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Ste

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Insgesamt 219 Bewertungen
Bewertung vom 14.12.2025
Katzentage
Arenz, Ewald

Katzentage


sehr gut

Inhalt: Paula und Peter sind bereits seit längerer Zeit Arbeitskollegen, die sich - abgesehen von kurzem Smalltalk im Aufzug, einzelnen Mittagessen in der Kantine und gemeinsam absolvierten Seminaren - kaum kennen. Doch das aktuelle Seminar endete anders als geplant: in einer gemeinsamen Nacht. Jetzt sitzen die beiden im ICE gen Heimat - und wissen nicht so recht, wie ihre Beziehung nun ist. Als der ICE wegen eines Streiks in Würzburg stoppt, entscheiden die beiden kurzerhand, dort das Wochenende zu verbringen - und drücken in Sachen Alltag kurz auf Pause…

Persönliche Meinung: “Katzentage” ist ein Kurzroman von Ewald Arenz, der in Würzburg spielt. Erzählt wird die Handlung von einem allwissenden Erzähler, der mal in Paulas, mal in Peters Perspektive schlüpft. Beide sind bereits um die 40 und haben mehrere (erfolglose) Beziehungen hinter sich. Dass sie sich annähern, war weder gewollt noch geplant, trotzdem ist es passiert. Die aufkeimende, zarte Beziehung der beiden mit all ihren Unsicherheiten, Momenten des Kennenlernens und Neckereien stellt Ewald Arenz empathisch und gefühlvoll dar. Atmosphärisch gestaltet Arenz auch die sogenannten “Katzentage” der beiden: Tage, in die man - ohne Termindruck oder sonstige Verpflichtung - nur in dem Moment lebt und einfach schaut, was passiert. Für Paula und Petra heißt das - neben dem Annähern - einerseits Würzburg und Umgebung zu bestaunen (inklusive einer unheimlich berührenden Fahrradfahrt), andererseits über das Glücklichsein aber auch die Endlichkeit zu sinnieren, wodurch der Kurzroman zwischen Melancholie und Euphorie changiert. Stimmungsvoll wird auch die Handlungszeit des Romans eingefangen: Die ersten Oktobertage, in denen verheißungsvoll-sommerlich noch die vergangene Jahreszeit nachklingt. Ergänzt wird der Text durch zahlreiche ausdrucksstarke wie farbenprächtige Illustrationen von Florian Bayer: Kleine Kunstwerke, die die beschriebenen Szenen stimmig einfangen, die man durchaus aber auch eingerahmt in die eigenen vier Wände hängen könnte. Insgesamt ist “Katzentage” trotz seiner Kürze ein ungemein tiefsinniger Roman, der längere Zeit nachhallt.

Bewertung vom 14.12.2025
Über die Toten nur Gutes / Ein Trauerredner ermittelt Bd.1
Izquierdo, Andreas

Über die Toten nur Gutes / Ein Trauerredner ermittelt Bd.1


sehr gut

Inhalt: Unverhofft erreicht den Trauerredner Mads Madsen eine tragische Nachricht: Patrick, sein bester Freund aus Kindheitstagen, zu dem er aber seit mehreren Jahren keinen Kontakt mehr hatte, ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Patricks letzter Wunsch: Mads soll seine Trauerrede halten. Daher beginnt Mads über die jüngste Vergangenheit seines ehemals besten Freundes zu recherchieren - doch in Patricks Freundeskreis stößt Mads mit seinen Nachfragen auf Schweigen, Abweisung und Aggression. Und plötzlich hat Mads ganz andere Sorgen, als eine Trauerrede zu schreiben…

Persönliche Meinung: “Über die Toten nur Gutes” ist ein Kriminalroman von Andreas Izquierdo. Es handelt sich um den Auftakt einer neuen Krimireihe, in deren Mittelpunkt der Trauerredner Mads Madsen steht. Mads ist eine sympathisch gestaltete Figur: Er ist ein bisschen naiv und verpeilt, gleichzeitig aber auch empathisch und warmherzig. Die Handlung des Krimis beginnt behutsam: Ehe es mit dem eigentlichen Fall losgeht, werden die Figuren in einer witzigen Exposition, die die Lesenden außerdem schön aufs Glatteis führt, vorgestellt. Danach entwickelt sich die Handlung zu einer spannenden Kriminalgeschichte, die sich um das Mysterium “Patrick” dreht. Was hat er in den letzten Jahren getrieben? In welchem Umfeld bewegte er sich? Warum weigern sich seine Freunde, über ihn zu reden? Für weitere Spannung (und Tragik) sorgt dabei, dass eins von Patricks Geheimnissen eng mit der Freundschaft zu Mads verbunden ist. Die Rätselhaftigkeiten um Patrick werden in einem stimmigen Tempo und mit überraschenden Wendungen nach und nach offenbart - bis zum fulminanten Finale. Wie man dem Bisherigen schon indirekt entnehmen konnte, ist der thematische Hintergrund des Krimis nicht unbedingt einfach: Die handelnden Figuren arbeiten in der Bestattungsbranche, Tod und Trauer spielen eine wichtige Rolle, Friedhof und Bestattungsinstitut sind Handlungsorte. Dennoch gelingt es Andreas Izquierdo, eine leichtfüßige Geschichte zu erzählen, was einerseits an dem sehr flüssigen Stil liegt, andererseits mit dem Humor zusammenhängt, der sich im Krimi findet: Viele der Figuren, insbesondere Mads Vater, sind skurril und eigen, wodurch es zu mehreren humorvollen Szenen kommt. Insgesamt ist “Über die Toten nur Gutes” ein spannender wie lustiger Reihenauftakt mit einer unkonventionellen Ermittlerfigur.

Bewertung vom 14.12.2025
Gruselige Stunden
Hargrave, Kiran Millwood;Shepherd-Robinson, Laura;Turton, Stuart

Gruselige Stunden


sehr gut

“Gruselige Stunden”, erschienen im DuMont Verlag, versammelt sechs winterliche Schauergeschichten namhafter Autoren. Den Auftakt macht Kiran Millwood Hargrave mit “Wirt”: Die Waise Mary lebt gemeinsam mit ihrem Bruder Abel im Elendsviertel Jacob’s Island - doch als ein wohlhabender Mann in der Unterkunft der beiden auftaucht und Mary ein besseres Leben verspricht, scheint das ärmliche Leben ein Ende zu finden. Mary ahnt allerdings nicht, worum es dem Mann wirklich geht… “Wirt” ist eine atmosphärisch düstere Erzählung, die spannungstechnisch geschickt aufgebaut ist, da sich Hintergründe erst nach und nach entfalten; zudem findet sich eine schöne Portion Tragik. Die Grundidee, die sich bereits im Titel offenbart, ist zwar eher konventionell, trotzdem ist “Wirt” eine durchaus lesenswerte, unterhaltsame Erzählung. Es folgt “Inferno” von Laura Shepherd-Robinson, das im Italien des 18. Jahrhunderts spielt. Jasper Godolphin, ein undurchsichtiger Protagonist, sucht Zuflucht in einem auf einer Insel gelegenen ehemaligen Kloster. Dort erwartet ihn allerdings nicht - wie abgesprochen - sein bester Freund, sondern die Eigentümerin des Gebäudes und deren Diener. “Inferno” war für mich ein Highlight des Bandes: Die Bewohner des ehemaligen Klosters sind verschroben, irgendwie merkwürdig, ohne dass man dies (zu Beginn) direkt greifen könnte, sodass dichte Mystery-Vibes entstehen. Durchdacht werden Brotkrumen gelegt, die auf das Geheimnis des ehemaligen Klosters hinweisen, sodass eine schöne Spannungskurve entsteht - was es mit dem Kloster auf sich hat, wird stimmig aufgelöst. Sehr hat mir auch die folgende Erzählung “Der Herr des Hauses” (Stuart Turton) gefallen. Henry Carrow, alleinerziehender Vater, lebt gemeinsam mit seinem Sohn Thomas, dem er streng und gefühlskalt begegnet, in einem Herrenhaus. Dort erscheint eines Weihnachtstages ein Monsterwesen und nimmt Thomas mit sich; um Thomas zu retten, muss Henry in eine Anderswelt reisen. Erinnernd an Charles Dickens “A Christmas Carol” sieht Henry dort die zukünftigen Weihnachten von Thomas, die dieser nach einer Adoption erlebt. Turton gelingt hier eine einzigartige Mischung aus Horror und - mit den Beschreibungen der zukünftigen Weihnachtsfeste - Heimeligkeit; zudem findet sich am Ende der Handlung eine schöne Botschaft. Wirklich eine rundum gelungene Weihnachtserzählung! Leiser kommt Imogen Hermes Gowars “Doppelter Faden” daher: Im Fokus steht hier die Beziehung einer lebhaft arrogant dargestellten Gesellschaftsdame und ihrer Zofe; der Horror ist hier eher menschlicher Natur. Stark ist auch “Die Salzwunder” von Natasha Pulley: Flint, ein Priester, reist auf eine Insel, auf der sich derzeit Pilger aufhalten. Wunder tragen sich dort zu, doch gleichzeitig verschwinden einzelne Pilger - so wie die ursprünglichen Bewohner der Insel - spurlos, was Flint untersuchen soll. Die Geschichte besitzt eine hohe Spannungskurve, eine überraschende Auflösung sowie einen Twist am Ende. Zudem finden sich durch das spurlose Verschwinden der Pilger/Bewohner schöne Mystery-Vibes. Den Abschluss der Sammlung bildet “Verbannt” von Elizabeth Macneal. Ein Medium soll den rachedürstigen Geist von Rachel Erskine vertreiben - so will es der heimgesuchte Ehemann. Doch als das Medium Rachel Erskine beschwört, offenbart diese die Wahrheit über ihren Tod… “Verbannt” wird ebenfalls sehr atmosphärisch erzählt; besonders interessant ist, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht. Insgesamt ist “Gruselige Stunden” eine abwechslungsreiche Gothic-Wintergeschichten-Sammlung; die einzelnen Geschichten sind inhaltlich mal stärker, mal schwächer, aber alle sind unheimlich atmosphärisch erzählt.

Bewertung vom 01.12.2025
Sündflut 1784
Hasenkopf, Marco

Sündflut 1784


sehr gut

Inhalt: Köln 1784. Nur wenige Tage sind nach der verheerenden Flutkatastrophe, die Köln und Umland zerstört hat, ins Land gezogen. Während Amtmann Henrik van Venray versucht, die Aufbaumaßnahmen zu koordinieren, bricht die Apothekerwitwe Anna-Maria nach Mülheim auf, um sich den Zustand ihres flutversehrten Hauses genauer anzuschauen. Dort angekommen trifft sie auf einen Mann, der felsenfest behauptet, das Haus gehöre ihm - und nicht ihr. Unverhofft findet Anna-Maria sich in einem Gewirr aus Intrigen wieder, aus dem sie nur mit Hilfe entkommen kann…

Persönliche Meinung: “Sündflut 1784” ist ein historischer Kriminalroman von Marco Hasenkopf, der in Köln spielt. Es handelt sich um den Nachfolger von “Eisflut 1784” (ein sehr empfehlenswerter Roman!). Die Handlung der beiden Krimis ist je in sich abgeschlossen, allerdings ist es sinnvoll, zuerst “Eisflut 1784” zu lesen, da hier die Basis für die Figurenbeziehungen gelegt wird. Erzählt wird die Handlung aus drei personalen Figurenperspektiven: der aufgeklärte Henrik van Venray, der als primäre Ermittlerfigur auftritt, Anna-Maria, die ein selbstbestimmtes Leben führen möchte, und die bis zur Auflösung anonym bleibende Täterfigur. Eine große Stärke des Romans ist die atmosphärische Darstellung des historischen Hintergrunds: Wir laufen mit den Protagonisten durch Kölner Gassen und Plätze, begeben uns auch in die verrufenen Ecken der Stadt und begegnen dem viel gerühmten Kölner Klüngel. Interessant ist auch die Darstellung des in “Sündflut” grassierenden Hexenwahns mit Hexenprozess (auch wenn dieser eher aus dramaturgischen denn historischen Gründen eingebaut worden ist). Die Handlung ist aufgrund der offenen Täteridentität durchweg spannend; zudem findet sich am Ende ein kleiner Twist. In den Sprachduktus des Krimis muss man sich zunächst erst einfinden: Marco Hasenkopf nutzt einen archaisierenden Stil, mit dem der Sprech um 1780 nachgebildet werden soll. Je weiter man in der Handlung des Romans voranschreitet, desto flüssiger lässt er sich aber lesen. Insgesamt ist “Sündflut 1784” ein spannender historischer Krimi, der atmosphärisch dicht in das Köln am Ende des 18. Jahrhunderts (ent)führt.

Bewertung vom 16.09.2025
Die Meerjungfrauen von Aberdeen / Peter Grant Bd.10
Aaronovitch, Ben

Die Meerjungfrauen von Aberdeen / Peter Grant Bd.10


ausgezeichnet

Inhalt: Peter Grant hat eigentlich Urlaub. Doch dann wird im schottischen Aberdeen ein Schaf gerissen - scheinbar von einem Wildtier, das magische Anzeichen trägt. Also reist Peter kurzerhand mit seiner Frau (und Flussgöttin) Beverly und den Zwillingstöchtern nach Schottland, um Urlaub und Beruf miteinander zu verknüpfen. Mit dabei sind auch Peters Eltern und seine Cousine Abigail - wenn schon Familienurlaub, dann richtig. Gerade als Peter den Spuren des Wildtiers folgt, wird eine Leiche aufgefunden: Ein Mann mit Kiemen…

Persönliche Meinung: “Die Meerjungfrauen von Aberdeen” ist mittlerweile Ben Aaronovitchs 10. Fall um den magischen Ermittler Peter Grant (die sechs Kurzromane nicht eingerechnet). Falls man mit dem aktuellen Roman in die “Flüsse von London”-Reihe quereinsteigen möchte, ist dies prinzipiell möglich, da der Fall in sich abgeschlossen ist. Natürlich ist es aber sinnvoll, die Reihe chronologisch zu lesen, um die Beziehungen der Figuren besser nachvollziehen zu können. Erzählt wird die Handlung aus der Ich-Perspektive von Peter Grant, der das Geschehene ironisch kommentiert und bekanntermaßen ein Faible für die architektonische Seite der Tatorte mitbringt. Neu ist die Ich-Perspektive von Abigail, der magisch begabten 18-jährigen Cousine Peters, was wirklich eine Bereicherung für die Reihe ist. Abigail schlägt einen ähnlich ironischen Ton wie Peter an, hat aber ganz andere Probleme: [KLEINER SPOILER] Ihr Bruder ist jüngst verstorben, was sie sehr belastet [SPOILER ENDE]. Außerdem kommen durch Abigails Perspektive Coming of Age-Elemente in die Handlung hinein. Der Krimi-Teil der Handlung ist wie in den anderen Bänden der Reihe fesselnd und abwechslungsreich: Neben der Herkunft des Wildtiers gilt es einen Mordfall sowie (später) einen Vermisstenfall zu klären, alles verquickt mit Fantasy-Elementen (bisher nicht bekannte Figuren der magischen Welt treten hier auf) und einer gesellschaftlich aktuellen Thematik (die ich hier aber nicht spoilern möchte). Der Schreibstil von Ben Aaronovitch ist gewohnt anschaulich und flüssig zu lesen. Insgesamt ist “Die Meerjungfrauen von Aberdeen” ein spannender wie witziger Urban-Fantasy-Krimi einer tollen Buchreihe, die mich immer wieder aufs Neue überzeugt.

Bewertung vom 24.08.2025
Der Tower
Menger, Ivar Leon

Der Tower


ausgezeichnet

Inhalt: Die Galeristin Nova kann ihr Glück kaum fassen: Nach mehreren Absagen auf dem hart umkämpften Berliner Wohnungsmarkt erhält sie das Angebot, im hochmodernen Pramtower zu wohnen - ein Jahr völlig umsonst. Dort angekommen trifft sie nicht nur auf Kim, die KI, die den Tower leitet, sondern auch auf ihre neuen Nachbarn, wobei es ihr insbesondere Konrad, der direkt neben ihr wohnt, angetan hat. Doch: Nach dem Abklingen der ersten Glücksgefühle beginnt Nova mit ihrem neuen Leben zu hadern. Kim stellt seltsame Fragen, die Nachbarn scheinen etwas zu verbergen - und unvermittelt erfährt Nova, dass ihre Vormieterin die Wohnung nicht lebend verlassen hat…

Persönliche Meinung: “Der Tower” ist ein Thriller von Ivar Leon Menger. Erzählt wird die Handlung aus der Ich-Perspektive von Nova, einer jungen Galeristin, die es momentan nicht leicht hat: Ihr Freund hat sie verlassen, ihre alte Wohnung wurde ihr ebenso wie ihr Job gekündigt, sodass sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten muss. Mit ihren Sorgen und Ängsten ist Nova authentisch und lebendig dargestellt. Zu Beginn wirkt sie - in Bezug auf den Pramtower - vielleicht etwas zu sorglos, aber das kann mit ihrer Notlage begründet werden: Der Tower ist ihr rettender Strohhalm, sodass sie anfänglich Zweifel eher beiseitezuschieben sucht. Die Handlung des Thrillers ist ungemein fesselnd und spannend. Permanent fragt man sich, was es mit dem Tower auf sich hat und warum ausgerechnet Nova eine kostenfreie Wohnung erhalten hat. Fesselnd ist auch die beklemmende Atmosphäre des Thrillers: Die KI und die Nachbarn verhalten sich mehr und mehr merkwürdig, mehrere der Nachbarn scheinen von ganz eigenen, auf den ersten Blick nicht ersichtlichen Motiven geleitet, sodass man nie so ganz weiß, wem man vertrauen kann - und wem nicht. Und dies ist bis zuletzt der Fall: Der Thriller endet mit mehreren unvorhersehbaren Wendungen. Für Brisanz innerhalb der Handlung sorgt das Thema “KI”, deren Möglichkeiten und Grenzen hier von Ivar Leon Menger geschickt ausgelotet werden. Der Schreibstil von Ivar Leon Menger ist sehr angenehm und lässt sich flüssig lesen, sodass man den Roman kaum beiseite legen kann. Kurz: “Der Tower” ist ein spannender Pageturner mit hochaktuellem Thema, dichter Atmosphäre und überraschenden Wendungen.

Bewertung vom 30.07.2025
Lorna
Maar, Paul

Lorna


ausgezeichnet

Inhalt: Jeder ist ein bisschen in Lorna aus der Hochhaussiedlung verliebt - schließlich ist sie die Beste im Fußballspielen. Auch der Ich-Erzähler wäre gerne mit ihr zusammen, traut sich aber nicht, sie anzusprechen. Umso überraschter ist er, als Lorna die Initiative ergreift und sich ihm annähert. Die Liebe zwischen beiden keimt; nach dem Abitur ziehen sie kurzerhand in eine WG, um ihren Träumen nachzujagen - doch dann verändert sich Lorna plötzlich…

Persönliche Meinung: “Lorna” ist eine Novelle von Paul Maar, der eigentlich für seine Kinderbücher, die mittlerweile als Klassiker gelten, bekannt ist. Dass er aber auch für eine erwachsene Lesergruppe schreiben kann, beweist er eindrücklich in “Lorna”. Wir begegnen hier einem namenlosen Ich-Erzähler, der aus der Retrospektive seine Beziehung mit Lorna darlegt. Dementsprechend finden sich typische Coming of Age-Elemente: die erste Liebe, das Entdecken der Sexualität, die Loslösung von den Eltern sowie das Übernehmen von Verantwortung. Dabei erscheint die Beziehung zwischen dem Ich-Erzähler und Lorna zunächst als hoffnungsfroh und leichtfüßig. Anders formuliert: Die Zukunft scheint ihnen offen. Dies kippt aber, als Lorna von dem Tod ihres Vaters erfährt, den sie nie kennengelernt hat. Sie greift zu Drogen, fällt in psychotische Zustände. Der Ich-Erzähler versucht Lorna zu unterstützen, kommt aber immer mehr an seine Grenzen, was authentisch dargestellt wird. Sehr hat mir - aufgrund der Tragik - auch das Ende der Novelle gefallen. Der Schreibstil von Paul Maar ist anschaulich, zugleich aber auch sehr bedächtig/nachdenklich, sodass man der Handlung eingehend folgen kann. Insgesamt ist “Lorna” eine tiefsinnige Novelle über die erste große Liebe, die einen nie so wirklich loslässt.

Bewertung vom 13.07.2025
Die Victoria Verschwörung / Lennard Lomberg Bd.3
Storm, Andreas

Die Victoria Verschwörung / Lennard Lomberg Bd.3


ausgezeichnet

Inhalt: London 2016. Gerade als der Kunstexperte Lennard Lomberg nach seinem letzten Fall in Urlaub nimmt, kommt Sir Douglas McEwans, der Chefkurator des Royal Collection Trust, auf ihn zu: Ein anonymer Erpresser behauptet, ein Gemälde, das die Queen in den 1960er Jahren von deutscher Seite zur Glättung politischer Wogen geschenkt bekommen hatte, sei eine Fälschung. Der Erpresser droht, an die Öffentlichkeit zu gehen, was nicht nur eine skandalträchtige Schmach für die Queen wäre, sondern auch ein schlechtes Licht auf die deutschen Schenker werfen würde. Lennard nimmt den Fall an und beauftragt die befreundete Kunstgutachterin Alexandra Cullen, das Gemälde zu überprüfen. Doch kurz, nachdem diese das Gemälde in Augenschein genommen hat, verschwindet sie spurlos…

Persönliche Meinung: „Die Victoria Verschwörung“ ist ein Kriminalroman von Andreas Storm. Es handelt sich um den dritten Band der Lennard-Lomberg-Reihe, in der wir den titelgebenden Protagonisten auf seinen Ermittlungen im Kunstmilieu begleiten. Da die einzelnen Bände in sich abgeschlossen sind, können sie unabhängig voneinander gelesen werden; möchte man aber die Entwicklung der Figuren über die Bände hinweg besser nachvollziehen, ist eine chronologische Lektüre sinnvoll. Wie schon die anderen Bände der Reihe wird auch „Die Victoria Verschwörung“ von einem allwissenden Erzähler auf zwei Zeitebenen erzählt: In der Gegenwart begleiten wird Lennard (unterstützt von seiner Tochter Julie) bei den Ermittlungen im Fall des potentiell gefälschten Gemäldes. In einem weiteren, in der Vergangenheit spielenden Handlungsstrang spüren wir der Geschichte des Gemäldes nach, die uns sowohl in das von den Nationalsozialisten besetzte Paris als auch in das Bonn des Jahres 1965 führt, wo vor dem Hintergrund des Besuchs der Queen ein Mord in Diplomatenkreisen geschieht (Dieser Handlungsstrang ist im Kern ein fesselnder Agententhriller). Spannung entsteht besonders dadurch, dass beide Stränge geschickt miteinander verwoben werden. Wie genau, soll hier natürlich nicht gespoilert werden; nur so viel: Es gibt mehrere Querverweise, die in einem stimmigen Tempo nach und nach offenbart werden und für einige schön überraschende Aha-Momente sorgen. In beide Handlungsstränge webt Storm zudem geschickt politische Hintergründe (z. B. der sich anbahnende Brexit auf der einen, Hinterzimmerpolitik und verschleppte Vergangenheitsbewältigung auf der anderen Seite) ein, wodurch der Roman zusätzlich zur spannenden Krimihandlung an Vielschichtigkeit gewinnt. Insgesamt ist „Die Victoria Verschwörung“ ein klug komponierter und spannend zu lesender Krimi, der viele Überraschungen bereithält.

Bewertung vom 05.07.2025
Der Inugami-Fluch / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.4
Yokomizo, Seishi

Der Inugami-Fluch / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.4


sehr gut

Inhalt: Sahei Inugami führte ein umtriebiges Leben: Nicht nur gelang dem früh verwaisten Mann der Aufbau einer der größten Seidenfabriken Japans, gleichzeitig führte er mehrere parallele Beziehungen zu Frauen. Aus diesen Beziehungen sprossen Kinder und Enkelkinder, die einen latenten Hass gegeneinander verspüren. Dementsprechend verfahren ist die Situation der Erbangelegenheiten, als das Oberhaupt des Inugami-Clans stirbt. Was die Sache nicht besser macht: Das Testament ist ungemein vertrackt; Menschen, die Sahei ferner standen als seine Familie, werden begünstigt, andere gehen leer aus – der Hass zwischen den Familienmitgliedern lodert auf und schnell wird ein Mordopfer entdeckt…

Persönliche Meinung: „Der Inugami-Fluch“ ist Seishi Yokomizos vierter Kriminalroman um den unkonventionellen Privatdetektiv Kosuke Kindaichi. Da der Fall in sich abgeschlossen ist, kann er auch ohne Kenntnis der Vorgänger gelesen werden. Wie bereits in den vorherigen Bänden der Reihe tritt ein allwissender Ich-Erzähler auf, der aus der Retrospektive den Fall um die Inugami-Familie rekonstruiert. Zu Beginn braucht der Krimi etwas, um in Fahrt zu kommen: Der verstorbene Sahei sowie seine Familie werden ebenso wie das Testament Saheis recht ausführlich vorgestellt. Das ist zwar alles notwendig, um dem eigentlichen Fall später besser folgen zu können, allerdings wurde es für mich etwas zu gemächlich erzählt, wodurch Tempo verloren ging. Nach diesem eher behäbigen Start gewinnt der Roman aber an Tempo und Spannung: Die Taktung der Morde nimmt zu, der Modus Operandi ist interessant, mehrere Figuren tragen offenbar ein Geheimnis mit sich, später finden sich überraschende Wendungen/Aufdeckungen. Besonders hat mir hieran gefallen, dass der Krimi zum Miträtseln einlädt: Man kann dabei einzelne Querverbindungen bereits erahnen, das große Ganze bleibt dabei aber doch bis zuletzt rätselhaft, sodass die Auflösung überraschend ist. Der Schreibstil von Seishi Yokomizo lässt sich sehr flüssig lesen. Insgesamt ist „Der Inugami-Fluch“ ein Krimi, der etwas braucht, um einen zu fesselnd – hat man dieses Punkt erreicht, ist der Krimi aber eine sehr spannende Lektüre.

Bewertung vom 23.06.2025
Locked in
Faber, Henri

Locked in


ausgezeichnet

Inhalt: In Heidelberg häufen sich Vermisstenfälle. Der Täter scheint seine Opfer eine gewisse Zeit festzuhalten, um sie dann zu ermorden; das Zeitfenster, die Vermissten lebend zu finden, ist dementsprechend klein. Umso enthusiastischer ist Kommissar Paul Maertens, als es endlich eine Spur zum Täter gibt. Doch: Gerade als Maertens den Täter stellen kann, kommt es zu einem Unfall, in dessen Folge der Täter in ein Wachkoma fällt. Für die Vermissten scheint eine Rettung daher unmöglich – wäre da nicht der Neurologe Theo Linde, der mithilfe eines experimentellen Verfahrens mit komatösen Menschen kommunizieren kann…

Persönliche Meinung: „Locked In“ ist ein Thriller von Henri Faber. Erzählt wird die Handlung aus drei Ich-Perspektiven: Paul Maertens, Theo Linde und ein (zunächst) namenloses Ich „im Verlies“. Sowohl Paul Maertens als auch Theo Linde sind eher Antihelden: Maertens ist ein ruppiger Einzelgänger, den der Schatten einer vergangenen Familientragödie begleitet; Linde lebt einsam in der Villa seiner Vorfahren und ist gebrochen durch den Verlust seiner großen Liebe. Beide sind keine großen Sympathieträger, aber sehr interessant gestaltete Figuren mit Ecken und Kanten. Die Handlung des Thrillers ist sehr fesselnd: Es gibt mehrere spannende Wendungen und einen großen Twist am Ende; die Handlung ist insgesamt – durch sich später offenbarende Querverbindungen – komplexer als man zunächst vermutet. In Bezug auf die Figur Paul Maertens kommt in der Auflösung zudem noch eine Prise Tragik hinzu, die ich sehr mochte. Sehr gefallen hat mir auch der Handlungsort Heidelberg, der mit seinen Altstadtgassen, der Heiliggeistkirche sowie den Gängen unter der Altstadt anschaulich gezeichnet ist. Henri Faber schreibt gewohnt flüssig und anschaulich, sodass man den Thriller kaum beiseitelegen möchte. Insgesamt ist „Locked In“ ein fesselnder und wendungsreicher Thriller mit hoher Spannungskurve.