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Juti
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Insgesamt 777 Bewertungen
Bewertung vom 02.12.2025
Haus zur Sonne
Melle, Thomas

Haus zur Sonne


sehr gut

tolle Irreführung ****

Lange, sehr lange habe ich geglaubt, dieses Buch sei wirklich eine Fortführung seines autobiografischen Werkes „Die Welt im Rücken“. Lange, sehr lange habe ich alles für bare Münze genommen und mich erst gewundert, dass es eine so schöne - sagen wir mal – Reha-Station wie das Haus zur Sonne gibt. ****

Mit der Erfüllung aller Wünsche kamen erste Zweifel, selbst wenn diese in den Träumen geschehen. Und dass die Patienten nicht als geheilt entlassen werden, sonder quasi per Tod nach Verlangem ihr Zimmer räumen, machte mir endgültig klar, dass hier über eine Diktatur gesprochen wird. Zumal der Patientenwunsch sich ändern kann und dann liegt Mord vor. ****

So erscheint der nette Arzt auf einmal als neuer Mengele. Und wer glaubt, dass das Ende des Buches eine Fluchtgeschichte aus dem Haus zur Sonne wird, der irrt. Ebenso wenig endet das Buch mit dem Tod. ****

Wer depressive Stunde erleben will, dem sei das Buch ans Herz gelegt. Mir war es etwas zu hoffnungslos und auch das Ende war irgendwie unbefriedigend. Deshalb 4 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.11.2025
Zerstörungslust
Amlinger, Carolin;Nachtwey, Oliver

Zerstörungslust


sehr gut

Warum AfD ****

Eigentlich ist dieses das erste Buch, das ich lese, dass sich mit dem Aufstieg der AfD beschäftigt. Und da sind die Gründe umfangreich:
Von der Rede von alternativen Fakten über angebliche konstruierte Sachzwänge: „Eine besonders vergiftete und vergiftende Variante der politisch konstruierten Sachzwänge war und ist die Austerität […] Historisch lenkte Austerität wiederholt Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten.“ (84f) ****

So werden die Probleme hinreichend beschrieben: „Es sind die unerwarteten [..] Einbrüche in den Alltag, die die Zerbrechlichkeit des Lebens vor Augen führen. Überschwemmungen, Dürreperioden, eine globale Pandemie, ein Angriffskrieg in Europa, marode Infrastruktur und nicht zuletzt: politische Instabilität.“ (131) ****

Im sonst fußnotenreichen Buch fehlt auf Seite 140 die Quelle, warum es ausgerechnet 36 Geschlechter geben soll und nicht nur 2. ****

Nach verheißungsvollen Beginn wir der Dekonstruktivismus beschrieben:„Wenn ich nicht haben kann, was ich will, dann soll es niemand haben.“ (178f) und ein italienischer Autor zitiert: „Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss alles sich ändern.“ (214) ****

Im vierten Kapitel wird die neue Rechte mit dem Faschismus verglichen, aber nochmal bestätigt, dass der Liberalismus nicht die Demokratie als Hauptziel hatte: „So muss man sich immer wieder vor Augen führen, dass der Liberalismus historisch weniger auf eine egalitäre Demokratie als vielmehr auf den Schutz des Privateigentums zielte.“ (267) ****

Alles in allem ein sehr lesenswertes Buch, dessen Bedeutung im 4.Kapitel aber abnimmt. 4 Sterne ****

Zitate: [Es] sind Ungleichheiten dann legitim, wenn Chancengleichheit herrscht und sie zum größtmöglichen Vorteil der am wenigsten Begünstigten wirken. Im Neoliberalismus ist es geradezu umgekehrt: Alles, was dem ohnehin Begünstigten zum Vorteil gereicht, ist angeblich auch für die weniger Begünstigten gut, weil der Reichtum nach unten durchsickert. Das erweist sich allerdings regelmäßig als Ideologie, zumal die Flut in Zeiten stagnierenden Wachstums kaum noch steigt, während die verbliebenen Zuwächse vor allem in die Taschen der Oberschicht gelenkt werden. (52)
****
Wir wollen […] nicht bestreiten, dass es so etwas wie strukturelle Zwänge gibt. Aber wir wollen doch unterstreichen, dass das diskursive Insistieren auf Sachzwänge antiaufklärerisch sein kann, da [..] Alternativen herausgefiltert und gar nicht zur öffentlichen Diskussion gestellt werden. Das politische Misstrauen, das uns in Gesprächen mit AfD-Wähler:innen entgegenschlug hat hier erklärtermaßen eine seiner Quellen. (84)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.11.2025
Sputnik
Berkel, Christian

Sputnik


gut

zu früh und zu viel Theater ***

Wann beginnt eine Autobiografie? Frühstens mit der Geburt, wirst du sagen. Berkel beginnt mit der Zeugung und widmet dem Leben in der Gebärmutter ein ganzes Kapitel. Klamauk möchtest du sagen, das stimmt. Ich hatte es schwer in die Handlung zurückzukommen. ***

Aber spätestens in der Pubertät hatte er mich wieder, wo gerubbelt wurde, was das Zeug hält, hatte er mich wieder. Auch die Zeit in Paris las ich gerne. ***

Doch gegen Ende des Buches werden mir die Themen zu sehr auf das Theater beschränkt. Ich dachte an die Bücher von Joachim Meyerhoff, die wenigstens witzig sind. Das Kapitel über seine fehlende Beschneidung ist nicht witzig, sondern peinlich. ***

Mit jedem Buch bekommt Berkel von mir einen Stern weniger. Bei dieser Autobiografie bleiben 3. Damit ist er noch gut bedient.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.11.2025
Schwebebahnen
Ortheil, Hanns-Josef

Schwebebahnen


gut

bieder ***

Ortheil ist einer, der Bücher über das Schreiben schreibt. Da denkt man, es müsse ja ein guter Roman dabei herauskommen. Dann habe ich ihn sowohl auf der Buchmesse als auch bei Denis Scheck gesehen, der den Anspruch hat, auf gute Literatur hinzuweisen. Ob dieser Roman das auch ist? ***

Ich habe ihn gelesen, teilweise im Zug, weil es für mich mehr wie eine Aneinanderreihung von Kurzgeschichten wirkte. Als dann das Josef ohne seinen Vater mit der Schwebebahn losfuhr, hoffte ich, dass nun eine spannende Geschichte eines einsamen Kindes im neuen Wuppertal beginnt, aber nach der nächsten Überschrift war das Thema gegessen. ***

So bleibt die Geschichte eines Heranwachsenden in der Nachkriegszeit mit etwas Schule, viel kindlichem Katholizismus und besonders viel Klaviermusik. Nicht zu vergessen ist die Freundin Mücke, die vorher ihre Schwester verloren hat. Ein kritischer Moment im doch eher biederen Heile- Welt Epos. ***

Ein Buch, das schnell zu lesen ist, aber außer für Ortheil-Fans wegen seiner autobiografischen Bezüge keinen bleibenden Nachklang hinterlässt. 3 Sterne ***

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.11.2025
Heidelberger Erzählungen
Schmitthenner, Adolf

Heidelberger Erzählungen


sehr gut

historische Legenden ****

Nach dem Buch „Das kalte Herz“ bin ich im Netz auf dieses Werk gestoßen. Es enthält längere Kurzgeschichte, die direkt in Heidelberg spielen. ****
Da ist zunächst die Geschichte mit dem „Ehe-Examen“. Es wird behauptet, dass in der Kurpfalz nur noch derjenige heiraten darf, der den Katechismus kennt. Und der Pfarrherr von Heiliggeist legt die Regel zunächst streng aus.

**** Auch bei „Tilly in Nöten“ geht es letztlich ums Heiraten. Der große Feldherr wünscht die Heirat von Susanna mit seinem Obristen, doch sie liebt den Apotheker mehr. Natürlich darf bei Tilly auch ein Bezug auf die Bibliotheca Palantina nicht fehlen.

**** Der Autor lässt etwas zu sehr den moralischen Zeigefinger als evangelischer Pfarrer heraushängen, ansonsten sind die Geschichten für Heidelberg- Interessierte eine lohnenswerte Lektüre. 4 Sterne

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.11.2025
Gegen Wahlen
Reybrouck, David van

Gegen Wahlen


ausgezeichnet

ein Hellseherbuch *****

Das erstaunlichste an diesem Buch ist sein Erscheinungsjahr: 2013. Damals steckte Deutschland noch tief in den Merkeljahren, aber in Belgien und in anderen europäischen Ländern brannte bereits die Hütte.
***** Kurz und knapp beschreibt der Autor die Krise der Demokratie:
1. Die Koalitionsverhandlungen dauern immer länger.
2. Regierungsparteien werden härter angepackt (und verlieren in den Wahlen immer mehr)
3. Es wird immer langsamer regiert. (19f)

***** Er beschreibt die Probleme des Populismus: „Demokratie ist die Macht der Mehrheit mit Respekt vor der Minderheit – sonst wird sie zur „Diktatur der Mehrheit“ degradiert (28)

***** Sein Lösungsvorschlag wird mit der Athener Demokratie untermauert: Dort wurde wichtige politische Ämter durch ein Losverfahren vergeben. Erst im 18. Jahrhundert kam dieses Verfahren aus der Mode. Dabei war vorher klar, dass sich eine Kaste der Politiker bildet. So bezeichnen die griechischen Philosophen das Losverfahren als Demokratie, während die Wahl nur als (gewählte) Aristokratie bezeichnet wird, da Posten nur unter sich verschachert werden.

***** Der Autor nennt Beispiele schon jetziger Bürgerbeteiligungen. Da das Buch aber schon zehn Jahre alt ist, muss man leider sagen, dass nicht viel erreicht wurden. Die Quittung ist, dass populistische Parteien in ganz Europa immer mehr Stimmen gewinnen.

***** Da das Buch neu zu denken anregt, sind 5 Sterne absolut verdient.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.11.2025
Das deutsche Herz (eBook, ePUB)
Schmitthenner, Adolf

Das deutsche Herz (eBook, ePUB)


weniger gut

träge Heimatgeschichte **
In drei Teilen berichtet dieser historischer Heimatroman über das Ende des Hauses Hirschhorn.

** Im ersten Teil sucht die erste Frau Ursula von Sternenfels des letzten Stammherrn Friedrich von Hirschhorn ihre Eltern. Lange wird ein Geheimnis daraus gemacht, bis schließlich klar wird, dass die Hirschhorns sie umgebracht haben. Die Mutter wurde in der Burg Hirschhorn lebendig eingemauert, Friedrich musste den letzten Stein setzen, der Vater soll in Handschuhsheim eingemauert worden sein.
Zu erwähnen ist noch, dass Friedrich als Kind bei einem Wettkampf den letzten Thronfolger des Hauses Handschuhsheim so verletze, dass er starb. Beider Großmutter, die Beußerin von Ingelheim verfluchte daraufhin das Haus Hirschhorn, damit auch dieses ausstarb.

** Teil zwei behandelt nun den Beginn des Dreißigjährigen Kriegs, bei dem Friedrich eigentlich neutral bleiben wollte, da er selbst evangelisch war, sein Lehnsherr der Erzbischof von Mainz aber katholisch. Doch sein Sohn Hans kämpft auf Seiten Heidelbergs gegen Tilly, der sich nach Wimpfen zurückzieht. (236) So reitet der Vater nach Heidelberg, aber im Streit auf dem Rückweg stirbt der Sohn. Ursulas nächster Sohn stirbt auch und sie mit ihm.

** Drittel Teil: „Der Herzog zu Bayern war Kurfürst von der Pfalz geworden. Aber er zeigte sich nicht im neuerworbenen Lande“ (281). Friedrich heiratet Magarete von Helmstadt, versucht sich aus dem Krieg herauszuhalten, was zu der Redensart führte: „Ihr habt es gut, denn ihr seid hirschhornisch.“ (284)
Aber auf der Flucht nach Heilbronn begegnet er wieder der Beußerin von Ingelheim. Der schon gesundheitlich angeschlagene Friedrich stirbt und auch Magaretes Kind wird durch einen Unfall vergiftet.

** Alles ist ziemlich klein gedruckt, alles sehr ausführlich erzählt, daher sehr anstrengend und mit 2 Sterne bin ich froh, dass ich es hinter mir habe.

** Zitate:
Aus dem weiten und warmen Busen des Schwabenlandes rauscht der Neckar dem Odenwald zu. (5)
Am Fuße des Königsstuhles rauschte der Neckar lauter, als er heute rauscht, denn man war den Granitblöcken, die im Strombett liegen, noch nicht mit Pulver und Dynamit zu Leibe gegangen. Viel mehr Waldvögelchen als heute netzten ihre Schnäbel im Neckarwasser, denn man hatte die Ufer des Flusses und der Seitenbäche nicht von dem Buschwerk gesäubert und ließ die lieben Hecken wachsen, wo sie wollten. (5f)
unsere Vergangenheit ist ein fertiges Ding. An ihr können wir nichts ändern. (34)
In den hundert Dörfern des Hauses Hirschhorn herrschte große Freude. Dem alten Geschlecht war ein Stammhalter geboren. […] Am Abend loderten auf vielen Höhen des Odenwaldes und des Kraichgaues Freudenfeuer, und in den Städten Oppenheim, Bruchsal und Sinsheim, wo das Haus Hirschhorn Fronhöfe besaß, wurde mit Katzenköpfen geschossen. (143)
Ganz besonders aber fesselten ihn die wie glühendes Morgenrot leuchtenden Steinbrüche rechts und links vom Strome. Es wimmelten darin von Menschen, (169f)
im dunkelgetäfelten Gemach des Hirschhorner Hofes in der Kettengasse (170)
Über Graf Mansfeld: gestern voll Umsicht und Tatkraft, heute ein trunkener Bauernbursche, der nichts anderes begehrt als ein Bett. (228)

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.11.2025
Die drei Lichter der kleinen Veronika
Kyber, Manfred

Die drei Lichter der kleinen Veronika


ausgezeichnet

Du fragst dich natürlich schon, warum Veronika nicht vier Lichter hat. Das kann aber nicht sein, dann hätten wir ja Advent. Es ist aber erst November.

Bewertung vom 25.10.2025
Wir sind dann wohl die Angehörigen
Scheerer, Johann

Wir sind dann wohl die Angehörigen


ausgezeichnet

Beeindruckendes Debüt *****
Lange wollte ich Reemtsmas Buch lesen und dieses. Nun hab ich mit den Angehörigen begonnen. Und ich bin beeindruckt. Der Autor war im richtigen, jugendlichen Alter, um das Handeln der Erwachsenen zu verstehen, aber gleichzeitig noch aus der Rolle des Kindes das Geschehen zu schildern.
*****
Selten zuvor haben wir gehört von dem Leiden der Familie, die an nichts anderes mehr denken kann. Selten haben wir gehört, von den Fehlern der Polizei, die eine schnellere Lösegeld- Übergabe verhinderte. Und selten haben wir gehört, wie schwierig es war, die Entführung des Vaters gegenüber den Mitschülern geheim zu halten. *****
5 Sterne

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.10.2025
Hirschhorn und seine Kirchen
Spiegelberg, Ulrich

Hirschhorn und seine Kirchen


sehr gut

bewundernswerter Reiseführer ****
Dass eine Gemeinde mit nicht einmal 3.500 Einwohner – inklusive Ortsteile – genug Stoff bietet für einen Reiseführer ist wirklich bewundernswert. Klar ist, dass dies nur funktioniert, weil die Historie reichhaltig ist. Die Herren von Hirschhorn hatten hier ihr Schloß, auch wenn die Familie 1632 ausstarb.
****
Jüdische Kultur und die Wirren während der Revolution 1848 bleiben dagegen eine Randbemerkung. So beginnt der Stadtrundgang auch erst nach zwei Dritteln des Buches.
Besonders sehenswert ist das Langbein-Museum, das auch an den Besuch von Mark Twain in Hirschhorn erinnert.
****
Der Rundgang ist dank der nun auch behandelten Kirchen brauchbar. Einzig in der Umgebung habe ich die Mühlen nicht gefunden. 4 Sterne

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.