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lustaufbuch

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Insgesamt 221 Bewertungen
Bewertung vom 14.09.2025
Am Meerschwein übt das Kind den Tod
Gomringer, Nora;Voland & Quist

Am Meerschwein übt das Kind den Tod


ausgezeichnet

»Ab einem gewissen Punkt reißt die eine Welt von der anderen ab, und da, wo du stehst, bist du.«

Wenn die eigene Mutter stirbt, schwindet nicht nur ein geliebter Mensch, sondern auch ein Teil des eigenen Lebens. Denn das Leben der Mutter ist auch zugehörig zum eigenen Ich, welches sie meist lebenslang geprägt hat. Ohne sie gäbe es einen nicht und auch wenn die Beziehung oftmals nicht eben leicht erscheinen mag, reißt diese innere Verbindung niemals ab.
So auch bei Nora Gomringer. Ihre Mutter Nortrud verstarb am Dienstag, den 08. Dezember 2020. Seitdem sind fast fünf Jahre vergangen, doch der Schmerz des Verlusts und dessen Trauer hält bis heute an.
Zeit, um der Erinnerung ihren Raum zu geben, die sie zu beabsichtigen gedenkt. Aus diesem Anlass entstand der erste Roman der Autorin und zwar in Form eines von ihr so benannten „Nachroughs“.
Erinnerung ist schmerzlich, doch das Leben nicht minder.
Ihr wechselhaftes Erzählen über die Mutter – zwischen Nähe und Distanz – besteht aus Episoden der Kindheit und vielen Einblicken in das Leben der Gomringers, welches selten ein leichtes war. Sie gedenkt ihrer Mutter, versetzt sich in sie hinein und hinterfragt dabei teils ihre Entscheidungen, z.B. sich von ihrem Mann so vereinnahmen zu lassen, statt ihr eigenes Leben mehr zu genießen. Dann auch noch die Kinder aus verschiedenen Partnerschaften, seine Affären und allgemein der schwierige Umgang mit ihm.
Man merkt es schon: Immer wieder blickt neben der Mutter, die eigentlich die Protagonistin sein sollte, der Vater Eugen Gomringer hervor und nimmt Platz für sich in Anspruch, denn sowohl die eheliche Beziehung als auch die zwischen Vater und Tochter war von schwieriger Natur.

Dass Nora Gomringer nicht nur eine Meisterin der Lyrik ist, sondern auch die Langstrecke der Prosa beherrscht, hat sie hiermit eindeutig bewiesen und lässt hoffen, dass in Zukunft Weiteres kommen wird. Ein in seiner Form einzigartiges Buch, das Notrud Gomringer ein literarisches Denkmal für die Ewigkeit setzt.

Bewertung vom 14.09.2025
Lesen ist deine Superkraft
Milbrandt, Tobias;Höper, Florian

Lesen ist deine Superkraft


ausgezeichnet

»Viele Menschen unterschätzen, was ein einziges Buch im Leben bewirken kann. Vielleicht, weil sie nie erfahren haben, was Lesen wirklich ist.«

Bücher über das Lesen gibt es zuhauf, doch dieses ist etwas ganz anderes.
Obwohl Tobias Milbrandt selbst lange nicht gelesen hat, schätzt er es jetzt umso mehr und genau das war sicherlich auch sein Ansatz, zusammen mit Florian Höper, dieses Buch zu schreiben: Er möchte seine Erfahrungen und die vielen Vorteile, die ihm das Lesen bietet, mit möglichst vielen teilen. Schlichtweg weil lesen so viel mehr ist, es den eigenen Horizont erweitern und ganz neue Welten eröffnen kann.

Auch wenn dieses Buch eher für Leute gedacht ist, die nicht (mehr) oder nur wenig lesen, konnte ich – obwohl ich selbst viel lese – einiges daraus mitnehmen. Spätestens wenn man sich bei einem Buch erwischt, immer wieder vor sich hin zu nicken oder innerlich dem Gelesenen zuzustimmen, trifft es unzweifelhaft direkt ins Schwarze.
Denn auch Menschen, die häufig lesen, werden dieses Buch mit Gewinn lesen. Schließlich zeigen beide Autoren bspw. auf, wie man aus bestimmten Büchern mehr mitnehmen und besonders das Lesen besser in den Alltag integrieren kann. Darüberhinaus wird auf verschiedene Lesetechniken eingegangen und warum Lesen nicht nur dem persönlichen Genuss und der Weiterbildung dienlich ist, sondern sogar unserer Gesundheit!

Auch wenn ich kein Vergleich mit anderen Ratgebern habe, denn als solchen würde ich dieses Buch hier beschreiben, hat es mir wirklich gut gefallen, weil er nicht nur an der Oberfläche kratzt, sondern auch in die Tiefe geht, Problemstellung deutlich anspricht und allem voran Lösungen darlegt, um sein Verhalten hinsichtlich des Lesens verändern zu können. Noch dazu war es flüssig zu lesen und informativ.
Gewünscht hätte ich mir ausschließlich, etwas weniger Wiederholung ähnlicher Aspekte und einen Blick mehr auf Belletristik.

Das Plädoyer zum Schluss:
Das Handy mal weglegen und ein Buch zur Hand nehmen – aber wem sage ich das.

Bewertung vom 14.09.2025
Das violette Hündchen
Maar, Michael

Das violette Hündchen


ausgezeichnet

»Woran erinnert man sich, wenn man sich an Lektüren erinnert?«

Wenn man nach einiger Zeit, gar Jahren an bestimmte Bücher zurückdenkt, weiß man oft nur noch, ob sie einem gefallen haben oder eben nicht.
Trotz Anstrengung bleiben nicht selten weder Handlung noch Plot im Gedächtnis, dafür – zumindest bei guten Büchern – einige Details. Und das, weil sie berührend waren, außergewöhnlich, unerwartet oder gar absurd.
Eben dieser Spur folgen wir durch Maars Bibliothek und streifen dabei sowohl etliche Klassiker als auch zeitgenössische Bücher.
Auf unserer Suche nach dem Geheimnis großer Literatur lassen sich auch Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten mancher Werke erkennen, z.B. im Falle von Jane Austens „Mansfield Park“ und Goethes „Wahlverwandtschaften“. Die Analysen zeigen darüberhinaus interessante Erkenntnisse, z.B. inwiefern „Dracula“ ein höchst antisemitisches Werk ist oder ob Jesus wirklich am Kreuz starb.

Aber es geht nicht nur um die Werke, sondern auch um die Autor*innen selbst, ganz prägnant das einzigartige Rätsel um Shakespeare oder die Blutspur, welche das gesamte Werk Thomas Manns durchstreift.

Ich selbst kannte einige Autor*innen überhaupt nicht, teils waren mir die Werke nur vom Hören-Sagen ein Begriff und dennoch, obwohl ich nur die wenigsten davon bisher gelesen habe, konnte man dem Buch immer gut folgen, ohne überfordert oder andererseits gelangweilt zu werden.

Michael Maar pustet die Staubspur von den Klassikern und zeigt, wie vielfältig und lesenswert diese sind - Literaturunterricht par excellence!
Wer dieses Buch gelesen hat, wird seine Leseliste um mehr als nur einige Werke verlängert wissen.

Besonders das wie, ist hierbei ausschlaggebend. Denn das Buch ist nicht nur genial, mit Humor und viel persönlicher Leidenschaft des Autors erzählt, sondern wahrhaftig spannend und mit Sogwirkung und wirkt selbst wie ein Klassiker der Literaturwissenschaft, der unsereins ganz sicher überdauern wird.
Wer sich für Literatur und die Autor*innen dahinter interessiert, muss dieses Buch lesen!

Bewertung vom 27.08.2025
Die Assistentin
Wahl, Caroline

Die Assistentin


sehr gut

»Der Kerl wird dich kaputtmachen, wie er die anderen vor dir kaputtgemacht hat.«

Als Charlotte nach München zieht, um die Assistentin des Verlegers eines renommierten Verlages zu werden, zweifelt sie bereits, ob es wirklich das Richtige für sie ist. Gleich am ersten Tag merkt sie, dass sie den willkürlichen Launen des Verlegers ausgesetzt ist, der dabei nicht nur berufliche Grenzen überschreitet.
Weder andere Mitarbeitende noch ihre Eltern, die sie mehrmals hilfesuchend kontaktiert, nehmen ihr Anliegen ernst, sondern suchen die Schuld bei ihr. Einzig Bo, in den sie sich verliebt, spricht ihr zu, dort zu kündigen, bevor sie daran zerbricht. Doch auch auf ihn kann sie nicht lange zählen…
Immerhin ein Lichtblick nach Arbeitstagen, die sie regelrecht an ihre Grenzen bringen, bleibt – ihre Musik.

Caroline Wahls neuer Roman ist ein Spiel mit der Sprache, der Handlung und den Leser*innen an sich.
Durch Effekte des Vorwegnehmens, scheint die Handlung gespoilert zu werden, was aber nicht der Fall ist, da zumindest die grobe Story und deren Ausgang bereits vor dem Lesen hinlänglich bekannt sein dürfte, falls nicht spätestens nach wenigen Seiten.
Ihr durchaus rotziger und frecher Ton bleibt erhalten und gibt ungeschönt ihre Gefühlslage wieder. Dabei merkt man, wie dieser autofiktionale Roman und das Wiedererleben mancher Ereignisse die Autorin mitnimmt und immer noch nicht loslässt.

Jedoch verlor diese außergewöhnliche Art des Erzählens durch häufige Wiederholungen von Phrasen, wie „dazu später mehr“ oder mehrmaliger Erwähnungen von gleichen Geschehnissen, die noch in der Zukunft liegen, ihre Besonderheit und sorgte bei mir für ein eher distanzierteres Leseerlebnis. Da eigentlich kaum Handlung vorhanden war, erschienen mir zudem nicht wenige Stellen etwas langatmig.
Manchmal ist weniger vielleicht doch mehr.

Aber es ist kein schlechter Roman, nur einer der vielleicht zu viel möchte. Dennoch habe ich ihn, eben weil er so ganz anders als ihre bisherigen war, gerne gelesen und hoffe, dass er ein weiterer Stein ist, der die Mauer des Patriarchats zu Fall bringen wird.

Bewertung vom 27.08.2025
Am Grund des Himmels
Navarro, Mariette

Am Grund des Himmels


sehr gut

»Und so tun wir das, was wir immer tun: Wir begegnen der Brutalität der Welt, indem wir sie ignorieren.«

Claire hat eigentlich alles, was sie sich je gewünscht hat. Sie arbeitet bei einem großen, angesehenen Unternehmen und das, obwohl sie aus eher ärmlicheren Verhältnissen kommt. Ihre Gedanken beschäftigen sich mit ihrem neuen Leben und lassen ihre Herkunft gewissermaßen hinter sich. Eines Tages jedoch öffnet sie die Luke über dem Bürotrakt und steigt aufs Dach. Dort genießt sie den Blick, der ihr jedoch schnell bewusst macht, welches Leben sie aktuell lebt. Claire bleibt auf dem Dach. Auch als ein Sturm aufzieht, entschließt sie sich dort oben zu übernachten. Der Wind, der um sie fliegt, lässt sie über alles Nachdenken. Ist das noch ihr Leben, das sie leben möchte? Und was hat eigentlich ihr Job aus ihr gemacht? Ganz sicher eine Frau, die sie nie sein wollte.
Als sie am nächsten Morgen durch die Luke steigen möchte, sieht sie, dass sie zugefallen ist…

Wie bereits in Navarros erstem Roman findet sich eine Protagonistin an einem entlegenen Ort wieder, diesmal auf dem Dach während eines Unwetters.
Mit gewohnter sprachlicher Wucht und zugleich auf poetische Art und Weise kommt der Text daher. Er zieht die Leser*innen in den Bann, irritiert und verwirrt sie und reflektiert das Leben der Protagonistin, als Einladung zum Abwägen des eigenen Lebens und dessen Umstände. Man spürt nicht nur ihren Schmerz und die zurückgehaltene Wut, sondern meint den Sturm auf der eigenen Haut zu erahnen und ist schockiert über die Gleichgültigkeit ihrer Kolleg*innen.
Auch wenn ihr Debütroman schon komplex war, ist ihr zweiter Roman es nochmal in gesteigerter Form. Man muss sich auf den Text einlassen, ihn genau und sogar stellenweise mehrmals lesen, doch man wird belohnt. Tut man das, erlebt man einen Roman, der einen fordert und zum Nachdenken animiert, wie man ihn nur selten liest, wenn auch ihr neues Buch für mich nicht ganz an „Über die See“ heranreicht, das mich wirklich dermaßen begeistert hat!

Bewertung vom 27.08.2025
Botanik des Wahnsinns
Engler, Leon

Botanik des Wahnsinns


sehr gut

»Zu lange habe er in den Büchern gelebt, ein Fehler, er sei dem Leben so aus dem Weg gegangen.«

Alles beginnt damit, dass bei der Zwangsräumung der Wohnung seiner Mutter die Sachen von Wert mit den nutzlosen verwechselt wurden und alles, was ihm nun bleibt, Nichtigkeiten aus dem gemeinsamen Leben sind. Nichtigkeiten, aus bewegten Leben, die alle ihre eigenen Kämpfe zu bestreiten hatten. Seien es seine Eltern oder gar Großeltern – sich selbst nicht ausgenommen. Der Vergangenheit zugewandt erzählt der Protagonist Leon von seiner Familie, von Suizid, Abhängigkeiten und der stetigen Hoffnung auf ein besseres Leben. In seinen Erinnerungen begegnet er sich selbst und seiner größten Angst, auch so zu enden, sodass am Ende von ihm nichts bleibt – mit Ausnahme eines Haufens von Nichtigkeiten.

Voller Schmerz, Sorge und aufkeimender Hoffnung hinsichtlich der Familie, die doch immer mehr in Hoffnungslosigkeit umschlägt, erzählt der Protagonist seine eigene Geschichte und zugleich die seiner gesamten Familie. Selten habe ich ein derartiges Buch gelesen, mit so vielen klugen Sätzen, in denen man sich selbst wiederzufinden scheint und die einen auf unverhoffte Weise mehr berühren, als sie es vielleicht sollten.
Jedoch fiel es mir schwer, allen einzelnen Schicksalen zu folgen, einfach weil bei jedem Einzelnen so viel bei passiert und man schnell den Überblick hinsichtlich der Handlung und den erwähnten Figuren verliert. Der Hauptstrang – das Leben des Protagonisten selbst – führte die ausschweifenden Handlungen wieder zusammen und machte deutlich, dass man wahrscheinlich gar nicht alles verstanden haben muss, sondern diese Überforderung an Schicksalen, mit welcher der Protagonist konfrontiert wird, auf die Leser*innen übergehen soll.
Besonders gelungen fand ich die essayistischen Einflechtungen über Literatur, Philosophie und Psychologie.
Der Autor wollte mit seinem Buch viel – vielleicht zu viel? – und hat es auch damit erreicht, denn ganz sicher wird man so ein Buch selten nochmal zu lesen bekommen.

Bewertung vom 27.08.2025
Heimat
Lühmann, Hannah

Heimat


ausgezeichnet

»Männer, die dir im Haushalt helfen wollen, sind das Schlimmste.«

Als Jana mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern von der Großstadt weg aufs Land zieht, ist erstmal alles anders. Sie kündigt ihren Job, ohne es ihrem Mann zu sagen und ist erneut schwanger. Dabei ist sie schon mit ihren zwei jetzigen Kindern total überfordert und froh, wenn diese den ganzen Tag in der KiTa betreut werden können. Schon bald begegnet sie Karolin, welche sogar die Erziehung ihrer fünf Kinder mit Leichtigkeit zu meistern scheint. Karolins scheinbar unbeschwerte Art durchs Leben zu gehen, immer da zu sein und mit guten Tipps behilflich zur Seite zu stehen, wirkt sympathisch. Auch Jana ist angetan und freundet sich schnell mit ihr an. Als Jana ihr jedoch auf Instagram folgt, entdeckt sie eine nicht geahnte Seite, schließlich inszeniert diese sich als „Tradwife“. Jana merkt, welchen Sog Karolin auf sie ausübt und dass sich ihre Welt und ihre eigene Sicht darauf zu verändern scheinen. Sie beginnt Vieles zu hinterfragen und bemerkt, dass auch bei Karolin nicht alles so perfekt ist, wie es scheint.

Dieser Einblick in Janas Familienleben, ihr Zurechtfinden in ihrer neuen Heimat sowie ihre Konfrontation mit traditionellen Rollenbildern durch Karolins Auftreten wird eindrücklich geschildert. Dabei neigt die Autorin nicht zu Übertreibungen, sondern beschreibt eine realistische Situation, wie es sie mittlerweile wahrscheinlich gar nicht mehr allzu selten gibt. Höchstens verharmlost sie noch teils etwas.

Das Buch begeistert durch dessen nüchterne und bedrückende Klarheit, welche die Leser*innen zu genauem Beobachten auffordert und anregt, sich eine eigene Meinung davon zu bilden.
Aktueller und eindrücklicher geht es kaum!

Das abrupte Ende des Romans hat mich hingegen mit einigen Fragen zurückgelassen, da sich die bisherige Handlung eher wie eine ausführliche Hinführung zur eigentlichen Thematik angefühlt hat. Ich hätte gerne weitergelesen, um tiefer in die Geschichte einzutauchen und zu erfahren, wie es weitergeht.
Dennoch – was für ein toller und eindrücklicher Roman!

Bewertung vom 18.08.2025
Kurilensee
Klink, Sophia

Kurilensee


sehr gut

»Wir beuten aus, was geht. Ist nur die Frage, um welchen Preis.«

Schon seit mehreren Jahren ist die dreißigjährige Anna von Mai bis September teil eines Forschungsteams am Kurilensee, um den Lachsbestand zu bestimmen und die dortigen Wasserverhältnisse sowie Lebensbedingungen für die Fische zu überprüfen. Aufgrund des Klimawandels und kommerzieller Überfischung ist die Lachspopulation schwindend.
Das Team der Forschungsstation besteht aus ganz verschiedenen Persönlichkeiten, was ein Zusammenleben über den Zeitraum und solch einer Abgeschiedenheit nicht eben leichter, aber für uns Leser*innen ansprechender macht. Noch dazu die wilde Natur Kamtschatkas um sie herum. Glücklicherweise ist auch ihr Partner Vova dabei.
In diesem Jahr soll zudem abgewägt werden, ob eine Düngung des Sees ratsam sei oder ob dies die vorherrschenden Begebenheiten nur noch verschlimmern würde…

Die Autorin Sophia Klink verwebt in dieser Geschichte viel biologisches, geografisches und anatomisches Wissen, was den Roman meiner Meinung zwar ein bisschen trockener macht, aber die erzählende Perspektive um eine wissenschaftliche ergänzt, aus der man viel mitnehmen kann. Dementsprechend empfand ich, je mehr ich von dem Buch las, den Stil stellenweise sehr distanziert und manchmal fast journalistisch.
Andererseits wird in vielen knappen, sanft dahinplätschernden und oft poetisch anmutenden Sätzen viel geschildert. Sei es betreffend gelungener Landschaftsbeschreibungen, der meist nicht sichtbaren Magie der Natur und der Wildnis Kamtschatkas oder hinsichtlich des Alltags der Forschungsstation.
Besonders viele innere Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt der Protagonistin Anna werden präzise herausgearbeitet.

Auf leise Art überzeugt dieser idyllische Roman durch viele Zwischentöne, das Sichtbarmachen von sonst Unsichtbarem und einem – manchmal zu – ruhigen aber dennoch überzeugten Weckruf für ein aktives Handeln, nicht nur den Kurilensee betreffend.

Bewertung vom 18.08.2025
Erinnern nicht vergessen
Katheder, Doris;Betz, Astrid;Prölß-Kammerer, Anja

Erinnern nicht vergessen


ausgezeichnet

»Woran sich eine Gesellschaft erinnert, prägt ihre Identität, denn: Die Vergangenheit ist der Resonanzraum für unsere Gegenwart.«

Nürnberg ist nicht nur Kaiserstadt und ein in vielerlei Hinsicht geschichtsträchtiger Ort, sondern auch eine Stadt, die sich bewusst mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt und diese in das heutige Stadtleben integriert.
Besonders zur Zeit des Nationalsozialismus fiel Nürnberg eine bedeutende Rolle zu. Dort fanden auf dem eigens dafür angelegten Reichsparteitagsgelände riesige Reichsparteitage statt, die Nürnberger Gesetze wurden am 15. September 1935 verabschiedet und ab Ende 1945 begannen die Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher.
Auch zahlreiche Razzien und Deportationen nicht nur von jüdischen Menschen, sondern auch von Homosexuellen, sog. „Asozialen“, Zeugen Jehovas, etc. ereigneten sich.
Darüberhinaus streckte sich der Greifarm des Gedankenguts in die jüngere Vergangenheit – allein in Nürnberg wurden drei türkische Männer vom NSU ermordet.

Dieses Buch widmet sich vielen Schicksalen, die sich in Nürnberg ereigneten und denen mit diesem Buch, aber auch durch Gedenkorte, gedacht wird.
Die jeweiligen Kapitel widmen sich verschiedenen Gedenkorten hinsichtlich ihrer Geschichte hin zu der Bedeutung als Mahnmal und Reflexion für unsere Zeit und unser eigenes Handeln.
Ergänzt werden sie teilweise durch Kurzinterviews und einigen Schilderungen von persönlichen Schicksalen von Opfern oder Widerstandskämpfer*innen, was das Buch bereichert, da sie eindrücklich auf die Leser*innen wirken und die unzähligen grausamen Morde unschuldiger Menschen schonungslos vor Augen führen.
Ich wusste weder etwas von dem Goldenen Saal unter der Zeppelintribüne auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände, eines KZ-Außenlagers oder dem ehemaligen „Lagerfriedhof“.

In Zeiten, in denen Erinnerungskulturen von nicht wenigen in Frage gestellt werden, ist die Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit umso wichtiger.

Bewertung vom 18.08.2025
Das Bierkomplott
Heer, Carina

Das Bierkomplott


ausgezeichnet

»Nicht alles, was man mit eigenen Augen zu sehen glaubt, ist auch wirklich wahr.«

Nachdem sich Evi Pflaum von ihrem Ex-Freund getrennt hat, ist sie wieder in ihr Heimatdorf Schweinsbrunn und tritt ihren neuen Job als Staatsanwältin an. Gleich am ersten Tag läuft alles anders wie erwartet. Erst weiß sie nicht, wie sie dorthin kommen soll, dann nimmt sie Peter mit, der sich ständig misogyn und sexistisch äußert und zuletzt gibt es auch schon bald eine Leiche. Und es bleibt nicht nur bei einer. Außerdem machen es ihr einige neuen Kolleg*innen nicht gerade leicht. Doch sie bleibt sich selbst und ihrem Sinn für Gerechtigkeit treu. Ein einziger Lichtblick in diesem familiären und beruflichen Schlamassel scheint der grünäugige Gerichtsmediziner Dr. Rosenbeet.

Obwohl ich selbst gebürtig aus Franken bin, fühle ich mich der dort nicht wirklich daheim und meide Vieles, was damit zu tun hat, u.a. auch Franken-Krimis. Als mich Carina Herr angefragt hat, ihren Debütroman zu lesen, war ich dementsprechend skeptisch, aber auch neugierig, mir mal ein eigenes Bild davon zu machen und so las ich – ganz untypisch für mich – meinen ersten Franken-Krimi.

Und wirklich, der Krimi ist nicht nur nicht schlecht, sondern hat mich wirklich gut unterhalten! Besonders überzeugt er durch die schöne, gemäß dem Genre erwartend, gar nicht zu simple Sprache, etlichen humorvollen Szenen und dem Plot!
Dabei wird die oft derbe fränkische Lebensart gut abgebildet und aktuelle gesellschaftliche Themen finden Erwähnung.
Wer zudem in Bamberg wohnt oder sich dort etwas auskennt, wird in diesem Krimi, obwohl die Autorin sowohl die Stadt als auch geschilderte Örtlichkeiten nicht beim Namen nennt, sondern fiktionalisiert, auf einiges Bekanntes stoßen.

Es hat sich also gezeigt, dass es sich lohnt, den eigenen Horizont mal zu öffnen und sich an neue Genres zu wagen, die außerhalb des persönlichen Gewohnten liegen.