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Frankfurt

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Insgesamt 762 Bewertungen
Bewertung vom 05.06.2025
Teddy
Dunlay, Emily

Teddy


sehr gut

Emily Dunlays Debütroman Teddy entführt uns ins Rom des Jahres 1969 – eine glühend heiße Stadt voller Diplomaten, Dekadenz und Desillusion. Im Zentrum: Teddy Carlyle, frisch verheiratet, elegant und bemüht, endlich das zu sein, was man von ihr erwartet – eine perfekte Ehefrau im diplomatischen Glanzlicht.
Teddy will neu anfangen. Nach Jahren des Scheiterns glaubt sie, endlich ihren Platz gefunden zu haben. Doch die römische Fassade beginnt schnell zu bröckeln: Ein kompromittierendes Foto, ein Schatten aus der Vergangenheit und die undurchsichtige Familiengeschichte reißen sie aus dem selbstgebauten Kokon aus Pillen, Etikette und Etuikleidern.
Dunlay schreibt atmosphärisch dicht und stilistisch versiert. Der Roman wechselt elegant zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Verhörzimmer und Cocktailparty. Teddys Stimme wirkt oft schwankend – zwischen Naivität und Kalkül, zwischen Glamour und Angst. Das macht sie nicht immer sympathisch, aber durchweg interessant.
Die Stärke des Romans liegt nicht in klassischen Spannungsbögen, sondern in seiner psychologischen Tiefenschärfe. Wer auf große Enthüllungen hofft, wartet lange – doch gerade das allmähliche Entblättern von Teddys Innenleben hält die Geschichte lebendig.
Ein stimmiges, feinfühliges Porträt einer Frau im Spannungsfeld zwischen gesellschaftlichem Korsett und individueller Selbstfindung. Stilistisch überzeugend, inhaltlich manchmal etwas zurückhaltend – aber genau das passt zur Protagonistin.
⭐️ 4 von 5 Sternen
Fazit: Ein bittersüßer Cocktail aus 60er-Jahre-Glamour, persönlichem Trauma und der Frage: Wer darf man sein, wenn man allen gefallen will?

Bewertung vom 05.06.2025
Eine Welt nur für uns
Deya, Claire

Eine Welt nur für uns


gut

Claire Deyas Roman Eine Welt nur für uns entführt die Leser:innen ins Jahr 1945 nach Hyères an die Côte d’Azur – in eine Welt zwischen Zerstörung und Neuanfang. Im Mittelpunkt steht Vincent, der nach Jahren deutscher Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, entschlossen, seine große Liebe Ariane wiederzufinden. Diese ist seit zwei Jahren verschwunden, zuletzt in Verbindung mit den deutschen Besatzern gesehen. Um ihrer Spur zu folgen, schließt sich Vincent einer Gruppe Minenräumer an – eine lebensgefährliche Aufgabe, die symbolisch für die Zerbrechlichkeit des Friedens steht.

Deya zeichnet eindrucksvoll das Bild einer vom Krieg gezeichneten Gesellschaft. Die Entscheidung, Minensucher in den Fokus zu stellen – darunter deutsche Kriegsgefangene und französische Freiwillige – eröffnet ein wenig beachtetes, aber historisch relevantes Kapitel der Nachkriegszeit. Die ständige Bedrohung durch tödliche Minen spiegelt treffend die seelische Unsicherheit der Figuren wider. Besonders gelungen ist dabei die Konstellation der Minenräumer: Die fragile Zusammenarbeit zwischen ehemaligen Feinden macht die Spannung greifbar.

Inhaltlich überzeugt der Roman durch seinen thematischen Tiefgang. Er erzählt nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern verhandelt große Fragen: Schuld und Vergebung, Identität, Traumata und der schwierige Weg zurück in ein ziviles Leben. Auch wenn Vincents Suche nach Ariane nicht durchweg fesselnd ist, bleibt sie doch emotional nachvollziehbar – gerade weil sie mit der Suche nach innerem Frieden verknüpft ist.

Der literarische Stil ist allerdings ein zweischneidiges Schwert. Deya beschreibt bildreich und atmosphärisch dicht – gerade die Landschaften, das Licht der Côte d’Azur und die dörfliche Nachkriegsstimmung sind sehr gelungen eingefangen. Gleichzeitig wirken manche Passagen sprachlich sperrig oder redundant, was den Lesefluss bremst. Ob dies am Originaltext oder an einer etwas holprigen Übersetzung liegt, lässt sich schwer sagen – stellenweise wirkt es jedenfalls so, als wäre der Text nicht ganz stilsicher übertragen worden. Längere Sätze verlieren gelegentlich an Klarheit, und einige Dialoge klingen hölzern. Vielleicht auch nur mein Eindruck...

Eine Welt nur für uns ist ein bewegender Roman über eine Zeit des Umbruchs. Die Kombination aus historischer Genauigkeit, psychologischem Feingefühl und einer stillen, aber kraftvollen Liebesgeschichte macht ihn absolut lesenswert. Trotz stilistischer Schwächen und kleiner Längen überzeugt Claire Deya mit einer eindringlichen Geschichte, die lange nachhallt. Für Leser*innen, die sich für die Nachkriegszeit interessieren und Literatur schätzen, die sich auch schwierigen Themen stellt, ist dieser Roman eine klare Empfehlung.

Bewertung vom 03.06.2025
The Island - Auf der Flucht
Martin, Nicola

The Island - Auf der Flucht


sehr gut

Weiße Sandstrände, türkisblaues Meer und tropische Cocktails – The Island entführt seine Leser:innen auf den ersten Blick in ein karibisches Urlaubsparadies. Doch schon nach wenigen Seiten wird klar: Keeper Island ist kein Ort zur Erholung, sondern ein Albtraum in Designeroptik. Nicola Martin inszeniert mit sicherem Gespür für Spannung und Atmosphäre einen packenden Inselthriller, der nicht nur durch seinen exotischen Schauplatz besticht, sondern vor allem durch ein raffiniert konstruiertes Netz aus Intrigen, Geheimnissen und menschlichen Abgründen.
Im Zentrum steht die Hotelmanagerin Lola, die nach einem blutigen Zwischenfall in Hongkong auf Keeper Island ein neues Leben beginnen will. Doch kaum angekommen, wird ihr Mentor Moxham tot aus dem Meer gezogen – angeblich ein Unfall. Für Lola beginnt eine gefährliche Gratwanderung: Zwischen schillernden Gästen, zwielichtigen Angestellten und dem Druck, ihre eigene Vergangenheit zu verbergen, versucht sie herauszufinden, was wirklich hinter der Fassade des Luxusresorts steckt. Ihre zwei goldenen Regeln – „Sei auf alles vorbereitet“ und „Traue niemandem“ – werden auf eine harte Probe gestellt.
Nicola Martin gelingt es mit einem temporeichen Schreibstil, kurzen Kapiteln und ständig neuen Wendungen, einen echten Pageturner zu erschaffen. Die Handlung wird aus Lolas Perspektive erzählt, was die Leser:innen unmittelbar in das Geschehen hineinzieht. Gleichzeitig bleibt die Protagonistin bis zum Schluss ambivalent – ist sie Opfer, Täterin oder beides? Diese moralische Grauzone verleiht der Figur Tiefe und dem Plot zusätzliche Spannung.
Besonders gelungen ist auch die Darstellung der sozialen Kontraste: Während die privilegierten Gäste auf Champagner und Sonnenuntergänge blicken, kämpft das Personal ums Überleben – ein Mikrokosmos der Ungleichheit, in dem Gier und Macht alle Regeln außer Kraft setzen. Das Setting, so verführerisch es auf den ersten Blick scheint, entwickelt sich zur perfekten Bühne für einen modernen Thriller, der mehr zu sagen hat, als bloß zu unterhalten.
Fazit:
The Island – Auf der Flucht ist ein atmosphärisch dichter Thriller mit exotischem Setting, vielschichtigen Figuren und einem Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Nicola Martin beweist ein feines Gespür für Spannung, Psychologie und das Spiel mit Schein und Sein. Ein perfekter Sommerkrimi – aber definitiv nichts für schwache Nerven oder allzu verträumte Reisesehnsüchte.

Bewertung vom 03.06.2025
Ghosted
Mullender, Rosie

Ghosted


sehr gut

Schon auf den ersten Seiten überrascht Ghosted mit einer ungewöhnlichen Mischung: RomCom trifft auf Mystery – und das funktioniert erstaunlich gut. Was zunächst wie eine charmante, leicht abgedrehte Geistergeschichte wirkt, entwickelt schnell emotionale Tiefe und berührt Themen wie Verlust, Selbstwert und familiäre Prägung.
Im Mittelpunkt steht Emily, die mit ihrem Projekt „Emily 2.0“ verzweifelt versucht, ihr Leben in den Griff zu bekommen. Ihr Drang zur Selbstoptimierung wirkt zunächst überzeichnet, ist aber erschreckend nachvollziehbar in einer Gesellschaft, die ständige Verbesserung zur Norm erklärt. Besonders stark sind die Szenen, in denen Emily beginnt, hinter ihre eigene Fassade zu blicken – und sich mit den Schatten ihrer Vergangenheit auseinandersetzen muss.
Der titelgebende „Ghost“ Andy bringt nicht nur Humor und Wortwitz in die Geschichte, sondern auch eine bittersüße Note. Seine Präsenz wirft Fragen auf, die dem Roman zusätzliche Spannung verleihen – ohne ihn je ins rein Übersinnliche kippen zu lassen.
Auch das Freund:innen-Netzwerk um Emily herum ist vielschichtig und angenehm klischeefrei gezeichnet. Die Nebenfiguren bereichern die Handlung mit verschiedenen Perspektiven auf Themen wie Zugehörigkeit, queere Identität und echte Freundschaft – ohne belehrend zu wirken.
Rosie Mullender gelingt es, ernste Themen wie Trauer, Selbstzweifel oder Kindheitstraumata mit Leichtigkeit zu erzählen – mal witzig, mal schmerzhaft ehrlich, immer menschlich. Ghosted ist kein oberflächlicher Wohlfühlroman, sondern ein feinfühliger, unterhaltsamer Blick auf die Frage: Wer bin ich eigentlich, wenn ich aufhöre, jemand anderes sein zu wollen?
Fazit:
Witzig, warmherzig und überraschend tiefgründig – Ghosted erzählt auf originelle Weise vom Loslassen, von Freundschaft und dem Mut zur Selbstakzeptanz. Ein Wohlfühlroman mit Nachhall – charmant erzählt und doch nachdenklich stimmend.

Bewertung vom 29.05.2025
Wozu eigentlich Mathe?

Wozu eigentlich Mathe?


sehr gut

Mein Sohn schreibt demnächst eine Mathearbeit – Thema: Primzahlen. 🧠🔢 Beim gemeinsamen Üben sind wir auf dieses Buch gestoßen – und plötzlich war Mathe nicht mehr nur „Pflicht“, sondern richtig spannend! 🤩
„Wozu eigentlich Mathe?“ hat uns beide überrascht: Es ist bunt, anschaulich und zeigt auf tolle Weise, wie Mathe im Alltag steckt – oft ohne dass wir es merken. Ob beim Schätzen von Kugeln in einem Glas, beim Planen von Reisen ✈️, beim Einkaufen 🛒 oder sogar in der Geschichte – dieses Buch verbindet Wissen mit Alltag, Neugier mit Spaß.
Besonders gelungen finde ich die vielen kleinen Aha-Momente 💡: Wie hat man früher ohne die Null gerechnet? Warum sollte man bei einer Spielshow die Tür wechseln? Wie konnte man mit wenigen Daten ganze Bevölkerungen zählen? Mein Sohn war begeistert – und ich gleich mit.
Die Gestaltung ist ein echter Hingucker 🎨: Farbenfrohe Illustrationen, Retro-Stil, übersichtliche Kapitel – und immer wieder „Du bist dran“-Seiten, auf denen man das Gelesene direkt anwenden kann. Super für neugierige Kinder ab 9 Jahren – und ehrlich gesagt auch für Erwachsene, die Mathe früher eher gemieden haben 😉
Fazit: Dieses Buch macht Mathe greifbar, verständlich und – ja! – richtig unterhaltsam. Ein toller Begleiter zum Schulstoff und eine echte Schatzkiste für alle, die Mathe nicht nur lernen, sondern erleben wollen. 🌍📐🧩

Bewertung vom 29.05.2025
Atlas der vom Aussterben bedrohten Sprachen
Schenk, Arnfrid;Schnell, Stefan

Atlas der vom Aussterben bedrohten Sprachen


sehr gut

Angesichts von derzeit noch rund 7000 Sprachen weltweit ist das ein dramatisches Tempo – und es verdeutlicht, wie ernst die Lage ist. Der Atlas der vom Aussterben bedrohten Sprachen von Arnfrid Schenk und Stefan Schnell ist daher mehr als ein schönes Buch: Er ist ein eindringlicher Appell, ein kulturhistorisches Warnsignal und ein sprachwissenschaftlicher Schatz zugleich.
Der Band stellt 50 gefährdete Sprachen vor – von Nordfriesisch und Niedersorbisch in Europa über das indigene Comanche in Nordamerika, das Kayardild in Australien bis zum fast vergessenen Mbugu in Afrika. Darunter finden sich Sprachen mit Begriffen für feinste Geruchsnuancen, mit einzigartigen Raum-Zeit-Konzepten oder Grammatiksystemen, die es so kein zweites Mal gibt. Wirklich sehr sehr beeindruckend!
Besonders berührend: Die Sprache Nyang’i aus Uganda wird heute nur noch von einer einzigen Person gesprochen. Wenn sie stirbt, stirbt auch ihr Wissen, ihre Geschichte, ihre Welt. Ein stilles Drama, wie es sich auf allen Kontinenten abspielt – etwa in Ozeanien, das mit rund 2100 Sprachen der sprachreichste Raum der Welt ist, aber von denen zwei Drittel vom Aussterben bedroht sind.
Nicht zuletzt besticht der Atlas auch gestalterisch: Die Karten, Infografiken und das klare Layout machen komplexe Zusammenhänge sichtbar und begreifbar. Begleitende Essays erklären nicht nur, warum Sprachen verschwinden – sie zeigen auch, wie sie gerettet werden können. Ob durch Community-Projekte, digitale Initiativen oder Rückbesinnung auf kulturelle Wurzeln – es gibt Hoffnung.
Fazit:
Der Atlas der vom Aussterben bedrohten Sprachen ist ein faszinierendes, liebevoll gestaltetes Buch, das Augen öffnet und Herzen erreicht. Er macht deutlich: Sprache ist mehr als Kommunikation – sie ist gelebte Kultur, Identität und ein unersetzliches Gut. Ein Must-Read für alle, die unsere Welt in ihrer Vielfalt bewahren wollen.

Bewertung vom 27.05.2025
Die Windmacherin
Lunde, Maja

Die Windmacherin


ausgezeichnet

Es beginnt mit salziger Luft. Mit einem Jungen, der zum ersten Mal wieder das Meer riecht. Der Wind fährt ihm durchs Haar, während die Fähre ihn auf eine abgelegene Insel bringt – weit weg von Trümmern, Sirenen und der Angst. So beginnt der Sommer von Tobias, elf Jahre alt, still geworden nach einem Krieg, der ihm zu viel genommen hat.
Die Windmacherin, der dritte Band in Maja Lundes Jahreszeitenquartett, führt uns in die warmen Monate – doch es ist kein fröhlich-leichtes Sommerbuch. Wie schon in Die Schneeschwester und Die Sonnenwächterin verwebt Maja Lunde auch hier Kindheit mit Tiefe, Schmerz mit Hoffnung, Fantasie mit Realität.
Tobias soll sich erholen. Statt Ferienidylle findet er sich bei der wortkargen Lothe wieder, einer Fischerin mit verhärmtem Blick und verschlossenen Türen. Es dauert, bis Tobias erkennt, dass auch Lothe Narben trägt – und dass diese Insel mehr verbirgt, als sie zeigt. Alte Kinderzeichnungen, ein verlassenes Leuchtturmhaus und die Geschichte einer zerbrochenen Freundschaft ziehen ihn langsam hinein in ein leises Abenteuer – und in ein Erinnern, das heilt.
Maja Lundes Sprache ist schlicht, aber eindringlich. Sie schreibt mit großer Zärtlichkeit über schwere Themen: Trauma, Verlust, Sehnsucht, das Überleben nach dem Überleben. Und wieder ist es Lisa Aisato, deren Illustrationen diese Geschichte tragen, erweitern, vertiefen. Manche Bilder sind so intensiv, dass sie den Text für einen Moment überstrahlen. Oder besser: zum Leuchten bringen. Die emotionale Wucht ihrer Bilder ist kaum in Worte zu fassen – sie sind bewegende Begleiter, Stimmungsbilder, Kunstwerke.
Besonders ist auch das Format: ein hochwertiges, großformatiges Buch, das man gerne verschenkt, gemeinsam anschaut, langsam liest. Es lädt zum Innehalten ein – und ist dabei alles andere als kitschig!!!
Die Windmacherin ist ein Buch für Kinder ab etwa 10 Jahren – aber auch für Erwachsene, die wissen, wie viel Kinder aushalten (müssen) und wie viel Literatur heilen kann. Es erzählt davon, dass man weitergehen kann. Dass es Menschen gibt, die helfen. Und dass auch nach dunklen Zeiten ein Sommer kommt, der etwas in Bewegung bringt – ganz leise, wie der Wind.

Bewertung vom 26.05.2025
Salads every day
Zaslavsky, Alice

Salads every day


sehr gut

Ich hätte nie gedacht, dass ein Salatkochbuch mir so viel Freude bereiten würde – aber Salads Every Day von Alice Zaslavsky hat mich komplett begeistert. Ich habe schon einige Rezepte ausprobiert – und jedes einzelne war ein Volltreffer! Besonders der Honig-Süßkartoffel-Risoni-Salat mit mariniertem Feta hat es mir angetan – warm, sättigend, aromatisch… einfach himmlisch.
Was dieses Buch so besonders macht, ist seine unglaubliche Vielfalt: Von schnellen Feierabendgerichten bis zu echten Highlights für die Grillparty oder den gemütlichen Couchabend ist alles dabei – und zwar in warm und kalt! Salat ist hier keine Beilage, sondern der Star auf dem Teller.
Alice Zaslavsky schreibt so charmant, liebevoll über Essen, dass man sich beim Lesen fast wie in einem kleinen Küchengespräch mit ihr fühlt. Die Texte machen Lust aufs Kochen, man merkt, dass die Autorin ihre Gerichte wertschätzt, das macht dieses Buch so sympathisch und lebendig.
Ich schätze besonders das praktische Gemüse-Register: Es hilft mir oft, mit dem, was gerade im Kühlschrank liegt, spontan etwas zu zaubern. Dazu kommen über 80 Dressings, die man herrlich kombinieren kann – da wird wirklich fast (!) jeder Tag zum Salattag!
Vor allem, wenn man die Ansage hat, dass es abends weniger Brot sein muss, ist man hier richtig.
💚 Fazit: Ein Muss für alle, die Salat lieben – oder ihn dank dieses Buchs endlich lieben lernen wollen!

Bewertung vom 26.05.2025
Tiny House
Wurmitzer, Mario

Tiny House


sehr gut

Tiny Houses versprechen ein Leben im Kleinen mit großem Glück. Doch was, wenn der reduzierte Lebensstil zur Kulisse einer Dauerperformance wird – und das Wohnen selbst zur Ware? Mario Wurmitzers neuer Roman nimmt diesen Trend zum Anlass für eine herrlich schräge, satirisch überdrehte Geschichte über Überwachung, Entfremdung und den absurden Wunsch nach Selbstverwirklichung im Zeitalter von Likes und Livestreams.
Im Zentrum steht Emil – ein stiller, passiver Held, der sich durch wechselnde Wohn- und Arbeitsverhältnisse treiben lässt, irgendwo zwischen Digital Detox und Dauerperformance. Die Welt um ihn herum gerät immer wieder ins Kippen: Häuser brennen, die Realität wird zur Fassade, und zwischen Bewerbungsgesprächen und Firmenesoterik blitzt der Irrsinn unserer Gegenwart auf.
Wurmitzer gelingt es mit erstaunlicher Leichtigkeit, das Groteske und das Tragische miteinander zu verweben. Sein Humor ist trocken, seine Sprache pointiert – und genau darin liegt die Kraft dieses kurzen, aber intensiven Romans. Die Handlung folgt keiner klassischen Logik, sondern wirkt wie ein Stream aus zufälligen Begegnungen, absurden Wendungen und immer wieder kleinen Momenten der Klarheit. So entsteht das Bild eines Lebens, das sich zwischen Anpassung und Auflehnung verheddert hat – und das doch nicht ganz aus der Bahn gerät.
Tiny House ist keine Wohnutopie und keine klassische Gesellschaftssatire. Es ist vielmehr eine fein austarierte Farce über das Lebensgefühl einer Generation, die gleichzeitig nach Rückzug und Sichtbarkeit, nach Bedeutung und Ruhe sucht – und dabei in den Widersprüchen der Zeit festhängt.
Fazit:
Ein witziger, intelligenter Roman über das große Chaos im kleinen Raum. Wurmitzer schreibt klug und komisch über das Wohnen, das Arbeiten und das Suchen – und trifft dabei erstaunlich oft den wunden Punkt. Ein lesenswerter Roman für alle, die sich manchmal fragen, ob das Leben nicht längst selbst eine Inszenierung geworden ist.

Bewertung vom 24.05.2025
Daily Soap
Osagiobare, Nora

Daily Soap


ausgezeichnet

Nora Osagiobare hat mit Daily Soap einen literarischen Coup gelandet: einen Roman, der nicht nur bitterböse und blitzgescheit, sondern auch radikal gegenwärtig ist. Was auf den ersten Blick wie eine locker-leichte Satire wirkt, entpuppt sich als messerscharfe Gesellschaftsanalyse mit maximalem Unterhaltungswert – ein echter page-turner mit Haltung.
Im Zentrum steht Toni – eine Schwarze Frau in der Schweiz, deren Hautton die Behörden liebevoll mit „Cappuccino Macchiato, serviert an einem lauen Novemberabend in Sri Lanka“ kategorisieren. Klingt absurd? Ist es auch – und genau das ist der Punkt. Osagiobare deckt in jedem Satz auf, wie tief Rassismus, Mikroaggressionen und Exotisierungsfantasien in der sogenannten Normalität verankert sind. Tonis Leben ist ein täglicher Spießrutenlauf zwischen strukturellem Ausschluss, familiärem Irrsinn und Kopfschmerzen, die vielleicht mehr sind als nur medizinisch erklärbar.
Parallel läuft der zweite Handlungsstrang: Ein gutbürgerliches Unternehmen wird durch einen Rassismus-Shitstorm aus dem neoliberalen Himmel geholt und beschließt – völlig ironiefrei – eine Reality-Show mit Schwarzen Protagonist:innen zu produzieren, um sich reinzuwaschen. Was sich daraus entspinnt, ist ein herrlich groteskes Panoptikum medialer Selbstinszenierung, performativer Antirassismus-Kampagnen und kolonialer Denkmuster im neuen Gewand. Wer glaubt, Kapitalismus und „Diversity“ seien versöhnbar, wird hier mit Stil und Schmackes eines Besseren belehrt.
Was Daily Soap so besonders macht, ist Osagiobares Sprachkunst: Jede Zeile sitzt, jeder Seitenhieb trifft – und zwar dort, wo es wehtut. Ihr Ton ist gleichzeitig rotzig und verletzlich, ihr Humor so präzise wie entlarvend. Sie schreibt mit einer Haltung, die sich nie anbiedert, sondern konsequent von unten, von der Seite, aus der Erfahrung der Marginalisierten erzählt. Dabei gelingt ihr das Kunststück, sowohl wütend als auch verspielt, melancholisch wie überdreht zu sein – eben genau so wie eine gute Daily Soap: voller Drama, Intrige, Chaos, aber mit Substanz.
Und ja – diese Geschichte hat Tiefe. Die Familiengeschichten, die Osagiobare erzählt, sind schrill und voller Absurditäten, aber sie bleiben nie bloß Karikaturen. Sie sind durchzogen von Fragen nach Zugehörigkeit, Identität, Entfremdung und Nähe – verpackt in popkulturellen Referenzen, feministischen Verweisen und einem Bewusstsein dafür, dass persönliche Geschichten immer auch politisch sind.
Fazit:. Eine literarische Watsche für alle, die immer noch glauben, Rassismus sei ein Einzelfall oder Humor könne nicht politisch sein. Osagiobare führt uns durch einen absurden Spiegelkabinettstaat, der unsere Welt erschreckend genau abbildet – und dabei so unterhaltsam ist, dass man erst beim Lachen merkt, wie sehr es brennt.
Wild und wahnsinnig gut – unbedingt lesen.