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MB
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Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 393 Bewertungen
Bewertung vom 09.02.2025
Campion. Tödliches Erbe
Allingham, Margery

Campion. Tödliches Erbe


gut

Mittelmäßig. Zwar irgendwie 'very british' und zusätzlich flackert auch immer wieder - auch durch die eher althergebrachte Sprache und die althergebracht-höflichen Umgangsformen der handelnden Personen - soetwas wie britischer Humor und das für britische Detektivgeschichten typische Rätselraten auf, gleichwohl bleibt die Geschichte in ihrer Gesamtheit eher Mittelmaß. Sie ist eine Mischung aus einer Portion klassischer Detektivgeschichte, Mysterie-Elementen mit dezentem Gruselfaktor und Klamauk. Der letzte Satz beschreibt dies auf den Punkt: "Das gedämpfte Schlagen des Gongs unten in der Halle durchdrang die Stille." Hauptakteure sind der smarte Detektiv Companion und sein Gehülfe Lugg. Eine Diebesbande hat es nicht nur auf dem Festland sondern jetzt auch auf der Insel auf wertvolle Kunstschätze abgesehen - und jetzt wohl auch auf den sagenumwobenen, güldenen Kelch aus normannischer Zeit, den die Adelsfamilie Gyrth besitzt. Die Rettungsgeschichte des Kelches ist ein wenig wirr, es gibt eine Kopie, es gibt (unspektakuläre) Verfolgungen, die eine oder andere Verdächtgung, einen in die Jahre gekommenen Professor und auch eine vermeintliche Hexerei... Hat mich insgesamt nicht überzeugt und auch nur phasenweise gepackt.

Bewertung vom 09.02.2025
Achtzehnter Stock
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


sehr gut

Am Ende ein Stockwerk höher. Zwischen Anfang und Ende die 220 Seiten von Sara Gmuers zweitem Roman "Achtzehnter Stock". Die Protagonistin Wanda lebt mit ihrer 5-jährigen Tochter Karlie im 18. Stock einer Berliner Platte, verbringt ihre Zeit mit Aylins Mama und Ming, umgeben von Trostlosigkeit und ohne Aussicht auf Veränderung der Lage. Wanda, abgebrochene Schauspiel-Schülerin, wird zu einem Casting für eine Netflix-Serie eingeladen und es klappt... auch weil der Hauptdarsteller ein Auge auf sie geworfen hat. Die Anfangseuphorie wird allerdings jäh ausgebremst, als Tochter Karlie an einer Hirnhautentzündung erkrankt. Wanda ist im Zwiespalt zwischen der Sorge um ihre Tochter und einer möglichen Schauspielerkarriere gefangen; hin und hergerissen zwischen einer Welt des Glamour und ihrem Dasein in der Platte, dem Harzt IV - Milieu. Sara Gmuer beschreibt diesen Zustand sehr eindringlich: "Eigentlich ist es ganz einfach, man muss das Schicksal nur lange genug nerven, irgendwann gibt es nach und schmeißt einem das Glück vor die Füße, damit man endlich Ruhe gibt." und "Ich habe keinen Grund mehr, aufzustehen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Plattenbau beim nächsten Windstoß zusammenfällt und uns unter sich begräbt. Ich bleibe liegen. Der Schatten, der durch das Fenster fällt, bewegt sich langsam über den Boden und kriecht die Wände hoch, jeden Tag ein bisschen höher, bis die Sonne irgendwann so tief ist, dass die Wohnung im Schatten verschwindet und es für imer dunkel bleibt." Und der letzte Satz, als sich dann doch ein Erfolg einstellt, Wanda aber nicht ihre Herkunft leugnet und es nach der Wohnungskündigung eine Etage höher in den neunzehnten Stock derselben Platte geschafft hat: "Das Haus ist ein Mahnmal, ein Mittelfinger, der in den Himmel ragt und unübersehbar an uns erinnert, an uns und all die anderen, die keiner sehen wollte." Mit Sicherheit keine Wohlfühlgeschichte - aber gerade das macht den Roman besonders! Bitte lesen!!!

Bewertung vom 31.01.2025
Only Margo
Thorpe, Rufi

Only Margo


sehr gut

Very lebensnah. Rufi Thorpes neuer Roman "Only Margo" hat mich - bereits das Buchcover ließ mich einen flotten Schreibstil erwarten - ziemlich gepackt. Und als ich dann die letzten Worte der Danksagungen las, war mir kar, dass diese wunderbar erzählte Geschichte eine breite Leserschaft verdient hat: "Der letzte Dank geht natürlich an die Person, die dieses Buch liest: an dich. Ich werde dich nie kennenlernen und bin trotzdem in dich verliebt. Dieser Zustand - diese private, im Herzen der Welt versteckte Flüsterkammer, die wir Romane nennen - bedeutet mir alles. Danke, dass ich im Dunkel deiner Gedanken auftauchen und dich unermüdlich anlügen darf, mal voller Schmerz, mal voller Begeisterung." (Auch in der Geschichte selbst wendet sich Rufi Thorpe hin und wieder an die lesenden Personen...). Und all das passt ausgezeichnet zur Geschichte, geht es doch (auch) um all die Lügen im Netz, den gefakten Content um Follower zu generieren! Margo hat eine Affäre mit ihrem Literaturprof und wird schwanger. Sie entschließt sich, das Kind zu bekommen, ihr Prof distanziert sich und fordert Margo auf (gegen einen Geldbetrag), die Uni zu verlassen und eine Verschwiegenheitsklausel zu unterschreiben (um seine Ehe/ Familie nicht zu gefährden). Margo bekommt ihren Kellner-Job gekündigt und muss sich fragen, wie sie mit ihrem Säugling finanziell überleben soll. Sie entdeckt die Online-Plattform OnlyFans; damit sich ihre Media-Aktivitäten rentieren, sieht sie sich gezwungen, auch sexuellen Content zu produzieren, um möglichst viele Abonenten für ihren Kanal zu gewinnen. Als dann noch ihr Vater - ein ehemaliger, drogensüchtiger Profi-Wrestler - bei ihr einzieht, Margo mit JB einen ganz besonderen Kunden generiert hat und soetwas wie eine Online-Beziehung auf Lügenbasis entsteht, ihr ehemaliger Prof das alleinige Sorgerecht beantragt und schließlich auch noch das Jugendamt auf Margo aufmerksam wird, nimmt die Geschichte richtig Fahrt auf. Wie gesagt - sehr lebensnah... man fiebert förmlich mit, als Begleiter:in von Margos Lebensweg! Absolute Leseempfehlung!!!

Bewertung vom 27.01.2025
Grenzfall - Ihre Spur in den Flammen / Jahn und Krammer ermitteln Bd.5
Schneider, Anna

Grenzfall - Ihre Spur in den Flammen / Jahn und Krammer ermitteln Bd.5


gut

Etwas langweilig. Ein weiterer "Grenzfall" der Krimiautorin Anna Schneider - dieses Mal mit dem vielversprechenden Untertitel "Ihre Spur in den Flammen". Und tatsächlich - es läuft alles auf das Datum zu, an dem das alljährliche Johannisfeuer mit der dazugehörigen Prozession stattfinden soll. Zunächst aber machen einzelne Brandereignisse dies- und jenseitig der deutsch-österreichischen Grenze - mit Todesfolge - von sich Reden... und es stellt sich, selbstverständlich 'grenzüberschreitend', die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen den Brandereignissen gibt. Gegen wen richten sich dann die Brandanschläge? Was ist das Motiv? Gibt es unter Umständen ein ausländerfeindliches Motiv, zumal einer der Brände, der zunächst wirkt, wie wenn er das Resultat einer überlasteten Steckdose wäre, sich in einem Geflüchtetenheim ereignet? Oder Spielen Immobilienhaie eine Rolle, weil auch dieser Personenkreis von den Bränden betroffen ist? Die Ermittlerteams beiderseits der Grenze sind natürlich inzwischen 'alte Bekannte' für diejenigen, die auch die Vorgängerromane aus der Grenzfall-Serie kennen. Weshalb diese Personen vielleicht ein wenig blass bleiben. Auch die Ermittlungen ziehen sich etwas: Behäbiges Faktensammeln ohne rechten Spannungsbogen und unerwartete Wendungen. Und die Auflösung kommt dann natürlich - wie zu erwarten - erst am Ende, aber in der eher weniger ansprechenden Form eines mündlichen Geständnisses. Hat man/frau schnell gelesen... und auch schnell wieder vergessen...

Bewertung vom 27.01.2025
Moralische Ambition
Bregman, Rutger

Moralische Ambition


ausgezeichnet

Verführung. Dieses Buch des niederländischen Autors Rutger Bregmann ist eine einzige Verführung, sich mit seinen Talenten für eine bessere Welt einzusetzen. Und am Ende versteht man sehr genau, was der ungewöhnliche Titel "Moralische Ambition" meint. Bregmann konfrontiert uns mit dem Gedankengut eines Aktivisten - es reiche nicht aus, die 'rchtige Haltung' zu haben, man müsse auch ins Handeln kommen; die gute Absicht ist zwar ehrenwert, verändert aber erst einmal nichts. Oder wie es auch so schön heißt: Machen ist wie Wollen - nur krasser. Zu Beginn seines Buches erläutert der Autor das theoretische Konzept der 'Moralischen Ambition' - und das in sehr überzeugend-eindringlicher Weise. Im Folgenden beschreibt er Beispiele, wie Menschen sich erfolgreich für eine Sache engagiert haben, die die Menschheit weitergebracht hat, wie die Abschaffung der Sklaverei oder der Kampf gegen Malaria. Ein überzeugendes Plädoyer, seine Talente nicht zu verschwenden, sondern sich zu Netzwerken von 'engagierten Weltverbesserern' zusammenzuschließen. Bregmann appeliert dafür, Wissen, Fortschritt, neue Technologien unbedingt zu nutzen, aber nie und nimmer von der Moral zu entkoppeln. Und am Ende dann noch die Hinweise, wie wir, jeder einzelne, beginnen kann. Ein verdammt wichtiges Buch, dessen motivierendem Effekt man sich kaum entziehen kann!!!

Bewertung vom 19.01.2025
Unversehrt. Frauen und Schmerz
Biringer, Eva

Unversehrt. Frauen und Schmerz


ausgezeichnet

Ein wichtiges Buch. Sehr. Viel zu lange stand die rein männliche Perspektive im Vordergrund, vor allem auch in der Erforschung von Krankheiten. Weibliche Körper sind anders und so auch der Schmerz. Dieses Thema hat sich die die Autorin Eva Biringer mit ihrem neuen Sachbuch "Unversehrt - Frauen und Schmerz" vorgenommen und von vielen Seiten beleuchtet. Anhand der Geschichte ihrer Großmutter lockt sie ihre Leserschaft förmlich hinein in dieses Thema; gehörte doch die Großmutter einer Generation (von Frauen) an, deren Motto in der Regel war 'Zähne zusammenbeißen und durch'. Eva Biringer widmet sich wichtigen und auch aktuellen Themen: Unterscheidet sich weiblicher Schmerz von männlichem Schmerz? Sind Frauen dabei anderen Bewertungen ausgesetzt als Männer? Sie lädt uns ein zu historischen Betrachtungen des weiblichen Schmerzes: "Dass Frauen psychisch wie physisch labil und von ihren Launen getrieben waren, liege daran, dass es sich bei ihren Eierstöcken in Wahrheit um nach innen gekehrte Hoden und beim Uterus um einen Hodensack handelte. Davon abgesehen galt vor allem die Gebärmutter als Wurzel allen Übels." So schrieb es seinerzeit Hippokrates, der, auf den die Ärzt:innen auch heute noch ihren Eid leisten. Die Fortsetzung dieser Ideen finden wir dann bei Freuds 'Penisneid'. Und auch heute scheinen noch eine ganze Reihe falscher Vorstellungen und zudem auch unzureichendes Wissen eine Rolle zu spielen. So werden Schmerzereignisse bei Frauen oft als 'was Psychisches' gedeutet - Männer hingegen in ihren Schmerzäußerungen ernst genommen. (Die Rache der Frauen dafür legt sich in der Bezeichnung 'Männergrippe' nieder.) Selbstverständlich ist auch Misogynie ein Thema, dem sich die Autorin mit interessanten Betrachtungen widmet. Ein lesenswertes Buch - nicht nur für Frauen!!!

Bewertung vom 15.01.2025
In einem Zug
Glattauer, Daniel

In einem Zug


ausgezeichnet

Großartig! Absolut großartig! Ich komme aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus. Soeben habe ich Daniel Glattauers neues Werk "In einem Zug" (fast in einem Zug ;-)) beendet. Auch hier beweist der Autor erneut, welch ein Meister der Sprachkunst er ist - unvergleichlich, wie er es versteht, mit Worten zu spielen und Assoziationsketten in neue Denkrichtungen zu eröffnen - , unvergleichlich seine Fähigkeit, die verbale und nonverbale Beziehungsgestaltung zwischen Menschen zu sezieren, unvergleichlich sein Vermögen, so ganz nebenbei Beobachtungen einzuflechten, welche das Zeitgeschehen und den Zeitgeist kritisch reflektieren, unvergleichlich seine Art, Dialoge zu konstruieren. Aber jetzt Schluss mit den Superlativen. Nein, eines kommt noch hinzu - nämlich die Idee, dem neuen Roman einen zunächst einmal simpel anmutenden Handlungsrahmen zu geben: Treffen sich zwei in einem Abteil eines Zuges und reden miteinander... Der populäre Schriftsteller Eduard Brünhofer, bekannt für seine Liebesromane, der aber schon viele Jahre nichts Neues mehr veröffentlicht hat, begibt sich per Zug auf die Reise von Wien nach München zu einem Termin bei seinem Verlag; eine Frau "frühen mittleren Alters" setzt sich zu ihm ins Abteil, stört nicht nur die erwünschte Ruhe der Zugfahrt, sondern verwickelt Brünhofer in ein immer tiefergehendes Gespräch über Beziehung und Liebe; Brünhofers Mitreisende steigt nicht etwa, wie zunächst erhofft, früher aus, vielmehr entlockt sie dem Autor durch ihre geschickte, fast schon therapeutisch zu nennende Fragetechnik das eine oder andere bislang so nie Gesagte und treibt ihn zusehends in eine tiefe Selbstreflexion hinein. Und wer Glattauer kennt, der weiß, dass mit einer unerwarteten Wendung am Schluss gerechnet werden darf! Absolute Empfehlung. Das Hörbuch ist wunderbar eingelesen von Christian Berkel.

Bewertung vom 14.01.2025
Ginsterburg
Frank, Arno

Ginsterburg


ausgezeichnet

Außergewöhnlich. Und lesenswert! Arno Frank hat sich mit seinem aktuellen Roman "Ginsterburg" an ein nicht nur gewichtiges sondern darüber hinaus leider wieder wichtig gewordenes Thema gewagt - die Zeit des Nationalsozialismus. Der Autor nutzt für seine Geschichte - die auch die Geschichte einer Verblendung ist - die fiktive Kleinstadt Ginsterburg. Das hat den entscheidenden Vorteil, dass Arno Frank sich nicht um unter Umständen einengende Faktentreue bemühen muss; dafür hat er alle Freiheiten, Personen zu konstruieren, eine Kleinstadtdynamik zu entwickeln und so den nicht immer so schleichend-subtilen Prozess der Nazifizierung zu beschreiben und - gegen Ende immer mehr - auch das Irreale zu bemühen, um entscheidende Akzente zu setzen. Geschickt auch der Schachzug, den Roman zu drei Zeitpunkten sich ereignen zu lassen - 1935, 1940 und das letzte Kriegsjahr. Als Leser stockte mir zuweilen der Atem, fühlte ich mich doch erinnert an das was gegenwärig geschieht - nämlich dass rechte Parteien wieder auf Menschenfang sind und uns versprechen, wieder etwas ganz Großes aus uns zu machen, dass Feinbilder konstruiert und Menschenverachtung wieder salonfähig geworden ist! Deshalb: Lesen!! "Ginsteburg" ist weit mehr als nur Erinnerungskultur!

Bewertung vom 09.01.2025
Das kleine Café der zweiten Chancen
Ota, Shiori

Das kleine Café der zweiten Chancen


sehr gut

Wie schön das wäre... könnte man nocheinmal zurückkehren zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit und etwas ungeschehen machen, oder einfach nur den Lauf der Dinge abändern. Wer sich auf diese Vorstellung, dass dies möglich sein könnte, einlassen kann, ist mit dieser kleinen Geschichte "Das kleine Café der zweiten Chancen" von der japanischen Schriftstellerin Shiori Ota bestens bedient. Und wie schon der Titel ahnen lässt, geht es nicht um Tee, sondern um Kaffee. Und eines ist gewiss, die Lust auf einen guten Kaffee wird steigen, auch wenn es sich nicht um die magischen Bohnen aus der Geschichte handelt, die eine Reise zu einem Punkt in der Vergangenheit ermöglichen um dort etwas zu korrigieren, eine Reise, die exakt die Dauer eines etwas über 4-minütigen Musikstückes von John Cage hat. Ein Büchlein über Freundschaft und Trauer, über Neuorientierung und Hoffnung, über das, was wirklich wichtig ist im Leben. Poet isch erzählt und dabei nicht am Rande des Kitsches. Wer sich also mal für einige Stunden von den Anforderungen des Alltags lösen mag, dem sei dieses Büchlein (auch das schön eingelesene Hörbuch) wärmstens empfohlen.

Bewertung vom 05.01.2025
Über allen Bergen
Goby , Valentine

Über allen Bergen


gut

Romantisiert! Fast wirkt es wie ein Ausblenden der schrecklichen Realität des Zweiten Weltkrieges, wenn sich Valentine Goby in ihrem Roman "Über allen Bergen" für die Jahre 1942/43 in Naturbeschreibungen und der Erzählung des einfachen Lebens der Bergbewohner nahe des Mont Blanc erschöpft. Der 12-jährige Vadim, Sohn russischstämmiger Juden, wird zu seinem Schutz aus Paris in ein Bergdorf in Richtung der Grenze zur Schweiz verschickt und dort bei einer Familie untergebracht. Vadim heißt ab jetzt Vincent, besucht an seinem neuen Ort die Schule und findet sich relativ problemlos ein in seine neue Heimat, das Bergdorf. Vincent liebt den Klang der Wörter, die ihm als Farben erscheinen, auch Zahlen sind für ihn farbig. Vincent ist äußerst empfänglich für alles Sinnliche. Als Leser:innen dürfen wir die Umgegend, Schneelandschaften, Natur, das Dorfleben durch Vincents Augen betrachten: Zutiefst poetische Naturbeschreibungen (wie sie mir für einen 12-jährigen Jungen recht unwahrscheinlich erscheinen...). Vincents langsam erwachende Sexualität, hatte er doch bislang nie zuvor einen nackten Frauenkörper gesehen; eine Geburt steht bevor, zunächst die eines Kalbes, dann die der Mutter der Gastfamilie. Kurze Rückblenden, die die Leserschaft erinnern, dass Vincents ja aus Paris geflohen ist, weil die Gefahr für jüdisches Leben sich zunehmend zugespitzt hatte... Der Berg als die rettende Insel - wie einst der Berg Ararat zu Zeiten von Noah's Arche - während die Welt dabei ist, unterzugehen. Es bilden sich Freundschaften - der blinde, alte Martin mit seinem Hund Whisky und vor allem zu der zwei Jahre jüngeren Moinette, die ihm 'Land und Leute' zeigt. Vincent ist gefangen vom Erleben der Natur, vom Frühlingserwachen in den Bergen, während in 1943 immer noch der Zweite Weltkrieg tobt. Die Naturbetrachtungen sind kleine, sinnliche Wunderwerke. Aber was zählt die Schönheit der Natur, wenn das grausame Weltgeschehen tobt? Dient sie als Trost? Kann es Schönes im Grausamen geben? Bei all der Poesie, die diese Geschichte tatsächlich auch lesenswert macht, ist sie mir insgesamt um einiges zu weltabgewandt; auch gibt es kaum Entwicklungen bei den Protagonist:innen, wenig Konfliktäres, weder in Form von inneren Spannungen ('Wachstumsschmerz) oder auch in der Dorfgemeinschaft. Sprachlich bereitet der Roman viel Freude, von seiner Anlage her bleibt er unter seinen Möglichketen.