Krimi des Monats April 2025
„Die Yacht“ von Sarah Goodwin - Von der bücher.de-Redaktion gelesen und auf Herz und Nieren getestet
Krimi des Monats
Krimitipp April 2025: Sarah Goodwin, „Die Yacht“Das Setting, in das uns Sarah Goodwin in „Die Yacht“ mitnimmt, ist ein Klassiker. Ein Ort, an dem ein paar Menschen auf sich allein gestellt sind. Ein Ort, vom Meer umgeben, ohne Internetempfang. Ein Ort, der eigentlich fantastisch wäre: Die Yacht von Libby und Olly, beide superreich und in Spendierlaune. Eine luxuriöse Silvesterparty, das ist der Plan. Die Yacht soll im Hafen von Ventimiglia vor Anker gehen. Zur Party eingeladen sind alte Freundinnen und deren Partner. Alle haben Geld, viel Geld. Nur Hannah, 29, lebt „normal“. Ihre künstlerischen Pläne hat sie aufgegeben, stattdessen verdient sie ihr Geld in einem Callcenter und kann sich noch nicht mal den Flug an die Italienische Riviera leisten. So liegt eine Fahrt in ihrer alten Karre vor ihr: zwölf Stunden. Doch die Aussicht auf ein schillerndes Wochenende mit ihren besten Freunden lässt Hannah ins Auto steigen.
Ob das mit den „besten Freunden“ stimmt, muss sich noch herausstellen. Denn Hannah ist der Underdog. Alle anderen haben es geschafft, sind berühmt, reich, angesagt. Selbst Harry, der jahrzehntelang als Elektriker arbeitete, nun aber ein berühmter Künstler ist und unanständig viel Geld verdient mit seinen geschweißten Skulpturen aus Schrott. Harry kommt, genau wie Hannah, allein. Und Harry ist Hannahs Lichtblick. Denn die Gästeliste ist exklusiv und kurz: Neben Libby und ihrem Mann Olly kommen nur noch Maggie, eine frühere Freundin von Libby und Hannah, und Maggies Verlobter Leon. Status bedeutet den beiden Paaren alles. „Mein Flugzeug, meine Yacht, mein Auto“ – das ist ihre Welt. Und natürlich schauen sie auf Hannah herab, die sich nur Secondhand-Designerkleidung leisten kann und deren Schuhe ein Geschenk von Libby waren.
Libbys Partys sind bekannt dafür, dass sie keine Wünsche offenlassen. Und als Hannah bei der Yacht ankommt, ist sie geblendet und eingeschüchtert von dem offensichtlichen Vermögen, das so ein Ding kostet: Kamin aus weißem Marmor, Oberflächen aus Gold und weißem Leder etc. und ein Hubschrauber auf einem Deck. Wie gut, dass endlich Harry auftaucht. Wie immer frech, charmant, und er liebt es, mit Hannah über die Fake-Bibliothek auf der Yacht (nur edle Buchrücken, kein Inhalt) zu lästern. Harry hasst Olly – und das beruht auf Gegenseitigkeit. Für Olly ist Harry die „schlimmste Person, die es gibt“, während Harry Olly nur für einen „Vollidioten“ hält. Ob hier jemals Partystimmung aufkommen kann?
Retten Maggie und Leon vielleicht die Lage? Maggie liebt Klatsch und Tratsch. Bösen Klatsch. Und Maggie wollte schon immer das, was Libby hatte. Leon war Hannah schon immer suspekt. Maggie fand vermutlich seine „alten Connections, was Geld betraf“ anziehend und steht auf Männer mit Rugbyspielerbody und Schuljungenappeal.
Hannah und Harry versuchen dennoch, das Beste daraus zu machen. Es gibt schließlich klasse Drinks und edle Häppchen. Doch für Olly ist Hannah die „abgebrannte Freundin“, die wie ein begossener Pudel herumsitzt. Sieht Libby das auch so? Hannah kann es nicht glauben, als sie die Antwort hört. Hanna will eigentlich nur runter vom Boot, doch dann taucht ein Fremder an Bord auf und beschimpft die Freunde heftig wegen des Lärms und ihrer rücksichtslosen Art. Und dann wird Hannahs Plan, gleich am Neujahrsmorgen von Bord zu gehen, zunichtegemacht. Die Yacht treibt auf See, wie lange schon, weiß niemand. Keine Rettungsboote, kaum Essen, wenig Wasser und null Handyempfang.
Außer Hannah scheint niemand den Ernst der Lage zu realisieren. Doch dann wird klar, dass nicht mehr alle an Bord sind. Eine verzweifelte Suche beginnt und all die Feindseligkeiten zwischen den „Freunden“ eskalieren. Denn vieles ist nicht so, wie es vorher schien. Und ein Kampf beginnt. Ist es ein Kampf auf Leben und Tod?
Sarah Goodwin nimmt uns mit auf eine ziemlich böse Fahrt. Was so cool und lässig zu beginnen scheint, entwickelt sich zu einem Albtraum. Und es gibt kein Entkommen. Ganz sicher nichts für schwache Nerven. Beste Psychothriller-Kost eben.
Glossar
HANNAH
Kein Mann, keine Kinder und nicht gerade mit dem Hauptgewinn in der Joblotterie gesegnet. Hannah hat es in den Augen ihrer Freundinnen nicht geschafft. Sie hatte einen Beinaheerfolg mit einem T-Shirt-Design, doch mehr ging nicht. Sie, Libby und Maggie sind gemeinsam aufgewachsen, gingen auf dieselbe Mädchenschule und auch an dieselbe Uni. Für Hannah ist das Wochenende mit den Mädels erst mal wie eine Reise zu ihrem alten Ich. Dem Ich, das nur Libby und Mags aus ihr herauskitzeln können und für das Tanzen, Zeit für Kunst und absurde Geständnisse unter Kichern zum Leben gehören. Zumindest war das damals so. Heute muss Hannah feststellen, dass sie für Libby so etwas wie „der erste Scheck“ ist, den man sich einrahmt, wenn man groß herauskommt. Als Hannah das realisiert, ist sie schockiert. Nach dem Schock aber kommt die Wut. Und wozu ist eine wütende Hannah fähig?
HARRY
Lange war Harry auch ein „Underdog“ wie Hannah. Er arbeitete als Elektriker und kam damals, zu Uni-Zeiten, über Libby in die Gruppe. Und er blieb dabei, vermutlich auch, weil sein Zuhause strategisch günstig lag: erst zum Vorglühen zu Harry, dann in die Clubs und danach vielleicht bei Harry seinen Rausch ausschlafen. Harry war immer da, half immer. Er ist der Typ, den du mitten in der Nacht anrufen kannst, weil dein Auto irgendwo in der Pampa einen Platten hat – und er kommt. Heute ist Harry Liebling der Kunstszene und verdient sehr viel Geld mit seinen Schrottskulpturen. Doch der Kleidungsstil des rothaarigen Mannes ist noch wie früher: eine Art Grunge-Look. Er und Hannah verstehen sich bestens, vor allem, wenn es um das Lästern über all den Luxus auf der Yacht geht. „Wie sieht denn der Plan für Mitternacht aus?“, fragt er und legt nach: „Schreiben wir alle unsere guten Vorsätze auf vergoldete Backsteine, die wir dann ins Meer werfen? Oder lasst ihr ein paar Pfauen frei, auf die wir dann mit diamantenen Kugeln schießen?“ Ja, das ist Harrys Art, und Hannah findet sie wunderbar. Doch wie geht es Olly und Leon damit? Können sie über sich selbst lachen, oder wächst ihr Hass auf Harry Stunde um Stunde, Drink um Drink?
LIBBY
Libby ist superreich. Sie und ihr Mann Olly besitzen ein Anwesen auf dem Land, Stadthäuser in Paris und London und natürlich auch Villen in Spanien und Italien. Libbys Neujahrspartys sind legendär, oft finden sie an sehr besonderen Orten statt, und es wird bei ihnen an nichts gespart. In Hannahs Augen sieht Libby umwerfend aus, auch wenn ihr Äußeres in sehr vielen Schönheitsoperationen optimiert wurde. Wenn Libby – selten genug – Hannah besuchte, wollte sie immer gleich ins Restaurant oder in einen Wellnessclub gehen. Sowieso ihre Lieblingsorte. Aber sicher auch eine Flucht vor Hannahs Zuhause, das so ganz ohne Marmor, Luxus und Glamour auskommt. Dass Libby Hannah eingeladen hat, ist vielleicht mehr als eine Reminiszenz an „alte Tage“. Braucht sie jemanden, auf den sie herabschauen kann? Oder merkt sie einfach nicht mehr, wie verächtlich manche Bemerkungen gegenüber Libby sind?
OLLY
Privathubschrauber, Yacht. Steht Olly kurz davor, seine erste Milliarde zu machen? Das fragen sich Hannah und Harry bei der Silvestereinladung. Doch weder Hannah noch Harry sind Olly willkommen. Für Hannah hat er einen ungläubigen „Ist die wirklich eingeladen“-Blick parat und Harry hasst er sowieso. Olly ist blass, groß und für Hannah sieht er immer so aus, als würde ihn jemand an einer Strippe hochhalten, „ohne die er klappernd zu Boden fiele“. Eine ätherische Leichtigkeit umgibt ihn, ähnlich wie Maggie. Zur Begrüßung trägt er ein rein weißes Outfit, nur die Armbanduhr ist aus Gold. Arroganz ist sein zweiter Vorname, jedenfalls Menschen mit weniger Geld gegenüber. Also Hannah. Doch wie weit geht Ollys Verachtung für sie?
MAGGIE
Dass Maggie immer schon das wollte, was Libby hat, war schon zu Schulzeiten so. Weihnachten verbrachte sie in New York und Paris, natürlich mit sehr vielen neuen fantastischen Klamotten und Klatsch. Ihre Mutter war Model, ihr Vater Inhaber eines französischen Modemagazins, leider pleitegegangen. Heute ist sie in der Modebranche tätig und immer extravagant gekleidet. Hannah versetzte Maggies „künstlerische Ader und ihr cooles Auftreten immer schon in ehrfürchtiges Staunen“. Doch auf der Silvesterparty nimmt sich Maggie zu viel gegenüber Hannah heraus. Dass ihr Verlobter Leon kein Heiliger ist, weiß Maggie. Aber kommt sie wirklich damit klar oder ist es irgendwann einfach genug?
LEON
Kräftig gebaut, Rugbyspieler an der Uni und mit einem wuscheligen Blondschopf: Leon sieht aus wie ein halber Schuljunge, ist aber deutlich muskulöser. Für Hannah sind Maggie und Leon wie Tag und Nacht. Aktuell prahlt Maggie mit Leons Podcast, den er ins Leben gerufen hat. Für Leon ist es nicht nur ein Podcast, nein, er startet eine Bewegung. Doch warum es dabei genau geht, verrät er Hannah nicht. „Würdest du nicht verstehen“, knallt er ihr hin. Was genau Maggie an Leon findet, erschließt sich Hannah gar nicht. Es sei denn, Maggie hat es nur auf Leons Connections abgesehen. Connections, die sich um Geld drehen. Natürlich.
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