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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 571 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2025
Das Echo der Sommer
Labba, Elin Anna

Das Echo der Sommer


sehr gut

Elin Anna Labba erzählt in ihrem ersten Roman über rund fünf Jahrzehnte hinweg die Geschichte einer samischen Familie in Nordschweden – aus der Perspektive von drei Frauen: der strotzenden Kämpferin Rávdná, ihrer zurückhaltenden Schwester Ánne und ihrer Tochter Ingå. Jedes Frühjahr kehren sie als Halbnomaden gemeinsam ins „Sommerland“ zurück – nur um zu erleben, wie ihr Dorf mehrfach vom steigenden Stausee überflutet wird. Staatliche Wasserkraftprojekte zerstören ihre Heimat, die Torfkoten versinken im Wasser, ohne dass die Samen vorab einbezogen oder danach entschädigt werden. Die herablassende, rassistische Haltung der schwedischen Regierung war für mich bei der Lektüre kaum erträglich. So wird etwa ein Antrag für einen Baukredit wie folgt abgelehnt: "Die damit (mit dem Bau eines Hauses) einhergehenden Verlockungen würden die Lappen nur verweichlichen. ... Die natürlichen Eigenschaften der Lappen sind für die Sesshaftigkeit nicht geeignet."

Die drei Protagonistinnen reagieren höchst unterschiedlich auf die Unterdrückung durch den schwedischen Staatsapparat: Rávdná rebelliert, kämpft um Landrechte und versucht – trotz Diskriminierung – ein „richtiges“ Haus zu bauen, während Ánne resigniert und Ingå zunehmend sesshaft wird, sich also anpasst. Diese Konstellation erzeugt Spannung und zeigt zugleich die verschiedenen möglichen Wege, mit staatlicher Repression umzugehen.

Anfangs zog sich die Story etwas sehr in die Länge, aber im weiteren Verlauf hat mich die Geschichte sehr gefesselt. Das Staatsversagen gegenüber indigenen Rechten - in Europa und bis in die 1970er Jahre hinein, wohlgemerkt! - macht mich zutiefst betroffen und ich danke der Autorin, dass sie diese wenig bekannten Ungerechtigkeiten ans Licht gebracht hat.

Sprachlich ist der Roman durch sehr viele samische Begriffe und ganze Sätze einerseits sehr authentisch, andererseits ist die Lektüre dadurch auch sehr herausfordernd, zumal ein Glossar fehlt und man oft nur raten kann, was die fremdsprachlichen Begriffe bedeuten. Sehr gut herausgearbeitet ist hingegen, wie naturverbunden das Volk der Samen ist. Und so wirkt hier stimmig, was mich in einem anderen Setting vermutlich gestört hätte, nämlich dass der Stausee eine eigene Erzählstimme erhält. In kursiven Einschüben, auf sehr poetische Weise, kommt so der große See zu Wort, der - menschengemacht - für die Menschen Fluch und Segen zugleich ist.

Fazit: Ein eindrucksvoller Roman mit kraftvollen Naturbeschreibungen, ein wichtiges, poetisch erzähltes literarisches Zeitdokument über eine wenig bekannte indigene Geschichte in Nordschweden.

Bewertung vom 19.07.2025
Italia a casa
Bruno, Natalie;Bruno, Marisa

Italia a casa


ausgezeichnet

„Italia a Casa“ ist ein Kochbuch, das hält, was es verspricht: authentische, bodenständige italienische Küche – ganz einfach nach Hause geholt. Die beiden deutsch-italienischen Schwestern Natalie und Marisa Bruno laden mit über 70 Rezepten zum Nachkochen ein und setzen dabei auf unkomplizierte Zubereitung und Zutaten, die auch hierzulande problemlos erhältlich sind.

Was besonders positiv auffällt: Die meisten Gerichte sind schnell gemacht, dabei aber voller Geschmack. Die gebratenen Zucchini und die süßsauren Paprika beispielsweise sind ideale Vorspeisen – nicht nur schnell zubereitet, sondern auch schnell aufgegessen. Ein echtes Highlight ist das Rezept für die knusprigen Zucchiniküchlein: Sie kommen ganz ohne mühsames Ausdrücken der Zucchini aus, werden im Ofen gebacken und sind trotzdem wunderbar saftig und knusprig – mein persönlicher Favorit.

Ebenfalls empfehlenswert ist der Polpettone al forno, ein gefüllter Hackbraten, der nicht nur geschmacklich, sondern auch optisch überzeugt und sich hervorragend für Gäste vorbereiten lässt. In Kombination mit den mediterran gebackenen Kartoffeln ergibt sich ein rundum gelungenes Hauptgericht, das uns begeistert hat.

Ein Pluspunkt des Buchs ist die übersichtliche Gestaltung: Jede Doppelseite widmet sich einem Gericht, mit appetitlichem ganzseitigen Foto und gut strukturiertem Rezeptteil. Angaben zu Vorbereitungs- und Garzeit, Schwierigkeitsgrad, Saison sowie Eignung für Vegetarier oder Veganerinnen sind auf einen Blick ersichtlich – das erleichtert die Auswahl enorm.

Auch komplett Selbstgemachtes kommt nicht zu kurz: Es gibt Anleitungen für frische Pasta und Gnocchi, wobei besonders beim Pastateig etwas Küchenerfahrung hilfreich ist – hier fällt die Erklärung etwas knapp aus.

Das hochwertig gestaltete Hardcover macht „Italia a Casa“ auch optisch zu einem Genuss, und dank der Tipps der Autorinnen zur Menüplanung für mehrere Gäste ist das Buch nicht nur für den Alltag, sondern auch für besondere Anlässe bestens geeignet.

Fazit: Ein wunderbares Kochbuch, das mit authentischen Familienrezepten, alltagstauglichen Zutaten und viel Liebe zur italienischen Küche begeistert. Ideal für Einsteiger*innen, aber auch für alle, die unkomplizierte und geschmackvolle Gerichte lieben. Ich bin begeistert – und werde mich weiter genussvoll durch Antipasti, Primi, Secondi, Contorni und Dolci brutzeln und backen!

Bewertung vom 05.07.2025
Alles Matcha
ZS-Team

Alles Matcha


ausgezeichnet

Was für eine Entdeckung! Zwar war mir Matcha, das leuchtend grüne Pulver aus gemahlenem Grüntee, bereits ein Begriff, doch dass sich dahinter ein derart breites kulinarisches Universum verbirgt, hätte ich nicht für möglich gehalten. Mit dem neu erschienenen Buch „alles Matcha“ aus dem ZS Verlag hat sich mir eine völlig neue Welt eröffnet – und ich bin hellauf begeistert!

Bislang habe ich Matcha klassisch als Tee genossen, doch dieses charmante, liebevoll gestaltete Buch zeigt auf 125 Seiten, wie vielseitig und kreativ das grüne Gold eingesetzt werden kann. Ob süß, herzhaft oder erfrischend – Matcha überrascht mit seinem feinen, leicht herben Aroma, der kräftigen Farbe und einer Extraportion Raffinesse.

Ich habe mich bereits durch zahlreiche der über 50 Rezepte gekocht und gemixt – jedes davon ein kleines Geschmackserlebnis. Der „Green Goddess Salad“ mit Ei, Gurke und Radieschen ist nicht nur optisch ein Highlight, sondern auch geschmacklich wunderbar ausgewogen. Der Chia-Pudding mit Kirschen begeistert mit seiner Kombination aus Cremigkeit und Frucht, und der Iced Strawberry Matcha Latte sowie der Ingwer-Mocktail sind meine neuen Sommerfavoriten. Besonders erwähnenswert: Das Risotto mit gerösteter Paprika und Mozzarella – ein Gedicht! Die herzhafte Note des Matcha passt hier überraschend gut und sorgt für eine ganz neue Geschmacksdimension.

Das Buch punktet nicht nur mit kreativen Rezepten, die einfach umzusetzen sind, sondern auch mit fundiertem Wissen: Die praktische Klappenbroschur enthält kompakt und übersichtlich Infos zur Geschichte und Kultur des Matcha, eine kleine Warenkunde sowie hilfreiche Tipps zur optimalen Lagerung und Zubereitung. So wird aus dem Trendprodukt ein echter Küchen-Allrounder.

Ein kleiner Hinweis am Rande: Bei aller Begeisterung sollte man den Koffeingehalt nicht unterschätzen – Matcha enthält knapp sechsmal so viel Koffein wie Kaffee. Wer also wie ich gerne nachmittags zum grünen Snack greift, sollte darauf achten, nicht auch noch abends davon zu naschen … sonst wird der Schönheitsschlaf zum Wachtraum.

Fazit: „alles Matcha“ ist ein wahres Schatzkästchen für alle, die offen für neue Geschmackserlebnisse sind. Ob Matcha-Neuling oder Kenner – dieses Buch macht Lust aufs Ausprobieren, Experimentieren und Genießen. Es ist kreativ, informativ und durchweg inspirierend. Ein Must-have für alle, die mehr aus Matcha machen wollen!

Bewertung vom 03.07.2025
Die Zeit im Sommerlicht
Laestadius, Ann-Helén

Die Zeit im Sommerlicht


ausgezeichnet

Ann-Helén Laestadius ist mit "Die Zeit im Sommerlicht" ein zutiefst berührender und zugleich schonungsloser Roman gelungen. In eindringlicher Sprache erzählt sie von der Unterdrückung der samischen Bevölkerung in Schweden – einem düsteren Kapitel, das viel zu lange im Verborgenen lag.

Besonders erschütternd ist die Schilderung der sogenannten Nomadenschulen, in die Kinder samischer Familien bis in die 1960er Jahre zwangsweise geschickt wurden. Auch die Mutter der Autorin war davon betroffen. Fern von ihren Familien waren die Kinder völlig ausgeliefert und litten unter psychischem und physischem Missbrauch durch das Lehrpersonal. Das Sprechen der eigenen Sprache war verboten, das traditionelle Joiken – der samische Gesang – wurde als „Teufelswerk“ diffamiert.

Laestadius lässt fünf Kinder zu Wort kommen, deren Perspektiven sich kapitelweise abwechseln – sowohl in ihrer Kindheit in den 1950ern als auch rund 30 Jahre später. So entfaltet sich ein vielstimmiges, berührendes Bild davon, welche Spuren diese traumatischen Erfahrungen in ihrem späteren Leben hinterlassen haben. Zugegeben: Die vielen Perspektivwechsel fordern zu Beginn ein wenig Geduld, ich tat mich anfangs etwas schwer, den Überblick über die handelnden Personen zu behalten. Doch wer sich darauf einlässt, wird reich belohnt.

Die Sprache des Romans ist direkt und schnörkellos – und trifft mitten ins Herz. Besonders hervorheben möchte ich die sehr gelungene Übersetzung von Maike Barth und Dagmar Mißfeldt. Auch das angefügte Glossar mit samischen Begriffen ist eine wertvolle Ergänzung und lädt dazu ein, tiefer in die samische Kultur einzutauchen.

Ein kleiner Wermutstropfen bleibt der deutsche Titel. "Die Zeit im Sommerlicht" klingt poetisch, verfehlt aber die Härte und Klarheit des schwedischen Originaltitels "Straff" – was übersetzt „Bestrafung“ bedeutet. Ein passenderes Wort für das, was den Kindern angetan wurde, hätte man kaum wählen können.

Immer wieder habe ich mich beim Lesen gefragt: Warum empfand der schwedische Staat die samische Kultur samt ihrer nomadischen Lebensweise als so bedrohlich, dass man sie als minderwertig brandmarkte und systematisch auslöschen wollte? Die Antwort darauf bleibt offen, doch das Buch gibt wichtige Impulse zum Nachdenken.

Zum Glück hat sich seitdem Vieles verändert, und eines der letzten indigenen Völker Europas findet zunehmend zu seinen Wurzeln zurück. Doch das Unrecht, das geschah, darf nicht in Vergessenheit geraten. "Die Zeit im Sommerlicht" ist ein bedeutendes literarisches Werk gegen das kollektive Vergessen – und darüber hinaus eine wunderbare Gelegenheit, sich der reichen und stolzen Kultur der Samen anzunähern.

Ein unbedingt lesenswerter Roman. Bewegend, aufrüttelnd und wichtig.

Bewertung vom 26.06.2025
Das ist Glück
Williams , Niall

Das ist Glück


ausgezeichnet

Ich bin wirklich nicht der Typ für große Gefühlsduselei. Im Gegenteil: Normalerweise brauche ich in der Literatur – wie im Leben – ein gewisses Maß an Action, Tempo und Abwechslung. Lange Landschaftsbeschreibungen oder ausufernde poetische Abschweifungen? Eher schwierig für mich. Und doch… hat mich dieses Buch mitten ins Herz getroffen. Und zwar vor allem mit seinem langsamen Tempo und der überbordenden Liebe zu Irland, seinen Menschen, ihrer Kultur und der rauhen Landschaft.

Niall Williams, geboren 1958 in Dublin, ist eigentlich gelernter Literaturwissenschaftler und Dramatiker. Bevor er sich dem Schreiben von Romanen widmete, arbeitete er als Drehbuchautor. Seine tiefe Liebe zu Irland ist in jeder Zeile spürbar. Und wenn man „Das ist Glück“ liest, versteht man sehr schnell, warum er nach fünfjährigem Aufenthalt in New York wieder in seine irische Heimat zurückkehrte und inzwischen zu den großen Erzählern Irlands gehört.

Diese Geschichte ist leise, manchmal fast beiläufig erzählt. Über weite Strecken passiert – objektiv gesehen – wenig. Oder wie es so schön im Buch heißt: „Nichts geschah, aber das immer wieder.“ Und doch passiert alles. Große Themen wie Schuld, Vergebung, Altern, Erinnerung, Sterben, Tod und auch die Rolle von Kirche und Religion im Alltag der Menschen – all das verhandelt Williams auf eine so feine, respektvolle und unaufgeregte Weise, dass es mich beim Lesen entschleunigt und geerdet hat.

Normalerweise langweile ich mich schnell, wenn Handlung ausbleibt – aber hier? Keine Spur davon. Die poetischen, manchmal ausufernden Beschreibungen von Wetter und Landschaft wirken nie überladen oder gar kitschig. Sie sind vielmehr wie der ruhige Puls des Lebens selbst. Williams schafft es, die irische Natur mit einer solchen Selbstverständlichkeit in die Geschichte einzuweben, dass sie fast selbst zur Figur wird.

Und dann diese Charaktere! Schrullig? Ja. Speziell? Absolut. Aber immer voller Wärme und Menschenliebe gezeichnet. Mit großer Achtung vor ihren Eigenheiten und Brüchen. Was ich besonders schätze, ist der feine, manchmal fast schalkhafte Humor, der immer wieder unverhofft aufblitzt. Wenn etwa über eine Ordensoberin gesagt wird: „In Mutter Aquinas' Stimme lag nichts Lammweiches. Sie hätte sich ohne Weiteres dafür qualifiziert, das stellvertretende Kommando über die Alliierten zu führen.“ Oder die köstliche Passage über die Elektrifizierung des Dorfes, nachdem Spiegel zum Verkaufsschlager wurden und die Bewohner im grellen Lampenlicht : „… zum ersten Mal erkannten, wie sie wirklich aussahen.“

Unvergessen bleibt für mich auch die schöne Parallele, die Williams zwischen der irischen Erzähltradition und der traditionellen Musik der Insel zieht: Beide scheinen kein Ende zu finden, alle Geschichten sind lang, weil "Geschichten über etwas so Abwegiges und Widersprüchliches wie menschliches Verhalten so lang sein mussten, dass sie diesseits des Grabes nicht zu Ende sein würden und tatsächlich nicht zu Ende sein konnten ... ", ebenso wie die Lieder, die landauf landab virtuos auf der Fiddle oder Tin Whistle gespielt wurden und werden, scheinbar ohne Ende ineinander übergehen.

Am Ende bleibt das Gefühl, einer Einladung gefolgt zu sein: Raus aus unserer hektischen, getriebenen Welt hinein in eine andere Zeit, ein anderes Tempo, eine andere Haltung dem Leben gegenüber. Eine großherzige Reise ins Irland Mitte des letzten Jahrhunderts.

Mein Fazit: Unbedingt lesen! Besonders für alle, die ihr Glück (wieder) in der Ruhe, im Annehmen des eigenen Schicksals und in der Beobachtung des scheinbar Alltäglichen finden wollen.

Bewertung vom 18.06.2025
Immer zwei und zwei
Steiner, Tabea

Immer zwei und zwei


gut

Tabea Steiner, selbst in einer strengen freikirchlichen Gemeinschaft aufgewachsen, verarbeitet in ihrem Roman "Immer zwei und zwei" dieses Milieu, das sie aus persönlicher Erfahrung kennt. Als junge Erwachsene hat sie diese Freikirche verlassen – ein biografischer Hintergrund, der sich deutlich im Roman widerspiegelt, auch wenn die Geschichte fiktional bleibt.

Im Zentrum steht die junge zweifache Mutter, Künstlerin, Teilzeit-Lehrerin und Ehefrau Kristin, die in einer fundamentalistisch geprägten christlichen Gemeinschaft lebt. Die Handlung entfaltet sich zunächst in kurzen, vignettenartigen Szenen, die vor allem im ersten Teil des Romans eine bemerkenswert dichte, fast klaustrophobische Atmosphäre erzeugen. Mit wenigen Worten gelingt es Steiner hier, die rigiden Strukturen und subtilen wie offenen Zwänge dieser Welt spürbar zu machen. Besonders eindringlich sind die Passagen, in denen die religiöse Erziehung von Kindern thematisiert wird: ein Leben im ständigen Schwarz-Weiß-Denken, das von Schuld, Angst und der Drohung göttlicher Strafe geprägt ist.

Diese latente Bedrohlichkeit wird konkret, als sich die Protagonistin in eine Frau verliebt – eine Zuneigung, die im Umfeld der Gemeinde nicht nur tabuisiert, sondern auch aktiv bekämpft wird. In der Folge zieht ihr Ehemann ohne Vorwarnung mit den gemeinsamen Kindern zur Schwiegermutter. Kristin wird damit nicht nur emotional, sondern auch ganz praktisch isoliert – der Entzug der Kinder ist eine schmerzhafte und gewaltsame Konsequenz ihres Abweichens von der Norm.

Trotz dieser starken Anfangspassagen bleibt der Roman in seiner weiteren Entwicklung teilweise hinter dem eigenen Anspruch zurück. So bleibt die innere Wandlung der Hauptfigur, ihr allmähliches oder plötzliches Ablösen von der Gemeinschaft, auffallend unkonkret. Die Beweggründe für ihre Distanzierung erscheinen eher schemenhaft, was der Erzählung gerade in der zweiten Hälfte Tiefe nimmt. Auch die Nebenfiguren – seien es Mitglieder der Glaubensgemeinschaft, Familienangehörige oder Bezugspersonen – bleiben meist blass und fungieren eher als Funktionsträger denn als lebendige Figuren mit nachvollziehbaren Motivationen.

Trotz dieser Schwächen bleibt "Immer zwei und zwei" ein wichtiges literarisches Zeugnis darüber, wie restriktiv und angstbesetzt religiöse Erziehung sein kann – besonders dann, wenn sie nicht auf individuelle Freiheit, sondern auf Gehorsam und Unterordnung ausgerichtet ist. Der Roman überzeugt vor allem in seiner atmosphärischen Dichte und in den präzisen Schilderungen der Dynamiken innerhalb einer geschlossenen Glaubensgemeinschaft – ein Beitrag zur Literatur über religiöse Enge, der nachhallt.

Bewertung vom 13.06.2025
Die Frauen hinter der Tür
Doyle, Roddy

Die Frauen hinter der Tür


sehr gut

Roddy Doyle gelingt mit "Die Frauen hinter der Tür" ein sprachlich wie emotional herausfordernder Roman, der sich mit häuslicher Gewalt, Alkoholismus, generationsübergreifendem Trauma und familiärer Verantwortung auseinandersetzt – und das mit einer bemerkenswerten Mischung aus Tiefgang, Leichtigkeit und besonderem Galgenhumor. Letzterer zeichnet den Dubliner als typischen Vertreter des zeitgenössischen Comic Writing aus.

Besonders beeindruckend ist Doyles Erzählstil, der trotz der Schwere des Stoffes oft überraschend leicht wirkt. Mit seinem feinen Gespür für Dialoge – ein Markenzeichen Doyles – schafft er es, die Figuren lebendig, glaubwürdig und oft auch mit einem trockenen Witz auszustatten, der den Schmerz nie bannt, aber doch erträglicher macht. Darüber hinaus überzeugt die Innenwelt der Protagonistin Paula, deren Gedankenströme facettenreich und nuanciert geschildert werden.

Literarisch anspruchsvoll ist der Roman allemal – nicht zuletzt durch die zahlreichen Zeitsprünge und die Nähe zum Stilmittel des Bewusstseinsstroms, der mich teils an Virginia Woolfs "Stream of conciousness" in "Mrs. Dalloway" oder gar an "Ulysses" von James Joyce erinnert hat. Diese Assoziation kommt nicht von ungefähr: Auch "Die Frauen hinter der Tür" spielt in Dublin und zeichnet ein alles andere als idyllisches Bild der Stadt und ihrer Bewohner*innen.

Zentrales Thema ist die Aufarbeitung familiärer Traumata, insbesondere die Rolle, die Kinder in dysfunktionalen Familiensystemen einnehmen müssen – falsch und oft viel zu früh. Besonders bewegend ist die Beziehung zwischen Paula und ihrer längst erwachsenen Tochter Nicola. Jahrzehntelang hat die Tochter sich um ihre alkoholkranke Mutter gekümmert – ein Rollenverhältnis, das sich erst langsam umkehrt. Doyles Roman zeigt, wie tief solche Muster reichen, aber auch, dass Veränderung möglich ist. Paulas späte, aber entschlossene Entwicklung zur aktiven Mutterfigur ist einer der hoffnungsvollsten Aspekte des Buches.

Die Frauen hinter der Tür ist kein einfacher Roman, aber einer, der es wert ist, gelesen zu werden. Er konfrontiert, berührt, und zeigt zugleich auf, dass es nie zu spät ist, Verantwortung zu übernehmen und kaputte Beziehungen zu heilen – ein eindrucksvolles literarisches Plädoyer für späte Einsicht und neue Wege.

Bewertung vom 10.06.2025
Die Frauen von Cornwall
Du Maurier, Daphne

Die Frauen von Cornwall


sehr gut

Daphne du Mauriers Debütroman "Die Frauen von Cornwall" (Original: The Loving Spirit) ist ein beeindruckendes Familienepos, das über vier Generationen die Geschichte der fiktiven Familie Coombe erzählt.

Was mir an diesem Roman besonders gefallen hat, sind die stimmungsvollen Landschaftsbeschreibungen. Du Maurier schafft es meisterhaft, das Meer, den Hafen und die wilden Küsten in atmosphärische Bilder zu tauchen, die nicht nur Kulisse, sondern Spiegel der Gefühle ihrer Figuren sind. Das Salz der See, der Geruch der Gischt und das stetige Rauschen der Wellen prägen die Stimmung des Romans auf eindrückliche Weise.

Anfangs fand ich die Geschichte etwas sperrig und musste mich erst an den doch etwas altmodischen Erzählstil gewöhnen. Doch sehr schnell hat mich die Story in ihren Bann gezogen – auch wenn ich mit den spirituellen Aspekten, wie der generationenübergreifenden Weitergabe von Gefühlen und Haltungen, nicht ganz warm wurde. Diese „unsichtbaren Verbindungen“ zwischen den Figuren oder gar das Auftauchen von Geistern wirken für mich stellenweise melodramatisch, was typisch für Du Maurier ist, aber nicht immer mein Geschmack war.

Ein weiteres zentrales Thema des Romans ist der Konflikt zwischen Freiheit und Bindung, der vor allem die Frauen der Familie Coombe prägt. Der „liebende Geist“, der leider nur im Original auch der Titel ist, wird durch die Generationen weitergegeben und symbolisiert die Sehnsucht nach Selbstbestimmung und die Kraft, auch widrige Umstände zu überwinden. Doch immer wieder treffen diese inneren Kräfte auf die Härten des Schicksals und gesellschaftliche Zwänge.

Eine besonders schöne literarische Klammer schafft Du Maurier, indem das letzte Kapitel mit denselben Sätzen wie das erste beginnt. Diese Wiederholung verbindet die Figuren Janet Coombe und ihre Urenkelin Jennifer miteinander und betont so die zyklische Natur von Geschichte, Familie und persönlichem Erleben. Es ist eine poetische Erinnerung daran, dass Vergangenheit und Gegenwart miteinander verwoben sind.

Die Entstehungsgeschichte des Romans ist ebenfalls faszinierend: Daphne du Maurier wurde durch einen ganz konkreten Fund inspiriert – sie entdeckte zufällig das Wrack des Schoners „Jane Slade“ in Pont Creek, benannt nach der Ehefrau des Schiffseigners. Dies führte sie direkt zu Nachforschungen über die Familie Slade, die sie literarisch als Familie Coombe verewigte. Besonders schön ist auch die Verbindung zur realen Welt: In der Kirche von Lanteglos, wo Jane Slade (im Roman Janet Coombe) geheiratet hatte und wo sie und weitere Familienmitglieder begraben sind, heiratete Du Maurier 1933 ihren Bräutigam Frederick Browning – der durch das Lesen von "The Loving Spirit" auf Cornwall aufmerksam wurde und beschloss, die Schauplätze des Romans zu besuchen.

Zusammengefasst ist "Die Frauen von Cornwall" ein atmosphärisch dichter Roman mit großen Themen wie Familie, dem Streben nach persönlicher Freiheit und dem Einfluss der Vergangenheit. Er ist gelegentlich etwas melodramatisch und die spirituellen Elemente gefallen sicher nicht jedem, doch wer sich darauf einlässt, wird mit einer kraftvollen Geschichte und unvergesslichen Bildern belohnt.

Bewertung vom 19.05.2025
Hauptsache Salat
Raffaelli, Valentina

Hauptsache Salat


sehr gut

Mit "Hauptsache Salat" verleiht Valentina Raffaelli dem Salat den Rang, den er viel zu oft nicht bekommt: den des Hauptdarstellers auf dem Teller. In 60 kreativen Rezepten zeigt die Autorin, dass Salat weit mehr sein kann als bloßes Grünzeug am Tellerrand. Modern, oft ungewöhnlich kombiniert und durchweg ansprechend präsentiert, laden die Gerichte dazu ein, das Konzept „Salat“ ganz neu zu denken – als vollwertiges, oft überraschendes Hauptgericht.

Besonders lobenswert ist der saisonale Aufbau des Buches. Jedes Rezept orientiert sich an der jeweiligen Jahreszeit und verwendet – zumindest dem Anspruch nach – Produkte, die in dieser Zeit frisch erhältlich sind. Damit verfolgt Raffaelli ein wichtiges Ziel: die Vielfalt von Obst- und Gemüsesorten zu bewahren und bewusster zu konsumieren. Allerdings zeigt sich hier auch eine gewisse Diskrepanz: Die Einteilung basiert auf italienischen Reife- und Erntezeiten und lässt sich nicht ohne Weiteres auf Deutschland übertragen. Gerade weil die italienische Köchin mehrere Jahre in Amsterdam gelebt hat, hätte man erwarten dürfen, dass sie diesen Umstand berücksichtigt – oder zumindest Alternativen für den mitteleuropäischen Raum nennt.

Ähnliches gilt für ihren gut gemeinten Rat, vorzugsweise auf lokalen Märkten einzukaufen. In der Theorie charmant, in der Praxis aber nicht für alle Leserinnen umsetzbar – insbesondere, wenn viele der verwendeten Zutaten hierzulande schwer erhältlich sind. Exotisch klingende Produkte wie Mizuna, Bottarga, Pioppini-Pilze oder Lampascioni mögen Feinschmeckerinnen begeistern, erschweren aber den Zugang für den Durchschnittskoch. Eine Liste mit gängigeren Alternativen hätte dem Buch gutgetan und es alltagstauglicher gemacht.

Dafür punktet Hauptsache Salat an anderer Stelle: Die Mengenangaben beziehen sich meist auf eine Portion – eine simple, aber äußerst praktische Lösung, die das Hochrechnen für mehrere Personen deutlich erleichtert. Auch die Vorstellung unterschiedlicher Essig- und Ölsorten sowie die Grundrezepte für Würzöle, Konfitüren und Fermentiertes bieten Mehrwert, gerade für Leser*innen, die gern experimentieren oder auf der Suche nach neuen Basics für die Küche sind.

Nicht zuletzt überzeugt die Gestaltung: Die stimmungsvollen Fotos von Laura Spinelli und die charmanten Illustrationen von Luca Boscardin machen das Blättern zum Genuss und wecken Lust, gleich in der Küche loszulegen. Die hochwertige Aufmachung unterstreicht den Anspruch, Salat aus der Nische der langweiligen Beilage zu befreien.

Fazit: "Hauptsache Salat" ist ein visuell ansprechendes, ideenreiches Kochbuch, das Salat in seiner ganzen Vielfalt feiert. Kleinere Schwächen in der regionalen Übertragbarkeit und bei der Zutatenauswahl trüben den Gesamteindruck etwas, schmälert aber nicht das Potenzial für kulinarische Neuentdeckungen. Wer offen für neue Kombinationen ist – und bereit, auch mal etwas zu improvisieren – wird mit diesem Buch viele frische Impulse bekommen.

Bewertung vom 19.05.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


gut

Takis Würgers neuer Roman "Für Polina" beginnt durchaus vielversprechend: Mit einem feinen Gespür für Sprache und Atmosphäre führt uns der Autor in die Welt seines Protagonisten Hannes ein, dessen Leben durch den frühen Tod der Mutter eine jähe Wendung nimmt. Anfangs wirkt die Geschichte eindringlich, beinahe poetisch. Doch was als sensibles Porträt eines traumatisierten Jungen beginnt, verliert sich bald in einer überkonstruierten und vorhersehbaren Liebesgeschichte, die am Ende mehr Sentimentalität als Substanz bietet.

Hannes hört nach dem Tod seiner Mutter nicht nur auf zu sprechen, sondern stellt auch sein Wachstum ein – ein literarisches Motiv, das unweigerlich an Oskar Matzerath aus Grass' Blechtrommel erinnert, ohne allerdings dessen vielschichtige Dimensionen zu erreichen. Stattdessen wirkt diese Anleihe wie ein bloßes Stilmittel, das den Eindruck von Tiefe eher vortäuscht als tatsächlich herstellt.

Die größte Zumutung für mich stellt jedoch die Entwicklung von Hannes zum gefeierten Konzertpianisten dar. Obwohl er sich über Jahre hinweg weigert zu spielen und zudem einen Finger verloren hat, steht dieser offenkundige Widerspruch seinem internationalen Erfolg nicht im Weg – hier verliert die Story jegliche erzählerische Glaubwürdigkeit. Die Realität wird glattgebügelt, jede Widrigkeit des Lebens erscheint letztlich nur wie ein Stolperstein auf dem Weg zu einem kitschigen Happy End, das so süß daherkommt, dass es beinahe schmerzt.

Auch das Frauenbild des Romans bleibt fragwürdig. Mit Ausnahme von Hannes’ Mutter Fritzi wirken die weiblichen Figuren entweder platt oder klischeehaft überzeichnet. Wenn sich Männer verlieben, dann stets auf Grundlage äußerlicher Reize – innere Konflikte oder Persönlichkeitsmerkmale scheinen zweitrangig. Besonders ärgerlich ist dabei die Darstellung der titelgebenden Polina: Als Projektionsfläche männlicher Sehnsüchte steht sie im Mittelpunkt, doch sobald sie sich für ein selbstbestimmtes Leben entscheidet, wird ihre Perspektive weitgehend ausgeblendet. Ihr Weg ohne Mann an der Seite bleibt nicht nur unbeleuchtet – er scheint erzählerisch kaum von Bedeutung zu sein.

So bleibt "Für Polina" ein Roman, der auf den ersten Blick zu unterhalten weiß, aber bei näherem Hinsehen enttäuscht. Zu glatt, zu sentimental, zu schematisch. Statt die Widersprüche des Lebens ernst zu nehmen, schiebt Würger sie beiseite – und liefert ein Werk, das mit großer Geste von Liebe spricht, letztlich aber an der Oberfläche bleibt. Schade, denn der Anfang zeigte, dass da mehr möglich gewesen wäre.

Fazit: Ein ambitioniert beginnender Roman, der leider in Kitsch und klischeehafter Konstruktion versinkt – mit einem Frauenbild, das mehr Fragen aufwirft als Charaktertiefe liefert.