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Aischa

Bewertungen

Insgesamt 559 Bewertungen
Bewertung vom 17.04.2025
Auf allen vieren
July, Miranda

Auf allen vieren


gut

Mit ihrem Roman Auf allen Vieren wagt sich Miranda July in gewohnt eigenwilliger Manier an die Ränder gesellschaftlicher und persönlicher Selbstverständlichkeiten. Wer bereits mit Julys künstlerischem Werk vertraut ist — sei es ihre Filmkunst, ihre Kurzgeschichten oder Performances — wird in der Protagonistin dieses Romans unschwer Parallelen zur Autorin selbst erkennen. Julys Blick auf das Alltägliche, ihr oft schonungsloser Humor und ihre Fähigkeit, das Intime mit dem Skurrilen zu verweben, scheinen hier fast direkt aus dem eigenen Leben in die Romanhandlung überzugehen. Es fällt schwer zu glauben, dass Auf allen Vieren rein fiktional ist; zu sehr klingen autobiografische Anteil zwischen den Zeilen an.
Zu Beginn habe ich die Geschichte mit großem Vergnügen und ehrlichem Interesse verfolgt. Sowohl inhaltlich als auch sprachlich liegt der Roman außerhalb dessen, was ich üblicherweise lese — und genau das hat mich fasziniert. Besonders angenehm empfand ich die beiläufige Selbstverständlichkeit, mit der die Protagonistin ein nonbinäres Kind hat: Die Verwendung geschlechtsneutraler Pronomen wie dey, dem und deren geschieht unaufgeregt, ohne belehrenden Ton, und ist genau deshalb so wirksam.
Ein weiteres großes Plus ist die Thematisierung weiblicher Sexualität in unterschiedlichen Lebensphasen und der Veränderungen, die die (Prä-)Menopause für das Selbstbild einer Frau mit sich bringen kann. Dies findet in der Gegenwartsliteratur, abseits von Sachbüchern, bisher viel zu selten Platz, und es ist erfrischend wie selbstverständlich July diese Erfahrung ins Zentrum rückt.
Doch trotz all dieser spannenden und wichtigen Aspekte hat mich die Story im Verlauf zunehmend verloren. Gegen explizite Darstellungen sexueller Fantasien oder Selbstbefriedigung habe ich keinerlei Einwände — im Gegenteil, Offenheit an dieser Stelle ist bereichernd. Allerdings kippte für mich das Gleichgewicht, als sich der Roman fast ausschließlich um Sex, Begierde und Masturbation zu drehen begann. Die Handlung geriet ins Stocken, die Figuren blieben oft skizzenhaft, und manches Verhalten wirkte auf mich schlichtweg unplausibel. Die Frage, ob befreundete Mittvierzigerinnen sich tatsächlich regelmäßig Nacktselfies schicken — und warum — blieb für mich ebenso unbeantwortet wie die Ursachen für die emotionale Distanz der Protagonistin zu ihrem Ehemann.
So bleibt mein Leseerlebnis am Ende zwiegespalten: ein Roman, der wichtige Themen anspricht und mit erfrischender Offenheit aufwartet, der aber erzählerisch nicht immer überzeugt und mich schließlich eher ratlos als begeistert zurückließ. Für mich leider nur ein mittleres Leseerlebnis — originell, aber unausgewogen.

Bewertung vom 17.04.2025
Die Vergangenheit kennt kein Ende
Schweiger, Wolfgang

Die Vergangenheit kennt kein Ende


sehr gut

Wolfgang Schweiger entführt seine Leserinnen und Leser mit "Die Vergangenheit kennt kein Ende" in das Chiemgau Mitte der 1950er Jahre — eine Region, die auf den ersten Blick idyllisch wirkt, unter der Oberfläche jedoch noch tief von den Schatten des Nationalsozialismus geprägt ist. Mit sicherem Gespür für historische Atmosphäre und detailreiche Milieuschilderungen gelingt es Schweiger, die Stimmung im ländlichen Nachkriegsdeutschland eindrucksvoll einzufangen.
Besonders überzeugt hat mich die Authentizität der Figuren. Allen voran Kriminalkommissar Mehringer, der mit seinem ausgeprägten moralischen Kompass nicht davor zurückschreckt, auch unbequeme Wege zu gehen. und sich gegen das teils noch immer menschenverachtende Gedankengut in Polizei und Justiz zu stellen. Schweiger zeigt schonungslos, wie tief rassistische und nationalsozialistische Überzeugungen auch Jahre nach Kriegsende noch in den Köpfen verankert waren, selbst bei Polizei und Justiz — ein Aspekt, der dem Roman eine bedrückende Aktualität verleiht.
Die Handlung selbst ist äußerst temporeich und hält den Spannungsbogen konstant auf hohem Niveau. Ein Kriminalfall reiht sich an den nächsten, sodass kaum Zeit zum Durchatmen bleibt. Einziger Wermutstropfen: Aufgrund der Vielzahl an handelnden Personen fiel es mir zu Beginn nicht leicht, den Überblick zu behalten. Ein Personenverzeichnis hätte hier für Orientierung sorgen können.
Kritisch anmerken möchte ich die Darstellung einer wahrsagenden sogenannten „Zigeunerin“. Hier bedient Schweiger leider ein klischeehaftes Stereotyp, das die Ausgrenzung von Sinti und Roma als „andersartig“ weiter zementiert — ein bedauerlicher Bruch in einem ansonsten sehr feinfühligen Roman.
Abgesehen davon überzeugt "Die Vergangenheit kennt kein Ende" als fesselnder Kriminalroman, der nicht nur durch Nervenkitzel, sondern auch durch sein nuanciertes und atmosphärisch dichtes Bild der deutschen Nachkriegsgesellschaft besticht. Ein Buch, das unterhält und nachdenklich stimmt. Gerne mehr davon!

Bewertung vom 10.04.2025
Einfach herzhaft & süß
Süss, Dominik

Einfach herzhaft & süß


weniger gut

Dominik Süss präsentiert mit „Einfach herzhaft & süß“ sein erstes Kochbuch, das zunächst viel verspricht – und optisch auch absolut überzeugt. Das Buch punktet mit einem modernen, ansprechenden Layout, das gleichzeitig übersichtlich und einladend wirkt. Die rustikalen, bodenständigen Rezepte spiegeln den sympathischen Anspruch wider, klassische Hausmannskost neu zu beleben. Besonders nett: Bonusmaterial wie eine persönliche Spotify-Kochplaylist des Autors und begleitende Videos zu einigen Rezepten – wobei ich Letztere leider nicht bewerten kann, da sie nur via Instagram abrufbar sind und ich keinen Account habe.
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Nichts gegen Selbstbewusstsein – das gehört zum Auftreten eines jungen Kochs durchaus dazu –, aber Dominik Süss schießt hier regelmäßig übers Ziel hinaus. Sein „bester Eierlikör deines Lebens“, der „weltbeste Kartoffelsalat“ oder gar „weltberühmte Kaspressknödel“ klingen eher nach Marketingfloskeln als nach kulinarischer Bescheidenheit. Ein sparsamerer Einsatz von Superlativen und dafür mehr Substanz hätten dem Ton des Buches gutgetan.
Ebenfalls kritisch sehe ich die penetrante Werbung für einen bekannten Küchengerätehersteller. Dass gutes Equipment hilfreich ist, steht außer Frage – aber die Behauptung, man könne damit den Alltag „millionenfach angenehmer“ machen, wirkt eher wie ein PR-Text als wie ein Teil eines authentischen Kochbuchs.
Und die Rezepte selbst? Alles, was ich ausprobiert habe, war solide und schmeckte gut – aber die ganz großen Aha-Momente blieben aus. Wer schon länger kocht, wird hier wenig Neues entdecken. Das mag aber auch gar nicht die Zielgruppe sein: Dominik möchte junge Menschen zum Kochen motivieren. Ein ehrenwertes Ziel, aber in der Umsetzung hapert es: Mengenangaben sind mitunter ungenau, Zubereitungsschritte zu knapp gehalten und Angaben zur Dauer fehlen leider komplett – für Einsteiger*innen ist das eine unnötige Hürde. Süss mag ein guter Koch sein, zum guten Kochbuchautor fehlt in meinen Augen noch Einiges
Fazit: „Einfach herzhaft & süß“ ist ein hübsch gestaltetes Debüt mit guten Ansätzen und einigen sympathischen Extras. Wer frisch in die Welt des Kochens eintaucht, könnte hier Inspiration finden – vorausgesetzt, man bringt etwas Erfahrung oder Geduld mit. Für ambitioniertere Hobbyköch*innen bleibt es eher ein nettes, aber nicht essentielles Werk im Regal.

Bewertung vom 10.04.2025
30 Pflanzen pro Woche
Seiser, Katharina

30 Pflanzen pro Woche


ausgezeichnet

Katharina Seiser hat es wieder geschafft: Mit „30 Pflanzen pro Woche“ legt die vielfach ausgezeichnete Kochbuchautorin ein Werk vor, das mich inspiriert und begeistert. Dieses Buch ist weit mehr als ein klassisches Kochbuch – es ist ein kluger und zugleich äußerst zugänglicher Leitfaden für alle, die sich gesund, genussvoll und nachhaltig ernähren möchten.

Am Anfang steht ein fundierter Theorieteil: Gemeinsam mit der Ernährungswissenschaftlerin Theres Rathmanner und der Professorin für Umweltbiotechnologie Gabriele Berg gelingt es Seiser, aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich und praxisnah zu vermitteln. Die zentrale Botschaft – möglichst viele verschiedene Pflanzen pro Woche zu essen – wird überzeugend dargelegt und mit spannenden Hintergründen untermauert.

Dass diese Vielfalt weder kompliziert noch langweilig sein muss, beweist der umfangreiche Rezeptteil. Ich habe schon zahlreiche Gerichte nachgekocht und war jedes Mal begeistert vom Geschmack! Die Rezepte sind kreativ, alltagstauglich und international inspiriert – von türkisch, japanisch oder indisch bis hin zu italienisch und deutsch. Einziger kleiner Wermutstropfen: Die Rezepte wurden bereits in verschiedenen anderen Kochbüchern veröffentlicht, so dass sie Manchem schon bekannt sein können,was jedoch der Qualität dieses Buches keinen Abbruch tut.

Besonders gelungen finde ich die beiliegende Checkliste, mit der man erfassen kann, wie viele verschiedene Pflanzen man pro Woche zu sich genommen hat. Sie macht nicht nur Spaß, sondern motiviert auf wunderbare Weise dazu, die eigene Ernährung abwechslungs- und pflanzenreicher zu gestalten.

Kurzum: „30 Pflanzen pro Woche“ ist ein wirklich gelungenes Werk – informativ, inspirierend und voll köstlicher Rezepte. Für mich definitiv ein neues Lieblingsbuch im Küchenregal. Beide Daumen hoch!

Bewertung vom 02.04.2025
Wiener Zuckerbäckerei
Wörndl, Bernadette

Wiener Zuckerbäckerei


ausgezeichnet

Was für ein traumhaftes Backbuch! Mit "Wiener Zuckerbäckerei" hat die talentierte Autorin und Foodstylistin Bernadette Wörndl ein wahres Meisterwerk geschaffen, das Nostalgie, Tradition und moderne Backkunst auf wunderschöne Weise vereint.

Die Geschichte hinter diesem Buch ist ebenso faszinierend wie die enthaltenen Rezepte: Die 1884 geborene Therese Schulz, einst aus einfachen Verhältnissen stammend, brachte es im Wiener Grandhotel zur Direktrice der Zuckerbäckerei. Ihr handgeschriebenes Rezeptbuch diente Wörndl als Grundlage für dieses beeindruckende Werk. Und was für eine Hommage ist es geworden! Mit viel Fingerspitzengefühl hat sie die historischen Rezepte behutsam modernisiert, ohne ihnen den einzigartigen Charme der Wiener Kaffeehauskultur zu nehmen.

Bereits die Einleitung entführt in das pulsierende Wien der 1920er Jahre. Die vielen stimmungsvollen Fotos und liebevollen Details lassen einen tief eintauchen in die Welt der Zuckerbäcker und Mehlspeisenkünstler jener Zeit. Doch es ist der Rezeptteil, der das Herz aller Backbegeisterten höherschlagen lässt!

Von traditionellen Weihnachtsklassikern wie Vanillekipferl und Zimtsternen bis hin zu längst vergessenen Köstlichkeiten wie Reis à la Trauttmansdorf oder gesulzten Orangen – hier findet sich eine unvergleichliche Vielfalt an süßen Verführungen. Wer sich an aufwendigen Kunstwerken wie den Esterházy-Schnitten oder der filigranen spanischen Windtorte versuchen möchte, findet hier eine perfekte Anleitung. Aber auch für weniger Geübte ist das Buch geeignet: Der Marmorgugelhupf ist ein guter einfacher Einstieg, und dank detaillierter Schritt-für-Schritt-Anleitungen zu verschiedenen Teigsorten gelingen bald auch Hefe-, Biskuit- oder Strudelteig.

Besonders hervorheben möchte ich die hochwertige Aufmachung des Buches. Das Jugendstilmuster in Goldprägung macht das edle Hardcover zu einem wahren Schmuckstück – und zu einem idealen Geschenk für alle Backliebhaber*innen. Auch das österreichisch-deutsche Glossar im Anhang ist eine schöne Ergänzung, um kleinere Sprachbarrieren zu überwinden.

Doch das Allerwichtigste ist und bleibt der Geschmack. Und hier überzeugt "Wiener Zuckerbäckerei" auf ganzer Linie! Die Kuchen, Torten, Plätzchen und Desserts sind nicht nur auf großformatigen Farbfotos umwerfend in Szene gesetzt, sondern schmecken auch himmlisch. Ich habe selten einen so grandiosen Kaiserschmarren wie nach dem hier enthaltenen Rezept gegessen, und die Marillenknödel sind einfach ein Traum!

Für alle Naschkatzen, Hobbybäcker*innen und Liebhaberinnen der Wiener Mehlspeiskultur ist dieses Buch ein absolutes Muss. Meine klare und begeisterte Empfehlung, beide Daumen nach oben!

Bewertung vom 31.03.2025
Ein geschwind listig Wib
Zürcher, Dorothe

Ein geschwind listig Wib


gut

Dorothe Zürchers Romanbiografie "Ein geschwind listig Wib" bietet eine faszinierende und umfassend recherchierte Neudarstellung von Agnes von Ungarn. Die schweizerische Autorin revidiert mit diesem Werk das überlieferte Bild von Agnes als grausame und kaltherzige Königswitwe. Stattdessen zeichnet Zürcher das Porträt einer intelligenten, gebildeten Frau, die ihr Potenzial als Herrscherin leider in der kurzen Ehe mit dem ungarischen König Andreas III. nie voll entfalten konnte und sich nach dessen Tod tief in den christlichen Glauben und karitative Tätigkeiten stürzte.

Die akribische Recherchearbeit, die der Autorin hoch anzurechnen ist, macht sich in einer unglaublichen Fülle an Details bemerkbar. Diese Detailtreue ist gleichzeitig die größte Stärke wie auch – für mich persönlich – die größte Herausforderung des Romans. Trotz eines hilfreichen Anhangs mit Zeittafel und Personenverzeichnis hatte ich immer wieder Schwierigkeiten, den Überblick über die Vielzahl an Figuren und politischen Verflechtungen zu behalten. Mein Lesefluss wurde regelmäßig unterbrochen, weil ich oft zwischen Text und Anhang hin- und herblättern musste, um Zusammenhänge besser zu verstehen. Dies liegt sicherlich auch daran, dass ich nicht über ein tiefgehendes geschichtliches Vorwissen verfüge, dennoch hätte eine etwas entschlackte Darstellung den Lesegenuss für mich erhöht.

Auch die Gestaltung des Buches verdient eine Erwähnung: Das hübsche Hardcover wird durch eine historische Karte ergänzt. Leider enthält diese jedoch nicht alle für Agnes wichtigen Stationen, was den Nutzen für die Leserschaft schmälert. Eine detailliertere und auf den Roman abgestimmte Kartengestaltung mit Kennzeichnung der wichtigen in der Geschichte erwähnten Orte hätte das Leseerlebnis sinnvoll unterstützt.

Trotz dieser Kritikpunkte bleibt "Ein geschwind listig Wib" eine bemerkenswerte Romanbiografie, die es verdient, gelesen zu werden – insbesondere von historisch versierten Leser*innen, die sich für die oft vergessenen weiblichen Perspektiven der Geschichte interessieren. Dorothe Zürcher gelingt es, Agnes von Habsburg eine neue, differenziertere Stimme zu verleihen, die ihr in der Geschichtsschreibung bislang oft verwehrt wurde.

Bewertung vom 25.03.2025
Gaslight
Kayode, Femi

Gaslight


ausgezeichnet

Femi Kayode ist mit Gaslight erneut ein fesselnder Kriminalroman gelungen, der von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann zieht. Der zweite Fall für den nigerianischen Psychologen Dr. Philip Taiwo besticht durch eine intelligente Konstruktion, tiefgründige Gesellschaftskritik und eine packende Handlung, die in Lagos spielt.

Der Fall dreht sich um ein mutmaßliches Opfer, das Mitglied einer christlichen Freikirche in Nigeria ist – ein Setting, das viel Raum für spannende Konflikte und gesellschaftliche Reflexion bietet. Kayode nutzt die Geschichte geschickt, um Themen wie Korruption, Kriminalität und religiöse Bigotterie in Westafrika, aber auch Rassismus in den USA und in Nigeria zu beleuchten. Diese sozialkritischen Aspekte verleihen dem temporeichen und actiongeladenen Krimi zusätzliche Tiefe und machen ihn zu weit mehr als nur einer spannenden Ermittlung.

Besonders beeindruckend ist Kayodes authentische Darstellung der nigerianischen Gesellschaft. Man merkt deutlich, dass der Autor sein Heimatland bestens kennt – jedes Detail sitzt. Von den kulturellen Eigenheiten der Yoruba, die weltweit die höchste Zwillingsgeburtenrate haben, bis hin zur kommerzialisierten Glaubensgemeinschaft trifft der Roman den richtigen Ton. Als jemand mit Verwandten in Nigeria kann ich die geschilderten Realitäten absolut bestätigen.

Ein weiteres Highlight ist die Figur des Dr. Philip Taiwo. Er ist nicht nur ein brillanter Psychologe, sondern auch ein Mensch mit moralischen Prinzipien, persönlichen Zweifeln und Sorgen. Seine komplexe Figur macht ihn sympathisch und glaubwürdig. Besonders spannend: Während Taiwo seine Ermittlungen vorantreibt, erhält man als Leser*in zusätzliche Informationen durch kurze Kapitel, die aus der Perspektive der vermissten Frau des Bischofs erzählt werden. Dies sorgt für eine fesselnde Dynamik und hält die Spannung bis zum Schluss hoch.

Fazit: Gaslight ist ein komplexer Kriminalroman mit einer attraktiven und stimmigen Hauptfigur und einer cleveren Handlung, die bis zum Schluss Spannung und Unterhaltung garantiert.

Bewertung vom 17.03.2025
Der große Riss
Henríquez, Cristina

Der große Riss


sehr gut

Cristina Henríquez entführt ihre Leserschaft mit ihrem neuesten Roman in die Zeit des Baus des Panamakanals Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein Setting, das durch die aktuelle US-Politik an Aktualität gewonnen hat, plant Präsident Trump doch erklärtermaßen die "Rückeroberung" des Kanals, der zwar von den U.S.A. gebaut worden ist, 1999 jedoch an die Regierung Panamas übergeben wurde.

Im Roman erlebt man durch die Augen verschiedener Charaktere, wie der Bau der monumentalen Wasserstraße sich auf die Schicksale der Menschen auswirkte. Große Hoffnung auf Wohlstand hatten Hunderttausende, viele wurden jedoch bei der ausbeuterischen Arbeit krank oder kamen sogar um. Der Rassismus der nordamerikanischen Siedler gegenüber der einheimischen Bevölkerung war kaum verhohlen, gesellschaftlicher Aufstieg mit dunkler Hautfarbe nahezu unmöglich. Aber auch die Weißen unterlagen starren gesellschaftlichen Zwängen. Der Panama-Kanal, der den Atlantik mit dem Pazifik verbindet, bewirkte zugleich eine tiefe Spaltung, räumlich - ganze Dörfer wurden zwangsweise umgesiedelt - wie auch sozio-kulturell. Der Bau brachte einige wenige Gewinner hervor und unzählige Verlierer und Verliererinnen.

Die Vielzahl der Figuren und Schauplätze bereichert die Erzählung und bietet ein facettenreiches Bild der damaligen Gesellschaft. Allerdings führt diese Fülle gelegentlich dazu, dass die Tiefe einzelner Handlungsstränge etwas verloren geht. Dennoch bleibt die Geschichte durchgehend fesselnd und kurzweilig. Henríquez' Schreibstil hat mich in ihren Bann gezogen, und die historischen Hintergründe verleihen dem Roman zusätzliche Spannung.

Insgesamt ist "Der große Riss" ein lesenswerter Roman, der historische Ereignisse mit menschlichen Schicksalen verknüpft und zum Nachdenken anregt. Trotz kleinerer Schwächen in der Tiefe der Charakterdarstellung überzeugt das Buch durch seine spannende Erzählweise und die authentische Schilderung einer bewegten Zeit, die Auswirkungen bis in die Gegenwart hat.

Bewertung vom 04.03.2025
Überfahrt mit Dame (eBook, ePUB)
James, Henry

Überfahrt mit Dame (eBook, ePUB)


sehr gut

Henry James’ Novelle über eine Atlantiküberquerung von Boston nach Liverpool Anfang des 20. Jahrhunderts hat mir gut gefallen. In nur etwas mehr als 100 Seiten erzählt James subtil und psychologisch dicht von gesellschaftlichen Konventionen, unterdrückten Emotionen und moralische Zwängen. Klatsch und Tratsch der Passagiere an Bord steigern sich von Tag zu Tag, geschickt zeichnet der Autor den ganz eigenen Mikrokosmos einer längeren Schiffsreise.

James nutzt sein feines Gespür für zwischenmenschliche Dynamiken, um die unterschwelligen Spannungen und unausgesprochenen Gefühle zwischen den Figuren zu erkunden. Die Protagonistin wird in einen moralischen Konflikt verwickelt, der dazu anregt, über Fragen von Pflicht, Schuld und persönlicher Freiheit nachzudenken.

Die Sprache ist anspruchsvoll und voller eleganter Nuancen, die Dialoge verlangen volle Aufmerksamkeit beim Lesen. James verzichtet auf vordergründige Dramatik und setzt stattdessen auf subtile Andeutungen und psychologische Tiefe. Vieles wird nur angedeutet, manches bleibt im Unklaren.

Die Ausgabe des Aufbau Verlags erfreut mit liebevoll gestalteten Details: ein hübscher Leineneinband, ein Lesebändchen und eine Landkarte auf Vor- und Nachsatzpapier. Im Anhang findet sich nicht nur ein Nachwort des Übersetzers, sondern auch eine Chronik, Anmerkungen zum Textverständnis und die Erzählung "Die Reise nach Panama" von Anthony Trollope. Letztere soll James als Anregung zu "Überfahrt mit Dame" gedient haben, der Vergleich der beiden Geschichten, die inhaltlich viele Parallelen aufweisen, ist sehr interessant.

James´ Erzählung fängt die die Atmosphäre einer vergangenen Epoche ein und behandelt dennoch universelle menschliche Konflikte.

Bewertung vom 27.02.2025
Eine Frage der Chemie
Garmus, Bonnie

Eine Frage der Chemie


gut

Bonnie Garmus’ „Eine Frage der Chemie“ ist meines Erachtens ein Beispiel dafür, wie ein großer Marketinghype einem mittelmäßigen Roman zu Erfolg verhilft.

Die Geschichte der Chemikerin Elizabeth Zott im Amerika der 1950er Jahre liest sich angenehm, der Schreibstil ist flüssig und die Story hat mich auf den ersten Blick durchaus unterhalten. Doch hinter der Fassade aus augenzwinkerndem Feminismus und originellen Ideen verbergen sich zahlreiche Klischees und Übertreibungen. Die Figuren sind fast durchweg stereotyp gezeichnet, insbesondere die Wissenschaftler*innen, die als sozial unbeholfen und emotional gehemmt dargestellt werden. Dass Elizabeths außergewöhnliche Tochter ihr Genie allein der mütterlichen Förderung verdankt oder der Familienhund nicht nur Wörter versteht, sondern auch als Held agiert, wirkt eher märchenhaft als glaubwürdig.

Auch die feministischen Ansätze erscheinen platt: Elizabeth wird Opfer nahezu jeder Form patriarchaler Unterdrückung, doch anstatt einer reflektierten Auseinandersetzung bleibt es bei überzeichneten Schilderungen: Sie wird sexuell diskriminiert, sozial ausgegrenzt, vergewaltigt, ihre Forschungsergebnisse werden von ihrem männlichen Vorgesetzten als dessen eigene ausgegeben, und vieles mehr, aber märchengleich erstarkt sie dadurch und steigt wie Phönix aus der Asche empor. Flankiert wird dies von einer Vielzahl an Übertreibungen jenseits aller Realitäten: Elisabeths Tochter liest schon als Vierjährige anspruchsvolle Romane und begreift wissenschaftliche Zusammenhänge, ist jedoch nicht etwa hochbegabt, sondern dies ist allein die Folge der frühkindlichen Förderung durch die Mutter. Ins gleiche Schema passt der zugelaufene Familienhund, der durch Elisabeths Training nicht nur locker 1.000 Worte versteht, sondern auch noch schnell zum Lebensretter wird. Ach ja, die vermenschlichten Gedankengänge des Hundes sind in vielen Kapiteln sehr präsent - das kann man witzig finden, mich hat es genervt. Oft teile ich Denis Schecks Literaturgeschmack, was diesen Roman betrifft ist dies überhaupt nicht der Fall: Er nennt "Eine Frage der Chemie" einen feinen feministischen Unterhaltungsroman. Feinen Feminismus habe ich hier vergeblich gesucht, gefunden habe ich lediglich übertriebene Schilderungen patriarchaler Strukturen, die Frauen ausgebeutet und missbraucht haben, es werden aber keine Lösungsansätze vorgestellt, es sei denn man lässt das Auftauchen einer guten Fee als solchen gelten.

Unterm Strich bleibt ein paar Stunden oberflächlich guter Unterhaltung, stilistisch schön, inhaltlich mangelhaft. Was Nettes für zwischendurch, wenn man nicht weiter nachdenkt.