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YukBook
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München

Bewertungen

Insgesamt 289 Bewertungen
Bewertung vom 08.02.2025
Tell Me Everything: Oprah's Book Club
Strout, Elizabeth

Tell Me Everything: Oprah's Book Club


ausgezeichnet

Die Figuren aus Elizabeth Strouts Romanen sind mir so ans Herz gewachsen, dass ich sehnsüchtig auf ein neues Buch von ihr gewartet habe. Diesmal steht Bob Burgess, ein Strafverteidiger und enger Freund von Lucy Barton, im Mittelpunkt. Während der Corona-Pandemie pflegten sie ausgedehnte Spaziergänge zu machen, was sie nun wöchentlich fortsetzen.

Die beiden haben eine besondere Gabe, nämlich anderen Menschen zuzuhören. Lucy kommt diese Fähigkeit auch beruflich zugute, denn von den Geschichten, die ihr die legendäre Strout-Figur Olive Knitteridge erzählt, kann sie sich als Schriftstellerin inspirieren lassen. Bei Bob liegt die Sache etwas anders. Er hört sich nicht nur die Probleme und Fehltritte seiner Mitmenschen an, sondern absorbiert sie förmlich und wird zum „sin-eater“.

Er übernimmt die Verteidigung eines Mordverdächtigen, doch diese Handlung ist eher ein Nebenschauplatz. Es geht vielmehr um die Geschichten, die die Figuren in diesem Roman miteinander austauschen oder selbst erleben und die Frage aufwerfen, was das Leben ausmacht. Es geht um Einsamkeit, Liebe, Schuld und was die Menschen verbindet. Mit welcher Intensität, Warmherzigkeit und Melancholie Elizabeth Strout von Schicksalen einfacher Menschen und kleinen, aber bedeutsamen Gesten erzählt, ist einfach fantastisch.

Bewertung vom 05.02.2025
Mitte des Lebens
Bleisch, Barbara

Mitte des Lebens


sehr gut

Es gibt wohl kaum eine Phase, die so zwiespältige Gefühle weckt und existenzielle Fragen aufwirft, wie die Lebensmitte. Die einen stürzen in eine Midlife-Crisis, andere fühlen sich in den besten Jahren ihres Lebens. Warum das so ist und welches Potenzial das Alter zwischen 40 und 65 birgt, ergründet Barbara Bleisch in ihrem Buch.

Spätestens in diesem Lebensabschnitt wird jedem bewusst, dass das Leben begrenzt ist. Die Autorin beschreibt typische Gefühle wie Freude und Stolz auf das Erreichte, Wehmut und Bedauern über gescheiterte Träume und die Unsicherheit, wie man mit der verbleibenden Lebenszeit sinnvoll umgehen soll. Diesen Part über unsere Endlichkeit empfand ich als etwas langgezogen. Interessanter wurde es für mich, als sie auf die gewonnene Freiheit und die Bedeutung von Entscheidungen einging.

„Sich verlieren und neu finden“ beschreibt sie den Prozess, in dem wir uns der Verwirrung der mittleren Jahre hingeben, alle Aspekte unseres Lebens genau durchleuchten und aus der Fülle der Erfahrungen und der erlangten Reife schöpfen können, um die uns wichtigen Dinge in den Fokus zu rücken. Ihre philosophische Auseinandersetzung ergänzt sie durch literarische Beispiele, Erkenntnisse von Sokrates, Wittgenstein oder Simone de Beauvoir und gibt uns Tipps mit auf den Weg, zum Beispiel das Staunen nicht zu verlernen. Ich hätte mir noch mehr Einblick in ihre persönlichen Erfahrungen gewünscht.

Bewertung vom 01.02.2025
Das Buch der Schwestern
Nothomb, Amélie

Das Buch der Schwestern


ausgezeichnet

Wenn Eltern sich mit voller Hingabe lieben, sollte das doch auch für die Kinder ein Segen sein. In diesem Roman trifft das leider nicht zu, denn für die Kinder bleibt kein Platz mehr – weder in ihrem Herzen noch in ihrem Leben. Darunter leidet besonders die Erstgeborene Tristane. Die Autorin beschreibt in knappen Sätzen und doch sehr eindringlich, wie ausgeschlossen und überflüssig sie sich in ihrer Familie fühlt.

Da hat es ihre jüngere Schwester Laetitia etwas besser. Die Zuneigung, die die Eltern den Kindern vorenthalten, bekommt sie in geballter Form von Tristane und erwidert sie auch. Diese romantische Schwesternliebe, die skurrile Ausmaße annimmt, hat mich ebenso fasziniert wie die unterschiedliche Entwicklung und Charaktere der zwei. Während die temperamentvolle Laetitia genau weiß, was sie will – nämlich Rockstar werden – und zielstrebig ihren Weg geht, lässt sich die hochintelligente Tristane von den Meinungen anderer leicht verunsichern und leidet unter ihrer mangelnden Ausstrahlung. Manchmal bekommt die stark überspitzte Geschichte märchenhafte Züge, doch die kalte Gleichgültigkeit der Eltern und die Auswirkungen holen einen schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Es war mein erstes Buch von Amélie Nothomb und sicher nicht das letzte.

Bewertung vom 25.01.2025
Bogners Abgang
Platzgumer, Hans

Bogners Abgang


ausgezeichnet

Der Roman beginnt mit Arbeitsnotizen des titelgebenden Protagonisten, die sowohl Unbehagen als auch Neugier in mir weckten. Darin beschreibt der Künstler Andreas Bogner, wie er eine Pistole seines Schwiegervaters studiert, um ihre „Persönlichkeit“ und Brutalität zu porträtieren. Man hat schon ein ungutes Gefühl, dass die Waffe eine unheilvolle Rolle spielen wird, zumal es in Bogners Privat- und Berufsleben nicht zum Besten steht.

In einem zweiten Handlungsstrang lernen wir die Studentin Nicola Pammer kennen, die eines Nachts an einer Kreuzung in Innsbruck in einen Autounfall verwickelt wird. Es liegt nahe, dass es einen Zusammenhang zwischen den beiden Figuren gibt, aber der Autor spannt uns lang auf die Folter und führt außerdem eine dritte Person – einen Kunstkritiker – ein, um dessen Anerkennung Bogner ringt.

Anhand dieser Konstellation beschreibt der Autor sehr scharfsinnig, ob und wie Menschen Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, mit Schuldgefühlen umgehen und was dabei in ihren Köpfen vorgeht. Sein Erzählstil ist prägnant und schnörkellos, was die Dramatik der Ereignisse verschärft. Ich war verblüfft, wie ich auf gerade mal 140 Seiten ein recht klares Bild der Lebenssituation zweier Menschen bekam, deren Wege sich zufällig und folgenreich kreuzen. Nahestehende können ihnen noch so viel Hilfe anbieten - am Ende müssen sie ihre Konflikte mit sich selbst ausmachen. Ein starkes Buch – dicht und intensiv.

Bewertung vom 18.01.2025
Clara
Eichel, Christine

Clara


ausgezeichnet

Ich habe schon einmal ein Buch über die Jugendjahre von Clara Schumann gelesen und hätte damals gern gewusst, wie es im Leben der gefeierten Pianistin weiterging. Dank dieser Biografie von Christine Eichel konnte ich ihren langen Weg zu einer modernen Unternehmerin mit vielen Tief- und Höhepunkten weiter verfolgen.

Diesmal brachte mich nicht nur der despotische Vater Friedrich Wieck, sondern auch die dunkle, eher unbekannte Seite Robert Schumanns aus der Fassung. Selten habe ich über eine so romantische und zugleich toxische Beziehung gelesen wie die zwischen ihm und Clara. Wie konnte eine Starpianistin, die das damals einzigartige Privileg hatte, ihrer Berufung zu folgen und Berufsmusikerin zu werden, einen Komponisten heiraten, der sie zum Hausmütterchen machte? Warum brachte eine Frau wie sie, die sich auf Konzertbühnen vor jubelndem Publikum am glücklichsten fühlte, acht Kinder zur Welt?

All die Fragen, die sich mir aufdrängten, beleuchtet die Autorin anhand von Tagebüchern und Briefen sehr genau, differenziert und vor allem mitreißend. In ihrem Text lässt sie die Funken sprühen, stellt mit modernen Ausdrücken wie „Storytelling“ oder „Regretting motherhood“ einen Bezug zur heutigen Zeit her und entlarvt einige Mythen. Ich konnte immer besser nachvollziehen, welchen Einfluss die verschiedenen Lebensstationen mit einem Vater, der sie als Einnahmequelle betrachtete, mit einem psychisch labilen Ehemann, den sie idealisierte, und mit einer Kinderschar, die sie als Belastung empfand, auf Claras Emanzipationsprozess hatten. Unter den zahlreichen Biografien in meinem Regal bekommt dieses fesselnde und aufschlussreiche Buch einen Ehrenplatz.

Bewertung vom 08.01.2025
Die Entdeckung allen Lebens
Roberts, Jason

Die Entdeckung allen Lebens


ausgezeichnet

Das Ziel, das sich die zwei Naturforscher Carl von Linné und Georges-Louis de Buffon im 18. Jahrhundert gesetzt haben, ist nicht gerade bescheiden: die Fülle der Natur zu erfassen, zu beschreiben und zu benennen. Während den meisten sicher von Linnés Ordnungssystem der Pflanzen- und Tierwelt bekannt ist, scheint de Buffon in Vergessenheit geraten zu sein. Zu Unrecht findet Jason Roberts und stellt in seinem Buch dessen Verdienste heraus.

Die Doppelbiografie liest sich deshalb so spannend, weil die beiden ein völlig unterschiedliches Verständnis von der Natur hatten und verschiedene Ansätze verfolgten: Von Linné, ein schwedischer Arzt, war besessen davon, alles systematisch und hierarchisch zu gliedern und festen Kategorien zuzuordnen; Georges-Louis de Buffon, aristokratischer Universalgelehrte und königlicher Hofgärtner, betrachtete dagegen das Leben als ein dynamisches System und legte Wert auf eine literarische und philosophische Annäherung.

Jason Roberts steigt tief in die Materie ein, beschreibt aber die Lebensläufe und gegensätzlichen Charaktere der beiden Botaniker mit ihren Eigenheiten und ihr Vorgehen so anschaulich, dass ich ihren Wettstreit mit großer Neugier verfolgte. Wie Linné sich selbst mit Lobpreisungen überhäufte oder dass Naturkundler damals an die Existenz von Fabelwesen glaubten, brachte mich zum Schmunzeln und inwiefern de Buffon Wegbereiter der Evolutionstheorie war zum Staunen. Der Autor entführt uns lehrreich und unterhaltsam in wissenschaftliche Debatten, zu gefährlichen Expeditionen und zeigt, welche wichtigen Grundlagen beide Gelehrte für die Entstehung der Biologie und Genetik geschaffen haben.

Bewertung vom 04.01.2025
Entgrenzt
Coon, Peter

Entgrenzt


ausgezeichnet

Wann wird es soweit sein, dass wir in einer Welt leben, wie Peter Coon sie in diesem Roman beschreibt? Darin leben Menschen und humanoide Roboter Seite an Seite, so wie die schwerkranke Ria und ihr Android Levin. Obwohl Levin schon bemerkenswert hochentwickelt ist und Rias Bedürfnisse und sogar Sarkasmus erkennt, tut er sich schwer, die natürliche Intelligenz im Allgemeinen und seine Besitzerin im Speziellen zu begreifen. Wie viel Mühe es ihn kostet, menschliches Verhalten zu assimilieren, um im Alltag zurechtzukommen, hat mich sehr amüsiert.

Auch die Androidin Sally beobachtet ihren neuen Besitzer Arno sehr genau, um von ihm zu lernen. Ein besonderes Modul in ihrem Körper macht sie jedoch zur Zielscheibe von Gangstern und setzt sie Gefahren aus, die für reichlich Spannung sorgen.

Den Zusammenprall zwischen purer Logik und widersprüchlichem Verhalten beschreibt Peter Coon mit viel Humor und Tiefgang. Er geht der Frage nach, wie menschliche Entscheidungen zustande kommen und verpackt philosophische Gedanken in eine rasante Story. Wie schon in seinen Kurzgeschichten und seiner Novelle „Wagnis“ schätze ich auch diesmal, dass der Autor Menschlichkeit samt ihrer Schwächen in den Vordergrund stellt. Nach der Lektüre stellt man sich einmal mehr die Frage, ob man in einer Welt voller berechenbarer und perfekter Wesen leben möchte.

Bewertung vom 28.12.2024
Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid
Schröder, Alena

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid


ausgezeichnet

Der Roman erstreckt sich über vier Generationen. Glücklicherweise hat Alena Schröder das Ensemble bis in die Nebenfiguren so gut charakterisiert, dass man sich trotz der Zeitsprünge gleich in die verschiedenen Erzählfäden hineinfindet.

Die Geschichte kommt ins Rollen, als Hannah, die regelmäßig ihre Großmutter Evelyn in einem Seniorenheim besucht, einen Brief von einer Anwaltskanzlei entdeckt. Evelyn wird als Erbin von Nazi-Raubkunst benannt, weigert sich jedoch, Hannah mehr davon zu erzählen. So geht Hannah der Sache selbst auf den Grund und sucht Hinweise auf den verschollenen Kunstschatz und auf jüdische Vorfahren – für sie eine willkommene Ablenkung von ihrer Doktorarbeit, in der sie ganz und gar nicht vorankommt.

Als Leser ist man ihr ein Stück voraus, denn parallel werden wir in das Schicksal von ihrer Urgroßmutter Senta eingeweiht. Nach einer gescheiterten Ehe, muss sie 1926 die dreijährige Evelyn ihrer Schwägerin überlassen und zieht nach Berlin.

Frauenromane über mehrere Generationen gibt es viele, doch dieser hat mich besonders bewegt. Sentas Bemühungen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und gleichzeitig eine Bindung zu ihrer Tochter aufzubauen, haben sich ebenso eingeprägt wie Hannahs Versuch, sich von einer destruktiven emotionalen Abhängigkeit von ihrem Doktorvater zu lösen und ihren eigenen Weg zu finden. Die Schicksale der durchweg glaubwürdigen Charaktere sind mit interessanten Themen wie Kunstraub und Restitution, Ahnenforschung und Wissenschaftsbetrieb verwoben.

Bewertung vom 19.12.2024
Wagnis
Coon, Peter

Wagnis


ausgezeichnet

In seiner Novelle greift Peter Coon ein brisantes Thema auf: das Dilemma eines Pazifisten, der Gewalt vermeiden, aber Menschenleben schützen will. Sein Protagonist Frederik ist vor dem Krieg und der Einberufung geflüchtet und lebt mit seinen Freunden und Gleichgesinnten zurückgezogen im Wald. Mit der Ruhe ist es vorbei, als er Luftkämpfe und einen Flugzeugabsturz beobachtet, eine folgenreiche Entscheidung trifft und dadurch mitten ins Kriegsgeschehen hineingezogen wird.

Ich war beeindruckt, wie der Autor in dieser kurzen, temporeichen Geschichte die unterschiedlichen Standpunkte und den Kern der Problematik deutlich macht. Wie lang kann man an seinen Prinzipien festhalten, wenn Menschenleben und die Freiheit bedroht werden? Sehr anschaulich beschreibt er anhand dieses exemplarischen kleinen Kriegsschauplatzes krasse Gegensätze: Auf der einen Seite wird mit höchster Anstrengung ein Leben gerettet, auf der anderen Menschen mit grausamer Willkür erschossen. Die Versuchung, angesichts der Ausweglosigkeit zu resignieren und sich aus allem herauszuhalten, ist groß. Dieser Versuchung zu widerstehen und ein Wagnis einzugehen, indem man sich auf Menschlichkeit und gegenseitiges Vertrauen besinnt, ist eine wichtige Botschaft, die uns Peter Coon mitgibt.

Bewertung vom 16.12.2024
Die Familie Aubrey
West, Rebecca

Die Familie Aubrey


gut

Die titelgebende Familie Aubrey hat es nicht leicht. Sie hat schon mehrere Umzüge hinter sich und ist permanent in Geldnot, weil der Vater sich ständig an der Börse verspekuliert. Die Ich-Erzählerin Rose und ihre Zwillingsschwester Mary sind immerhin musikalisch hochbegabt und klammern sich an einen Hoffnungsschimmer: Wenn sie erst einmal Pianistinnen sind, werden sie genug Geld für die Familie verdienen.

Mal beweisen die Töchter den Scharfsinn eines Erwachsenen und streiten mit der Mutter auf Augenhöhe; dann wieder hegen sie einen kindlichen Groll besonders gegenüber der älteren Schwester Cordelia, die nur mäßig Geige spielt, und stellen ihren Vater trotz seiner Unzuverlässigkeit auf einen Podest. Dabei ist es die Mutter, die die Familie durch alle Widrigkeiten navigiert und sie zusammenhält.

Ich habe mich schwer damit getan, dass insgesamt wenig passiert, manches wie die Sticheleien gegen Cordelia sich wiederholt und einzelne Szenen sehr ausschweifend beschrieben werden. Am meisten gefiel mir der schöne Sprachstil der Autorin und dass es um den Glauben an die Kunst geht und die Gabe, auch in der Not Freuden im Alltag zu finden. Rebecca West gelingt es sehr gut, die Erlebnisse der Aubreys aus der Sicht eines Kindes mit all seiner Fantasie zu schildern, vermutlich weil sie auf eigenen Erfahrungen beruhen.