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YukBook
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München

Bewertungen

Insgesamt 308 Bewertungen
Bewertung vom 20.07.2025
Hohle Räume
Schramm, Nora

Hohle Räume


sehr gut

Wer kennt sie nicht – die gemischten Gefühle beim Heimatbesuch. Bei Helene, Berliner Künstlerin und Ich-Erzählerin, wird die Lage dadurch erschwert, dass ihre Eltern vor einer Scheidung stehen. Bei der Sortierung des Besitzstands wird sie nicht nur mit vielen Erinnerungen, sondern auch mit der Gewissheit konfrontiert, dass das bürgerliche Familienideal gescheitert ist.
Bezeichnend ist, dass der wortkarge, passive Vater meist durch Abwesenheit glänzt, während die im Haushalt geschäftige und gesprächige Mutter omnipräsent ist. Und da wäre auch noch Molly, ein Pflegekind der Eltern, das einst ohne Erklärung die Familie verließ. Manche Situationen kamen wir bekannt vor: zum Beispiel, dass man auf eine Bemerkung oder auf ein Verhalten seiner Eltern nicht mehr unvoreingenommen reagieren kann, weil automatisch bestimmte Gedanken im gleichen Muster in Gang gesetzt werden.
Die Autorin seziert nicht nur messerscharf das Leben der einzelnen Familienmitglieder, sondern macht auch das Haus samt symbolhaftem Inventar zu einer zentralen Figur und verwandelt es in das künstlerische Abbild einer dysfunktionalen Familie. Wer Aufheiterung braucht, sollte das Buch nicht lesen, denn trotz Ironie und Sprachwitz macht es betroffen. Am meisten hat mich beeindruckt, wie kreativ und erfrischend Nora Schramm mit der Sprache umgeht und die Metapher des Hohlraums ausreizt.

Bewertung vom 12.07.2025
Wohnen (MP3-Download)
Dörrie, Doris

Wohnen (MP3-Download)


ausgezeichnet

Bei dem Titel „Wohnen“ habe ich nicht erwartet, dass ich in diesem Buch so viel in der Welt herumkomme. Das liegt daran, dass Doris Dörrie im Vergleich zu ihren drei Schwestern „nicht so sehr der Wohntyp“, sondern lieber unterwegs ist. Inwiefern bestimmt unsere Art zu wohnen auch unsere Art zu leben? Diese Frage beleuchtet die Autorin unter verschiedenen Aspekten und reflektiert über ihre eigenen bisherigen Wohnsituationen.
Sie erinnert sich an ihr erstes eigenes Zimmer mit Märchentapete und stellt fest, dass ihre Mutter nie einen Rückzugsort hatte. Als Hausfrau war sie ortlos, schaffte aber für die Familie einen sicheren Raum und feste Rituale wie das gemeinsame Essen am Esstisch. Interessant fand ich, dass sich die Schriftstellerin besser fühlte, wenn sie an einem nützlichen Ort wie der Küche etwas „Unnützes“ tat wie das Schreiben. Gedanken dieser Art, die den Wertewandel in unserer Gesellschaft widerspiegeln, gibt es viele in diesem Buch.
Spannend ist auch zu lesen, welche Rolle Räume in ihren Romanen und Drehbüchern spielen. Sie hat viele Filme in Japan gedreht und schätzt die dortigen Wohnkonzepte, die im krassen Gegensatz zu den Luxusvillen in Los Angeles stehen, die sie aus reiner Neugier besichtigt hat. Ihren klugen Gedanken über unseren Bezug zu Räumen, vom Safe Space für Frauen über digitale Räume bis hin zu einer politischen Haltung, bin ich sehr gern gefolgt.

Bewertung vom 05.07.2025
'In mir tobt und brodelt stets etwas Gefährliches'
Greiner, Margret

'In mir tobt und brodelt stets etwas Gefährliches'


ausgezeichnet

Was Romanbiografien betrifft, zählt Margret Greiner zu meinen Lieblingsautorinnen. Diesmal war ich neugierig, eine mir unbekannte Lyrikerin kennenzulernen: die Wienerin Elsa Asenijeff. Ihre Liebesgedichte, die an mehreren Stellen zitiert werden und den Anfang des lyrischen Expressionismus markierten, sind mir etwas zu pathetisch, doch ihre Lebensgeschichte habe ich mit Spannung verfolgt.

Schon während ihres Studiums zur Lehrerin passte sie sich nur widerwillig dem weiblichen Rollenbild an. Aus einer finanziellen Notlage heraus heiratete sie einen vermögenden bulgarischen Diplomaten, fühlte sich in Sofia jedoch ausgegrenzt und lebte erst während ihres Studiums der Psychologie und Philosophie in Leipzig auf. Einen großen Raum nimmt die intensive Liebesbeziehung zu dem Künstler Max Klinger ein. So erfuhr ich nicht nur über Elsas bemerkenswerte schriftstellerische Karriere, sondern auch ihren bedeutenden Anteil am Erfolg ihres Lebensgefährten.

Margret Greiner schafft es erneut, durch ihre lebendige Sprache und Empathie sowohl dieser extravaganten Persönlichkeit als auch dem damaligen gesellschaftlichen und künstlerischen Umfeld Leben einzuhauchen. Sie stellt heraus, wie widersprüchlich Elsas Verhalten war: Einerseits setzte sie sich für die Bildung und Berufstätigkeit der Frau ein, andererseits glaubte sie an die unterschiedliche Bestimmung der Geschlechter. Ich möchte mir Elsas Porträtbüste von Max Klinger in der Neuen Pinakothek ansehen und werde mich dabei sicher an viele bewegende Szenen aus diesem Buch erinnern.

Bewertung vom 01.07.2025
Abroad in Japan
Broad, Chris

Abroad in Japan


ausgezeichnet

Wer zum ersten Mal beruflich in Japan zu tun hat, wird wahrscheinlich einen Kulturschock erleben. Helfen könnte ein interkulturelles Seminar – oder dieses Buch von Chris Broad. Darin erzählt der Brite von seiner ersten Stelle als Englischlehrer in der Präfektur Yamagata und seinem Start als YouTuber, gespickt mit vielen skurrilen und abenteuerlichen Erlebnissen.
Schon in den ersten Tagen kommt er aus dem Staunen nicht heraus. In Japan ist es gar nicht selbstverständlich, dass ein Englischlehrer auch die Sprache beherrscht. Zudem scheint das Englischlernen sehr unbeliebt zu sein. Nicht die besten Voraussetzungen für den Exoten, der mit seiner Unwissenheit und Unsicherheit zu kämpfen hat, sich aber tapfer schlägt.
Was er von Abenden in Kneipen, Karaoke-Bars und Parties erzählt und wie er sich wundert, dass seine sonst so reservierten Kollegen ab einem gewissen Alkoholpegel derart gesprächig werden, kam mir als Japanerin bekannt vor. Seine Reise nach Osaka, die ihn kulinarisch begeisterte, die Besteigung des Mount Fujis oder ein missglücktes Rendezvous im Love Hotel sind höchst amüsant zu lesen. Doch es gibt auch qualvolle Momente und Rückschläge, sei es beim Erlernen der komplizierten japanischen Sprache oder der Wohnungssuche.
Ich rechne Chris Broad hoch an, dass er keine Mühen scheute, um tief in die japanische Kultur einzusteigen, sich einzuleben und sogar dem Land etwas zurückzugeben. Für alle, die Japan beruflich oder privat näher kennenlernen wollen, ist das Buch die ideale Einstimmung.

Bewertung vom 23.06.2025
Wie KI dein Leben besser macht (eBook, ePUB)
Himpsl, Franz; Gehlen, Dirk von

Wie KI dein Leben besser macht (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ich war kurz versucht, die Rezension von einer KI schreiben zu lassen, nachdem ich sie mit meinen Bucheindrücken gefüttert habe. Aber nicht, um sie zu veröffentlichen, sondern mit meiner eigenen Rezension zu vergleichen. Genau das hat dieses Buch bei mir bewirkt: Es hat meine Lust geweckt, mehr Spielereien mit der KI auszuprobieren.

Bisher nutzte ich Tools wie ChatGPT in erster Linie, um ein Problem zu lösen, eine Anleitung zu bekommen oder mir Hilfe bei einer Kaufentscheidung zu holen. Wie groß das Potenzial nicht nur in der Medizin oder Landwirtschaft, sondern auch für mich im Alltag ist, wird verständlich und unterhaltsam anhand praktischer Beispiele vermittelt. Was ich auf jeden Fall ausprobieren möchte: gesammelte Infos zu einem Thema in ein digitales Notizbuch zu packen und relevante Punkte von der KI extrahieren zu lassen.

Die Autoren stellen nicht nur hilfreiche Werkzeuge vor, um die Künstliche Intelligenz zu seinem persönlichen Assistenten zu machen, sondern regen auch zum Nachdenken an – zum Beispiel darüber, was es heißt menschlich zu sein oder inwiefern man mit der KI in einen Dialog treten und neue Sichtweisen gewinnen kann. Sehr gut gefiel mir der Ansatz, selbst in kreativen Tätigkeiten die KI nicht als bedrohlichen Ersatz, sondern als ergänzende Maßnahme anzusehen, die es erlaubt, sich auf die anspruchsvollen und erfüllenden Aufgaben zu konzentrieren. Ein lesenswertes Buch, das meinen Horizont erweitert und mich inspiriert hat.

Bewertung vom 19.06.2025
Hör zu!
Faber, Michel

Hör zu!


sehr gut

Michel Faber gibt in seinem Buch keine Empfehlungen, welche Musik wir hören sollten. Er lässt uns vielmehr verstehen, warum wir hören, wie wir hören. Die Bandbreite an Themen reicht von Musiktherapie und Akustik über Kleider und Styling bis hin zu Streaming-Algorithmen und Schallplattennostalgie.

Sehr amüsant fand ich den Einblick in den Musikmarkt für Neugeborene und seine Beobachtungen in seiner Heimatstadt Folkestone, wo in einem hippen Café „Miniature Music Makers“ an die Musik herangeführt werden. Der Autor lässt auch wissenschaftliche Erkenntnisse aus Hirnforschung, Soziologie und Psychologie einfließen. Was sein Buch ausmacht, ist aber vor allem die Art und Weise, wie er sein bisheriges Leben unter dem Aspekt der Musik bilanziert und mit zahlreichen Gesprächen, die er mit Musikern verschiedener Genres geführt hat, kombiniert. Manches ging mir etwas zu sehr ins Detail, könnte aber für eingefleischte Musikfans erhellend sein.

Nach der Lektüre versteht man besser, warum Menschen von einem Musikstück zu Tränen gerührt werden und andere nicht. Zuspruch werden auch diejenigen finden, die sich nur schwer von ihrer Albensammlung trennen können. Ein Buch, das dazu anregt, genauer hinzuhören und darauf zu achten, was die Musik mit uns macht.

Bewertung vom 15.06.2025
Wackelkontakt
Haas, Wolf

Wackelkontakt


ausgezeichnet

Der Maler M.C. Escher ist bekannt für sein Spiel mit optischen Täuschungen. Hände, die sich gegenseitig zeichnen oder unendliche Treppen, die endlos im Kreis abwärtsführen … Was für eine originelle Idee, dieses Konzept auf eine Geschichte anzuwenden. Wolfgang Haas macht dies in diesem Roman konsequent und verblüffend.

Dabei ist die Ausgangssituation trivial: Die Hauptfigur Franz Escher wartet auf einen Elektriker, der eine defekte Steckdose reparieren soll. Er ist Trauerredner mit einem Faible für Puzzles und Mafiaromane und vertreibt sich die Zeit mit einem Buch über den ehemaligen Mafioso Elio Russo, der ein Zeugenschutzprogramm durchläuft. Auch Elio liest ein Buch, das er von einem deutschen Zellengenossen bekommen hat, und darin geht es um jenen Franz Escher, der auf einen Elektriker wartet.

Wechselnde Perspektiven und mehrere Erzählstränge sind nichts Besonderes, doch wie nahtlos dies in diesem Buch passiert, hat mich erstaunt. Ich wurde richtig in den Sog beider Handlungen hineingezogen, die der Autor mit viel Sprachwitz, Ironie und eigensinnigen Figuren bereichert und ineinander spiegeln lässt. Seine Spielereien mit Fremdsprachen und Dialekten und sein Ideenreichtum machen Lust, mehr von dem Autor zu lesen.

Bewertung vom 11.06.2025
Der Junge aus dem Meer
Carr, Garrett

Der Junge aus dem Meer


sehr gut

Der Romantitel ist wörtlich zu verstehen. Im Jahr 1973 wird in der Donegal Bay ein Säugling in einem Fass an Land gespült. Zunächst macht das Findelkind unter den Dorfbewohnern die Runde, bis es bei der Familie Bonnar eine neue Heimat findet und Brendan getauft wird - sehr zum Unmut vom leiblichen Sohn Declan, da die ganze Aufmerksamkeit besonders des Vaters nun seinem neuen Bruder gilt.

Um Brendan und sein außergewöhnliches Auftauchen rankt sich bald ein Mysterium, zumal er über besondere Fähigkeiten verfügt. Das Ganze wird durch einen allwissenden Wir-Erzähler verstärkt, der sich ganz unerwartet zu Wort meldet, wenn er Traditionen oder Beobachtungen im Dorfalltag beschreibt und kommentiert.

Mich interessierte vor allem, wie der Eindringling die Dynamik in der Familie verändert und mit dem eifersüchtigen Declan in einem Haushalt aufwächst, der immer mehr in Geldnot gerät, weil die Fischerei nichts einbringt. Der Autor lenkt jedoch den Fokus stärker auf ein anderes Geschwisterpaar, nämlich Christine und ihre Schwester Phyllis, die beide unter den veränderten Verhältnissen eine bemerkenswerte Entwicklung durchmachen.

Man bekommt in diesem Roman einen guten Eindruck vom harten Leben irischer Fischer. Schade fand ich, dass die Geschichte oft von der titelgebenden Figur abschweift und wenig über ihre Gedankenwelt preisgibt.

Bewertung vom 01.06.2025
Blaues Wunder
Freytag, Anne

Blaues Wunder


sehr gut

Drei Ehepaare und ein Sohn auf einer Superyacht – das schreit nach einem Kammerspiel mit wachsender Anspannung. Genau das erwartet uns in diesem Roman. Walter Bronstein, Chef einer Privatbank, hat zwei seiner engsten Mitarbeiter und ihre Ehefrauen zu einem Geschäftsausflug zu den Philippinen eingeladen. Über die Gründe werden die Gäste genauso wie die Leser lange im Unklaren gelassen. Stattdessen werden geheimnisvolle Andeutungen gestreut, was die Spannung erhöht. Erzählt wird aus der Sicht der drei Ehefrauen Nora, Franziska und Rachel. Dabei sind sie doch nur schmückendes Beiwerk, die ihren erfolgreichen Männern den Rücken frei halten. Oder nicht?

In ihren Ehen mögen sie wenig zu sagen haben, doch in dieser Geschichte lässt die Autorin sie einzeln zu Wort kommen. Abwechselnd kommentieren sie das Verhalten ihrer angeberischen, besitzergreifenden Männer und reflektieren über ihr vergangenes (Ehe-)Leben. Der Kontrast zwischen ihren hasserfüllten Gedanken und ihrem Schauspiel, das sie beim gemeinsamen Essen inszenieren, könnte nicht größer sein. Ihre aufgestaute Wut, ihren Sarkasmus und das Brodeln hinter der Fassade bringt Sandra Voss durch ihre Lesart sehr gut zum Ausdruck. Mit ihrer schonungslosen Erzählweise und messerscharfen Sprache knüpft Anne Freytag nahtlos an ihren Vorgängerroman an.

Bewertung vom 28.05.2025
Hier draußen (MP3-Download)
Behm, Martina

Hier draußen (MP3-Download)


ausgezeichnet

Martina Behm schafft in ihrem Roman so markante Charaktere, dass man gleich nach Fehrdorf fahren und sie persönlich kennenlernen möchte. Doch der Reihe nach: Ingo, einer der Dorfbewohner, fährt eines Abends eine weiße Hirschkuh an. Einem Aberglauben zufolge bringt das großes Unglück. Das geht seiner Frau Lara nicht mehr aus dem Kopf, doch sie hat noch ganz andere Probleme: Ihr Traum, nach dem Umzug von Hamburg aufs Land in einer harmonischen Dorfgemeinschaft zu leben und mehr Zeit mit ihrem Mann zu verbringen, ist zerplatzt. Als Start-up Unternehmer steht Ingo unter enormem Druck, ist gestresst von der Pendelei und nimmt sich kaum Zeit für die vierköpfige Familie.

Unglücklich ist auch Tove, die sich nicht mehr länger von ihrem Mann herumkommandieren und schikanieren lassen will. Die Autorin nimmt sich Zeit, um sowohl die Zugezogenen als auch Alteingesessenen teils in Rückblenden Stück für Stück aufzubauen und ihre Leben facettenreich auszubreiten. Es gibt herrlich komische Szenen wie der Ausbruch einer Rinderherde, dann wieder tragische Momente, wenn die mentale und körperliche Gesundheit der hart arbeitenden Landwirte und ihre Existenz auf dem Spiel steht. Der Sprecherin gelingt es, diesen Szenen und Dialogen ihre Stimme und den Tonfall nuancenreich anzupassen.

Martina Behm beschreibt mit feinem Humor, einfühlsam und kenntnisreich die Herausforderungen in der modernen Landwirtschaft und in zwischenmenschlichen Beziehungen. Sowohl in der Stadt als auch auf dem Land ist das echte „Zusammenleben“ statt nebeneinander zu funktionieren nicht immer leicht, aber unbedingt erstrebenswert.