Bis heute prägen Fachwerkhäuser das vertraute Bild in vielen deutschen Dörfern und Städten. Sie vermitteln vielfältige Einblicke in die Wohn- und Lebensbedingungen der Menschen in früherer Zeit und sind damit wertvolle Quellen für Baugeschichte, Volkskunde, Kultur- und Sozialgeschichte. In den letzten Jahrzehnten hat sich unser Wissen über den Fachwerkbau erheblich erweitert. Heinrich Stiewe fasst die wesentlichen Forschungsergebnisse kompakt zusammen und gibt einen Überblick über Entwicklung und Gestaltung des Fachwerkbaus vom Mittelalter bis zur Moderne. Zahlreiche Beispiele aus berühmten Fachwerkstädten wie Quedlinburg, Marburg oder Schwäbisch Hall werden in Text und Bild sachkundig beschrieben. Entstanden ist so ein überraschend neues Bild einer vermeintlich altbekannten Bautechnik.
Praktische Hinweise zur Restaurierung von Fachwerk, ein umfangreicher Serviceteil, Glossar, Literaturhinweise und Register beschließen den Band.
Praktische Hinweise zur Restaurierung von Fachwerk, ein umfangreicher Serviceteil, Glossar, Literaturhinweise und Register beschließen den Band.
Wer sich in Deutschland eine sehenswerte Stadt als Reiseziel wünscht, hat nicht selten eine Fachwerkkulisse vor Augen. Die hölzernen Konstruktionen gelten als Inbegriff einer verlorenen Epoche, die größten baulichen Verluste hat der Bombenkrieg in Fachwerkstädten wie Halberstadt, Hildesheim oder Kassel angerichtet. Das Fachwerk über romantische Sehnsüchte hinaus als sprechende Architektur zu erfassen, dabei hilft Heinrich Stiewes Band "Fachwerkhäuser in Deutschland", der so sachlich, wie der Titel ankündigt, in die Geschichte, die Bautechniken und in die gestalterischen Elemente führt. Wer sich das geballte Fachwissen bewahren kann, wird beim Blick auf ein Baudenkmal schnell zwischen Ständer- und Rähmbauweise unterscheiden, kann an den Fassaden Schwellen von Riegeln, Streben von Schwertungen oder Bänder von Rosetten unterscheiden. Er ist vertraut mit den Regionen mit traufseitiger oder giebelseitiger Straßenstellung und kann aus der Bauweise mit großen Dielen oder separaten Kammern auf die Lebensweise in der Gemeinschaft oder in der Vereinzelung schließen. Der Führer durch die Baugeschichte setzt immer wieder in den Epochen an, führt gesellschaftliche Bedingungen wie Nachbarschaftsrechte, Waldnutzungsordnungen oder Gestaltungsvorschriften der Landesherren an, die sich auf die Beschaffenheit der Häuser wie auf das Ortsbild auswirkten. Das verwendete Material ist nicht nur auf die jeweiligen Vorzüge bei Verarbeitung, Stabilität oder Dämmung zurückzuführen, sondern wesentlich auch auf die örtliche Verfügbarkeit. So wurde Sandstein verbaut, wo es dafür die Brüche gab, aber auch entlang schiffbarer Flüsse. Die Techniken der Zimmerleute, denen in den Fachwerkepochen Entwurf und Bauleitung zukam, reichten vom Verzapfen und Aufblatten bis zu genuteten oder gekämmten Verbindungen. Konstruktionsdetails wie die stützenden Knaggen wurden bald dekorativ eingesetzt, Vorkragungen dienten erst der besseren Platzausnutzung und dann repräsentativen Absichten. Die kunsthistorische Spurensuche unterscheidet zwischen konstruktiven Gefügen und Zierfachwerken, nimmt Zimmermannszeichen ebenso wie dekorative Accessoires von aufgemalten Marmorierungen bis zu geschnitzten Figuren wahr, ordnet die rote Bemalung bis Ende des sechzehnten Jahrhunderts, die graue bis 1850 und in der folgenden Epoche die blaue Modefarbe ein. Der Autor beginnt mit dem Einsetzen der Fachwerkbauweise beim Übergang zur Gotik und der Verbreitung des Zierfachwerks von der Renaissance an und schafft immer wieder die Verbindungen zu politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen, erinnert etwa beim Aufkommen von Inschriften an die Lesefähigkeit in der Bevölkerung. Die zahlreichen Fotografien motivieren den Leser mehr als einmal zu gezielten Ausflügen.
ric.
"Fachwerkhäuser in Deutschland" von Heinrich Stiewe. Primus Verlag, Darmstadt 2007. 160 Seiten, 120 Abbildungen. Gebunden, 49,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
