Zu Beginn dieses meisterhaften Debütromans liegt Vishnu sterbenskrank auf der Treppe, auf der er wohnt, seine Nachbarn streiten sich darüber, wer den Krankenwagen bezahlt. Während sich die Handlung allmählich durch die Stockwerke des Mietshauses nach oben schraubt, werden wir in die Lebensdramen der verschiedenen Bewohner hineingezogen: die ständigen Zänkereien zwischen den Asranis und den Pathaks; die besessene Suche Mr. Jalas, eines Muslims, nach dem Sinn von Leben und Religion, während seine Frau um seinen Verstand fürchtet; Vinod Tanejas Sehnsucht nach seiner Frau, die er schon vor vielen Jahren verloren hat; die Teenagerträume von Kavita Asrani, die sich als Heldin eines Hindi-Films sieht und eines Nachts heimlich mit dem Muslim-Jung en Salim durchbrennt. Die Geschichte dieses Mietshauses wird zu einer Metapher für die sozialen und religiösen Spaltungen im heutigen Indien, und Vishnus Aufstieg im Treppenhaus spiegelt die Wanderung der Seele durch die verschiedenen Seinsstadien wider. Seine Erinnerungen und Visionen - Erinnerungen an die schöne Padmini, die er mehr als alles andere auf der Welt liebte, obwohl sie eine Hure war; Erinnerungen an seine Mutter, die ihm alle Legenden über den Gott Vishnu beibrachte; Visionen, die an Szenen aus den heiligen Schriften des Hinduismus erinnern - bilden die mit Witz und liebevoller Ironie geschilderten Geschichten der Hausbewohner ab und geben dem Leser Rätsel auf: Ist Vishnu womöglich der Gott Vishnu, nicht nur der Hüter des Mietshauses und seiner Bewohner, sondern der Erhalter des gesamten Universums?
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Was für ein Szenario! denkt die Rezensentin. Ein Stoff, wie geschaffen für ein zorniges Sozialdrama. Allein es ist: eine Komödie. Eine, die im übrigen nach der Bühne oder der Kinoleinwand geradezu schreit, wie Katharina Granzin anmerkt. Die turbulente Handlung um das Leben und Leiden der ("wunderbar ironisch gezeichneten") Bewohner eines Bombayer Mietshauses, um Hindus im Clinch mit muslimischen Nachbarn, hätte ihr allerdings vollauf genügt. Wozu das Ganze mit Hilfe künstlicher Symbolik zum religiös-mythologischen Götterreigen stilisieren? Sofern jemand wirklich erzählen kann, findet Granzin, tun's auch "die kleinen Dinge".
© Perlentaucher Medien GmbH
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