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Webervogel

Bewertungen

Insgesamt 81 Bewertungen
Bewertung vom 14.03.2025
Ein ungezähmtes Tier
Dicker, Joël

Ein ungezähmtes Tier


ausgezeichnet

Dickers bestes Buch

Joël Dicker ist einer meiner absoluten Lieblingsautoren. Alle Romane, die ich von ihm gelesen habe, fand ich großartig. Und so bin ich mit sehr hohen Erwartungen an „Ein ungezähmtes Tier“ herangegangen, die nicht nur nicht enttäuscht wurden: Ich glaube, es ist tatsächlich sein bestes Buch.

Die Geschichte spielt rund um einen Raubüberfall im Sommer 2022 in Genf. Dicker schildert die 20 Tage vorher, springt aber auch immer wieder kurz zum Tag des Überfalls. Zudem gibt es einige Rückblenden in die Vergangenheit. Im Zentrum des Romans stehen zwei Paare: Sophie und Arpad leben wie Karine und Greg in Cologny, einem schicken Vorort von Genf. Sie haben jeweils zwei Kinder in ähnlichem Alter, Arpad und Greg kennen sich aus deren Fußballverein. Soweit, so ähnlich, allerdings wohnen Sophie und Arpad in einer freistehenden Villa am Waldrand mit imposanten Glasfronten, während Karine und Greg in eine Neubausiedlung mit Doppelhaushälften gezogen sind, die die alteingesessenen Bewohner des Ortes naserümpfend als „Warze“ bezeichnen.
Die Paare freunden sich langsam an. Doch nicht nur das: Greg ist von der attraktiven Sophie extrem fasziniert und stalkt sie, ohne dass sie es merkt. Allerdings ist er bald nicht mehr der Einzige, der Sophie beobachtet, und überdies haben sie und Arpad etwas zu verbergen – vor der Welt, aber auch voreinander. In den 20 Tagen vor besagtem Raubüberfall drängen verschiedenste Geheimnisse ans Licht und werden die Leben von Sophie, Arpad, Karine und Greg unwiderruflich verändern.

Dicker springt spielerisch und mit immenser Leichtigkeit zwischen Perspektiven und Zeitebenen hin und her. Ich habe lange nicht verstanden, was da eigentlich im Busch ist und es hat mich kein bisschen gestört, weil diese grandiose Geschichte so wahnsinnig gut erzählt ist und immer neue Überraschungen bietet. Es gibt viele Twists und Entwicklungen, die unvorhersehbar und gleichzeitig komplett plausibel sind – und immer, wenn ich mir etwas doch nicht so recht erklären konnte, wurde irgendwann eine wasserdichte Begründung nachgeliefert. „Ein ungezähmtes Tier“ ist ein einziges spannendes Lesevergnügen und ich kann es nur absolut empfehlen. Einzig das Cover ist diesmal nicht mein Fall: Den dicken, glänzenden, weißen Rand oben und rechts empfinde ich als störend und vom Bild ablenkend.

Bewertung vom 07.03.2025
In einem Zug
Glattauer, Daniel

In einem Zug


ausgezeichnet

Kammerspiel auf Schienen

Dieses Buch dürfte ein wunderbarer Begleiter für eine Zugfahrt sein – je nach Länge der Strecke bzw. ungeplanter Verlängerungen der Fahrtzeit lassen sich die 204 Seiten vielleicht sogar in einem Zug durchlesen. Und Vergnügen bereiten sie auch.

Bestseller-Autor Eduard Brünhofer, der Ich-Erzähler dieses kurzweiligen Romans, ist auf dem Weg von Wien nach München, wo er ein Treffen mit seinem Verlag hat. In seinem Zugabteil sitzt eine Frau, wie er selbst ganz untypisch weder in ihr Handy noch in ein Buch oder eine Zeitschrift vertieft. Schnell finden sich die beiden in einem Gespräch wieder und lassen dabei jeglichen Smalltalk bald hinter sich, denn plötzlich geht es nur noch um die Liebe – theoretisch Brünhofers Fachgebiet, denn er ist spezialisiert auf Liebesromane und außerdem bereits mehrere Jahrzehnte mit seiner Ehefrau zusammen. Reisebekanntschaft Catrin dagegen ist Psychotherapeutin und glaubt weder an die große Liebe noch an langfristige Beziehungen. Es wird lebhaft diskutiert, wobei ich Catrins indiskrete Fragen ab und zu etwas anstrengend fand. People-Pleaser Brünhofer ging es da wohl ähnlich, aber er enttäuscht sein Gegenüber nicht. Überhaupt sind seine hin und her schweifenden Gedanken – über sich selbst, sein Schaffen, seine Ehe, seine Reisebekanntschaft und vieles andere – pointiert, humorvoll, selbstironisch und machen Spaß; da fällt es kaum ins Gewicht, dass Catrin in ihrer Penetranz ab und zu etwas nervig wirkt.

Der Roman besteht zu großen Teilen aus einem langen stream of consciousness. „In einem Zug“ umfasst tatsächlich fast nur diese eine Zugfahrt. Das Gespräch findet im Abteil und im Speisewagen statt und hat dadurch Kammerspiel-Charakter. Als Leserin hatte ich mich gefühlt auf dem Nachbarsitz eingerichtet und schließlich den Eindruck, meine Gegenüber nun gut zu kennen. Als sich Buch und Reise dann dem Ende zuneigten und ich keine größeren Überraschungen mehr erwartet habe, hat mich Glattauer allerdings mit einem eleganten Finaltwist gekonnt verblüfft. Da schließt sich ein Kreis so vollkommen, dass es mich sowohl beeindruckt als auch amüsiert hat. „In einem Zug“ ist mein erster Glattauer, mein letzter wird es wohl nicht sein.

Bewertung vom 04.03.2025
Entschuldigung!
Ottenschläger, Madlen

Entschuldigung!


ausgezeichnet

Drachenstark und federleicht

Sibil und Theo sind Freunde und wohnen ganz oben in einem Mehrfamilienhaus. Und was passiert, wenn ein matschverschmierter Fußball von dort mit lautem Kawumm das Treppenhaus runterhüpft? Sibil und Theo flitzen fröhlich hinterher und rufen den Nachbarinnen und Nachbarn im Vorbeilaufen „Entschuldigung“ zu. Einer ist gar nicht da, einer fühlt sich nicht gestört, aber vor einer Tür kippt die Einkaufstasche um, es geht etwas zu Bruch und eine Nachbarin wird nach ihrer Nachtschicht unsanft aus dem Schlaf gerissen. Als Sibil und Theo sich mit dem eingefangenen Ball wieder auf den Weg nach oben machen, üben sie Schadensbegrenzung, wo Schaden entstanden ist. Und das ist gar nicht so schwer – nicht für die Kinder, aber auch nicht für eine Erwachsene, die sich ebenfalls entschuldigt, weil sie im ersten Affekt wütend losgemotzt hat.

Ein sehr hübsch bebildertes Buch über einen wilden Ritt durchs Treppenhaus und den geordneten Rückzug. Der Mikrokosmos Mehrfamilienhaus wird schon auf der ersten Doppelseite so toll und farbenfroh illustriert, dass er auch für kleine Kinder erfassbar ist. Wir haben beim Lesen mehrmals zurückgeblättert, um nochmal zu schauen, wer wo wohnt und wie eingerichtet ist. Darüber hinaus hat mir die Botschaft dieses Bilderbuchs sehr gefallen: Dass sich alles lösen lässt, auch wenn die Dinge mal kurz aus dem Ruder gelaufen sind. Es ist – im Wording des Buches – drachenstark, wie sich Kinder und Erwachsene hier auf Augenhöhe begegnen. Da muss dann auch nichts vertuscht oder verheimlicht werden. „Sorry seems to be the hardest word“ – hier nicht! Ein temporeiches Kinderbuch, das ein auch für Erwachsene nicht immer einfaches Thema federleicht aufbereitet.

Bewertung vom 15.02.2025
Streit! Und nun? Das artgerecht-Bilderbuch von Nicola Schmidt
Schmidt, Nicola

Streit! Und nun? Das artgerecht-Bilderbuch von Nicola Schmidt


ausgezeichnet

Konfliktlösung für die Kleinsten – einfühlsam geschrieben und super niedlich illustriert

Ein großartiges Buch, um mit Kleinkindern über verschiedenste Streit-Situationen ins Gespräch zu kommen. Vogel, Maus, Schlange und Hirsch toben auf dem Spielplatz, wo es alles gibt, was das Kinderherz begehrt. Doch die gute Laune droht mehrmals umzuschlagen: Der Vogel will immer als erster rutschen, die Maus besetzt die Schaukel zu lange und der Hirsch hat keine Lust, mit den anderen im Sandkasten eine Burg zu bauen. Wie klärt man solche Konflikte? Zum Glück sind Oma Maus, Opa Schlange, Tante Vogel und Bruder Hirsch mit von der Partie und helfen behutsam, Lösungen zu finden. Rückfragen wie „Was brauchst Du?“ werden gestellt, alle Beteiligten können ihre Wünsche äußern und am Ende sind kleine und große Tiere zufrieden. Meine Kinder finden das Buch total faszinierend – auch wegen der liebevollen, detaillierten Zeichnungen. Denn auf dem Spielplatz gibt es noch viel mehr zu entdecken als die tierischen Hauptfiguren: Eichhörnchen streiten sich um einen Ball, der schließlich Opa Schlange am Kopf trifft und eine Käferfamilie erlebt abseits vom Spielplatztreiben ihre eigenen Abenteuer. Das Buch macht damit gleich auf mehreren Ebenen großen Spaß. Außerdem ist mir noch die Papierqualität positiv aufgefallen: Die Seiten scheinen etwas dicker als in anderen Bilderbüchern; das Buch fühlt sich dadurch auch noch sehr wertig an. Große Empfehlung für kleine Leserinnen und Leser – und ihre Eltern, denn ich habe selbst einige gute Impulse zur Streitschlichtung mitgenommen.

Bewertung vom 07.02.2025
Apartment 5B
Unger, Lisa

Apartment 5B


gut

Wenn die Luxusimmobilie zum Albtraum wird

Rosie und Chad können ihr Glück kaum fassen: Völlig unverhofft haben sie die Eigentumswohnung von Chads verstorbenem Onkel geerbt. Damit scheinen die Autorin und der Schauspieler ihre Geldsorgen erst einmal los zu sein – oder? Das Hausgeld im renommierten Windermere ist nicht gering und New York generell eine teure Stadt. Trotzdem scheint das Erbe gerade für Rosie ein Glücksgriff zu sein, hat sie doch beschlossen, ihr zweites Buch über das Gebäude zu schreiben, das eine dunkle Vergangenheit zu haben scheint. Vor Jahrzehnten gab es in der Luxusimmobilie mehrere tragische und auch mysteriöse Todesfälle, zu denen die ehemalige Verlagsmitarbeiterin recherchiert. Doch kaum eingezogen, bekommt sie den Eindruck, dass eventuell auch heute noch nicht alles im Windermere mit rechten Dingen zugeht …

Das Cover wird diesem Thriller leider kein bisschen gerecht. Rosie und Chad ziehen in besagtes Apartment 5B, was aber nicht direkt unterm Dach liegt, und den luxuriösen Windermere-Wohnkomplex stelle ich mir auch um einiges ansehnlicher vor als den düsteren Kasten auf dem Cover. Der Titel wirkt wie gesprayt, etwas Stattlicheres hätte hier besser gepasst. Die Geschichte selbst hat mich alles in allem gut unterhalten. Ab und zu habe ich befürchtet, die Handlung würde ins Übersinnliche und vielleicht auch Trashige abdriften, aber es blieb noch in einem für mich halbwegs akzeptablen Rahmen. Spannend ist der Thriller auf jeden Fall und ich konnte mir lange keinen Reim auf die Ereignisse machen. Teilweise fand ich sie auch etwas an den Haaren herbeigezogen und das Verhalten der Figuren wenig nachvollziehbar und ziemlich naiv, doch die Auflösung geriet dann tatsächlich schlüssiger, als ich zwischendurch zu hoffen gewagt hatte.

Bewertung vom 04.02.2025
Die Maus hat einen neuen Freund
Kling, Marc-Uwe

Die Maus hat einen neuen Freund


sehr gut

Süßes Kinderbuch über eine ungewöhnliche Freundschaft

Die verschmitzte Maus (mit deren Augenringen ich mich als Mutter gleich prima identifizieren konnte) und der freundliche Dino sind ziemlich unterschiedlich. Das zeigt schon der erste Blick aufs Cover dieses niedlichen Kleinkinder-Pappbuchs, denn der Dino ist so groß, dass man nur einen Teil seines Kopfes sieht, während das Mäuschen komplett abgebildet ist. Freunde sind sie trotzdem und können ganz prima Zeit miteinander verbringen, was Marc-Uwe Kling in fröhlich-stimmungsvollen Reimen schildert. Die Wort-Bild-Kompositionen sind perfekt, trotzdem hätte ich mir noch ein bisschen mehr Text gewünscht, um das Vorlesevergnügen zu verlängern. Mitsprechen lassen sich die Verse bestens und die Bilder laden zum Staunen ein. Am Ende scheinen Maus und Dino an die Grenzen ihrer Freundschaft zu stoßen, müssen sie doch einsehen, dass der Dino die Maus nicht zu Hause besuchen kann. Doch Mama Maus hat eine zündende Idee und so steht dem Übernachtungsbesuch nichts mehr im Wege. Süße Geschichte!

Bewertung vom 31.01.2025
Das Dinner - Alle am Tisch sind gute Freunde. Oder?
Rudolf, Emily

Das Dinner - Alle am Tisch sind gute Freunde. Oder?


gut

True-Crime- statt Krimi-Dinner

„Das Dinner“ hatte das Zeug, ein Thriller ganz nach meinem Geschmack zu werden: Fünf Freunde und ein vermeintlich fröhliches Zusammenkommen, das nach und nach durch immer mehr ans Licht kommende Geheimnisse getrübt wird. Begeistert hat mich das Buch aber leider nicht, was zum einen an gewissen Längen, zum anderen an ein paar Logiklücken liegt.

Lotta und Jonathan haben ihre alte Clique zu einem Abendessen eingeladen, nachdem sie sie jahrelang nicht gesehen haben: Kiano ist Jonathans ehemals bester Freund, Hanna Jonathans Schwester und Tristan ihr Ex. Man trifft sich in einem so stylischen wie abgelegenen Restaurant in der Eifel, das das Pärchen Lotta und Jonathan zusammen managt. Geplant ist ein Krimi-Dinner, wie zu früheren, unbeschwerten Zeiten. Doch ein Stuhl bleibt leer: Der von Maria, Hannas bester Freundin, die vor fünf Jahren bei einem Musikfestival spurlos verschwunden ist. Der verbliebene Freundeskreis hat sich seitdem nicht mehr getroffen, doch nun will man nach vorne sehen – oder? Beim Krimi-Dinner kommen Erinnerungen an jenen letzten Festivalabend hoch und es wird schnell klar, dass einige der Mitspielenden etwas zu verbergen haben und nicht mehr allzu viele freundschaftliche Gefühle vorhanden sind. Und irgendjemand scheint sein ganz eigenes Spielchen zu spielen – aber wer? Und warum?

Emily Rudolf lässt alle Figuren zu Wort kommen, sowohl in Rückblenden als auch in der Krimi-Dinner-Gegenwart. Das macht das Ganze zunächst sehr abwechslungsreich, hilft beim Kennenlernen der Charaktere und bei der Einschätzung der Situation. Allerdings kommt irgendwann der Punkt, an dem Lotta, Jonathan, Kiano, Hanna und Tristan ihre Erinnerungen immer genauer miteinander abgleichen – und da wird es dann manchmal etwas eintönig. Das Festivalgeschehen spielt sich zwischen Zelten, Tanzfläche und Toiletten ab; hier gibt es naturgemäß nicht so viel Abwechslung, wenn auch etwas mehr als beim gegenwärtigen Setting im Restaurant. Darüber hinaus habe ich weniger mit den Protagonistinnen und Protagonisten mitgefiebert als erwartet, denn kaum eine*r von ihnen war wirklich sympathisch; stattdessen werden jede Menge fragwürdige Entscheidungen bezüglich Partnerwahl und Substanzkonsum getroffen. Am Ende wartet Rudolf noch mit überraschenden Twists auf, bei denen allerdings nicht jedes Detail logisch erscheint. Insgesamt hatte ich mir von diesem Thriller einfach mehr erhofft.

Bewertung vom 12.01.2025
Die blaue Stunde
Hawkins, Paula

Die blaue Stunde


ausgezeichnet

Psychogramm einer Unterschätzten

Dieser Roman beginnt mit einem überraschenden Knochenfund und entwickelt sich dann nach und nach zu einer erschreckenden und faszinierenden Charakterstudie. Der Verlag hat ihn nicht als Thriller betitelt, was nur folgerichtig ist, plätschern die Geschehnisse doch teilweise so vor sich hin wie das Wasser zwischen Ebbe und Flut am Fahrdamm von Eris Island. Doch Paula Hawkins spitzt die Begebenheiten mehr und mehr zu, bis es am Ende einen Showdown gibt, der mich komplett kalt erwischt hat.

Handlungsort von „Die blaue Stunde“ ist besagte Insel, die bei Niedrigwasser durch einen Fahrdamm erreichbar ist. Hier hat die Künstlerin Vanessa Chapman gelebt, gemalt und getöpfert, bevor sie ihrer Krebserkrankung erlegen ist. Ihren künstlerischen Nachlass hat sie zur Überraschung aller einer Stiftung vermacht, mit deren Gründer sie sich wegen einer abgesagten Ausstellung einen jahrelangen Rechtsstreit geliefert hatte. Allerdings sind seit der Testamentseröffnung bereits Jahre vergangen, und Kunstwerke sowie Tagebücher der Verstorbenen sind noch immer nicht komplett übergeben worden. Plötzlich steht zudem ein ungeheurer Verdacht im Raum: Ein Anthropologe behauptet, dass eines von Chapmans Kunstwerken nicht, wie von ihr angegeben, eine Paarhuferrippe enthält, sondern die eines Menschen. Da der Ehemann der Verstorbenen bereits viele Jahre vor ihrem Tod verschollen ist, bietet es sich förmlich an, über die Herkunft der Rippe zu spekulieren. Um Schadensbegrenzung bemüht, reist Stiftungs-Kurator James Becker, ein ausgewiesener Chapman-Experte, nach Eris Island, um mit Grace Haswell, der Testamentsvollstreckerin, langjährigen Freundin und Mitbewohnerin der Künstlerin zu sprechen – und endlich auch die Herausgabe des restlichen Nachlasses in die Wege zu leiten.

Paula Hawkins verknüpft geschickt verschiedene Zeitebenen miteinander. Es gibt Beckers Nachforschungen, Haswells Gedanken und Erinnerungen, aber auch Briefe und Tagebucheinträge von der verstorbenen Künstlerin – letztere sämtlich undatiert, es ist also weder für Hauptfigur Becker noch für die Leserinnen und Leser dieses Romans einfach, sich einen Reim auf die Abfolge der Ereignisse zu machen. Die Inhalte der kurzen Kapitel fügen sich nach und nach wie ein Mosaik zusammen. Wie die Geschichte dabei fast unmerklich an Fahrt aufnimmt und plötzlich alles ineinandergreift, hat mich fasziniert. Schon früh wird klar, dass „Die blaue Stunde“ viel mehr ist als eine Art Kunstkrimi um einen gefundenen Knochen – der Roman enthält Geschichten von Liebe, Freundschaft, Hass und Einsamkeit. Ab und zu packte mich durchaus ein leichter Grusel, wozu der Handlungsort Eris Island definitiv beigetragen hat – diese kleine Insel, mal abgeschnitten, mal für jeden zugänglich und unbarmherzig gegenüber denen, die sie unterschätzen. Das Gesamtbild am Ende ist stimmig, unvorhersehbar und verstörend. Paula Hawkins ist einfach eine Meisterin ihres Fachs.

Bewertung vom 08.01.2025
Die Sendung mit dem Elefanten - Lass uns stickern, basteln, rätseln

Die Sendung mit dem Elefanten - Lass uns stickern, basteln, rätseln


sehr gut

Abwechslungsreiches Aktivheft mit kleinen Schwächen

Stickern, basteln und rätseln für die Kleinsten – das klingt sehr vielversprechend. Und tatsächlich bietet dieses Heft verschiedenste Beschäftigungsmöglichkeiten: Labyrinth, Fehler- und Schattensuche, Bastelvorlagen und Aufkleber. Toll hätten wir noch vier bis sechs illustrierte Seiten gefunden, auf denen man wie bei einem Stickeralbum Elefant und Hase in verschiedene Umgebungen kleben kann. Etwas mehr Abwechslung bei den Stickermotiven wäre auch schön gewesen.
Zum Schwierigkeitsgrad: Für einige Aktivitäten finde ich die Altersempfehlung ab drei Jahren unrealistisch, und ohne vorlesende Erwachsene geht hier eh kaum etwas. Für Fünfjährige dürften dagegen zum Beispiel Zählbild und Zwillingssuche schon zu einfach sein. Dennoch ein nettes Heft für einen Regennachmittag, das kleinen Elefanten-und-Hasen-Fans sicher eine gewisse Zeit beschäftigen wird.

Bewertung vom 06.01.2025
Widder Willi will aber!
Pohl, Romy

Widder Willi will aber!


sehr gut

Wenn die Hörnchen mal wieder wachsen

Widder Willi ist ein kleiner Sturkopf. Es gibt aber halt auch diese Tage, an denen nichts so läuft wie erhofft – welche Kinder (und Eltern) kennen sie nicht? Romy Pohl schildert so einen Tag, an dem die „Hörner ein Stück wachsen“ mit viel Humor, Verständnis und Liebe – fürs Detail sowie für alle kleinen Böckchen. Sofern Willi sie lässt, denn bereits zu Buchbeginn weiß der kleine Widderwilli alles besser.
Die Autorin setzt auf ungewöhnlich viel Wortwitz, schon beginnend mit der Autorinnen- und Grafikerinnenbio. Die kleinen Leserinnen und Leser ab drei Jahren, für die dieses Buch gedacht ist, kommen da sicher nicht immer mit. Dass z.B. das von Onkel Saschaf vorgeschlagene Über-den-eigenen-Schatten-Springen die eigene Laune so immens verbessert, ist schwierig zu erklären. Andererseits sind Erklärungen vielleicht auch nicht immer nötig und einiges darf sicher auch einfach mal nur den Vorleserinnen und Vorlesern Spaß machen. Die Illustrationen sind überaus niedlich und die Seitengestaltung darüber hinaus sehr abwechslungsreich, mit Sprechblasen, hervorgehobenem Text, großen und kleinen Bildern etc. „Widder Willi will aber“ ist ein Lesespaß für vielleicht nicht mehr ganz kleine Kindergartenkinder, die mit diesem Dickköpfchen und seinem neuen Freund, dem Steinbock Hörnchen – auch Keinbock genannt – sicher mitfühlen können. Und am Ende könnte alles gut sein – wenn nicht Willi wieder das letzte Wort haben müsste …