"Lütten Klein" ist unbedingt lesenwert: Eine differenzierte Beschreibung der ostdeutschen Gesellschaft. Eine zugespitzte Analyse ihrer Brüche. Und - ein persönlich gefärbter Erlebensbericht des Umbruchs.
Das Ergebnis der Analyse ist klar: Vereinigung und Transformation haben es nicht vermocht, über
40 Jahre gewachsene Eigenheiten zu überformen, geschweige denn, die westdeutschen Entwicklungen…mehr"Lütten Klein" ist unbedingt lesenwert: Eine differenzierte Beschreibung der ostdeutschen Gesellschaft. Eine zugespitzte Analyse ihrer Brüche. Und - ein persönlich gefärbter Erlebensbericht des Umbruchs.
Das Ergebnis der Analyse ist klar: Vereinigung und Transformation haben es nicht vermocht, über 40 Jahre gewachsene Eigenheiten zu überformen, geschweige denn, die westdeutschen Entwicklungen nachzuvollziehen. Im Gegenteil: Sie haben die lang angelegten “Frakturen“ im gesellschaftlichen Gefüge bloßgelegt und vertieft. Der Osten bleibt eben anders. Der Anspruch der westdeutschen Transformationsstrategie ist gescheitert. Gewiss nicht aus Mangel an guten Absichten. Doch auch an ihren eigenen Widersprüchen. Und dem Unvermögen, dem Aufbruch im Osten etwas abzugewinnen: Der Sieg im Kalten Krieg ließ das schier unnötig erscheinen.
Die Ursachen dafür sind vielfältig. Mau nennt viele. Einige bemerkenswerte Beispiele:
- Ein jahrzehntelanger Brain Drain. Die Fluchtbewegung zur Wende war nur ein kleiner Ausschnitt davon. Beginnend in den 50ern, wurde er durch den Mauerbau nur aufgestaut, und setzte sich mit Grenzöffnung ungehindert fort. Nicht zu unterschätzen: Für die übergroße Mehrheit der Ostdeutschen bedeutete die Einheit einen Abstieg: Wirtschaftlich. Sozial. Kulturell.
- Die Vermännlichung des Ostens, begünstigt durch eine eigentümliche Kombination von modernem Rollenverständnis ostdeutscher Frauen und traditionellen Heiratsmustern, zugespitzt durch den beispiellosen Geburteneinbruch zur Wende: Je nach Bildungsstand, gibt es in manchen geburtenstarkem Vorwendejahrgang dreimal mehr Männer als potenzielle Partnerinnen in der Region. Die heirateten oft in den Westen.
- Frappierender ist ein anderer Befund: Nach dem kurzen Rausch der Wende - Mau versucht ihn den Nachgeborenen mit der kollektiven Begeisterung zu einer Fußballweltmeisterschaft begreifbar zu machen – fiel die Gesellschaft zurück in Starre. Die Strategie der schnellen Vereinigung setzte auf nationalen Pathos, nicht auf demokratische Prozesse. Mit der Einheit kehrte die Herrschaft zurück. Und die Erwartung, sich anzupassen. Der Westen wagte zu wenig Demokratie. Ein Faktor der Kontinuität – der sich heute mehr denn je zu rächen scheint: „Die DDR war eine gedeckelte und nach unten gedrückte Gesellschaft, und so lässt sich Ostdeutschland auch heute noch beschreiben.“
Konsequenterweise endet das Buch mit Überlegungen zur Abneigung gegen Fremde und dem Erfolg der AfD. Sie profitiert davon, dass sich die anderen Parteien der Unzufriedenheit im Osten nicht (mehr) annehmen. – Zeit, dass sich das ändert. Spätestens nach diesem Buch.