Hundert Tage war der Fotograf York Hovest in Südamerika unterwegs. Der wasserreichste Fluss der Erde führt durch das größte tropische Regenwaldgebiet der Welt, in dem viele Teile nahezu unerforscht sind. In ihnen leben nur noch wenige indigene Völker auf sehr traditionelle Art und Weise. Gemeinsam mit Schamanen, Stammesältesten und deren Familien tritt York Hovest eine Reise durch das Amazonasbecken an, um die Schönheit des Regenwaldes und seiner Bewohner mit der Kamera einzufangen
York Hovest hat sich gut vorbereitet, hat einen robusten Unwetterschutz für seine Kameraausrüstung besorgt, sich um ausreichend Notfallmedikamente gekümmert, in Bayern, seiner Heimat, sogar einen veritablen "Baumkletterkurs" belegt und seine Spanischkenntnisse aufgefrischt. Dann ging es ins Amazonas-Gebiet. Im Sommer 2015 war er in abgelegenen Regionen Perus, Brasiliens, Venezuelas sowie Ecuadors unterwegs - mit Propellerflugzeugen, Schiffen und Kanus, meistens jedoch zu Fuß. Seine lokalen Ratgeber und Begleiter waren dabei keine "Abenteuer-Event-Veranstalter", sondern Forscher und Umweltaktivisten, die sich für die Rechte der indigenen Völker engagieren. Das schlägt sich in seinem Bild-Text-Band nieder: "100 Tage Amazonien. Meine Reise zu den Hütern des Waldes" verbindet auf berührende Weise Ästhetik und Ethik. Großformatige, oft doppelseitige Aufnahmen zeigen eine atemberaubende Welt. Mal sind es aus der Luft aufgenommene Landschaftspanoramen in allen Nuancen von Grün, mal Nahaufnahmen, etwa von Krokodilaugen, transparent-lichtdurchzitterten Pilzen oder Tieren wie dem Ameisenbär und dem Dreifingerfaultier. Im Mittelpunkt allerdings stehen die indigenen Ureinwohner, deren Lebensraum immer enger wird. "In Peru wurde ich auf die illegalen Rodungsflächen in der Nähe der Matsés-Ethnie aufmerksam", schreibt York Hovest. "In Brasilien waren es die ausufernden Sojaanbaugebiete und der Megastaudamm Belo Monte, die die Territorien der Xinguano dezimieren. In Venezuela ist es der vom Quecksilber der Gold- und Diamantenminen verseuchte Boden, der den Lebensraum der Yanomami bedroht. In Ecuador war die Zerstörung der Natur auf der Suche nach Öl für mich die offenkundigste Gefahr für die Shuar und Waorani." Keine guten Aussichten! Was York Hovest dem entgegenstellt, ist das Maximum dessen, was ein Fotokünstler zu leisten vermag: kritische Information und ein genauer Blick dafür, wie Schönheit und Gefährdung in dieser Weltregion ineinander übergehen. Wie lange, fragt man sich beim Betrachten der Bilder, werden indigene Ethnien noch ihren Lebensrhythmen folgen können und ihre Riten feiern, ehe dies alles verschwindet - oder zum folkloristischen Spektakel für Touristen verkommt? Wegbereiter für eine solche Entwicklung will Hoves nicht sein. In der Wegbeschreibung zu den diversen Ethnien bleibt er stets dezent, und auch sonst behandelt er die Menschen mit größtem Respekt. Sie danken es ihm und schauen, mitunter tätowiert und manche der Frauen nackt, auf eine derart natürlich-entspannte Weise an der Kamera vorbei - oder blicken andererseits in beeindruckenden Porträts den Fotografen direkt an -, als ahnten sie, dass der Fremde nicht in voyeuristischer Absicht gekommen ist. So entstand ein wunderbares Buch. Bezaubernd, nicht manipulativ.
mart
"Hundert Tage Amazonien. Meine Reise zu den Hütern des Waldes" von York Hovest. National Geographic Buchverlag, München 2016. 218 Seiten, zahlreiche Farbfotos. Gebunden, 49,99 Euro.
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