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Benutzername: 
goldilinchen
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Steinberg
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 96 Bewertungen
Bewertung vom 15.06.2025
Neuanfang in Notting Hill
Clarke, Norie

Neuanfang in Notting Hill


gut

Die Bibliothek der verlorenen Liebe

»Das Duell zwischen Alt und Neu, Vergangenheit und Zukunft wird nirgendwo besser verkörpert als in Notting Hill [...]"

Das ansprechende Cover verbunden mit britischem Flair sorgt für eine warme Atmosphäre: man ist unmittelbar im Geschehen. Hauptprotagonistin Jess hat es nicht leicht und kann einen Tapetenwechsel gut gebrauchen. An dieser Stelle tritt die fast 80-jährige Joan auf den Plan…

Aufgrund der wechselnden Ich-Erzähler-Perspektiven und im Hinblick auf den Generationenaspekt und die verschiedenen "Lebensmodelle" stand das Buch schon einige Zeit vor Veröffentlichung auf meiner Merkliste. Auch nach der Leseprobe konnten mich Norie Clarkes Grundidee und das Setting für sich einnehmen. Vielleicht waren meine Erwartungen dahingehend etwas zu hoch.

Die eingestreuten Briefe sind charmant, wirken aber oberflächlich. (Ich selbst schreibe seit über 20 Jahren regelmäßig Briefe, doch so wenige Zeilen rechtfertigen weder Porto noch Informationsfluss 😅) Leider zieht sich dies durch den gesamten Roman: viele Themen werden angerissen, jedoch nicht ausreichend vertieft. Hier wäre weniger vielleicht mehr gewesen oder es hätte zusätzlichen Raum (Seiten) zur Differenzierung gebraucht. (Einige Handlungsstränge entwickeln nicht die erhoffte Tiefe und Nebenfiguren bleiben blass.) Ab der Mitte nimmt die Handlung zwar - vorhersehbar? - Fahrt auf, wird allerdings innerhalb kürzester Zeit abgehandelt.

Überraschenderweise fiel mir der Wechsel zwischen Jess und Joan trotz klarer Kapitelaufteilung schwerer als gedacht. Ich war gedanklich stärker bei Jess und musste mich bei Joans Perspektive intensiver konzentrieren. Das mag auch an Ausdruck und Wortwahl liegen bzw. der Übersetzung geschuldet sein. (Eine gewöhungsbedürftige Mischung aus antiquierten und modernen Begriffen, welche sich querbeet durchzieht. Bsp. Großenkelkind vs. Buchweizenbowl) Eventuell hätte mir in dieser Hinsicht die Hörbuch-Version mit verschiedenen Sprechern besser gefallen.

Zusammengefasst ist das Buch eine nette Lektüre für zwischendurch, die jedoch nicht in allen Aspekten überzeugen kann.

Bewertung vom 29.04.2025
Vorsehung
Moriarty, Liane

Vorsehung


gut

"La vita va veloce: Dieses Leben vergeht schnell, viel schneller als die Zeit."

Liane Moriartys "Vorsehung" (im Original "Here one moment") beginnt mit einer ungewöhnlichen Fragestellung: Was, wenn man genau wüsste, wann und wie man sterben wird?

Die Auseinandersetzung mit diesem Thema wird den Passagieren auf einem Flug von Hobart nach Sydney von einer unauffälligen Dame unbestimmten Alters aufgebürdet. Mit ungeahnten Folgen prophezeit sie Todesursache und Lebenserwartung - eine Kettenreaktion, die die Figuren (und auch die Lesenden) dazu anregen, über Schicksal, freien Willen und die Auswirkungen ihrer Entscheidungen nachzudenken.

Interessant fand ich das mir unbekannte Konzept des Determinismus. "Die Idee [...] sei, dass alles, was geschieht, jede Entscheidung, die man trifft, jede Handlung, die man vollzieht, »kausal unausweichlich« sei. Warum? Weil alles von etwas verursacht werde: von einer vorhergehenden Handlung, Situation oder einem Ereignis."

Die vielversprechende Grundidee und kurzweilige Leseprobe ließen mich zu diesem Buch greifen. Die Autorin war mir bekannt, jedoch habe ich noch nichts von ihr gelesen.

Hervorzuheben ist die Aufteilung der Kapitel: abwechselnd wird die Lebensgeschichte der älteren Dame aus ihrer Perspektive erzählt während man parallel dazu die Schicksale einer Handvoll Passagiere verfolgt.

Obwohl ich Bücher und Filme in Episodenform (z.B. Tatsächlich Liebe) mag, ist der Funke diesmal nicht übergesprungen. Mit der Hauptprotagonistin wurde ich erst gegen Ende des Buches warm. Die Lebenswege der Passagiere blieben für mich Momentaufnahmen mit wenig Tiefgang. Statt positiver Erlebnisse herrscht im Mittelteil eine bedrückende Atmosphäre, was wohl dem eintönigen Umgang mit den Prophezeiungen geschuldet ist. Hier wurde viel Potential verschenkt. Moriartys Erzählstil ist auf den ersten und letzten 100 Seiten spannend, zieht sich im Mittelteil jedoch dahin. Eine finale Tonänderung stimmt auf den Abschluss ein: die Charaktere werden nahbarer und die Geschichte hoffnungsvoller. (Aufgrund von Unkenntnis haben mich ein Teil der Auflösung sowie einige Querverbindungen überrascht - das dürfte aber nicht für alle Lesenden gelten.)

Bewertung vom 21.03.2025
Was ich von ihr weiß
Andrea, Jean-Baptiste

Was ich von ihr weiß


sehr gut

"Pass auf sie auf"

...lautet die Übersetzung des französischen Original-Titels "Veiller sur elle" - treffender als die deutsche Version, aber vage im Hinblick auf die Handlung. Umso gelungener sind hingegen Cover und Umschlaggestaltung: Pietra d'Alba lässt sich erahnen, der Schauplatz dieses Romans von Jean-Baptiste Andrea.

Ich habe mir das Buch nicht selbst ausgesucht, mag jedoch literarische Überraschungen. Daher habe ich den Klappentext erst nach Beendigung der Lektüre gelesen. Er sorgt für einen guten Überblick, was Lesende auf den folgenden 500 Seiten erwartet: die Komplexität einer Gesellschaft und ihrer Beziehungen kombiniert mit italienischem Flair. Der Autor war mir zuvor unbekannt, sodass ich mich unvoreingenommen auf den Inhalt einlassen konnte. Ich mochte vor allem die Perspektivwechsel und den Rückblick auf das ungewöhnliche Leben von Bildhauer Mimo Vitaliani. Der Stil ist anspruchsvoll, poetisch und gelegentlich etwas ausschweifend – was zu Lasten des emotionalen Zugangs der überschaubaren Anzahl an Protagonisten geht. Man muss sich darauf einlassen.

"Vor der Villa erstreckten sich, so weit das Auge reichte, Orangenbäume, Zitronenbäume, Pomeranzen. [...] Unmöglich konnte man nicht stehen bleiben, so überwältigend war die Landschaft, buntfarbig, pointillistisch, ein nie verlöschendes Feuerwerk in allen Tönen, Mandarine, Melone, Aprikose, Mimose, Schwefelblüte. Im Kontrast zum Wald hinter dem Haus zeigte sich anschaulich die zivilisatorische Mission der Familie, und so stand es auch in ihrem Wappen. Ab tenebris, ad lumina. Fern der Finsternis,
hin zum Licht."

"Mit den Händen in den Taschen ging ich von Raum zu Raum und bemühte mich, größer zu wirken. Das Grün dominierte, zog sich durch Tapeten, Vorhänge, Raffhalter, Kettenhüllen von Kronleuchtern und Fransensessel in den Tönen Linde, Aventurin und Seladon. Unser fliegender Flügel, den wir vor zwei Tagen fertiggebaut hatten und auszuprobieren kaum erwarten konnten, zeigte die gleiche Farbmelange."

Die unvorhersehbare Handlung vermag durchweg zu fesseln. Vor allem der Handlungsstrang der Gegenwart wirft Fragen auf und sorgt bis zur letzten Seite für Spannung. Wer die Bücher von Luca di Fulvio schätze, kommt sich auch bei Jean-Baptiste Andrea auf seine Kosten. Der Autor selbst fasst den Erfolg seiner Geschichte wie folgt zusammen: "Ich habe einfach eine Geschichte geschrieben, die mir am Herzen lag und die mich tief bewegt hat. Ich habe lange nach der besten Form dafür gesucht, einer Form und einer Sprache, die die Geschichte tragen. Ich habe den Figuren Leben eingehaucht, und zwar so sehr, dass ich das Gefühl habe, sie sind real." Das Werk wurde mit dem Prix Goncourt 2023 ausgezeichnet, dem prestigeträchtigsten Literaturpreis Frankreichs.

Bewertung vom 13.03.2025
Traumsammler
Hosseini, Khaled

Traumsammler


sehr gut

Was die Berge widerhallten: ein Kaleidoskop der Menschen Afghanistans

„Traumsammler“ von Khaled Hosseini ist ein abwechslungsreiches Buch, welches Lesende auf eine emotionale Reise in den nahen Osten entführt. Der nicht-lineare Erzählstil ist besonders hervorzuheben, da er die komplexen Beziehungen bereichert und die vielschichtige Handlung unterstreicht. Themen wie Verlust, Hoffnung oder die Suche nach Identität werden glaubwürdig dargestellt.

Durch Zeitsprünge und Perspektivwechsel wirkt die Geschichte lebendig und verknüpft gekonnt die Lebenswege der Protagonisten. Beides sorgt außerdem für anhaltende Spannung und regt zum Nachdenken über die Zusammenhänge an. Wenn man sich auf die unterschiedlichen Schicksale der einzelnen Protagonisten einlässt, findet man sich trotz der Vielzahl an Handlungssträngen leicht zurecht.

Da ich mich nach den überzeugenden Vorgängerromanen des Autors im Vorfeld nicht näher mit Inhalt auseinander gesetzt habe, hatte ich dahingehend keine Erwartungen und wurde erneut positiv überrascht. (Ich mag allerdings auch Episodenfilme wie "Tatsächlich Liebe".) Manchen kommt die im Klappentext angedeutete Rahmenhandlung daher möglicherweise zu kurz.

Insgesamt hat mir „Traumsammler“ ebenso gut gefallen wie die vorherigen Werke des Autors. Der Punktabzug resultiert aus kleineren Längen bzw. einem für mein Empfinden unvollständigen Teilstrang.

Hinweis: Die Struktur der Erzählung kann in der Hörbuch-Version herausfordernd sein, insbesondere wenn man dazu neigt, mit den Gedanken abzuschweifen.

Bewertung vom 03.03.2025
Die Magnolienkatzen
Morishita, Noriko

Die Magnolienkatzen


sehr gut

Glück auf leisen Pfoten: Begegnungen mit den Kätzchen von Yokohama

"Menschen, die Katzen nicht mögen, sind bloß Menschen, die noch nie eine hatten."

Das Buch erschien bereits 2011 unter dem Titel "Neko To Issho Ni Irudakede", was im Deutschen "Einfach mit der Katze zusammen sein" entspricht.

Der Prolog und das erste Kapitel sind eher leise, aber dennoch fesselnd, da man mit der Hauptprotagonistin Noriko ihre innere Unruhe und aktuellen Herausforderungen miterlebt. Durch ihre Perspektive wirken die Geschehnisse persönlich. Die unerwartete Ankunft der Katzenmutter bringt neue Dynamik in die Beziehung zwischen Noriko und ihrer Mutter.

"Gelegentlich hält das Leben Überraschungen parat."

Neben einer wunderschönen Aufmachung bietet das Buch eine interessante Ich-Erzählerin und wirft Fragen auf: Wie wird sich Norikos Einstellung zu den Katzen – und vielleicht zu sich selbst – verändern? Welche Rolle spielen die Tiere für ihr persönliches und berufliches Wachstum? Hier hätte ich mir tiefere Einblicke in das Leben der Autorin Noriko Morishita gewünscht. Nach der Leseprobe hatte ich mir ehrlich gesagt ein wenig mehr Inhalt versprochen. Außerdem waren einige Episoden für mich als Katzenbesitzerin nicht ganz nachvollziehbar. (Umgang mit Freigang oder der Angst vor Staubsaugern)

"Vielmehr war es der Schmerz der Liebe, [...] und der Freude, mit einem Lebewesen, das keine Worte kannte, sein Herz geteilt zu haben"

Fazit: eine nette Geschichte für Katzenliebhaber, die sowohl die Herausforderungen als auch die Freuden des Lebens mit Stubentigern thematisiert. Japanisches Flair und Biografisches kamen etwas zu kurz, dafür lebt der Roman von der liebevollen Darstellung der Katzen.

Bewertung vom 26.12.2024
Neue Geschichten für Abenteurer, Glücksritter und Tagträumer / The Travel Episodes Bd.2 (eBook, ePUB)
Klaus, Johannes

Neue Geschichten für Abenteurer, Glücksritter und Tagträumer / The Travel Episodes Bd.2 (eBook, ePUB)


gut

"Eine Reise durch die Zeit. Eine Reise durch verschiedene Menschleben."

Dies ist nun schon meine dritte Vorweihnachtszeit mit den Travel Episodes, da sich die Lektüre für mich einfach als Adventskalender anbietet. Auch diesmal wurde ich von den abwechslungsreichen Abenteuern gut unterhalten, allerdings wollte der Funke nicht richtig überspringen. Ich habe bereits die drei Folgebücher der Reihe gelesen und dieses war der schwächste Band für mich. Einige Geschichten wirken oberflächlich, nichtssagend und bieten eher spezielle Begegnungen bzw. Einblicke. Vielleicht täuscht mich aber auch meine (subjektive) Wahrnehmung bzw. Erwartungshaltung.

"Schildkröten können dir mehr über den Weg erzählen als Hasen." (chinesisches Sprichwort)

Alle Bücher beinhalten hauptsächlich Erlebnisse in Form von Auszügen aus umfangreicher Reiseliteratur, die im selben Verlag erhältlich ist. Die Anekdoten ermöglichen einen gelungenen Einstieg, um die Autor:innen sowie deren Schreib- und Erzählweise zu entdecken. Die Reiseziele werden klar und zur besseren Orientierung auf Landkarten präsentiert. In Band II sind 26 Reisereportagen und zusätzlich ein Kapitel mit Reisetipps auf 352 Seiten unter den Kategorien "Abenteurer", "Glücksritter" und "Tagträumer" vereint. (Der Umfang der einzelnen Episoden umfasst 3-30 Seiten.) Reiselust garantiert!

Insgesamt ist das Buch eine nette Lektüre für zwischendurch, besonders für Lesende, die auf der Suche nach Inspiration für den nächsten Urlaub sind. Tipp: Online einen Blick ins jeweilige Inhaltsverzeichnis werfen und nach den Reisezielen den Einstiegsband wählen.

Bewertung vom 08.12.2024
Weihnachtlich verliebt in London (MP3-Download)
Engel, Cornelia

Weihnachtlich verliebt in London (MP3-Download)


gut

"Wahres Glück besteht darin andere glücklich zu machen."

Der Klappentext verrät meiner Meinung nach etwas zu viel, schafft jedoch einen guten Überblick. Die Handlung selbst bietet einen unterhaltsamen Abstecher ins festliche London mit einer gelungenen Grundidee, jedoch einigen Schwächen in der Ausführung. Der Inhalt inkl. dem Verhalten der Hauptprotagonistin wechselt situationsbedingt zwischen unerwartet, unkreativ und unrealistisch. Die fehlenden Feinheiten des englischen Sprachgebrauchs schimmern gelegentlich durch, z.B. bei der Verwendung typisch deutscher Redewendungen. Der Übersetzung ist das in diesem Fall nicht geschuldet. Die Sprecherin des Hörbuchs macht einen guten Job.

Fazit: Das Flair ist stimmig, manchmal etwas seicht mit einigen tollen Überraschungen: eine nette Geschichte für die Weihnachtszeit

Bewertung vom 22.11.2024
Das kleine Café der zweiten Chancen
Ota, Shiori

Das kleine Café der zweiten Chancen


gut

Schicksal oder Zufall

Himari Misaki ist eine ungewöhnliche Mittelschülerin, die dem Buch von Shiori Ota eine einzigartige Sichtweise verleiht. Der Einstieg in die Geschichte gelingt mühelos, sodass man schnell in das Geschehen eintaucht. Die unterschiedlichen Begegnungen wurden geschickt in die Handlung integriert und wirken weniger episodenhaft als man es aus ähnlichen Büchern kennt. Überaus gelungen ist auch der Bezug zu John Cage's Musikstück 4'33''. Welchen Moment, welche bereute Entscheidung würde man gerne noch einmal erleben?

"Nicht jeder kann sich selbst ändern, aber selbst kleinere Veränderungen am Anfang können später große Auswirkungen haben."

Obwohl die Geschichte Themen wie Vergebung, Abschied und zweite Chancen anspricht, fällt die Auseinandersetzung aufgrund des begrenzten Umfangs eher oberflächlich aus. Das Ende ist Geschmackssache. Ohne zu viel verraten, stehen neben den Begegnungen im Café Himari's Begabungen im Mittelpunkt. Sie fungieren als Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Das Übernatürliche ist dabei ein Motiv, welches sich in japanischer Literatur häufiger wiederfindet. Hinsichtlich der verirrten Erinnerungen fühlte ich mich ein wenig an den Film "Inception" erinnert. Der Schauplatz und das japanische Flair bieten einen authentischen Rahmen.

Das Buch hat mir insgesamt gut gefallen, allerdings haben mich andere japanische Veröffentlichungen mehr berührt. Cover und Klappentext lassen auf eine erwachsene Zielgruppe schließen, wobei der Inhalt größtenteils einem Jugendbuch entspricht. Nach der Leseprobe habe ich mich für die Hörbuch-Version entschieden, welche mich dank der empathischen Sprecherin sehr gut unterhalten hat.

Bewertung vom 02.11.2024
Das Glück am Ende des Ozeans
Thorn, Ines

Das Glück am Ende des Ozeans


weniger gut

Freiheit ist das wichtigste Gut

Ich hatte über viele Seiten das Gefühl einen Erstlingsroman zu lesen, aber dem ist nicht so. Aufgrund des Klappentextes war ich auf die Ereignisse während der Überfahrt gespannt und überrascht, dass dieser Abschnitt lediglich drei kurze Kapitel umfasste. (Allzu vorhersehbar kann man die Handlung daher nicht bezeichnen.) Die Darstellung wirkt bis dahin sprunghaft, wie eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse. Weitere Szenen hätten der Entwicklung gut getan. Auch der Blick in die Gefühlswelt der drei Protagonistinnen bleibt anfangs verwehrt, von Freundschaft keine Spur. Das Verhalten nach dem verbindenden Ereignis ist unglaubwürdig, vor allem seitens der amischen Gottwitha. Annett's vehementes Auftreten dürfte ebenfalls kaum dem einer 18-Jährigen Mitte des 19. Jahrhunderts entsprechen. Dies widerspricht vor allem der Tatsache, dass sie ihr 2.-Klasse-Ticket samt eigener Kabine ohne schlüssige Begründung für einen Platz im Zwischendeck aufgegeben hat. (Gleichwohl konnte sie jedoch gefälschte Papiere besorgen?) Ich könnte hier noch weitere Beispiele nennen, möchte aber nicht spoilern.

Die Sprache ist einfach und bemüht sich damaliger Ausdrucksweisen zu bedienen: "Und kaum waren diese Worte ausgesprochen, da musste sie wieder bitterlich weinen, und ihre Schultern bebten, die Nasenflügel zitterten, die Brüste hoben und senkten sich. Vivian versuchte nun gar nicht mehr, Gottwitha zu beruhigen, sondern wartete einfach, und dabei lächelte sie."

Ich hätte nach den ersten Kapiteln fast aufgegeben, breche Bücher jedoch ungern ab. Die Schicksale von Annett, Gottwitha und Susanne werden nach der Ankunft in New York abwechselnd weiterverfolgt, die unterschiedlichen Lebenswege etwas tiefgründiger betrachtet.

Da ich an der Lebensweise der Amischen großes Interesse habe und u.a. mehrere Siedlungen in den USA besuchen durfte, war ich an diesem Teil besonders interessiert. Die Darstellung unterscheidet sich deutlich von den gottesfürchtigen Familienmenschen (mit starkem Gemeinschaftssinn), die mir persönlich und in anderweitigen Schilderungen begegnet sind. An der historischen Genauigkeit habe ich darüber hinaus ebenfalls Zweifel. Vermutlich ist mit dem mehrfach erwähnten Batterfield Park, der New Yorker Battery Park gemeint?! Nach mehreren Besuchen der Stadt hat auch Google keine Erklärung für die abweichende Bezeichnung gefunden.

Fazit:
Die Geschichte bleibt insgesamt trivial, lässt aber in Ansätzen Potential erkennen. Viele wichtige Themen wirken wahllos platziert und oberflächlich abgehandelt. Leider bleiben dabei auch Klischees nicht aus, vor allem gegen Ende des Buches.

Tipp: Wesentlich gelungener in Bezug auf die Auswanderer-Thematik ist beispielsweise "Schiff der tausend Träume" von Leah Fleming.

Bewertung vom 26.10.2024
Die Frauen jenseits des Flusses
Hannah, Kristin

Die Frauen jenseits des Flusses


sehr gut

Frankie oder das Mädchen, dass die Welt verändern wollte

Bei Kristin Hannah's Neuerscheinungen greife ich meist blind zu und lasse mich von den abwechslungsreichen Inhalten überraschen. Auch diesmal war ich schnell mitten im Geschehen, genauer gesagt: mit Hauptprotagonistin Frankie auf dem Weg von den USA ins südvietnamesische Kriegsgebiet...

»Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern frag, was du für dein Land tun kannst.« Patriotismus, (falsche) Entscheidungen oder Pflichtbewusstsein? Lässt sich damit wirklich die Welt verbessern? Auf diese und andere Fragen liefert die Autorin auf 542 Seiten bzw. innerhalb von 17,5 Hörstunden Antworten. Nach der Leseprobe habe ich mich diesmal für das Hörbuch entschieden, kann jedoch beide Versionen empfehlen. Den Klappentext finde ich passend. Es wird nicht zu viel vom Inhalt des Buches verraten. Bei Titel und Cover bevorzuge ich die US-Ausgabe. ("The women")

Frankie's Weltbild der Frauen im Kalifornien kurz nach Kennedy's Ermordung löst sich (etwas zu) schnell in Wohlgefallen auf. Natürlich sind auch mir impulsive Entscheidungen nicht fremd, aber sich nach 2 kurzen Begegnungen für den Kriegsdienst zu melden, erscheint etwas blauäugig - vor allem mit Blick auf ihren familiären Hintergrund. Vielleicht sorgt aber gerade dieser Umstand dafür, dass ich umso gespannter Frankie's Weg begleitet habe, nachdem die Realität sie - rasch & unbarmherzig - eingeholt hat... Trotz der Schilderung des harten Krankenhausalltags im Kriegsgebiet, gelingt der Autorin eine realistische Darstellung der Geschehnisse. Statt ins Negative abzudriften und sich in Klischees zu verlieren, gibt es Lichtblicke und Hoffnungsschimmer. Der Zeitgeist der 60er und 70er Jahre wurde gut getroffen. Die gelegentliche Erwähnung der Musiktitel hat mich an den Soundtrack von Forrest Gump erinnert.

Nachdem ich Vietnam vor der Pandemie bereisen durfte, war ich besonders an den Schauplätzen und Einblicken in den (Kriegs-)Alltag interessiert. Der erste Teil hat diesbezüglich meine Erwartungen voll erfüllt. (*****) Die knapp 2/3 des Buches umfassen Frankie's Rekrutierung, Stationierung und Rückkehr. Der 2. Teil setzt 1971 ein und schildert Frankie's Alltag nach der Rückkehr in die USA. Der Grat zwischen Erinnerungen und Schuld sowie Heilung und Heldentum ist schmal. Hier fiel das Buch leider für mich ab. (***) Manches wurde zu schnell abgehandelt, bei einigen Charakteren und dem Ende wurde Potential verschenkt.

Vorkenntnisse sind für die Lektüre nicht erforderlich, aber evtl. mit Blick auf die geschichtlichen Hintergründe von Vorteil. (Hinweis: Nachdem ich das Kriegsopfermuseum in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem ehemaligen Saigon, besichtigt habe, empfand ich die Beschreibungen im Buch als authentisch - Zartbesaitete seien jedoch vor den Kriegsverletzungen gewarnt. Außerdem könnte das Buch noch weitere Themen triggern. Ich möchte hier jedoch nicht spoilern.)