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leseleucht
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Alfter

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Insgesamt 210 Bewertungen
Bewertung vom 09.11.2025
Ein gutes Ende
Bachmann, Clara

Ein gutes Ende


sehr gut

Das Ende steht noch aus, aber es sieht gut aus
Der Lebensweg der Hedwig Courths-Mahler ist in der Tat ein steiniger, und ein gutes Ende nicht immer in Aussicht. Sie ist die uneheliche Tochter einer Frau, die ihren Lebensunterhalt durch diverse Liebhaber finanzieren lässt. Dabei ist häufig kein Platz und keine Zeit für Hedwig und ihre beiden Brüder. Früh ist sie auf sich gestellt und will auf keinen Fall den gleichen Weg einschlagen wie ihre Mutter. Sie sucht um Anstellung in Haushalten oder als Verkäuferin. Doch die Zeiten sind hart, und immer wieder muss sie fürchten, dass der Ruf ihrer Mutter ihre Anstellung gefährdet. Nebenbei – oft nachts - schreibt sie an Geschichten über das Glück der kleinen Leute. In ihnen verwirklicht sie ihre eigenen Träume nach einem besseren Leben. Daneben spielen die schönen Künste und auch die Künstler eine nicht unbedeutende Rolle in ihrem Leben. Sie liebt die Bühne und heiratet einen Kunstmaler, pflegt Kontakte in die Künstlerwelt und in die höheren Gesellschaftsschichten. Im alltäglichen Leben muss sie pragmatisch sein, Geld herbeischaffen und zusammenhalten, ihre Kinder versorgen, den Haushalt führen. In ihren Geschichten darf sie träumen, doch nutzt sie auch hier jede sich bietende Chance, ihrem Traum, eine Schriftstellerin zu werden, näher zu kommen. Kein Schicksalsschlag wie Krankheit, Verlust und Geldnot kann sie davon abhalten. Immer wieder fängt sie mit ihrer Familie neu an, geht dahin, wo sich ihre Aufstiegschancen bieten.
Clara Bachmann hat ein sehr lebendiges und gut lesbares Buch über das spannende, bewegte Leben der Hedwig Courths-Mahler geschrieben, das man gerne liest und deren Lebensweg man gerne verfolgt. Es gelingt ihr gut, sich den Leser in die Gedanken- und Gefühlswelt von Hedwig einfühlen zu lassen, und schildert auch ihre Lebensumstände sehr anschaulich und lebendig. Wir begegnen einer Vielzahl interessanter Figuren, die den Lebensweg der Protagonistin kreuzen.
Wovon ich mir mehr erwünscht hätte, wäre ein tieferer Einblick in die Lebenswelt der Schriftstellerin gewesen. Diese kommt ein wenig kurz. Häufig wird nur erwähnt, wie schwierig die Umstände und wie wenig die Zeit zum Schreiben sind, nur selten ist die Rede von den Inhalten ihrer Geschichten oder der Publikationswege und der Reaktion des Publikums. Und bevor es so richtig losgeht mit der Schriftstellerkarriere endet das Buch mit dem bevorstehenden Umzug der Familie nach Berlin. Hier ist mir nicht ganz klar, ob es eine Fortsetzung geben soll. Anders lässt sich eigentlich das abrupte Ende nicht verstehen. Zwar steht hier ein gutes Ende in Aussicht, aber der Lebensweg der Courths-Mahler ist hier noch nicht zu Ende.

Bewertung vom 09.11.2025
Die Kinder von Bilbao
Larrea, Maria

Die Kinder von Bilbao


weniger gut

Kinder - gewollt, ungewollt
Der Roman trägt wohl deutliche autobiografische Autorin: eine Tochter, die entdeckt, dass ihre Eltern nicht ihre leiblichen Eltern sind. Wer sind diese? Wer ist sie selbst? Wo kommt sie her?
Dabei sind auch ihre Eltern einmal Kinder gewesen, die ihre Eltern weggegeben haben. Sie waren ungewollt, wollten aber selber Kinder, die sie nicht bekommen konnten. Tragischer Weise können sie – vielleicht auch aufgrund ihrer Erfahrungen in ihrer Kindheit – ihrer angenommenen Tochter keine wirklich guten Eltern sein. Man könnte von vererbten Leid oder Trauma sprechen, nur mit der Ironie des Schicksals ohne wirkliche Vererbung.
Mir ist das Buch fremd geblieben. Für mich wird sehr häufig die Darstellung von Ekeligem, Abstoßendem, Rohen zelebriert, ohne dass sich mir erschlösse, warum. So z. B. das Schlachten und Ausnehmen eines Tintenfisches gleich zu Beginn, während sich dabei ein Geburtsprozess in Gang setzt. Auch die Protagonistin bleibt mir fremd: Ich kann mir schon vorstellen, dass es eine Erschütterung ist, zu erfahren, dass man adoptiert wurde, besonders wenn man die Umstände der Adoption hier mitbedenkt. Ich kann mir auch vorstellen, dass es das eigenen Leben aus den Fugen reißt und das Verhältnis zu den Eltern infrage stellen kann. Allerdings ist das Leben der Protagonistin schon vorher aus den Fugen und ihr Verhältnis zu den Eltern sehr fragwürdig. Von daher kommt an Ende das Bekenntnis zu den Adoptiveltern als Eltern für mich sehr unvermittelt und wenig nachvollziehbar.
Das Thema von Adoption, insbesondere illegaler, und die Auswirkungen auf die Opfer finde ich sehr wichtig. Aber vor allem durch die Art der Darstellung ist mir kein Zugang zu dem Schicksal der Protagonistin gelungen, und ich habe das Buch nicht wirklich gern gelesen.

Bewertung vom 09.11.2025
Wilder Honig
Lewis, Caryl

Wilder Honig


ausgezeichnet

Ein Buch zum Innehalten
Nach dem Tod ihres Mannes enthüllt er seiner Frau Hannah in Briefen, die er ihr hinterlassen hat, ein Geheimnis das ihr Leben im Nachhinein in den Grundfesten erschüttert. Dabei war ihr Leben wie das ihrer Schwester Sadie und auch das von Megan, die alle drei im alten Obstgarten der Familie, wo Hannah noch immer lebt, aufeinander treffen, alles andere als einfach. Das Jahr, in dem der Leser die drei begleitet, bringt in ihrem Leben viel in Bewegung. Und die Bienen und die Äpfelbäume tragen ihren Teil dazu bei, dass sich das Beziehungsgefüge der drei neu ausrichten kann, indem es sich an der Natur und ihrem steten Wandel orientiert.
Die Naturbeschreibungen in diesem Roman sind großartig und sehr intensiv. Man wäre als Leser selbst gern in diesem alten Garten. Bei der Betrachtung der Verlaufes der Natur innerhalb eines Jahres enthüllt sich dem Leser zum einen die Härte allen Lebens, das durch Werden und Vergehen gekennzeichnet ist. Zugleich bietet es ihm eine Reichhaltigkeit und Fülle, die kein menschengemachtes Leben je ersetzen könnte. In den Betrachtungen findet sich eine Tiefe und eine Ruhe, die nicht nur die Figuren des Buches zum Innehalten und Bedenken des eigenen Lebens veranlasst. Das Wunder, das sich täglich vor unseren Augen um uns herum in der Natur vollzieht, im Großen wie den Jahreszeiten wie im Kleinen, z. B. in einem Bienenstock oder im Wachsen eines Apfelbaumes macht die Autorin für uns erlebbar und erfahrbar, die wir im Alltag des Geschehens den Bezug zur Natur häufig vernachlässigen oder gar ganz verdrängt haben. Die Figuren des Romans nutzen die Herausforderungen, aber auch das Angebot der Natur, des Zurückgeworfenseins auf das Elementare und auf sich, um ihren Lebensweg zu überdenken. Und dass es dazu nie zu spät ist, zeigt sich daran, dass die Protagonistinnen ganz unterschiedlichen Alters sind und ganz unterschiedliche Lebensentwürfe haben.
Für mich ein besonders intensives Leseerlebnis waren die Briefe von John an seine Frau Hannah: Sie thematisieren neben der individuellen Lebensthematik sehr viele allgemeine Themen, wie die Unzulänglichkeit von Sprache, die Frage von Schuld und Vergeben, die Vergeblichkeit, etwas Geschehenes oder Gesagtes im Nachhinein ändern zu können. Und sie verraten sehr viel Interessantes und Wissenswertes über die Bienen, die oftmals Spiegel sind für das menschliche Leben, denn auch in ihrem Leben geht es um Sprache, um die Erwartungshaltung anderer an das Leben, um Vergeblich- und Vergänglichkeit und um das Überleben.
Ein sehr bedächtig geschriebenes Buch über die Frage, wie man leben will und kann, wobei der Rhythmus der Natur einen sehr gelungenen Rahmen dafür gibt, innezuhalten und nachzudenken.

Bewertung vom 16.10.2025
Die Ausweichschule
Erdmann, Kaleb

Die Ausweichschule


ausgezeichnet

Was kann und was darf Kunst?
Kaleb Erdmann, einst Schüler des Gutenberg Gymnasium in Erfurt und gerade in der 5. Klasse, als der Amoklauf des ehemaligen Schülers Robert Steinhäuser ganz Erfurt erschütterte, schreibt in diesem Roman über sich selbst, wie er versucht, einen Roman über den Amoklauf in Erfurt zu schreiben. Dabei geht es weniger um den Amoklauf selber, als um den Romanautoren und sein Ringen mit seinen Erinnerungen und der Fragen, wie und ob er sie überhaupt in Kunst fassen kann und darf. Welche Aufgabe hat Kunst? Was kann Kunst leisten? Was darf Kunst, was nicht? Darf sie „in fremden Töpfen rühren“ und alte Wunden wieder aufreißen oder soll sie sogar Geschehenes vor dem Vergessen bewahren? Kann sie bei der Bewältigung helfen und wenn ja, wie?
Sehr differenziert und ohne jeglichen Betroffenheitskult schreibt der junge Autor über einen jungen Autor, seinen Schreib- und Verwerfungsprozess. Er hat keine fertigen Antworten, dafür stellt er aber umso klügere Fragen. Er misstraut sich und seiner Erinnerung, worauf er aber voll vertrauen darf, ist seine Sensibilität im Umgang mit den schrecklichen Ereignissen, seine schonungslose Ehrlichkeit auch in Bezug auf sich selbst und seine Bereitschaft, auf fertige Antworten und auch einen fertigen Roman über das Thema zu verzichten. In Auseinandersetzung mit anderen Versuchen zu diesem und Themen ähnlicher Art führt er dabei ein spannendes Zwigespräch mit der Kunst. Dabei schreibt er in einem sehr angenehmen Schreibstil, der den Leser gut durch den schwierigen Stoff trägt und ihm diesen teils etwas hilflos wirkenden jungen Mann sehr sympathisch werden lässt. Ein wenig irritierend ist die Vorliebe des Ich-Erzählers dafür alles, was er isst, auch genauestens zum Gegenstand seines Schreibens zu machen. Genauso wirken die oft unangenehmen Eindrücke und Bilder, z. B. von einer Kunstinszenierung mit rohen Fleisch oder die Szene, in der sich der Erzähler in der Klokabine eines ICE umziehen muss, weil er seine Unterkunft auf seinen Recherchereisen fluchtartig verlassen hat. Auch seine Attitiüde, während der Übernachtung in fremden Zimmern in eine Wasserflasche zu urinieren, ist nicht gerade das Appetitlichste. Aber diese Details werden immer entweder im Roman selbst reflektiert oder gehören irgendwie zum Gesamtbild.
Auf jeden Fall ein spannend zu lesenden, nachdenklich stimmendes Buch weniger über das Thema Amoklauf als über das Thema des adäquaten Umgangs mit einem Ereignis, auf das keiner vorbereitet war, insbesondere in der künstlerischen Darstellung. Lohnenswert zu lesen.

Bewertung vom 14.10.2025
Flammenrad / Gänsehaut in Hovenäset Bd.1
Ohlsson, Kristina

Flammenrad / Gänsehaut in Hovenäset Bd.1


gut

Zu grausam und erschreckend
Dass die Autorin normaler Thriller für Erwachsene schreibt und das auch recht erfolgreich, merkt man sofort. Als Heidi mit ihrem Vater und dessen Freundin aus dem Urlaub zurückkommt, ist ihr Zimmer eine Baustelle. Die Bauarbeiten fördern merkwürdige Dinge zutage: eine Babyrassel und eine Plane. Und die Folie, die über der unfertigen Wand hängt, beginnt in der Serie von Gewitternächten, die nun folgt, ein Eigenleben zu führen. Hinzu kommen der undurchsichtige Untermieter Bill, der ein Riesenrad mit in die Stadt gebracht hat, und die verworrenen Aussagen von Heidis Großmutter, dass das Riesenrad Gefahr bringe für kleine Kinder. Immer merkwürdigere Dinge geschehen, und allmählich kommt Heide dem dunklen, tragischen Geheimnis auf die Spur, das die Geschichte des Hauses ausmacht und das auch etwas mit einem Riesenrad zu tun hat. Zu allem Überfluss ist ihre Stiefmutter schwanger und das Baby eventuell in Gefahr?
Spannung und Schaudern kann Ohlsson unzweifelhaftes erzeugen, auch wenn sie sich dazu ein paar gängiger Klischees bedient: Gewitternächten, Schatten, die Blitze an die Wand werfen, Gegenstände, die mal da und dann wieder weg sind, eine Wiege, die sich wie von Geisterhand bewegt. Allerdings finde ich die Geschichte um das Riesenrad und die damit verbundene Familientragödie, die sich lange vor Heidis Zeit in ihrem Zuhause abgespielt zu haben scheint, zu grausam und erschreckend für ein Jugendbuch. Die Atmosphäre ist so unheimelich und nervenaufreibend, aber letztlich auch realitätsfremd. Es liest sich wie ein Mysteriethriller ohne Atempause. Heides Leben wird immer mehr der Wirklichkeit entrückt. Es gibt keine Normalität mehr. Auch auf realer Ebene ist ihr Leben unwirtlich: die leibliche Mutter kümmert sich nicht, die Stiefmutter erwartet ein eigenes Kind, das Geld ist knapp. Heidis Leben ist nicht nur in Bezug auf ihr Zimmer eine Baustelle.
Für ein Jugendbuch ist mir hier die Spannung zu grausam und brutal besetzt. Ich fand es selbst stellenweise schwierig zu lesen, und ich kann mir vorstellen, dass manch einen das Buch sehr mitnimmt und um den Schlaf bringt.

Bewertung vom 13.10.2025
Es könnte so einfach sein
Handorf, Anne

Es könnte so einfach sein


ausgezeichnet

Die schönste Zeitverschwendung der Welt
Während der Literaturkritiker und Nachbar der Bestseller-Autorin Vera Albach ihre Romane mit dem Stempel „Zeitverschwendung“ brandmarkt, ist die Lektüre von „Es könnte so einfach sein“ die schönste Zeitverschwendung der Welt sowie die Lektüre all der Bücher, die ihre Leser unterhalten, berühren, sie mit Figuren zusammenführen, die sie gerne in ihr Leben lassen, die ihnen für ein paar Stunden die Möglichkeit bieten, in ein anderes Leben zu schlüpfen. Das alles kann man von „Es könnte so einfach sein“ behaupten. Es ist ein warmherzig, aber bisweilen auch mit beißendem Witz geschriebenes Buch über eine Frau, die man für ihr Leben bewundern, aber nicht immer beneiden kann. Vera Albach beginnt als Sekretärin in einem Verlag unter anderem für Groschenromane. Als sie für den Autor einer Doktor-Reihe einspringen muss, ist dies der erste Schritt auf ihrem Weg zu einer erfolgreichen Autorin oder korrekterweise zu einem erfolgreichen Autor. Denn in der jungen BRD der 60er und 70er Jahre kann eine Frau keine Karriere machen, weder in der Politik noch in der sonstigen Berufswelt und eben auch nicht als Autorin. Also ist sie oder wird vielmehr gezwungen unter männlichem Pseudonym zu veröffentlichen. Für ihre Karriere opfert sie viel, z. B. eigene Kinder. Dafür hat sie einen wundervollen Mann, der ihr den Rücken freihält und akzeptiert, dass sie diejenige ist, die in der Beziehung den Erfolg verbucht und das Geld verdient. Als Ersatzkinder dienen ihr die Töchter ihrer Geschwister, junge Frauen, die in einer Zeit, in der die Möglichkeit besteht, dass eine Frau Bundeskanzlerin werden kann, ihren Mann bzw. ihr Frau zu stehen versuchen.
Mit großartigem Humor, aber auch mit dem nötigen Ernst und mit melancholisch-nachdenklichen Zwischentönen zeichnet der Roman von Anne Handorf ein lebendiges Bild der Mentalitätsgeschichte der jungen Bundesrepublik, die Rückständigkeit der von Männern dominierten Welt, die sich diese nach dem Krieg von den Frauen wieder zurückerobert haben und sie mit eisernem Griff und einer Menge Vorurteile zu verteidigen versuchen. Dabei ist das Buch keineswegs ein feministisches Manifest. Mit leisen und nachdenklichen Worten thematisiert es die Frage nach der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, nach dem Recht der Frau auf Selbstverwirklichung, zu dem auch der Wunsch oder eben Nicht-Wunsch nach Kindern gehört. Vera Albach zeigt uns eine Frau, die ihr ganzes Leben versucht hat, ihren Weg zu gehen, auch wenn er oft im Schatten von Männern lag, nur bezeichnender Weise nicht im Schatten ihres eigenen Mannes. Leo ist ein ganz wundervoller Charakter, bei dem sich nicht nur die Tochter ihrer Nichte fragt, wo man wohl so einen herbekommt. Mit viel Verständnis und noch mehr Fortschrittlichkeit steht er seinen Mann, indem er den starken Mann hinter einer starken Frau darstellt, mit den liebenswerten Schwächen, die er hat.
Der Roman ist ein Buch, in dem man sich gleich zu Hause fühlt. Das Leben mit Vera und Leo Albach lädt den Leser zum Verweilen, Mitfiebern, Mitlachen, Mittrauern und Mitfeiern ein. Für alle Münsteraner bietet es darüber hinaus viel charmantes Lokalkolorit, allerdings mit wesentlich mehr Humor und Witz, als den Münsterländern gewöhnlich zugeschrieben wird.

Bewertung vom 12.10.2025
Das Jahr voller Bücher und Wunder
Page, Libby

Das Jahr voller Bücher und Wunder


ausgezeichnet

Cecilia Ahern trifft Hallmark Channel

Der Anlass ist ein trauriger: Tillys Mann ist vor einem halben Jahr gestorben, als ein Anruf des Buchhändlers Alfie Lane sie in ängstliches Erstaunen versetzt. Ihr Mann hat ihr ein „Jahr voller
Bücher“ hinterlassen, die sie aus ihrer Trauer reißen und ihr dabei helfen sollen, das zu finden, was ihr Leben ausmacht. Dabei helfen der Lesemaus Tilly aber nicht nur die verschiedensten Bücher über Wildcampen, Kreativität, Romane, die in Paris oder der Toskana spielen, sondern auch der zurückhaltende Buchhändler Alfie, der nicht nur mit den Verlusten in seiner Vergangenheit zu kämpfen hat, sondern auch um die Zukunft seiner Buchhandlung.
Ein wenig erinnert sie schon, die Botschaften aus dem Jenseits, hier die Briefe von Tillys Ehemann, die in den Büchern liegen, die er ihr zugedacht hat, an „P.S. – Ich liebe Dich“. Und von der Stimmung fühlt man sich gerade zum Ende hin versetzt in einen Hallmark Weihnachtsfilm. Auch aus den vielen anderen Büchern, die an unterschiedlichsten Stellen des Romans genannt werden oder in der Romanhandlung eine Rolle spielen, fließt viel Inspiration in die stimmungsvollen zwölf Monate, die der Leser an der Seite von Tilly verbringt.
Wer Bücher und Buchhandlungen liebt, wird auch diese Geschichte lieben, denn es ist eine zaubervolle Idee, dieses Jahr voller Bücher. Was die Autorin auf jeden Fall beherrscht, ist das Entwickeln liebenswürdiger, vielseitiger Charaktere und das Inszenieren verschiedener Stimmungen. Das Buch liest sich leicht und flüssig und ist, auch wenn es viele Tränen und melancholische Momente gibt, doch immer von einem heiter-optimistischen Grundton getragen. Es ist inspririerend im Hinblick auf die vielen genannten Titel und macht auf jeden Fall Lust aufs Lesen und Stöbern in Buchhandlung und darauf, sich von den Büchern vielleicht auch einmal dazu anregen zu lassen, dem eigenen Leben etwas mehr Abenteuerlust und Farbenfreude angedeihen zu lassen. Auch wenn es manchmal ein gewissen Hang zum Kitsch und zur Sentimentalität verspürt, bietet das Buch doch für ein paar Stunden Lesefreude und Herzenswärme in verschiedenem, je für sich stimmungsvollen Ambiente. Der Roman bedient gekonnt die Hebel, die Leser:Innen für Augenblicke die Welt um sich herum vergessen lassen und gute Laune machen. Ein Erfolgsrezept, wie es die Cecilia Aherns oder Hallmarks dieser Welt bereits zu vor für sich und die Leser:Innen ihrer Bücher bzw. Zuschauerinnen ihrer Filme zu nutzen wussten.

Bewertung vom 12.10.2025
Whisperwicks - Die Suche nach den Flüsterflammen
Lees, Jordan

Whisperwicks - Die Suche nach den Flüsterflammen


ausgezeichnet

Eine Welt voll überbordender Phantasie
Das hat Jordan Lees in seinem Erstlingsroman „Whisperwicks – Die Suche nach den Flüsterflammen“ geschaffen. Benjamiah ist ein ganz normaler Junge, er lebt mit Großmutter und Eltern über ihrem Buchladen. Er liebt Bücher und das Lesen, aber er liest mehr Bücher, über die Welt, wie sie wirklich ist, bis er eines Tages in einer Parallelwelt landet, in der gar nichts wirklich ist. Diese Welt besteht aus einem riesigen Labyrinth, in dessen Mitte das Böse wohnt. Ist es diese finstere Macht, die für das Verschwinden von Elizabellas Zwillingsbruder verantwortlich ist? Gemeinsam mit Benjamiah macht sie sich auf die Suche nach ihm in den undurchdringlichen Wirren des Labyrinths, immer auf der Spur, die ihr Bruder vermutlich gelegt hat, um sie zu ihm zu führen. Oder doch nicht?
Den Einstieg fand ich schwierig, weil man in dieser mysteriösen Welt des Labyrinths zusammen mit dem Zwillingsbruder von Elizabellas auf ein schwer zu definierendes Wesen trifft, das sich aus dem Spalt seiner Zimmerwand schlängelt. Es strahlt pure Bösartigkeit aus. Der Anfang ist zwar spannend, aber gleichzeitig auch schon schaurig-abstoßend. Mit dem Eintreten von Benjamiah wird es leichter, sich in die Handlung fallen zu lassen, weil man mit ihm eine Figur hat, mit der man sich gut identifizieren kann. Und das ist auch nötig in so einer irren und verworrenen Welt, in der Elizabella und ihre Familie wohnen. Aber spätestens mit Benjamiahs Eintritt in diese Welt hat die Handlung des Buches den Leser dann gänzlich gepackt. Die Rätsel, die beide zu lösen haben, sind spannend, die Welt schaurig schön. Mit überbordender Phantasie hat der Autor eine Parallelwelt erschaffen und ihr zwei Charaktere gegeben, mit denen der Leser mitfiebern kann. Der Roman hat alles, was ein Leseabenteuer braucht: eine Phantasiewelt, in der man gänzlich abtauchen kann, packende Spannung, grausige Gegner und zwei Helden, die nicht so heldenhaft sind, das man um sie nicht Angst haben müsste und mit denen man sich gerne in diese Welt begibt, die viel mehr bietet, als nur das, was man sehen und vermessen kann. Immer ist es anders, als es zu sein scheint. Und doch kann man froh sein, in einer Welt zu leben, die überschaubar ist, denn wie furchtbar muss es sein, durch eine Welt zu irren, in der man nach drei Straßen die völlige Orientierung verloren und den Weg nach Hause vergessen hat.
Wer seine Welt und seine Weltsicht erweitern und Abenteuer erleben will, der sollte Bücher wie dieses lesen.

Bewertung vom 12.10.2025
Wir zwei - Geschichten zum Einkuscheln
Engler, Michael

Wir zwei - Geschichten zum Einkuscheln


ausgezeichnet

Den Titel kann man wörtlich nehmen
Auch ohne Decke kann man sich in die Geschichten dieses schönen Kinderbuches gemütlich einkuscheln. Es umhüllen einen stimmungsvolle Bilder in beruhigenden Farben, ein poetischer, aber nicht überladener Erzählstil, der von Kindern gut verstanden und dem sie beim (Vor-)lesen gut folgen können, sowie eine niedliche, liebevoll in Wort und Bild gezeichnete kleine Freundesbande. Der verspielte, manchmal ein wenig einfältige Hase und der nachdenkliche, einfühlende Igel sind die Hauptcharaktere der Geschichte. Begleitet werden sie mal von einem Dachs, einem Biber, einer Haselmaus, einem Eichhörnchen oder einem Waschbären. Die kurzen Geschichten, die sich prima zum Einschlafen vorlesen lassen, oder in einer kurzen Pause zwischendurch, drehen sich um die Abenteuer, die die Waldtiere erleben, aber auch um Freundschaft, Teilen, gegenseitige Fürsorge und Hilfe. Dabei steht für mich allerdings nicht das Belehrende im Vordergrund, sondern die jeweilige Stimmung: die Fröhlichkeit beim gemeinsamen Spiel, die Sehnsucht und die Geborgenheit unter Freunden, das Innehalten und Nichtstun, aber auch das Überwinden von Frucht.
Ein rundum gelungenes Buch zum Anschauen, Vorlesen, Selberlesen. Es ist spannend, humorvoll, nachdenklich, beruhigend, wunderschön und liebevoll gemacht!

Bewertung vom 29.09.2025
Eine Insel im Meer
Thor, Annika

Eine Insel im Meer


ausgezeichnet

Sehr beeindruckend
Auch als erwachsene Leserin, die sich schon viel mit dem Thema der Judenverfolgung beschäftigt hat, ist das Jugendbuch „Eine Insel im Meer“ von Annika Thor ein nachhaltiges Leseerlebnis gewesen. Bewundernswert ist es, wie der Autorin die Anlage der Figur der Steffi gelingt, einem jungen jüdischen Mädchen aus Wien, das im Jahr 1939 mit ihrer kleinen Schwester von den Eltern nach Schweden geschickt wird, um der Verfolgung durch die Nazis zu entgehen. Das Schicksal des Mädchens und auch das, was ihr auf der Insel widerfährt, geht wirklich zu Herzen. Denn sie erwartet kein Idyll, wie man es aus den Romanen von Astrid Lindgren kennt. Sie hat auch auf dieser Insel im Meer nicht nur mit Heimweh zu kämpfen, sondern ihre Erfahrungen reichen vom Unglauben, den man dem Schicksal der Juden in Deutschland und Österreich entgegenbringt, über die Gefühl der Hilflosigkeit und Fremdheit, gepaart mit der Sehnsucht nach der Heimat und den Eltern, bis hin zu Ausgrenzung, Niedertracht und Hass, wie ihn am offensten, wenn auch am unreflektiertesten die Gleichaltrigen äußern. Somit ist die Insel in mehrfacher Hinsicht ein Sinnbild für Isolation. Zum einen zeigt sie, wie gefangen sich Steffi fühlt und wie hilflos sie dem Schicksal ausgeliefert ist, dass die Erwachsenen im Großen (Politischen) wie im Kleinen (Familiären) über sie verhängt haben. Aber auch die Bewohner der Insel sind wie isoliert vom Weltgeschehen. Zwar dringen Schreckensnachrichten vom näher rückenden Krieg an ihre Ohren, aber ein Verständnis gibt es kaum. Sehr gelungen macht die Autorin am Unterschied der beiden Schwestern deutlich, wie anders sich die Erfahrungen in der Fremde gestalten können. Ihrer jüngeren Schwester erscheint alles leicht, ihr fliegen die Herzen zu, sie lernt schnell, sich anzupassen und die Sprache zu sprechen. So schnell, dass sie die Ziehmutter bald Mama nennt und mit Steffi Schwedisch statt Deutsch spricht, weil es für sie schöner klingt. Steffi dagegen tut sich schwer und ihr wird es schwer gemacht. Sie hat die Bürde, auf die kleine Schwester aufzupassen, aber auch das Erbe ihrer Wurzeln zu bewahren. Sie kann und will ihre Identität nicht einfach abstreifen. Sie hat Träume und ein Leben, die sie mit der Flucht noch nicht ganz hinter sich gelassen hat, die zu erreichen aber in weite Ferne gerückt ist. Und das, ohne dass Steffi versteht, warum eigentlich: Was hat sie getan? Was macht sie so anders? Warum hat sie das verdient oder eben gerade nicht verdient? Das Buch hat hoch emotionale Szenen, die dem Leser den Hals zuschnüren und das Herz schwer machen, wenn Steffi sich z. B. über das gefrorene Eis auf den Weg zum Festland macht, weil niemand bereit zu sein scheint, ihre Eltern vor dem zu retten, was ihnen in Österreich blüht, sich aber auf der Insel niemand vorstellen kann. Oder auch wenn in den Erinnerungen der Kinder schreckliche Szenen aus ihrem Alltag in Wien unter den Nazis und der beginnenden Schikane gegen die Juden auftauchen. Dagegen vermag das Buch aber auch das Glück der kleinen Dinge setzen, wie ein Tuschkasten vom guten Onkel Everet, ein Schneelicht, ein Fahrrad oder ein roter Badeanzug mit weißen Punkten. In der Kargheit und Einfachheit dieses Lebens auf der Insel, gerade in der Winterzeit, strömt etwas Beruhigendes aus. Und das ist wie Balsam, der sich auf die Seele legt, wenn sie schmerzlich berührt wird von dem, was Steffi widerfährt. Das Buch zeigt Unmenschliches und Menschliches und ist somit auch für jüngere Leser geeignet, die an ein schwieriges Thema herangeführt, und nicht in Watte gepackt, aber auch nicht allein und ungetröstet gelassen werden.
Zu einem kleinen Schatz lassen auch die wunderbaren Zeichnungen von Sabine Wilharm das Buch werden, die die stimmungsvollsten Momente gekonnt einfangen – im Guten wie im Schlechten. Eine Lektüre, die den Leser nachhaltig beeindruckt, die Erinnerung wach hält und so viel mehr vermittelt als ein Stück Zeitgeschichte: es geht dabei immer um (ein) Menschenleben.