Erwin Strittmatter (1912-1994) war so etwas wie ein Volksschriftsteller der DDR-Literatur. Seine Romane und Kinderbücher „Ochsenkutscher“, „Tinko“, „Ole Bienkopp“, „Der Wundertäter I - III“ und vor allem sein „Schulzenhofer Kramkalender“ hatten fast Bestsel-ler-Status (sprich: sie waren Bückware).
Mit der Romantrilogie „Der Laden“ (und dessen Verfilmung) wurde Strittmatter auch im Westen bekannt.…mehrErwin Strittmatter (1912-1994) war so etwas wie ein Volksschriftsteller der DDR-Literatur. Seine Romane und Kinderbücher „Ochsenkutscher“, „Tinko“, „Ole Bienkopp“, „Der Wundertäter I - III“ und vor allem sein „Schulzenhofer Kramkalender“ hatten fast Bestsel-ler-Status (sprich: sie waren Bückware). Mit der Romantrilogie „Der Laden“ (und dessen Verfilmung) wurde Strittmatter auch im Westen bekannt. Dann machte sich Empörung breit, als bekannt wurde, dass er im Zweiten Weltkrieg in einer der Waffen-SS nahestehenden Polizeieinheit gedient hatte. (Erst Hosianna und dann kreuziget ihn - so ist das auch in der Literatur!).
Nun ist anlässlich seines 100. Geburtstages im Aufbau Verlag der erste Teil seiner Tagebücher erschienen. Er umfasst den Zeitraum von Juli 1954 bis Ende Dezember 1973. Der Beginn der Tagebuchaufzeichnungen fällt mit dem Erwerb des Schulzenhofes bei Gransee zusammen, wo Strittmatter mit seiner dritten Ehefrau Eva („Evchen“) endlich einen festen Lebensort gefunden hatte. Und so beginnt das Tagebuch auch mit einer kurzen Inventarliste der wichtigsten Umzugsdinge.
Der Schulzenhof (und nur noch sporadisch die Berliner Wohnung) wird für Strittmatter bis zu seinem Tod der Lebensmittelpunkt bleiben. Und so berichtet er von der Feldarbeit mit dem Pferdepflug oder von der Ponyzucht. Ergänzt werden diese Notizen über die Tagesabläufe von Naturbeobachtungen und von Anekdoten aus dem dörflichen Leben.
Daneben war Strittmatter ein Beobachter seiner Mitmenschen, die Tagebücher sind voll von solchen Beispielen. Mittelpunkt ist jedoch sein „literarisches Gewissen“, seine Ehefrau, die ihm verlässliche Partnerin ist und all seine literarische Arbeit begleitet. Darüberhinaus war Strittmatter sehr selbstkritisch, vor allem seine Unbeherrschtheit und sein Jähzorn stürzen ihn mitunter in tiefe Depressionen und Schreibkrisen. Doch Evchen holt ihn immer wieder aus seiner Verzweiflung.
Angesichts dieser Selbstzerfleischung sucht man vergebens nach einer kritischen Ausei-nandersetzung mit seiner Kriegsvergangenheit. Wie viele Tagebuchschreiber scheut auch Strittmatter hier den letzten konsequenten Schritt.
Breiten Raum nehmen auch das Ringen um seine literarische Arbeit und die Funktionärsarbeit im Schriftstellerverband ein. Hier kann man die schrittweise Entwicklung vom jungen Parteimitglied über die kritische Beobachtung der DDR-Realität bis zur politischen Distanzierung verfolgen.
„Nachrichten aus meinem Leben“ verfügt über einen umfangreichen Anhang, der mit sei-nen Anmerkungen zum Verständnis der Tagebuchaufzeichnungen beiträgt. Die Hrsg. Almut Giesecke gibt in ihrem Nachwort außerdem einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des Tagebuchs, das Strittmatter eigentlich in fast 450 „Groschenheften“ („Vokabelheften“) niedergeschrieben hat.
Eine Chronik sowie ein Personen- und Werkregister komplettieren diese verdienstvolle Ausgabe. Wie der Verlag ankündigt, soll der zweite Teil vermutlich 2014 folgen. Die Spannung darauf ist nach der Lektüre des ersten Bandes jetzt schon groß.
Manfred Orlick