Eine Sensation: erstmals publizierte Texte der Mutter Ruth Klügers von ganz eigenem literarischen Wert.Im Nachlass von Ruth Klüger (1931-2020) fanden sich Aufzeichnungen ihrer Mutter Alma Hirschel, die in den frühen 1970er-Jahren entstanden. In autofiktionaler Erzählhaltung hält sie darin ihre Erinnerungen an die Zeit der Verfolgung unter dem Nationalsozialismus fest. Der erste Text handelt vom Leben der jüdischen Familie Klinger in Wien 1938. Die Autorin beschreibt die Verschleppung nach Theresienstadt, Auschwitz und Christianstadt-Groß-Rosen bis zum Todesmarsch im Februar 1945. Im zweiten Text »The Flight« erzählt Alma Hirschel davon, wie Mutter und Tochter Ruth zusammen mit Pflegetochter Susan aus dem Todesmarsch fliehen und sich nach Straubing durchschlagen, wo sie von amerikanischen Truppen befreit werden.Die Entdeckung dieser Texte kommt einer Sensation gleich, haben beide doch sowohl einen literarischen als auch einen hohen dokumentarischen Wert. Sie verschaffen zudem eineneue Verständnisgrundlage für das in der Klüger-Forschung viel diskutierte Mutter-Tochter-Verhältnis: Eine Verdrängung des Erlebten hat es weder für die Mutter noch für die Tochter gegeben, vielmehr den beständigen Versuch, dafür eine Sprache zu finden.
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Sehr interessant findet Rezensent Marc Reichwein dieses Buch. Es enthält, lesen wir, zwei Erzählungen, die Alma Hirschel verfasst hat. Hirschel ist die Mutter von Ruth Klüger, deren Autobiografie "weiter leben. Eine Jugend" zu den zentralen Texten der Holocaustliteratur gehört, erinnert der Kritiker. Klüger hat die Lager gemeinsam mit ihrer Mutter überlebt - und tatsächlich hat auch Hirschel ihre damaligen Erlebnisse literarisch verarbeitet, in den eben hier versammelten Texten, die in den 1970ern - einer davon ursprünglich auf Englisch - entstanden sind, aber bislang nicht veröffentlicht wurden. Vielleicht auch, weil Ruth Klüger sie zurückgehalten hatte. Dies entnimmt Reichwein dem unbedingt lesenswerten Nachwort der Herausgeberin Gesa Dane, die auch ansonsten viele wichtige Kontextinformationen liefert. Was nun Hirschels Erzählungen betrifft, unterscheiden sie sich stark von dem nüchternen Bericht Klügers, die Texte wechseln zwischen dokumentarischen, autofiktionalen und fiktionalen Passagen, sie wirken teils stilisiert: Sowohl Hirschel als auch ihre Tochter treten hier mit ausgedachten Namen auf. Als "Art Brut" charakterisiert Reichwein Hirschels Texte, die literarisch nicht mit dem Werk ihrer Tochter mithalten können, aber gleichwohl wichtige Aufschlüsse geben, auch über Klügers Schriften. Viel wird noch über dieses Mutter-Tochter-Gespann zu lesen sein in der Zukunft, glaubt der Rezensent nach der bereichernden Lektüre.
© Perlentaucher Medien GmbH
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