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Produktdetails
  • Verlag: Primus Verlag
  • ISBN-13: 9783896781956
  • ISBN-10: 3896781952
  • Artikelnr.: 28252000
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.02.2002

Blumen zur Wiederverwertung
Øivind Andersens Führung durch den Garten der Rhetorik

Wem und wohin gehört die Rhetorik? Man hat sie "Chamäleon der Geisteswissenschaften" genannt. Ihre bereits von Aristoteles festgestellte Universalität hat ihr eine Diffusion verschafft, die man als allseitige Beliebtheit deuten kann - aber ebensogut als mangelnde Wiedererkennbarkeit. Rhetorik findet man in der Unternehmensberatung, in der Philosophie, in der Literatur und neuerdings auch unter den Vögeln. Zunächst auf öffentliche Auftritte ausgerichtet, ist die Rhetorik recht bald nach ihrer Entstehung in der griechischen Antike einer Literarisierung ausgesetzt worden, die Generationen von Schülern mit "rhetorischen" Mitteln unaussprechliche Gebilde wie Aposiopese, Ethopöie und Hendiadyoin hat verbinden lassen. Im zwanzigsten Jahrhundert hat postmoderne Literaturbetrachtung die Verengung der Rhetorik auf das Figurative der Sprache weiterbetrieben, haben andere eine allgemeine Argumentationstheorie aus ihr machen wollen. Das Tübinger "Historische Wörterbuch der Rhetorik", von dem vier Bände erschienen sind, zeigt in seiner inhaltlichen Vielfalt, daß die Abgrenzung zu rein literaturwissenschaftlichen Themen schwerfällt.

Øivind Andersen, der in Oslo klassische Philologie lehrt, protestiert gegen diese Vielseitigkeit: "Das Ergebnis all dieser Theorien ist, daß die Rhetorik kaum noch als eigenständiges Fach zu erkennen ist: Sie wird deformiert." Auch wer dem entgegenhält, nach der Spezialisierung der Fächer im neunzehnten Jahrhundert sei eine gewisse Aufsplitterung der Rhetorik unvermeidlich, wird Andersen gleichwohl beipflichten, wenn er sagt: "Wer Kommunikation und Rhetorik identifiziert, hat einen zu weiten Begriff von Rhetorik."

Andersens Antwort ist eine Darstellung der klassischen Rhetorik, die deren Berührungen mit der Literaturanalyse nicht verschweigt, aber das Verständnis der Disziplin als "Lehre von der Art und Weise, Reden vorzubereiten und vorzutragen", wieder in den Mittelpunkt zu rücken sucht. Dem blumigen Einfall zum Trotz, den Leser nach humanistischer Tradition in den "Garten" der Rhetorik zu bitten - im Anschluß etwa an Henry Peachams "The Garden of Eloquence" von 1577 -, stehen bei Andersen nicht die ästhetischen Aspekte im Vordergrund, sondern die Mittel, mit denen man nach Ansicht der antiken Theoretiker zu einem überzeugenden öffentlichen Redner wird.

Nun wußte man gerade in der Antike, daß Überschneidungen von Rhetorik und Poetik in der Natur der Sache liegen - eine eigene Theorie der Prosa gab es nicht, und so mußten auch die Freunde der Dichtung mit dem System der Rhetorik als Textwissenschaft vertraut sein. Auf dieselbe Weise kann Andersens kompaktes Buch verwendet werden: Als ausgesprochen lesbare, fußnotenfreie Einführung in die antike Rhetorik, als elegant präsentiertes Grundlagenwissen für die, die sich für die Mechanismen öffentlicher Rede, und gleichermaßen für die, die sich für die literarische Kommunikation interessieren. Weil der Redner und der Literat bis zu einem gewissen Punkt dasselbe tun: Texte verfassen. Mit dem Unterschied zwar, daß die Rede ein konkretes Publikum, die Literatur im Idealfall ein größeres, aber anonymeres im Blick hat, und daß diese eher von Kunstwillen, jene eher von einer Überzeugungsabsicht bestimmt ist. Aber viele Geheimnisse, etwa über die Stilqualitäten oder die Themenfindung, werden von beiden Sphären geteilt.

Man muß die Leichtigkeit bewundern, mit der Andersen ein mit der Zeit immer schematischer gewordenes System beschreibt, ohne selbst zu schematisch zu werden. Nicht nur die Aufteilung des Materials in schlüssige Abschnitte ist einleuchtend, es wird auch an jeder Stelle der - beispielsweise juristische - Sitz im Leben der Handbuchvorschriften deutlich. Dabei wird das nötige Gerüst von Fachbegriffen vermittelt, ohne daß die Doxographie zu penibel würde - auch hier dem Rat Quintilians folgend: "Denn es spielt keine Rolle, wie die verschiedenen Dinge genannt werden, wenn es nur einleuchtet, was sie für die Rede leisten." Und all dies geschieht in einer unprätentiösen Sprache, die gut ins Deutsche überführt wurde. Hervorzuheben ist dabei die Leistung von Brigitte Mannsperger, die die nicht wenigen Zitate aus dem Griechischen und Lateinischen geschickt neu übersetzt hat, "um den deutschen Lesern eine einheitliche Terminologie zu bieten", wie es im Vorwort heißt.

So ist ein rhetorisches Florilegium von Homer bis Augustin entstanden, das in deutscher Sprache seinesgleichen sucht. Jeder, der mit Sprache umgeht, wird daraus Gewinn ziehen können. Und doch liegt gerade in dem Vorteil des gelungenen Handbuchs ein Nachteil: Die Zeitlosigkeit so mancher antiker Erkenntnisse muß vom Leser im wesentlichen selbst herausgespürt werden. Die Anwendbarkeit des traditionellen Systems auf die veränderten Rede- und Publikumsbedingungen unserer Zeit - die weitreichend, aber eben nicht endlos ist - prüft Andersen nicht. Das Fernsehen etwa, das die Komplexität rhetorischer Verständigung sehr verstärkt hat, kommt nicht vor. Eine Beschränkung, die nicht zu beanstanden wäre, wenn Andersen nicht selbst den Anspruch erhöbe, mit seinem Buch einen Beitrag zum Verständnis der Meinungsbildung in der heutigen Demokratie zu leisten. Der entsprechende Aktualisierungsversuch fällt indes ebenso idealistisch wie dürftig aus: "Wichtig ist es, nach dem vir civilis zu suchen, dem bewußten und engagierten Mitglied der Gesellschaft, der mit seinem logos an der Gemeinschaft teilnimmt und sie fördert."

Man kann also die vertane Chance beklagen, eine allgemeinverständliche Vorstellung der antiken Theorie der Beredsamkeit mit den gerade hier naheliegenden modernen Bezugspunkten zu versehen. Oder man kann geltend machen, daß in einem Garten schließlich nicht alles der sofortigen Verwertbarkeit diene. Und auf den mitdenkenden, die Analogien herstellenden Leser hoffen. Denn der weiß wie Aristoteles in seiner "Rhetorik": "Die Zukunft gleicht ja meistens der Vergangenheit."

JOHAN SCHLOEMANN

Øivind Andersen: "Im Garten der Rhetorik". Die Kunst der Rede in der Antike. Aus dem Norwegischen übersetzt von Brigitte Mannsperger und Ingunn Tveide. Primus Verlag, Darmstadt 2001. 335 S., geb., 39,90 .

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Rhetorik, die heute - von der Unternehmensberatung zur Literaturwissenschaft - allgegenwärtig scheint, einen fest umrissenen Platz und das Wissen um ihre fest umrissene Funktion zurückzugeben, ist die Absicht von Oivind Andersens Studie. Es geht ihr um den Rückbezug auf die Ursprünge und damit, so Rezensent Johan Schloemann, um die "Darstellung der klassischen Rhetorik" von Aristoteles bis Augustin. Diese Darstellung lobt der Rezensent in den höchsten Tönen: Sie ist für ihn eine "ausgesprochen lesbare, fußnotenfreie Einführung", ihre "Leichtigkeit" findet er bewundernswert. Ein Extralob geht an die Übersetzerin Brigitte Mannsperger, die die Zitate aus dem Griechischen und Lateinischen eingedeutscht hat. Nur ein Problem gibt es, nämlich mit der dann doch noch angestrebten aktuellen Anwendung der Rhetorik. Hier bleibt der Autor, findet Schloemann "ebenso idealistisch wie dürftig". Das Fernsehen, so sein etwas merkwürdiger Haupteinwand, kommt überhaupt nicht vor.

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