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hamburger.lesemaus
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Bargfeld-Stegen

Bewertungen

Insgesamt 470 Bewertungen
Bewertung vom 05.09.2025
Meine Mutter
Flitner, Bettina

Meine Mutter


gut

MEINE MUTTER
Bettina Flitner
ET: 04.09.2025

Gila, die Mutter der Autorin, hat vor 40 Jahren Suizid begangen. Sie war nicht die Erste in ihrer Familie, die den Freitod wählte, und leider auch nicht die Letzte.
Bettina Flitner begibt sich auf Spurensuche und reist nach Schlesien, wo ihre Familie einst ein großes Sanatorium eröffnete. Die gute Luft zog Menschen aus nah und fern an – meist wohlhabend und gut situiert. Anfangs blickten die einfachen Dorfbewohner skeptisch auf die reichen Kranken, doch am Ende profitierten sie: Sie erhielten kostenlose Behandlungen und Arbeitsplätze für ihre Söhne und Töchter.

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zerbrach dieser Aufstieg. Die Familie verlor ihr Hab und Gut und musste nach Celle fliehen. Doch auch dort stellte sich für Gila kein dauerhaftes Glück ein. Ihr Ehemann, Bettinas Vater, lebte neben der Ehe weitere Beziehungen, Gila versank in Depressionen, und nur selten erlebte sie kleine Momente der Freude.

Flitner erzählt diese Familiengeschichte auf Grundlage von Briefen, Tagebüchern und Erinnerungen ihres Großvaters und ihrer Tante. Das Buch "Meine Schwester" hatte mich im letzten Jahr begeistert und sehr berührt und war für mich ein Lese-Highlight. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen an dieses neue Buch.

Leider bleibt es hinter dem Vorgänger zurück. Stellenweise konnte es mich fesseln, aber nicht durchgehend. Auch wenn es erschütternde Szenen gibt, bleibt die Erzählung eher oberflächlich. Flitner schreibt, dass sie zu ihrer Mutter nur ein distanziertes Verhältnis hatte und genau das konnte ich beim Lesen spüren.

Fazit:
Eine traurige Familiengeschichte, ohne Frage, doch leider bleibt das Buch hinter meinen Erwartungen zurück. Trotzdem wünsche ich Bettina Flitner eine große Leserschaft und freue mich auf ein weiteres Buch von ihr – gern etwas ganz anderes.
3½/5

Bewertung vom 31.08.2025
Furye
Rubik, Kat Eryn

Furye


ausgezeichnet

FURYE
Kat Eryn Rubik
ET: 15.07.2025

Unsere namenlose Ich-Erzählerin kehrt nach zwanzig Jahren zurück in den Ort, den sie nicht nennen will. Hier war sie einst die Außenseiterin: Stipendiatin an einer Eliteschule, Tochter von Einwanderern, die in einem bröckelnden Wohnblock lebten, während die anderen in Villen mit Pool groß wurden. Ihre Eltern, einst Akademiker, mussten in der Fremde Taxi fahren und Büros putzen.

Damals, mit 17, lernte sie Meg und Tess kennen, und erlebte, dass Reichtum längst kein Garant für Glück ist. Megs Mutter ertränkte ihre Tage im Alkohol und kümmerte sich keinen Deut um ihre Tochter. Tess lebte mit der ständigen Angst vor ihrem gewalttätigen Vater. Und dann war da noch Romaine, der stille Junge, der sie kaum eines Blickes würdigte und doch eine unerklärliche Anziehungskraft hatte. Es war der Sommer der ersten Liebe – und der ersten Verluste.

Heute begegnen wir Alec, einer erfolgreichen Managerin in der Musikbranche. Sie ist erschöpft, kurz vor dem Burnout, trauert um ihren Vater, versucht ihre Mutter aufzufangen – und hadert mit dem unerfüllten Wunsch nach Mutterschaft. Eines morgens sitzt sie vor den Nachrichten, als der Moderator von einem tödlichen Unfall berichtet: Ein Cabrio sei von den steilen Klippen gestürzt. In Alec schreit sofort alles auf, denn sie weiß, dass das nicht die Wahrheit ist.

Kat Eryn Rubik hat mit Furye einen Roman geschrieben, der atemlos macht. Was vom Cover auf eine leichte Sommerlektüre schliessen lässt, entpuppt sich schnell als vielschichtige, dunkle Geschichte über Misogynie, Machtmissbrauch und dysfunktionale Beziehungen; über Armut und Privilegien – über Sehnsüchte, Mutterschaft und den langen Weg zur Selbstfindung.

Der Stil der Autorin ist hypnotisch – ein Sog, der nicht mehr loslässt. Schon nach den ersten Seiten war ich verloren in dieser Welt und konnte das Buch nicht mehr zur Seite legen.

Fazit:
Roh, emotional, voller Wucht – Furye ist ein Roman, der nachhallt, verstört und berührt. Ein starkes, unvergessliches Leseerlebnis.
5/5

Bewertung vom 29.08.2025
Schwiegermutter
Herngren, Moa

Schwiegermutter


ausgezeichnet

SCHWIEGERMUTTER
Moa Herngren
14.06.2025

Andreas war noch keine zwei Jahre alt, als sein Vater die Familie verließ und in Dänemark eine neue gründete. Von da an wuchs er allein mit seiner Mutter Åsa auf. Die beiden waren ein eingespieltes Team; Streit gab es kaum. Åsa versuchte, ihrem Sohn jeden Wunsch zu erfüllen – vielleicht auch, um die Abwesenheit des Vaters auszugleichen. Freunde waren bei ihnen immer willkommen, selbst Andreas’ Ex-Freundin Heidi verbrachte viele Stunden auf Åsas Couch.

Doch als Andreas nach der Kündigung seiner Wohnung mit seiner neuen Freundin Josefin notgedrungen bei Åsa einzog, veränderte sich das vertraute Verhältnis zwischen Mutter und Sohn spürbar. Plötzlich war Andreas distanzierter, schloss sich mit Josefin ein und suchte kaum noch den Kontakt zu Åsa. Josefin begegnete ihr kühl und wortkarg, während Åsa alles daransetzte, das junge Paar willkommen zu heißen – sie kochte Lieblingsgerichte, besorgte vegane Spezialitäten und bot ihre Hilfe an. Doch je mehr sie versuchte, Nähe herzustellen, desto stärker zog sich Andreas zurück. Missverständnisse häuften sich, und die Fronten verhärteten sich. Als Åsa schließlich ungefragt das Zimmer betrat, um Wäsche mitzunehmen, und dabei auf einen positiven Schwangerschaftstest stieß, kam es zur Eskalation. Der schmale Grat zwischen Fürsorge und Übergriffigkeit war überschritten – mit fatalen Folgen. Andreas wandte sich vollständig von seiner Mutter ab und untersagte ihr später den Kontakt zu seinem Sohn Sam.

Schwiegermutter ist ein packender Roman über eine dysfunktionale Familie. Moa Herngren gelingt es meisterhaft, durch wechselnde Perspektiven die Spannung hochzuhalten und die Konflikte greifbar zu machen. Immer wieder musste ich das Buch zur Seite legen, so sehr hat es mich berührt. Besonders mit Åsa habe ich gelitten – ihre Verzweiflung ist schmerzhaft nachvollziehbar. Vielleicht liegt es auch an meinem eigenen Alter, das ihrem so nah ist, dass ich sie trotz mancher übergriffiger Momente in Schutz nehmen wollte.

Fazit:
Ein intensives, fesselndes Buch, das mich tief bewegt hat und das ich unbedingt weiterempfehlen möchte.
5/5

Bewertung vom 28.08.2025
Der Traum des Jaguars
Bonnefoy, Miguel

Der Traum des Jaguars


gut

DER TRAUM DES JAGUARS
Miguel Bonnefoy

Die stumme Bettlerin Theresa findet auf den Stufen einer Kirche ein ausgesetztes Baby. Obwohl sie zunächst kein Interesse zeigt, nimmt sie den Jungen an sich und nennt ihn Antonio.
Wir begleiten Antonio durch die Straßen Venezuelas und fürchten, dass er auf die schiefe Bahn gerät. Doch rechtzeitig gibt ihm seine Ziehmutter den Rat, zu arbeiten – denn nur so könne man im Leben etwas erreichen. Antonio beginnt als Zigarettenverkäufer, nimmt jede Arbeit an, die sich ihm bietet, erkämpft sich schließlich ein Studium der Medizin und wird dank seines Fleißes und Geschicks zu einem angesehenen Arzt. Wir erleben seine Familiengründung, Revolutionen und politische Umbrüche des Landes . Wie es jedoch mit Antonio und seiner Tochter weitergeht, solltet ihr selber herausfinden.

Versprochen wurde ein magisch-realistischer Roman à la Márquez oder Allende – und genau das hat Bonnefoy eingelöst. Die Sprache ist farbenreich, voller Geschichten, Figuren, und selten habe ich ein Buch gelesen, das so bunt und schillernd war. Trotz der Vielzahl an Charakteren behält man stets den Überblick.

Allerdings blieben mir die Figuren seltsam fern. Keine der Hauptpersonen ist mir wirklich nahegekommen, alle wirkten eher wie Skizzen. Oft hatte ich das Gefühl, aus einer Art Vogelperspektive zu lesen – als befände man sich dauerhaft in einer Einleitung, ohne ganz in die Geschichte einzutauchen. Vielleicht liegt dies an der Erzählweise.

Besonders spannend fand ich den historischen Hintergrund Venezuelas mit seinen politischen Umwälzungen.

Fazit:
Ein atmosphärischer Roman für Fans von Isabel Allende und der magischen Erzählkunst Lateinamerikas. Für mich persönlich blieb er jedoch ein wenig zu distanziert.
3/5

Bewertung vom 26.08.2025
Mit dir steht die Welt nicht still
Müller, Melissa

Mit dir steht die Welt nicht still


sehr gut

MIT DIR STEHT DIE WELT NICHT STILL
Melissa Müller
ET: 23.04.2025

London, Juli 1951:
Auf einer Party begegnet John König der jungen jüdischen Frau Nanette Blitz. Sofort fühlen sie sich zueinander hingezogen, doch John plant, England zu verlassen und zu seinen Verwandten nach Brasilien auszuwandern. Die gemeinsame Zeit ist daher knapp und vergeht wie im Flug. Gerade als John merkt, wie sehr er sich in Nanette verliebt hat, ist der Tag der Abreise gekommen – der Abschied fällt ihm schwer.

Über eineinhalb Jahre hinweg schreiben sich die beiden intensive Briefe. So lernen sie sich immer besser kennen und schätzen. John erfährt von Nanettes Vergangenheit: ihrem Leben in Amsterdam, ihrer Freundschaft mit Anne Frank, der ständigen Angst vor der Deportation im Zweiten Weltkrieg. Sie überlebte als Einzige ihrer Familie das Konzentrationslager Bergen-Belsen und durfte erst Jahre später, aufgrund der schweren gesundheitlichen Folgen ihrer Haft, nach London zu ihren Tanten reisen.
John hingegen floh mit seinen Eltern rechtzeitig aus Budapest nach England. Nach deren Tod sucht er nun einen Neuanfang in Südamerika.

Melissa Müller hat hier ein berührendes Liebes- und Lebensporträt eines besonderen und beeindruckenden Paares gezeichnet. Sie durfte die beiden noch persönlich kennenlernen und steht bis heute in Kontakt mit deren Kindern und Enkeln.

Besonders eindrucksvoll ist der Briefwechsel: Nanette war ihrer Zeit weit voraus – ihr feiner Humor und ihr Lebensmut, trotz Krankheit und schwerer Vergangenheit, verzauberten nicht nur John, sondern berühren auch die Leser. Sehr gelungen fand ich zudem die zahlreichen Fotos des Paares, die das Buch noch authentischer und greifbarer machen.

Ein wichtiges Stück Zeitgeschichte, das nicht in Vergessenheit geraten darf.
4/5

Bewertung vom 24.08.2025
Der Krabbenfischer (MP3-Download)
Wood, Benjamin

Der Krabbenfischer (MP3-Download)


gut

DER KRABBENFISCHER
Benjamin Wood
Gelesen von Raschid Daniel Sidgi
Longferry, England, in den Sechzigerjahren:
An der Küste von Longferry fischt der 20-jährige Thomas Flett Krabben – so wie schon sein Großvater. Doch er ahnt, dass diese Tage gezählt sind. Zu oft findet er im Meer Dinge, die dort nicht hingehören: Chemikalien, Müll und die neuen zerstörerischen Fangtechniken tun ihr übriges.
Thomas hält an der alten Methode fest. Jeden Morgen, zum ersten Niedrigwasser, spannt er sein Pferd an und fährt mit dem Wagen zum Strand, um mit Hand und Netz im Watt zu fischen. Ergiebig ist diese Arbeit nicht – meist füllt er keine zwei Körbe –, doch sie reicht, um mit seiner Mutter ein bescheidenes Leben zu führen.
Eines Tages begegnet er dem Regisseur Edgar Acheson, der für seinen neuen Film einen Drehort sucht. Er bietet Thomas eine Arbeit an – ob dies wirklich eine Chance ist, müsst ihr selbst herausfinden …

Benjamin Wood hat einen leisen, atmosphärischen Roman geschrieben, der von den Geschichten lebt, die er uns erzählt. Man spürt den dichten Nebel, das nasskalte Wetter, das durch jede Ritze zieht, und die Gefahr der Senklöcher, die wie Treibsand ganze Menschen und Tiere verschlingen können.
Wir begleiten Thomas bei seiner Hoffnung auf Veränderung. Für mich war es ein Roman, den ich gern gelesen und gehört habe – der Sprecher verleiht der Geschichte mit seiner warmherzigen Stimme zusätzliche Tiefe.
Eine klare Empfehlung für alle, die ruhige, atmosphärisch dichte Erzählungen mögen.
3½/5

Bewertung vom 20.08.2025
Zu wenig vom Guten
Ruffieux, Katinka

Zu wenig vom Guten


ausgezeichnet

ZU WENIG VOM GUTEN
Katinka Ruffieux
ET: 09.07.2025

„Ich kann den Tod meiner Schwester nicht begreifen, aber ich habe ihn verstanden. Möglich, dass ich ihn irgendwann verzeihe, ihr und mir, aber auch jedem anderen“. (S. 246)

Katinka Ruffieux erzählt die Geschichte von zwei Schwestern, die mit ihrer ungarischstämmigen Familie in der Nähe von Zürich leben – zwischen Sehnsucht und Angst, Hoffnung und Verlust. Sie warten auf die Einbürgerung wie auf einen erlösenden Moment, bemühen sich, unsichtbar zu bleiben, angepasst zu wirken, ja keinen Fehler zu machen, der diesen Traum zerstören könnte.

Die Autorin führt uns in den „Fischbau“, ein großes Mehrfamilienhaus, das seit der Flucht aus Ungarn ihr Zuhause ist. Der Platz ist knapp – die Mädchen teilen sich ein Schlafzimmer mit dem Großvater, die Waschmaschine steht im Wohnzimmer. Wir riechen den Duft ungarischer Speisen, die die Mutter liebevoll auf den Tisch stellt. Und obwohl wir von der ersten Seite an wissen, dass die Schwester der namenlosen Ich-Erzählerin sterben wird, hoffen wir bis zuletzt, dass sich das Schicksal noch umstimmen lässt.

Doch nach dem Tod des Großvaters zerbricht das fragile Gleichgewicht. Der Vater verlässt die Familie, und ohne ihn fühlen sie sich nicht mehr vollständig. Die Schwester verliert den Halt, sucht Freiheit – und findet sie in der falschen Gesellschaft. Die Mutter, erschöpft und gezwungen, wieder zu arbeiten, hat keine Kraft mehr, sich zu kümmern. Die Abwärtsspirale beginnt: Drogen, falsche Freunde – und eines Abends kommt sie nicht mehr nach Hause.

Katinka Ruffieux hat mit zarter Sprache und feinem Gespür für Zwischentöne ein eindrucksvolles Debüt geschaffen. Besonders ihre kleinen, poetischen Wortspiele verleihen dem Text eine leise Schönheit.
Es ist ein Roman über Migration, Verlust, Zugehörigkeit und Sehnsucht – nach einer Heimat, die in der Fremde niemals ganz zu finden ist. All das verdichtet die Autorin zu einer Atmosphäre, die lange nachhallt.
5/5

Bewertung vom 18.08.2025
Junge Frau mit Katze
Dröscher, Daniela

Junge Frau mit Katze


gut

JUNGE FRAU MIT KATZE
Daniela Dröscher
ET: 14.08.2025

In "Lügen über meine Mutter" erzählte Daniela Dröscher eindringlich von Elas Kindheit – von einer Mutter, die sich im ständigen Kampf mit ihrem Körper befand, und einem Vater, der nie müde wurde, an seiner Frau herumzukritisieren.
Im neuen Buch verschiebt sich der Blickwinkel: Nun geht es darum, welche Spuren diese Kindheit in Elas Erwachsenenleben hinterlassen hat.

Seit fünf Jahren arbeitet Ela an ihrer Doktorarbeit. Die Dissertation ist bereits eingereicht, jetzt steht nur noch die Verteidigung bevor. Doch anstatt erleichtert zu sein, wächst die Anspannung ins Unerträgliche. Eine Kehlkopfentzündung zwingt sie zur Schonung, das verschriebene Medikament löst einen allergischen Schock aus, Herzrasen und Atemnot kommen hinzu – und schließlich landet Ela im Krankenhaus.
Kaum zurück im Alltag, reißen die Beschwerden nicht ab: Schlafstörungen, ständige Erschöpfung, Schwindelattacken, Magenprobleme und Panikgefühle bestimmen ihren Alltag und lassen sie immer tiefer in einen Kreislauf aus Krankheit und Angst geraten.
Zu allem Überfluss entsteht durch ein Missverständnis der Eindruck, sie beherrsche Japanisch in Wort und Schrift. Ihr Doktorvater nimmt das für bare Münze – und macht ihr das überraschende Angebot einer Habilitation. Anstatt sich darüber zu freuen, setzt dieses Versprechen einer akademischen Zukunft Ela zusätzlich unter Druck. Sie fühlt sich zu krank, um für die Disputation zu lernen, sucht immer neue Ärzte auf, sammelt widersprüchliche Diagnosen und verliert sich in einem Strudel aus Überforderung, Selbstzweifeln und Symptomen, die immer neue Formen annehmen.

Eine weitere Erzählebene widmet sich ihrer komplizierten Beziehung zur Mutter und zum Bruder. Mehr möchte ich hier jedoch nicht vorwegnehmen.

Mein Fazit:
Normalerweise lese ich Geschichten über Krankheit nicht gern. Doch Dröschers leichte, klare Sprache hat mich durch die Seiten getragen. Für mich ist es kein Buch, das man unbedingt gelesen haben muss – aber eines, das sicherlich seine Leserschaft finden wird. Empfehlenswert vor allem für Leser*innen, die sich gerne mit den Themen Krankheit, Psyche und familiären Prägungen beschäftigen.
3/5

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.08.2025
Der Wurm
Imgrund, Barbara

Der Wurm


ausgezeichnet

DER WURM – Eine kleine Geschichte
Barbara Imgrund
ET: 27.03.2025

„Der Wurm war im Tal angekommen, und als er sich dort unten breitgemacht hatte, nahm er sich auch die Höhen vor. Kein Ort war vor ihm sicher, überall gab es Leute, die unzufrieden waren oder nicht genug von dem bekamen, was sie brauchten, und deshalb hatten sie offene Ohren für die Einflüsterung des Schmarotzers“. (S. 39)

Martha ist 87 Jahre alt, als sie ohne Lebenswillen auf den alten, verfallenen Hof ihrer Eltern – direkt am Berg – zurückkehrt.
Als letzte Überlebende ihrer Familie möchte sie Frieden mit den Dämonen ihrer Vergangenheit schließen. Kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs beging sie als kleines Mädchen einen fatalen Fehler, der unverzeihlich war. Er zerstörte nicht nur ihre Familie, sondern belastete sie ihr Leben lang mit quälenden Gewissensbissen. Nur ihrem Mann, der vor einem Jahr verstarb, konnte sie später die Wahrheit anvertrauen.

Doch Martha lag falsch: bereits lange vor dieser Tragödie war die Familie am Zerbrechen: Der Vater kehrte versehrt aus dem Ersten Weltkrieg heim – griesgrämig und schnell reizbar. Die Mutter brachte fast jedes Jahr ein Kind zur Welt, doch nicht alle überlebten. Die Grippe hatte auch den Hof hoch oben am Berg erreicht. Schließlich aber wurde der Wurm ihr Verderben. Der Nationalsozialismus konnte sich beim Vater einnisten, denn es gab immer mehr hungrige Münder zu stopfen, und die Vorräte reichten nicht aus. Da hatte der Wurm ein leichtes Spiel …

Barbara Imgrund hat hier ein kleines literarisches Meisterwerk geschaffen:
Mit sicherer Hand wechselt sie zwischen der jungen und der alten Martha und lässt uns als Zeitzeugen die Familie im Nationalsozialismus begleiten.
Dieses schmale Büchlein mit gerade einmal 150 Seiten ist ein eindringliches Mahnmal – eine Geschichte, die man gelesen haben muss, um zu verhindern, dass der Wurm jemals wieder Wurzeln schlägt.

Fazit:
Ein spannendes, zeitgenössisches Buch, das Vergangenheit und Gegenwart kunstvoll verbindet.
Große Leseempfehlung!
5/5

Bewertung vom 15.08.2025
Ein Schrei im Ozean
d`Halluin, Benoit

Ein Schrei im Ozean


ausgezeichnet

EIN SCHREI IM OZEAN
Benoit d’Halluin
ET: 6.6.2025
Der Franzose Oliver und sein kambodschanischer Freund Arun leben seit sieben Jahren in Paris. Kennengelernt haben sie sich in einem Restaurant, in dem Arun als Kellner arbeitete. Nachdem Arun zu Oliver gezogen war, wollte dieser nicht mehr, dass sein Freund arbeitet – also hütete Arun das Appartement und langweilte sich zunehmend.

Zum ersten Mal reisen sie gemeinsam nach Pattaya, Thailand, damit Arun seine Familie im benachbarten Kambodscha besuchen kann. Als er aus seinem Heimatdorf zurückkehrt, erfährt er, dass Oliver ihn in dieser Zeit mit einem Prostituierten betrogen hat. Ein heftiger Streit eskaliert. Arun verlässt wütend das Restaurant, schreibt Oliver eine letzte Nachricht, blockiert ihn und fährt mit dem Taxi in den kleinen Fischerhafen Bang Saray. Dort spricht ihn ein Fremder an, spendiert ihm Drinks – und wenig später erwacht Arun im Laderaum eines Fischerbootes, mitten auf dem Ozean.

Arun ist einer von über 200.000 Zwangsarbeitern, die in Thailands Fischfangflotte – der viertgrößten der Welt – festgehalten werden.
Ob er und Oliver sich jemals wiedersehen, müsst ihr selbst herausfinden.

Benoît d’Halluin erzählt die Geschichte aus wechselnden Perspektiven und auf mehreren Zeitebenen – und entlarvt dabei schockierende Praktiken der Fischerei, die nicht nur Menschenleben zerstören, sondern auch zur Überfischung der Meere beitragen.

Obwohl ich seit mehr als 25 Jahren in Thailand lebe, hatte ich keine Ahnung, was sich nur 1,5 Stunden von meinem Zuhause abspielt. Ich wusste nicht, dass es dort Leinenlängen von bis zu 70 Kilometern(!!!) gibt – in der EU sind nur 10 Kilometer erlaubt! Unfassbar!
Wusstet ihr, dass Fischer täglich das Fünfhundertfache des Erddurchmessers mit Netzen auslegen?

Dies ist mein zweites Buch von Benoît d’Halluin. Den Vorgänger habe ich geliebt – aber dieses Buch geht tiefer, schmerzt, macht wütend, zeigt mir meine Machtlosigkeit auf und muss deshalb unbedingt gelesen werden. Ein echter Pageturner und für mich ein #Highlight.

LEST DIESES BUCH! Und sorgt dafür, dass dieser Schrei im Ozean gehört wird!
5+/5

Übrigens: Die Bücher des @verlag_karlrauch sind mit ihrer strukturierten Oberfläche („Peywave“) ohnehin wunderschön – doch dieses Cover mit seinen Wellen ist kaum zu übertreffen.
Vielen Dank an #KarlRauch und @benoit.d.h 🌊💙