, im Parteijargon verfaßten Dokumente für den Nichtgeübten eher mühsam.

HANS KLUTH

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