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Kirstin

Bewertungen

Insgesamt 28 Bewertungen
Bewertung vom 06.07.2025
Treppe aus Papier (eBook, ePUB)
Szántó, Henrik

Treppe aus Papier (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Bereits der erste Satz des Romans "Treppe aus Papier" vermittelt einen umfänglichen Eindruck der Sprachgewandtheit und Wortgewalt des Autors Henrik Szantó - denn er ist fast vier Seiten lang. In diesem ersten Satz listet das Haus, in dem es in dem Buch geht, zahllose Erlebnisse, Gefühle und Eindrücke auf, die im Laufe der Jahrzehnte in seinen Mauern gemacht wurden. Die Erzählperspektive ist so ungewöhnlich wie kreativ - der gesamte Roman ist aus der Sicht des Hauses geschrieben. Es kennt keinen linearen Zeitablauf und so geschieht für das Haus immer alles gleichzeitig - während die Teenagerin Nele, die das Haus in unserer Gegenwart mit ihren Eltern bewohnt, mit ihrem Hund Balu die Treppe hinunterläuft, hüpft Ruth Sternheim, ein jüdisches Mädchen, dass zur NS-Zeit dort lebte, die Treppe hinauf. Auch die 90jährige Irma lebt in dem Haus, und zwar bereits seit ihrer Geburt. Irma kannte Ruth, durfte aber von Seiten ihrer Nazi-Eltern keinen Kontakt mit ihr pflegen. Als Nele Irma näher kennenlernt und mit ihr in Gespräche über die Zeit des Nationalsozialismus kommt, sehen sich beide mit ihrer Familiengeschichte konfrontiert, mit dem, was verdrängt wird und dem, was nicht ausgesprochen werden kann.
Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zur Erinnerungskultur und mahnt, dass auch junge Generationen nicht die Augen vor dem verschließen dürfen, was durch Ignoranz, Hass und Überlegenheitsdenken zur schlimmsten Katastrophe der deutschen Geschichte geführt hat. Gleichzeitig ist es aber auch voller Hoffnung, denn das Haus hat einen sehr liebevollen Blick auf die meisten seiner Bewohner und ihre Eigenheiten.
Obwohl der Autor literarisch anspruchsvoll schreibt, formt er seine Worte so flüssig und poetisch zu Sätzen, dass man beim Lesen in einen regelrechten Flow gerät. Mich hat dieser Roman tief beeindruckt.

Bewertung vom 20.06.2025
Zypressensommer
Simon, Teresa

Zypressensommer


sehr gut

Die junge Goldschmiedin Julia reist nach dem Tod ihres geliebten Großvaters von Hamburg in die Toskana. Im Gepäck hat sie einen Zettel mit Namen, die ihr der Opa kurz vor seinem Tod anvertraut hat. So begibt sich Julia auf eine Reise in die Vergangenheit ihrer Familiengeschichte, die ihren Ursprung im letzten Jahr des zweiten Weltkrieges hat. Während der Großvater als Kriegsgefangener in Hamburg Zwangsarbeit leisten musste, kämpfte sein Bruder bei den italienischen Partisanen. Beide liebten dasselbe Mädchen, Giulia. Die Handlung entfaltet sich auf zwei Zweitebenen. Julia reist im Jahr 1998 in die Toskana, parallel zu Julias Geschichte gibt es den Zeitstrang ab 1944, der abwechselnd aus Giannis und Giulias Sicht erzählt wird. Die Autorin Teresa Simon nimmt hier das weitgehend unbekannte Schicksal der italienischen Militärinternierten in den Blick, die Geschichte ist sehr gut recherchiert und spannend erzählt. Und da Julia im kleinen Städtchen Lucignano sehr rasch auf den attraktiven Matteo Conti trifft, ist der Roman auch etwas fürs Herz

Bewertung vom 15.06.2025
Die Hummerfrauen (eBook, ePUB)
Gerstberger, Beatrix

Die Hummerfrauen (eBook, ePUB)


sehr gut

"Die Hummerfrauen" erzählt die Geschichte von Ann, Julia und Mina - drei Frauen aus unterschiedlichen Generationen, die das Leben an die Küste von Maine gespült hat. Während Ann und Julie sich nach Schicksalsschlägen in Stone Harbour niedergelassen haben und Hummerfischerinnen geworden sind, wird Mina tatsächlich eines Tages - nach einem Kajakunfall- am Strand angespült. Es ist jedoch kein Zufall, dass sie sich in der Nähe aufhielt, denn auf der Nachbarinsel Eagle Island hat Mina viele unbeschwerte Sommer ihrer Kindheit verbracht, nach denen sie sich zurücksehnt. Bei Ann findet sie ein Zuhause und in den beiden älteren Frauen gute Freundinnen, die sie endlich so akzeptieren, wie sie ist. Das Buch erzählt nicht nur von Freundschaft, sondern auch von der Liebe und ihrem Glück und Unglück, ihrer Unbeschwertheit und ihrer Bürde. So trifft Mina Sam wieder, ihren Freund aus Kindheitstagen. Beide verbindet ein schweres Schicksal, denn sie verloren durch tragische Unfälle ihre älteren Brüder. Dass Mina nicht locker lässt und nach Verbindungen sucht, belastet die beginnende Partnerschaft.
Beatrix Gerstberger hat in ihrem Buch starke Charaktere erschaffen, die eigenwillig, stark, freiheitsliebend und manchmal ein wenig kauzig sind. Sie schreibt abwechslungsreich und flüssig, so dass die Lektüre Freude bereitet.

Bewertung vom 09.06.2025
Lauter kleine Lügen
Kemp, Kate

Lauter kleine Lügen


ausgezeichnet

Mit „Lauter kleine Lügen“ ist Kate Kemp ein vielschichtiger und spannender Roman gelungen, der, obwohl seine Handlung im Jahr 1979 angesiedelt ist, hochaktuelle Themen aufgreift. Es geht um die Menschen am Warrah Place, einer Straße in Canberra, die einen Mörder in ihren Reihen suchen. Das Opfer ist der 19-jährige Antonio und bereits auf der ersten Seite weiß man, wer ihn ermordet hat. Doch was trieb den Täter zu diesem Mord? Die Handlung springt auf einer Zeitschiene mehrere Monate vor dem Mord bis einige Zeit danach von Kapitel zu Kapitel hin und her, so dass sich das Geschehen in den einzelnen Häusern am Warrah Place immer mehr entfaltet. Die Geheimnisse und Verbindungen der Menschen werden immer klarer und sind so unterschiedlich, wie die Menschen selbst. Es geht um Liebe und Betrug, Fremdenfeindlichkeit, patriarchale Strukturen, Feminismus und gleichgeschlechtliche Beziehungen. Und mittendrin agiert die 12jährige Tammy, die selbst ein wenig verliebt in Antonio war und es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Mord aufzuklären. Dabei stiftet sie durch ihre oftmals sozial ungeübte Persönlichkeit mehr Schaden als ihr lieb ist.
Das Buch ist eine absolute Leseempfehlung für alle, die subtile Spannung und gesellschaftskritische Literatur mögen. Kate Kemp schreibt sehr flüssig, bisweilen bissig und mit ironischem Unterton. Ein großes Leseerlebnis!

Bewertung vom 09.06.2025
Das Licht in den Wellen
Mommsen, Janne

Das Licht in den Wellen


ausgezeichnet

Mit "Das Licht in den Wellen" von Janne Mommsen hält man ein wunderschön gestaltetes Buch in den Händen, das bereits durch die Coverillustration die Sehnsucht nach dem Meer weckt und auf das Trefflichste auf den Buchinhalt vorbereitet: Mit Anfang 20 verlässt Inge, eine Föhrer Bauerstochter, ihre Heimatinsel und erhofft sich im pulsierenden New York einen Neuanfang. Was sie von ihrer geliebten Insel wegtreibt, bleibt lange im unklaren. Die Sehnsucht nach Föhr und Inges Verwurzelung in ihrer Heimat wird aber immer deutlich. Durch ihre besondere Persönlichkeit und ihre Begabung, ausgefallene Gerichte zuzubereiten, schafft sie es, sich in New York von einer einfachen Verkäuferin in einem Delikatessenladen zur Besitzerin eines gehobenen Restaurants hochzuarbeiten.
Erzählt wird die Geschichte rückblickend aus Inges Perspektive, denn nun, mit 100 Jahren und seit vielen Jahren zurück auf Föhr, möchte sie noch einmal die Überfahrt nach New York antreten, begleitet von ihrer Urenkelin Swantje. Auch diese scheint an einem Scheidepunkt in ihrem Leben zu stehen und ist unsicher, wie sie in die Zukunft gehen soll. Inge hofft, durch diese Reise nicht nur sich selbst Frieden zu verschaffen, sondern auch Swantje helfen zu können.
Besonders gut hat mir an diesem Buch die liebevolle Charakterisierung der Figuren gefallen. Vor allem Inge wird so natürlich, sympathisch und herzlich beschrieben, dass man sie einfach gerne haben muss.

Bewertung vom 09.06.2025
Von einem Mädchen, das das Schreiben liebte. Jane Austen
Hopkinson, Deborah

Von einem Mädchen, das das Schreiben liebte. Jane Austen


sehr gut

Das Bilderbuch "Von einem Mädchen, das das Schreiben liebte - Jane Austen" bezaubert zunächst durch die zarten, aquarellierten Illustrationen von Qin Leng. Passend zur Regency-Epoche, in der Jane Austen lebte, sind die Bilder romantisch-verspielt, aber sehr authentisch und die jungen Lesenden können sich eine gute Vorstellung vom Leben einer gut situierten Familie in der damaligen Zeit verschaffen. In ihren Texten erzählt die Autorin Deborah Hopkins von der frühen Liebe der kleinen Jane zu Geschichten und Büchern, vom Leben in ihrer großen, fröhlichen Familie und davon, wie vor allem Janes Vater ihre Liebe zum Lesen und Schreiben förderte und unterstützte - ganz sicher etwas Besonderes Ende des 18. Jahrhunderts. Abgerundet wird dieses wunderschöne Bilderbuch von einer Zeittafel, die die wichtigsten Lebensdaten Jane Austens enthält und einem "Bücherregal", in dem all ihr Werke kurz mit ihrem Inhalt, dem Erscheinungsjahr und berühmten Zitaten vorgestellt werden. Ein Buch, das ermutigt, den eigenen Träumen zu folgen und an sich zu glauben. Einzig mit der Auswahl einer anderen Schriftart und dem Verzicht auf Kommentare in Klammern hätte man das Layout für junge Alleinlesende noch etwas vereinfachen können.

Bewertung vom 09.06.2025
Die Frau und der Fjord (eBook, ePUB)
Strohmeyer, Anette

Die Frau und der Fjord (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

"Die Frau und der Fjord" ist ein ruhiges und gefühlvolles Buch über die junge Witwe Gro, die in der Einsamkeit eines Fjords auf den Lofoten versucht, den Verlust ihres verstorbenen Mannes und die Trauer zu bewältigen. Umgeben von der überwältigenden und oftmals lebensfeindlichen, rauen Natur nördlich des Polarkreises geht es erstmal nur ums reine Überleben für Gro, auf mehreren Ebenen. Ihren Beruf als Geologin, die erfolgreich auf Ölplattformen am Aufspüren neuer Ölfelder beteiligt war, will sie nicht mehr ausüben, jeglicher sozialer Kontakt ist ihr zu viel. Doch nach und nach gelingt es ihr, wieder Freude am Leben und am Erblühen der Natur zu finden. Langsam findet Gro einen Weg zurück ins Leben. Dabei hilft ihr auch die Begegnung mit Jens, den sie in einer stürmischen Nacht aus Seenot rettet und der daraufhin einige Tage bei ihr strandet.
Die Autorin Anette Strohmeyer erzählt Gros Geschichte völlig authentisch und man kann die Entwicklung der Protagonistin und die Phasen ihrer Trauer sehr gut verfolgen. Besonders gut gefällt mir ihr teils poetischer und einfühlsamer Schreibstil sowie die Beschreibungen der gewaltigen Natur. Das wunderschöne Cover zeigt ein Foto eines Fjords, das die Autorin selbst geschossen hat. Genauso stelle ich mir Gros Fjord vor.

Bewertung vom 08.06.2025
Wo wir uns treffen
Hope, Anna

Wo wir uns treffen


ausgezeichnet

Wer spannend inszenierte Familiengeschichten mag, die klug und wendungsreich inszeniert sind, kommt bei Anna Hopes Roman "Wo wir uns treffen" ganz sicher auf seine Kosten. Die Autorin entwickelt ein feinsinniges und subtiles Beziehungsgeflecht der Familie Brooke, die sich auf dem riesigen Landsitz in Sussex trifft, um das Familienoberhaupt, Philipp Brooke, zu beerdigen. Kein einfacher Mensch, dieser Vater und Ehemann, von dem sie sich verabschieden, viele Kränkungen und Unterlassungen prägten das Leben mit und ohne ihn und machten seine Kinder und seine Gattin zu denjenigen, die sie nun sind und wie sie sich begegnen. Unerfüllte Bedürfnisse, unterdrückte Gefühle und über allem eine drohende Gefahr - Anna Hope versteht es meisterlich, ihre Charaktere authentisch zu entwickeln. Dass ein englischer Landsitz nicht nur ein wertvoller Besitz, sondern auch eine Bürde mit unrühmlicher Geschichte sein kann - in diesem Buch glaubt man es sofort.

Bewertung vom 08.06.2025
Perlen
Hughes, Siân

Perlen


sehr gut

Die britische Autorin Siân Hughes erzählt auf ruhige und berührende Weise die Geschichte von Marianne. Aus der Ich-Perspektive geschildert blickt Marianne zurück auf ihr Leben, seit sie im Alter von acht Jahren ihre Mutter verlor. An einem regnerischen Februartag verließ diese das Haus und ließ Marianne, ihr neugeborenes Baby und ihren Ehemann zurück. Das Schicksal der Mutter konnte sich nie ganz aufklären und während ihrer Adoleszenz prägte diese Tragödie Mariannes Leben immens. Dem Lesende/r erschließt sich das Leid der Familie nicht ganz unmittelbar, denn durch die Ich-Erzählung nimmt man die Ereignisse durch Mariannes Filter wahr. Erst als Mariannes selbst Mutter wird, scheint sie in der Lage, sich ihrer Trauer zu stellen und ihren Weg bis zu diesem Zeitpunkt zu reflektieren. Es ist berührend und schön, als Lesende/r gemeinsam mit Marianne in die Erinnerungen an ihre Mutter eintauchen zu können, teilzuhaben an gemeinsamen Ritualen, Geschichten und Reimen. Die Autorin stellt an den Anfang jeden Kapitels einen englischen Abzählvers, den Marianne und ihre Mutter kannten. Dieser fängt die Inhalte und Stimmungen der Kapitel sehr gut ein.
Für alle, die ruhig erzählte Geschichten mit emotionaler Tiefe lieben, ist dieses Buch eine klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 08.06.2025
Eine Welt nur für uns
Deya, Claire

Eine Welt nur für uns


sehr gut

Die Autorin Claire Deya nimmt die Lesenden mit in die letzten Wochen des zweiten Weltkrieges. An der Cote d`Azur ist eine Truppe mutiger Männer um den ehemaligen französischen Widerstandskämpfer Fabien damit beschäftigt, die Strände von Minen zu räumen. Zu ihnen gesellt sich Vincent, der eine Gelegenheit sucht, mit den zum Minensuchen zwangsverpflichteten deutschen Kriegsgefangenen in Kontakt zu kommen. Denn sein einziges Interesse gilt der Suche nach seiner großen Liebe Ariane, die er in deutscher Kriegsgefangenschaft aus den Augen verloren hat und die untergetaucht zu sein scheint. Fortan sucht er wie besessen nach Hinweisen auf ihren Aufenthaltsort und es scheint einen deutschen Gefangenen zu geben, der ihm helfen könnte. Dann ist da noch Saskia, die nach ihrer Befreiung aus einem deutschen Lager in ihre Heimatstadt zurückkehrt, in der Hoffnung, hier ein wenig Frieden zu finden. Doch ihr ehemaliges Haus wird bewohnt von Fremden und sie wird verjagt. Durch einen Zufall trifft sie auf Vincent, der ihr zur Hilfe kommt. Während Saskia durch ihre Beharrlichkeit und ihren Mut ein Stück weit wieder zurück ins Leben findet, scheint sich Vincent immer weiter davon zu entfernen und bringt nicht nur sich selbst mit seiner Suche in Gefahr.
Besonders beeindruckt haben mich die biographischen Bezüge des Buches, die man dem Nachwort entnehmen kann. Die Geschichte Saskias hat sich genau so ereignet und in der Person des Vincent setzt die Autorin in einigen Details ihrem Großvater ein Denkmal. Die Charaktere werden sehr ambivalent und glaubwürdig geschildert. Ein paar Längen hatte das Buch für mich persönlich in den detaillierten Beschreibungen der unterschiedlichen Minentypen.