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Autor im Porträt
Olga Tokarczuk
zur AutorenweltToptitel von Olga Tokarczuk
Empusion
Broschiertes Buch
September 1913, Görbersdorf in Niederschlesien. Inmitten von Bergen steht seit einem halben Jahrhundert das erste Sanatorium für Lungenkrankheiten. Mieczyslaw Wojnicz, Ingenieurstudent aus Lemberg, hofft, dass eine neuartige Behandlung und die kristallklare Luft des Kurorts seine Krankheit aufhalten, wenn nicht gar heilen werden. Die Diagnose allerdings gibt nur wenig Anlass zur Hoffnung: Schwindsucht. Mieczyslaw steigt in einem Gästehaus für Männer ab. Kranke aus ganz Europa versammeln sich dort, und wie auf Thomas Manns Zauberberg diskutieren und philosophieren sie unermüdlich miteinander - mit Vorliebe bei einem Gläschen Likör mit dem klingenden Namen »Schwärmerei«. Drängende Fragen treiben die Herren um: Wird es Krieg geben in Europa? Welche Staatsform ist die beste? Aber auch vermeintlich weniger drängende: Ob Dämonen existieren zum Beispiel oder ob man einem Text anmerkt, wer ihn verfasst hat - eine Frau oder ein Mann? Und mit der »Frauenfrage« befasst sich diese Herrenriege besonders gern. Auch bietet die kleine Welt von Görbersdorf reichlich Gesprächsstoff: Am Tag nach Mieczyslaws Ankunft hat die Frau des Pensionswirts Selbstmord begangen. Überhaupt komme es häufig zu mysteriösen Todesfällen in den Bergen ringsum, heißt es. Was Mieczyslaw nicht weiß: Dunkle Mächte haben es auch auf ihn abgesehen.…mehr
16,00 €
E.E.
Gebundenes Buch
Breslau 1908: Als eine der mittleren Töchter einer kinderreichen deutsch-polnischen Familie führt Erna Eltzner ein eher unauffälliges Leben. Alles ändert sich, als sie wenige Tage nach ihrem fünfzehnten Geburtstag am Mittagstisch ohnmächtig wird. Nicht nur hört sie Stimmen, auch ein Geist erscheint ihr. Frau Eltzner ist in heller Aufregung: Zeigen sich in ihrer Erna, der sie sich am nächsten fühlt von allen Kindern, die medialen Fähigkeiten, über die auch sie zu verfügen meint? Ernas Vater Friedrich Eltzner gehen die Belange seiner Kinder nicht wirklich etwas an. Doktor Löwe besucht die Kranke, wenngleich er für Übersinnliches wenig übrig hat, und rät, nach einem Exorzisten zu schicken. Der wundersame Walter Frommer wird zurate gezogen, seines Zeichens Okkultist und bewandert in esoterischen Belangen. Und Joachim Vogel, zweifellos ein Experte auf seinem Gebiet, der sehr modern über psychische Krankheiten denkt. Wenn Frau Eltzner nun zu Séancen lädt, herrscht feierliche Stille in der Wohnung. Tritt die Tochter mit den Seelen der Verstorbenen in Kontakt, ist die verwitwete Frau Schatzmann, die ihren Mann vermisst, ebenso fasziniert wie ihr Sohn Arthur, der ein großer Physiologe werden will. Handelt es sich um eine Gabe, oder ist Erna dem Wahnsinn verfallen, gar hysterisch? Die Fünfzehnjährige wird zum Phänomen, zum Fall E.E.…mehr
25,00 €
Olga Tokarczuk
Die Psychologin und Schriftstellerin Olga Tokarczuk wurde 1962 in Polen geboren. Schon als Siebzehnjährige veröffentlichte Olga Tokarczuk ihre ersten Erzählungen in einem polnischen Jungendmagazin, 1989 erschien ihre erste Gedichtsammlung, 1993 ihr Debütroman "Podróz ludzi ksiegi" (Die Reise der Buchmenschen). Als Inspiration für ihre Texte nennt sie die Arbeit des Schweizers Carl Gustav Jung, der als Begründer der analytischen Psychologie gilt. Bis heute umfasst ihr Werk Gedichte, Romane, Prosatexte und Essays. Olga Tokarczuk gewann die wichtigsten polnischen Literaturpreise und wurde 2018 für ihren Roman "Unrast" mit dem renommierten Man Booker International Prize ausgezeichnet.Den Nobelpreis für Literatur erhielt Olga Tokarczuk unter besonderen Umständen: Sie bekam ihn 2019 zugesprochen, rückwirkend für das Jahr 2018. Im Jahr 2018 war der Preis nicht vergeben worden, weil die Nobelpreis-Jury mit internen Korruptionsskandalen kämpfte. Erst, als diese bereinigt waren, konzentrierte sich die Jury der Schwedischen Akademie wieder auf ihre Hauptaufgaben. Der Literatur-Nobelpreis für 2018 ehrt Olga Tokarczuk "für ihre narrative Vorstellungskraft, die, in Verbindung mit enzyklopädischer Leidenschaft, für das Überschreiten von Grenzen als eine neue Form von Leben steht".
Kundenbewertungen
Unrast
Glückliches Polen
Die polnische Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarzuk hat 2007 ein Buch veröffentlicht, das in ihrer Heimat hoch gelobt wurde und zwei Jahre später dann unter dem Titel «Unrast» in deutscher Übersetzung erschien. Im Jahre 2018 wurde ihm schließlich der britische International Booker Prize verliehen. Die Resonanz in Deutschland war eher verhalten, und das Feuilleton war völlig uneins. Denn das als Roman veröffentlichte Buch entspricht kaum den Erwartungen an dieses literarische Genre, viele sehen darin eher eine Kurzgeschichten-Sammlung. Die Autorin selbst hat ihr Buch als «Konstellationsroman» bezeichnet, «eine genre-übergreifende Sammlung von Fiktion, Historie, Memoir und Essay». Und weiter: «Als ich es erstmals meinem Verlag geschickt habe, riefen sie mich zurück und fragten, ob ich vielleicht die Dateien in meinem Computer durcheinander gebracht hätte, denn das sei kein Roman». Wie auch immer! «Ein Roman wie dieser könnte niemals den Deutschen Buchpreis gewinnen», schrieb Ina Hartwig 2009 in der Frankfurter Rundschau. Und sie fügte hinzu: «Glückliches Polen, wo Bücher wie dieses mit dem wichtigsten Literaturpreis des Landes ausgezeichnet werden!» Wo sie recht hat, hat sie recht!
Im polnischen Original heißt das Buch «Bieguni», die Bezeichnung für eine orthodoxe jüdische Sekte, deren Mitglieder daran glaubten, in der ständigen Bewegung Gott näher zu sein. Neben vielen, manchmal nur eine halbe Seite umfassenden Notizen, Porträts, Glossen und Gedankensplittern der Ich-Erzählerin, neben zufälligen Beobachtungen, historischen oder mythologischen Randbemerkungen gibt es auch umfangreichere Geschichten. Da verschwindet zum Beispiel während eines Spaziergangs eine Frau spurlos mit ihrem Kleinkind. Die Suche der Polizei auf der kleinen, kroatischen Insel ist vergebens. Als sie drei Tage später wieder auftaucht, bleibt sie ihrem Mann jede Antwort schuldig, wo sie gewesen ist, - ihre Ehe zerbricht daraufhin. Ein ehemaliger Walfänger, der als Kapitän auf einer Fähre frustriert täglich mehrmals immer die gleiche Strecke fahren muss, nimmt plötzlich Kurs aufs offene Meer. Was die Passagiere zunächst ziemlich irritiert, aber ihr Protest schlägt schnell in Zufriedenheit um, alle finden den neuen Kurs prima. Auch die Mutter eines behinderten Kindes verlässt ohne ein Wort die Familie, streift ziellos durch Moskau, kampiert in der Metro und teilt das Leben der Obdachlosen. Wie lange, bleibt offen!
Erzählt wird auch von einem Altertums-Wissenschaftler, der auf einem Kreuzfahrtschiff Vorträge für die Passagiere hält. Berichtet wird zudem von Reise-Psychologen, die einem zufälligen, ständig wechselnden Publikum im Wartebereich eines Flughafens Vorträge halten über ihr Fachgebiet. Ein längerer Erzählstrang beschäftigt sich mit dem Thema Plastination und der Konservierung von Leichen. Dazu gehören dann auch mehrere ausführliche Briefe der Tochter des Kammer-Mohren am Hofe des Kaisers Franz III, die hartnäckig darum bittet, ihr die im Museum ausgestellte, mumifizierte Leiche ihres Vaters für eine christliche Bestattung zu überlassen. Und die Schwester von Frédéric Chopin schließlich, die ihren berühmten Bruder innig geliebt hat, begleitet sein Herz auf eine letzte Reise in die Heimat. Sogar ein Loblied auf die überaus wichtige Funktion von Wikipedia fehlt nicht in den lose verknüpften, literarischen Miniaturen, die dieses geradezu nomadisierende Buch prägen.
In seiner Intention ist «Unrast» eine kritische Auseinandersetzung mit der globalisierten, spätkapitalistischen Welt. Das Unstete, die Reisesucht und Entfremdung kennzeichnen die zunehmende Entwurzelung des Menschen. Immer wieder weicht die zentrale Perspektive einer dezentralen, fragmentierten, auf Emphase seiner zumeist sympathischen Figuren setzenden Erzählweise. Stilistisch brillant und wortmächtig erzählt, ist dieses Buch eine kontemplativ außergewöhnlich anregende Lektüre.
Ur und andere Zeiten
Zauber als Narrativ
Mit ihrem dritten, im Original 1996 erschienenen Roman «Ur und andere Zeiten» hat die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk auch international den Durchbruch erreicht, er wurde in mehrere Sprachen übersetzt. Die in ihrer Heimat aus national-katholischen, xenophoben Kreisen heftig befehdete Autorin wurde vor kurzem mit dem nachträglich für 2018 verliehenen Nobelpreis geehrt «für eine erzählerische Vorstellungskraft, die mit enzyklopädischer Leidenschaft Überschreitungen von Grenzen als Lebensform darstellt», wie die Jury erklärte. Insoweit kann der Preis auch als demonstrative politische Mahnung für ein weltoffenes, liberales Polen gedeutet werden. Als studierte Psychologin ist die Autorin erklärtermaßen eine Anhängerin von C. G. Jung, dessen Vorstellung von den «Archetypen» sie als universell gültig begreift und in ihre Erzählungen einbezieht. Dieses Bewusstsein für die Kontingenz von Identitäten ist prägend auch für diesen Roman.
Das fiktive Städtchen Ur im östlichen Polen steht unter dem Schutz der vier Erzengel. In einem breit angelegten Epos wird über einen Zeitraum von etwa achtzig Jahren, vom Beginn des Ersten Weltkriegs an bis in die Mitte der neunziger Jahre hinein, vom Leben einiger archetypischer Bewohner erzählt. Deren wechselvolles Schicksal in einer historisch derart ereignisreichen Periode mit ihren politischen Umbrüchen und den zwei Weltkriegen wird, vom Weltengetümmel auffallend abgehoben, ja geradezu entrückt, aus einer zutiefst humanen Perspektive beschrieben. Das üppige Figuren-Ensemble von durchweg urigen, exzentrischen Gestalten wird erzählerisch, über Generationen hinweg, patchworkartig in hunderten von kleinen Vignetten beschrieben. Momentaufnahmen quasi, deren Überschriften regelmäßig mit «Die Zeit von …» beginnen. Ein permanenter Hinweis also auf die Zeit als wissenschaftliches Phänomen, auf das an einigen Stellen des Romans dann auch in vertiefenden Reflexionen näher eingegangen wird.
«Ur ist ein Ort mitten im Weltall» lautet der erste Satz. Er deutet damit schon gleich auf die Symbolhaftigkeit dieser exemplarischen Erzählung hin, deren Thematik die ständige Wiederkehr ist, in der Natur ebenso wie im menschlichen Leben mit seinen Freuden und Leiden. Der rätselhafte Ort ist gleichzeitig auch ein Bekenntnis zur Randständigkeit. Diesem Verwurzeltsein mit der Heimat wird aber auch ein nicht nur geistiges Nomadentum entgegengesetzt. Ein berührendes Beispiel dafür ist die grandiose Schlussszene. Einer der Protagonisten, der Säufer Pawel, ist nach einem entbehrungsreichen Leben allein zurückgeblieben, Gevatter Tod hat in der Familie wie in der Nachbarschaft ganze Arbeit geleistet. Nach zwei Jahrzehnten ohne jedweden Kontakt bekommt er nun überraschend Besuch von seiner ins Ausland emigrierten Tochter. Sie haben sich aber rein gar nichts mehr zu sagen und gehen wie zwei Fremde verständnislos wieder auseinander. Zum Personal dieser gelungenen Parabel vom Ewigmenschlichen gehören auch märchenhafte Figuren wie der Böse Mann, der völlig der Kabbala verfallene Freiherr, die im Wald lebende, ehemalige Dorfhure, der Wassermann schließlich. Und natürlich Gott, der müde geworden ernsthaft überlegt, ob er noch länger Gott bleiben will.
Als ein «metaphysisches Märchen» hat Olga Tokarczuk ihr Buch von Geburt und Tod, Liebe und Hass, Glück und Leid bezeichnet, ihr Glaube sei «der Blick auf die zerfließenden Dinge», mit dem sie die Einheit von Ort und Zeit provokant negiert. Der mit christlicher Symbolik üppig angereicherte Roman voller Mythen und Wahngebilden ist trotz mancher Grausamkeiten in einer Sprache voller Zauber und Poesie erzählt, in der selbst drastische Begebenheiten im Krieg wie selbstverständlich eingebunden sind als unabänderliche Begleiterscheinungen menschlicher Existenz. Diese Reihung von Momentaufnahmen mit ihrem ständigen Wechsel zwischen Realität und Mythos ist eine mitreißend erzählte Geschichte voller Zauber, man kann sich ihr als Leser kaum entziehen.