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Erfurt

Bewertungen

Insgesamt 56 Bewertungen
Bewertung vom 26.10.2025
Das glückliche Leben
Foenkinos, David

Das glückliche Leben


ausgezeichnet

Wandlung

Éric Kherson hat sich erfolgreich hoch gearbeitet vom Verkäufer zum Management. Als eine frühere Schulfreundin ihn bittet als ihren Berater in die Politik einzusteigen, ergreift er nach einigem zögern die Chance und begeht neue unbekannte Wege. So trifft er während einer gemeinsamen Geschäftsreise in Korea auf das ungewöhnliche Ritual der eigenen Beerdigung beizuwohnen. Éric stürzt zwar zunächst in eine Sinnkrise, doch wandelt sein Leben erneut um 180 Grad.

"Das glückliche Leben" klingt auf den ersten Blick nach Melancholie und Schwermut, dabei transportiert es im völligen Gegensatz dazu vielmehr Lebensfreude und die Ermutigung neue Wege zu begehen. Hauptfigur Éric scheint eigentlich alles erreicht zu haben, berufliche Sicherheit, Anerkennung und ein geregeltes Leben. Dass ihm jedoch hierbei einiges gefehlt hat, wird ihm erst später klar. Trotzdem hat sein Unterbewusstsein zweimal zu einer drastischen Veränderung bewegt. Mit großer Leichtigkeit und doch auch viel Feingefühl bewegt sich Autor David Foenkinos auf dem schwierigen Terrain der Auseinandersetzung mit dem Tod. Dieses Buch hat mich positiv überrascht, weil ich mir nicht so viel Tiefgang und Fröhlichkeit erwartet hatte. "Das glückliche Leben" ist vollumfänglich lebensbejahend und gerade im Herbst eine strahlende Geschichte.

Bewertung vom 26.10.2025
Sonnenaufgang Nr. 5
Henn, Carsten Sebastian

Sonnenaufgang Nr. 5


ausgezeichnet

Tief berührend

Jonas ist auf dem Weg an die See. Hier wartet sein erster großer Auftrag als Ghostwriter auf ihn. Eigentlich ist es sein erster Auftrag überhaupt. Er soll die Autobiographie der exzentrischen Schauspielerin Stella Dor schreiben. Sie lebt in einem in die Jahre gekommenen Pavillon am Strand, umgeben von Büchern und Zetteln voller Erinnerungen. Jonas fällt es schwer sich auf Stellas divenhafte Art einzulassen. Doch nach und nach versteht er nicht nur ihre Geheimnisse, sondern auch ihren Kummer.

"Sonnenaufgang Nr. 5" ist der zweite Roman von Carsten Henn, den ich gelesen habe. Nach dem "Buchspazierer" hat mich auch diese Geschichte schlichtweg verzaubert. Mit einem ruhigen und unaufgeregten Schreibstil wird man auf Jonas' Reise mitgenommen. Dabei wechseln sich große Emotionen mit humorvollen Stellen und tiefgründigen Gedanken ab. Es geht um menschliche Fassaden, hinter denen Schicksale stecken, die man von außen nicht vermuten kann. Dieses Buch hat mich an mehreren Stellen zum Weinen gebracht und einfach tief berührt. Spannung ist hier nicht das richtige Wort und trotzdem konnte ich das Buch schwer aus der Hand legen. Eine ganz große Leseempfehlung!

Bewertung vom 26.10.2025
Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels
Kaiser, Vea

Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels


ausgezeichnet

Eine Wucht

Angelika Moser liebt Ordnung und System, im Leben, aber vor allem bei ihrer Arbeit in der Buchhaltung im Wiener Grandhotel Frohner. Privat läuft es leider nicht alles so geradlinig. Mit ihren Liebhabern hat sie nur wenig Glück und als sie dann alleinerziehende Mutter und Abteilungsleiterin ist, muss einfach mehr Geld her, um alles für den perfekten Ablauf organisieren zu können. Für ihren Sohn Basti sowie für das Grandhotel will sie nur das Beste - und trotzdem erleichtert sie letzteres um mehr als drei Millionen.

"Fabula Rasa" macht seinem Namen alle Ehre. Dieses Buch ist da mit einer Wucht und Gewichtigkeit und das nicht nur wegen seiner fast 600 Seiten. Autorin Vea Kaiser lässt uns ihre Hauptfigur Angelika von ihrer Zeit als junger Erwachsener kennen und vor allem verstehen lernen. Sie ist keine Träumerin, sie ist realistisch eingestellt, will den Überblick behalten und doch hat sie ambitionierte und nicht unerreichbare Ziele. Für ihren Beruf gibt sie viel privates auf und sucht sich ihre Entschädigung im Hotel als Kompensation für ihre Mühen - nichts, was man nicht irgendwie nachvollziehen könnte. Das Buch ist in drei Akte aufgeteilt. Anfang und Ende haben mich vollständig überzeugt, der Mittelteil hat etwas Tempo und Spannung verloren, fängt sich aber zum Glück wieder. Herausragend war für mich auch der Sprachstil, locker und leicht und mit Wienerischer Couleur habe ich mich trotz der Tragik der Geschichte gut unterhalten gefühlt.

Bewertung vom 03.10.2025
Das Flüstern der Marsch
Keweritsch, Katja

Das Flüstern der Marsch


ausgezeichnet

Starkes Ende

Mona besucht ihre Großeltern in der Marsch. Aber nur ihr Opa Karl ist da, von der Oma Annemie gibt es keine Spur. Das Haus wirkt seltsam leer und Karl scheint etwas zu wissen, was er nicht herausrücken will. Auch Monas Onkel Sven und Stefan werden informiert und helfen bei der Such nach ihrer Mutter. Dabei steckt jeder einzelne selber gerade in einer schwierigen Lage und die Frage, wo steckt Annemie eigentlich, gerät manchmal fast ins Hintertreffen.

"Das Flüstern der Marsch" ist ein Roman, der angenehm viel Kontakt zur Natur herstellt. Das Marschland wird in seiner Beschreibung genutzt, um Stimmung und Atmosphäre aufzubauen. Mona als Hauptfigur ist besonders nahbar und emotional detailliert und vor allem nachvollziehbar porträtiert. Es werden in abwechselnden Kapiteln im Grunde drei Geschichten erzählt, die zum Schluss ineinander fließen. Gerade das Ende hat mich mit seinem Ereignis- und Temporeichtum im positiven Sinne überwältigt. Und trotzdem hatte ich nicht das Gefühl, dass es Schlag auf Schlag geht, konnte das Buch aber kaum noch aus der Hand legen.

Bewertung vom 03.10.2025
Aufsteiger (eBook, ePUB)
Huth, Peter

Aufsteiger (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Viele Themen

Felix Licht ist Redakteur beim "Magazin", einem der wichtigsten Printmedien des Landes. Als der Chefredakteur gehen muss, sieht Felix seine Zeit gekommen und ist sich sicher den Posten zu erhalten.
Doch letztendlich geht der Zuschlag an Zoe Rauch, sie ist jung, alternativ und unabhängig - und Felix' ehemalige Volontärin. Das führt nicht nur zu seiner beruflichen Krise, sondern auch seine Ehe ist nicht mehr wie sie einmal war.

"Der Aufsteiger" vereint viele Themen und Sorgen der modernen Gesellschaft. Es geht um die Schwierigkeit Beruf und Familie zu vereinen und dabei die eigene Selbstverwirklichung zu schaffen ohne in einen reinen Egoismus zu rutschen. Zusätzlich wird die Abhängigkeit von Vorgesetzten thematisiert, sowohl aus ranghöherer wie auch aus rangniedrigerer Sicht. Die Person der Zoe Rauch bringt mit schwarzer Hautfarbe und der geschlechtlichen Orientierung zusätzlich noch zwei weitere kritische Themen mit. Insgesamt ist in diesem Buch sehr viel los und doch ist die Spannung nicht durchgehend on point, etwas weniger wäre hier vielleicht mehr gewesen. Aber nichtsdestotrotz ist Peter Huth einmal mehr ein absolut lesenswerter Roman gelungen.

Bewertung vom 03.10.2025
Die Frau der Stunde
Specht, Heike

Die Frau der Stunde


sehr gut

Außenministerin

Ein Skandal um Ehebruch und Vetternwirtschaft wirft Anfang der 70er Jahre die liberale Partei aus der Bahn. Das ist die Chance für Catharina Cornelius - sie wird die erste Außenministerin Deutschlands. Gemeinsam mit einigen resoluten Mitstreiterinnen steht sie für  Anerkennung und Gleichberechtigung weiblicher Politikerinnen ein und kämpft gegen allerlei Vorurteile und gesellschaftliche Konventionen.

"Die Frau der Stunde" steigt ziemlich schnell mit Catharinas Ernennung zur Außenministerin ein. Ich musste mir immer wieder vor Augen führen, dass das Buch nicht heutes, sondern vor rund 50 Jahren spielt. Viele der Geschehnisse wären aktuell keine Besonderheit mehr. Andererseits lehrt die Realität uns eines Besseren, denn immer noch sind Frauen in Führungspositionen deutlich mehr Anfeindungen ausgeliefert als ihre männlichen Kollegen.
Zusätzlich zu Catharina Cornelius werden ihre beiden Freundinnen Suzanne und Azadeh porträtiert. Erstere versucht dem Spagat zwischen Familie und Karriere gerecht zu werden, während Azadeh in ihre Heimat Teheran zurückkehrt, um sich der Revolution gegen den Shah anzuschließen. Bei dieser Fülle an kritischen und wichtigen Themen geht naturgemäß vieles ein bisschen unter und bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück. Trotzdem hat sich das Buch für mich leicht lesen lassen und sich mutig einer schwierigen Zeit für Frauen gestellt.

Bewertung vom 10.09.2025
Moscow Mule
Rosa, Maya

Moscow Mule


sehr gut

Rasanter Auftakt

Karina und Tonya studieren in Moskau. Ihr Ziel ist es raus zu kommen, raus aus ihrem aktuellen Leben, vor allem aber raus aus Russland. Stipendien für Universitäten im europäischen Ausland sind rar und der Traum vieler junger russischer Studenten. Während Tonya neben der vielen Partys versucht Geld zu verdienen, leidet Karina unter dem schlechten Verhältnis zu ihrer Mutter und klammert sich an ihre Idee vom Auswandern mit allen Mitteln.

"Moscow Mule" startet mit einem rasanten und schonungslosen Auftakt, bei dem man das Leben der beiden Freundinnen kennen lernt. Schnell wird aber klar, die anscheinende zeitweilige Leichtigkeit weicht schnell einer Verzweiflung. Dabei kommen persönliche Hintergründe genauso zum Tragen wie auch die allgemeine politische Situation Russlands, die allerdings eher nur angerissen wird. Autorin Maya Rosa nutzt eine Mischung aus derber und gehobener Sprache, was die Zerrissenheit der jungen Frauen zwischen ihrer Herkunft und ihren beruflichen Ambitionen weiter unterstreicht. In der Mitte des Buches hängt die Spannung etwas durch, fängt sich aber glücklicherweise zum Ende hin wieder. Mir waren die Figuren stellenweise etwas zu überzeichnet, da wäre etwas weniger mehr gewesen. Nichtsdestotrotz kann ich mich an kein Buch mit ähnlicher Thematik erinnern und spreche daher eine dringende Leseempfehlung aus!

Bewertung vom 10.09.2025
Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten
Maschik, Anna

Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten


ausgezeichnet

Außergewöhnlicher Stil

Henrike ist während des Kriegs weitestgehend auf sich alleine gestellt, ihr Mann Georg an der Front. Damit zählt auch das Schlachten zu ihren Aufgaben. Als ihr Sohn Benedikt geboren wird, hat die Hebamme ihn schon aufgegeben. Doch er lebt, wenn auch nicht so, wie es die Eltern sich vorgestellt hatten. Irgendwann kommt dann auch noch Hilde zur Welt, denn sonst könnte Alma - ihre Enkelin - nicht Erzählerin dieses Buches sein und von dieser besonderen Familiengeschichte berichten.

Wie auch schon der Titel, ist "Wenn du es heimlich machen willst, musst du die Schafe töten" ein außergewöhnliches Buch.
Aus Sicht der Urenkelin Alma werden in kurzen Abschnitten Episoden, Anekdoten und Begebenheiten der Vorfahren weitergegeben - manches aus der Erzählung heraus, manches aus eigener Erinnerung der damals noch kleinen Alma. Daher wirkt vieles wie Fantasiegebilde, fast Fieberträume, weil ein Kind von Dingen berichtet, die es noch nicht überblicken konnte. Dieses Buch liest sich leicht und flüssig und zeichnet die Charaktere der Personen aus verschiedenen Blickwinkeln, die am Ende ein Gesamtbild ergeben. Man wird mitgenommen durch die Jahrzehnte einer Familie. Was nach einem Epos klingt, ist komprimiert auf verhältnismäßig wenige Seiten, ohne dabei beengt zu wirken. Eine rundum neue Leseerfahrung!

Bewertung vom 10.09.2025
Adlergestell
Laabs, Laura

Adlergestell


sehr gut

Wendezeit

Es ist Wendezeit am Adlergestell, einer großen Straße und damit wichtigem Verkehrsknotenpunkt, in Berlin. Die Erzählerin und ihre beiden Freundinnen Lenka und Chaline kommen gerade in die Schule, als der Systemwechsel in Deutschland stattfindet. Alle drei mit schwierigen familiären Verhältnissen belastet, müssen ihren Weg in der neuen Welt erst finden.

Laura Laabs erzählt die teilweise erschütternde Geschichte dreier Wendekinder und ihrer Familien aus kindlicher Perspektive. Die Sprache ist dadurch recht einfach gehalten und umgangssprachlich geprägt. Jede der drei Hauptfiguren bringt ihre ganz eigenen und meist schwerwiegenden Probleme mit, die sie durchs Leben treiben.
Das Buch plätschert weitestgehend vor sich hin, große Spannungsmomente fehlen leider. Aber besonders positiv aufgefallen ist mir, dass man am Ende erfährt was aus den drei Mädchen geworden ist und dabei letztlich unerwartete Wendungen eingetreten sind. Mein Fazit: ein etwas eintöniger Roman, der damit aber auch die eintönige Realität am Adlergestell intensiv widerspiegelt.

Bewertung vom 10.09.2025
Heimat
Lühmann, Hannah

Heimat


ausgezeichnet

Viel Denkarbeit

In ihrer neuen Heimat außerhalb der Stadt sind Jana und Noah noch nicht richtig angekommen. Während Noah als engagierter Lehrer für seine Arbeit täglich pendelt, hat Jana ihre Arbeit in einer Agentur gekündigt und kümmert sich um das Haus und die beiden Kinder. Außerdem ist sie wieder schwanger. Am Spielplatz lernt sie Karolin kennen, die anscheinend spielend leicht die Betreuung ihrer fünf Kinder, ihre Beziehung zu ihrem Mann und politisches Engagement für die AfD unter einen Hut bekommt. Jana gerät schnell in einen Sog und wird von Karolin wie magisch angezogen, setzt dabei aber ihr gesamtes bisheriges Leben aufs Spiel.

Autorin Hannah Lühmann vermittelt ein detailreiches Bild Janas junger Familie, die vor alltäglichen Aufgaben und Problemen steht. Im Gegensatz dazu gelingt es Karo ihre Großfamilie stets Insta-tauglich zu präsentieren und ihre Geheimnisse zu verbergen. Es geht um unterschwellige Manipulationen, Gerechtigkeit und das Ansprechen der Probleme und Sorgen vor denen viele kinderreiche Familien heutzutage stehen. Als besonders positiv habe ich empfunden, dass keine Partei ergriffen wurde, man muss seine Schlüsse für das Pro und Contra beider Seiten selber ziehen. "Heimat" ist ein atmosphärischer Roman, der dem Leser viel Denkarbeit überlässt und damit nachhaltig im Kopf bleibt.