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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Im Bann des Exilgefühls: Asal Dardan schildert die Schwierigkeiten eines Lebens zwischen den Kulturen
Asal Dardan ist mit ihren "Betrachtungen einer Barbarin" für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert. Der Verlag wiederum bewirbt den Band in der Kategorie "Romane und Erzählungen". Für beide Einordnungen gibt es gute Gründe, denn die Autorin illustriert in zehn stilistisch unterschiedlichen Kapiteln, was Heinrich von Kleist mit seinem Aufsatz "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" zu erklären versuchte. Vorsichtig umkreist sie ihren Stoff. Mal schnappt sie zu, wenn ihr eine Idee brauchbar erscheint, dann wieder überlässt sie anderen das Wort, die schon auf den Punkt gebracht haben, was sich bei ihr noch als Intuition darstellt. Sie schreibt aus der Ichperspektive, schlägt essayistische Töne an, um anschließend wieder ins Literarische zu wechseln.
Einmal erinnert sie sich an Drucke von Carl Spitzweg, welche die Wände jener Kölner Hochhauswohnung zierten, in der sie aufgewachsen ist: "Hübsche erdfarbene Kulissen, in denen sich manierliche Menschen bewegten, die genau dort waren, wo sie hingehörten, und dennoch der Gegenwart zu entkommen schienen." Damit wären wir bei der wichtigsten Frage von Dardans Buch: Wie verortet man sich in der Zeit und der Welt.
Dass Spitzwegs spießerfeindlicher Humor selbst spießig war, erkannte die Schülerin damals noch nicht. Die heute dreiundvierzigjährige Kulturwissenschaftlerin hingegen sieht diese Ironie sofort. Dennoch serviert sie dem Leser keine vollendeten Erkenntnisse, sondern tastend erhobene Befunde. Sie schreibt über ihre Eltern, die aus Iran geflohen sind, um sich in Deutschland eine neue Existenz aufzubauen, über das damit verbundene Problem, eine stabile Identität zu finden, über den Sinn, kulturelle Traditionen in der neuen Heimat fortzuführen, über den NSU und das Gendern.
Behandelt werden diese Themen vor dem Hintergrund ihrer Biographie. Dardan, die sich als Kosmopolitin ohne feste Ortsbindung, aber mit ausgeprägtem "Exilgefühl" erweist, rekapituliert die Stationen ihres Lebens und zeigt, dass Iran für sie eine Erzählung und keine Erfahrung ist, weil sie sich nicht an ihn erinnern kann. Zugleich sondiert sie das Debattengelände in Deutschland. Dabei probiert sie, im anderen den Einzelnen und in sich das Fremde zu sehen. So heißt es über die deutsche Kommunistin Olga Benario-Prestes, die von den Nationalsozialisten ermordet wurde: "Ich kann nach Parallelen suchen, aber sie unterstreichen nur, wie gut es mir geht und wie anders ich bin."
Fortwährend steuert die Argumentation auf diesen Aspekt zu, der den ungebändigten Ausführungen so etwas wie einen Kern verleiht. Die Kluft zwischen dem "Wir" und dem "Ihr" im Hinterkopf, schreibt Dardan, Deutsche verhielten sich oft, als sei sie keine von ihnen, allerdings komme sie sich unter Iranern ebenso deplatziert vor: "Sie erinnern mich daran, was ich versäumt habe, was für mich nie selbstverständlich sein wird." Verlässt die Autorin den persönlichen Erfahrungsraum, um zu erörtern, wie die Vergangenheit in die Gegenwart hineinragt, formuliert sie einen finsteren Erwartungshorizont: "Die mahnenden Appelle, das ,Nie wieder!' - sie sollen vermitteln, dass wir aus der Geschichte gelernt haben. Aber ich glaube nicht mehr daran."
Der Titel des Buchs ist J. M. Coetzees Roman "Warten auf die Barbaren" entlehnt. Darin beschreibt er, wie eine Gemeinschaft durch die Angst vor Fremden genau das verliert, was sie vor ihnen schützen wollte - die Zugewandtheit anderen gegenüber. Wer sich in Deutschland für eine Leitkultur starkmacht und von Migranten fordert, sie mögen mit den Sitten ihrer Heimat brechen, übersieht, dass ein Entweder-oder an der Sache vorbeigeht. Das Gefühl von Zugehörigkeit entsteht Dardan zufolge nämlich gerade nicht durch starre Regeln, sondern durch fließende Übergänge.
KAI SPANKE
Asal Dardan:
"Betrachtungen einer Barbarin".
Hoffmann und Campe
Verlag, Hamburg 2021.
193 S., geb., 22,- [Euro].
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