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Benutzername: 
Max Gutbrod
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 25 Bewertungen
Bewertung vom 28.01.2025
Wilhelm von Bode und Marie Rimpau
Jochens, Birgit

Wilhelm von Bode und Marie Rimpau


ausgezeichnet

Man kann dieses Büchlein als eine private Geschichte des Sehen-Lernens lesen:

Aus einem gutbürgerlichen Hause stammend, studiert er, gegen den Willen des Vaters, die damals wohl erst am Anfang stehende Kunstgeschichte nach dem den Eltern eher willkommenen Jurastudium, ist einer der Wenigen, die dem neuen Deutschen Reich auch zu einem in Europa konkurrenzfähigen Bilder-Ansehen verleihen kann, reist wie besessen nach Russland, Frankreich, England, Spanien, Süddeutschland und, immer wieder nach Spanien zu Kirchen, Museen und Sammlern, gewinnt Ansehen bei Öffentlichkeit und Herrscherhaus durch Ausstellungen und Reise- und Publikationen über Skulpturen.

Das alles spiegelt sich im Briefwechsel mit der gleichaltrigen Cousine, die ihn bei Krankheiten, Depressionen und eine gescheiterte Liebe berät und sich in seinen Seh-Sog hineinziehen, begeistern lässt und zur kundigen Beraterin wird, beide wissen sich einig darin, dass ihre Art von Sehen zu überlegenerem Sein führt. Erst mit 36, er ist nun materiell gesichert, wagen sie plötzlich und gegen Widerstände die Ehe, das Buch endet mit ihrem Tod kurz danach und ihrer Fürsorge für ihn. Ergänzt wird es durch umsichtige Beschreibungen des Umfelds, der Eltern-Tochter-Beziehung, der landwirtschaftlichen Güter der Familie und der Organisation ihrer Modernisierung,, des Alltags- und Familienlebens bis hin zu Aufstehzeiten und Familienhäusern. Die Autorin gibt den klug ausgesuchten, folgerichtig und leicht lesbar angeordneten Quellen so viel Raum, dass man sich in die berichtete Zeit versetzt sieht. Geradezu belebend wirkt, dass die Autorin ihren Figuren nicht gerade wohl will. So spricht sie öfter von Zerwürfnissen, ohne diesen Platz einzuräumen, die scheint auch die Gefühlswelt ihrer Helden nicht nachvollziehen zu wollen. Die Bedeutung Bodes für die Berliner Sammlungen lässt sich einigermassen, die für die Austellungskonzeption mit Mühe erraten: "Die Erinnerung an Bode, den großen Museumsmann, ist in New York, Stiichwort Frick-Collection, lebendiger als in Berlin": Der Satz von Hermann Wiesler, Bilderleben II, S. 23f aus dem Jahr 1999 scheint modifiziert weiter zu gelten.

Bewertung vom 20.09.2024
Stuttgart
Schukraft, Harald

Stuttgart


sehr gut

Das optimale Geschenk für den, der kurz erklärte Bilder über die Stuttgarter Stadtgeschichte gerne anschaut: Qualität und Auswahl der Fotos aus der Vorkriegszeit sind eindrucksvoll.

Bewertung vom 25.08.2024
Graf Petöfy. Unterm Birnbaum. Cecile / Romane und Erzählungen, 8 Bde. 4
Fontane, Theodor

Graf Petöfy. Unterm Birnbaum. Cecile / Romane und Erzählungen, 8 Bde. 4


ausgezeichnet

Mich hat diesmal bei „Unterm Birnbaum“ auch beeindruckt, wie Kultur, von den Theaterbesuchen in Berlin bis zum Grabkreuz, die erzählte Geschichte – eigentlich nicht besonders erfreulich – beeinflusst. Ganz anders dagegen wirkt Kultur in Cécile, s. als Auszug: S. 352, Rosa:„Ich missbillige diese Kunstprüderie, die doch meistens nur Hochmut ist. Die Kunst soll die Menschen erfreuen, immer da sein, wo sie gerufen wird, aber sich nicht wie die Schnecke oder gar vornehmen im Haus zurückziehen. Die schrecklichsten sind die Klaviervirtuosen, die 12 Stunden lang spielen, wenn man sie nicht hören will, und nicht spielen, wenn man sie hören will. Das Verlangen nach einem Walzer ist die tödlichste der Beleidigung, und doch ist der Walzer etwas Hübsches und wohl eines Entgegenkommens wert. Denn er macht ein Dutzend Menschen auf eine Stunde glücklich.“ Besonders berührt hat mich, wie passend die außerhalb dem früheren sowjetischen Raum kaum bekannten Wereschagin und die beginnende Industrialisierung Zentralasiens einfließen, Tintorettos „Salat von Engelfüssen“ in der Anmerkung, S. 533 aufgeschlüsselt wird. Die entspannt-konzentrierte Distanz ist auch in den Beschreibungen spürbar, wenn es etwa heißt, das Wetter sei „zwischen nebeln und nieseln“.
Den Horizont erweitert die – glänzend – als Hauptintrige von Cécile auf S. 563 in den Anmerkungen mitgeteilte Anekdote, die doch hinsichtlich des Inhalts der Geschichte eigentlich irreführt, geht es doch um eher um Lebensentwürfe und ihren Niederschlag in „Plaudereien“ und Ausflügen. Die Anmerkungen sind immer interessant, halten bei Verweisen auf andere Werke oder biographische Hintergründe klug die Waage zwischen leerer Verdoppelung der Erzählungen und rein aufzählender Knappheit. So habe ich auch nur ein Versehen entdeckt, dass nämlich auf eine dritte Anmerkung hingewiesen wird, wo doch die erste gemeint zu sein scheint: Welche zwei man wohl überlesen, versäumt hat, weil der Atem für sie nicht reichte?

Bewertung vom 09.08.2024
Kindergeschichte
Handke, Peter

Kindergeschichte


gut

Die Präzision des Autors, dem ja auch zur "Angst des Torwarts vor dem Elfmeter" etwas einfiel, bewährt sich auch hinsichtlich dem Verhältnis zu einem (seinem?) Kind, wenn man auch Umzüge nicht, wie im Buch, als Schicksal wahrnehmen, sondern das Kindeswohl dabei berücksichtigt wissen will. Strafen werden zwar spürbar nur zurückhaltend aber doch in einer Weise besprochen, die eher Bedenken erweckt. So ist das Buch auch ein Zeugnis einer Übergangszeit.

Bewertung vom 08.08.2024
Theodor-Heuss-Lesebuch
Welchert, Hans-Heinrich

Theodor-Heuss-Lesebuch


weniger gut

Vieles ist eher beliebig. Über Fontane zB erfährt man wenig, was der nicht wusste, der den Namen kannte, Uhlands politische Karriere wird rechtfertigend, aber so sehr auf die altwürttembergischen Umstände Bezug nehmen berichtet, dass Heuss’ Verständnis für Uhland kaum nachvollziehbar ist und umso mehr in Erinnerung bleibt, wie Heuss Uhland– wohl zu Recht, aber Uhlands dichterisches Werk hätte, gerade wo es – Ballade über Eberstein – eher peinlich ist doch Verständnis verdient gehabtü– gegen über Hölderlin und Mörike deklassiert.
Hoch interessant, aber doch bei einer Perzeption stehen bleibend, ist die Bemerkung zur Wahlrechtsdiskussion bei der Gründung der Bundesrepublik, dass sich etwa Stresemann trotz Mehrheitswahlrecht gegen Lokalparteipolitiker nicht durchsetzen konnte, ähnlich überzeugend, wohltuend und detailorientiert sind auch andere Stellungnahmen bei der Gründung der Bundesrepublik, sympathisch, aber doch sehr partiell bei den eigenen Erlebnissen stehen bleibend wird über einen Wahlkampfeinsatz für Naumann berichtet.
Wie Fanfaren, glückhaft tauchen glänzende Polemiken zu einem Wagner- und anderen Denkmälern im Berliner Tiergarten und eine Charakterisierung von Delbrücks Position im (gegen den 1. Weltkrieg) auf. Wegen wenig präzisem Inhaltsverzeichnis und fehlendem Stichwortverzeichnis ist Derartiges leider sehr schwer zu erschließen.

Bewertung vom 28.07.2024
Tagebuchbriefe 1955-1963
Heuss, Theodor

Tagebuchbriefe 1955-1963


ausgezeichnet

Populär dürfte Heuss gewesen sein, weil er dem nervösen Volk durch seine Vielseitigkeit und Unverbindlichkeit den verführerischen Eindruck vermittelt, es werde alles so gut. Dieser war wiederum eher beliebig und mag gefährlich gewesen sein. Bedeutend dürfte er deshalb gewesen sein, weil er ein Gegengewicht zu dem zunehmend alternden, erratisch werdenden Adenauer bildete. Das Gegengewicht wird nicht etwa durch eine Gegenposition, sondern
in der Ironie, im Geschick deutlich, mit dem Heuss z. B. eine Explosion des Alten zu Gerstenmaier als Nachfolger als Bundespräsident provoziert. Heuss’ nachhaltiges Interesse an Außenpolitik wird z. B. offensichtlich anhand des Nachdrucks, mit dem er von Einschätzungen der Sowjets etwa des Außenminister Brentano oder des Botschafters Kroll berichtet – Heuss scheint die auch außenpolitische Strategie Adenauers geradezu auszublenden.

Schön ist der Einsatz für die Würdigung, die Toni Stolper ihrem Mann bereiten wollte, und die in der Tat bedeutend gelang. Schon die Sorgfalt, mit der Heuss seinen USA-Auftritt voerbereitete, wirkt nur teilweise uneigennützig. Geradezu ärgerlich fand ich, wie ein Einsatz für den so bedeutenden Preuß für nötig erklärt wird, auf den dann nichts folgt.

Man hat immer wieder das Gefühl eines Ausweichens, eine Art Doppelleben. Er berichtet mit Anteilnahme über Documenta, mit Verve über die Sammlung Bührle, aber in seinen öffentlichen journalistischen Äußerungen so zurückhaltend über Macke über Fontane, scheint Barlach extrem wichtig zu finden, aber kein Verständnis für die Bedeutung von Baumeister zu haben, und doch ist die folgende Zusammenfassung eigentlich unachahmlich:

„Dieser Bührle, ein Pforzheimer, hat vor x Jahren in eine Maschinenfabrik zu Oerlikon bei Zürich hineingeheiratet und hat in ein paar Jahrzehnten das angeblich größte Industriewerk der Schweiz entwickelt. Er hat natürlich für die Deutschen und die Alliierten Kriegswerkzeug fabriziert, und mit dem Erlös den europäischen Kunsmakt „verdorben“, weil er alle Preise bezahlen konnte. Er soll aber auch ein echtes Verhältnis zur Kunst gehabt haben. … Die Auswahl, die hierher kam, reicht von frühem Manet bis zum frühen Picasso. Die Qualität des Gezeigten ganz außerordentlich…“.

Bewertung vom 18.04.2024
Gesammelte Gedichte. 4 Bände
Krolow, Karl

Gesammelte Gedichte. 4 Bände


ausgezeichnet

Zu den 4 Bänden:

Herbstsonnette mit Hegel und Rilke gehören zu dem mir wesentlichen Gedichten, Die letzte Reise – vielleicht auch biographischen Gründen - und ein hier nicht veröffentlichtes, in der FAZ wohl so etwa um diese Zeit erschienenes Gedicht („Ein unbekannter Geruch, so duften Blumen zur Nacht, ich ...“) sowieso. Bei anderen fällt schwerer, den jeweiligen roten Faden zu finden, das Gedicht nicht nur als eine Abfolge interessanter Gedanken zu verstehen, großartig dann aber wieder. „Es ist schon spät und es wird schon kalt“, „Als es soweit war“, vielleicht immer dann, wenn er ein Thema festhält, nicht nur schweift.

Jedenfalls aber: Eine wichtige lyrische Stimme seiner Zeit, kein Revolutionär, aber auch kein Banaler, sondern ein immer neues Suchender.

Bewertung vom 05.04.2024
Ein Leben in Brennpunkten unserer Zeit
Stolper, Toni

Ein Leben in Brennpunkten unserer Zeit


ausgezeichnet

Wie im Telegrammstil läuft das hochaktive Leben eines der wirtschaftspolitischen Denker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab, von seiner natürlich symphatisierenden, aber distanziert berichtenden, kenntnisreichen Wittwe beschrieben. Insbesondere die personelle Tragödie der Weimarer Republik wird handgreiflich, deren wichtige Führer wie Ebert, Rathenau, Stresemann, Preuß, Erzberger ermordet wurden oder früh starben, und die die, die der Allgemeinheit plausible Lösungen für die insbesondere wirtschaftspolitisch so schwierigen Fragen hätten darstellen können, wie Schacht und den besonders mitfühlend und doch hart gezeichneten Popitz, alsbald an den Nationalsozialisten verlor.

Persönlich kann man Gustav Stolper die Bewunderung und Symphatie schwer versagen: Sich für Reger, Mahler und Berg in den 20-igern begeistern zu können, noch kurz vor seinem Tod durch Anruf bei der Börse das Asset-Management betreiben, mit dem er offenbar sein Brot verdient hat!

Bewertung vom 05.04.2024
Deutschösterreich als sozial- und wirtschafts-problem
Stolper, Gustav

Deutschösterreich als sozial- und wirtschafts-problem


ausgezeichnet

Stolper war einer der Handelnden in der Weimarer Republik, aus Wien eingewandert, die das Unheil vorhergesehen und zu verhindern versucht haben. Schon daher verdient dieses Werk Interesse.

Bewertung vom 03.12.2023
Macbeth
Fischer-Dieskau/Grace Bumbry/Wolfgang Sawallisch

Macbeth


ausgezeichnet

Es handelt sich um ein beeindruckendes Dokument der Musik(-theater)-geschichte.

Sawallisch war in den 60-igern und 70-igern an den Musikzentern wie Wien, Mailand, Bayreuth und Berlin tätig. Sein Verdi ist fast so dramatisch aufgeladen wie der von Fritz Busch oder Gavazinni und von einem sehr persönlichen Sinn von Rhythmus bestimmt. Mit Fischer-Dieskau war er befreundet, ihn, die junge Bumbry und das restliche Ensemble zusammen zu bringen, dürfte eine Leistung gewesen sein. Fischer-Dieskaus ohnehin große technische Fähigkeiten scheinen unbegrenzt, die anderen Sänger scheinen (anders als z. B. die eher verschreckte Renata Scotto in der Rigoletto-Aufnahme) sich an ihm zu orientieren. Fischer-Dieskaus (damalige) Tendenz, den Sinn jeden musikalischen und textlichen Moments hervorzuheben verschiebt das Shakespearsche Drama von dem eines Wüstlings fast zu einem Lear, zu einer zusammenhängenden Etude über menschlichen Wahnsinn und Bosheit, demgegenüber vielleicht die Callas (mit ihr soll Fischer-Diskau ja einen gemeinsamen Macbeth geplant haben) eine Person hätte darstellen können, die Dramatik bedarf aber eigentlich keiner besonders bösen Lady, auch die übrigen sind durch die Wildheit des Haupthelden genügend charkterisiert.

Sawallischs Karriere wirkt später nicht mehr so geradlinig, Fischer-Dieskaus Theater-Auftritte scheinen im Weiteren eher weniger von Ensembles unterstützt zu werden. Sawallisch scheint die Opernleitungrolle in seiner Heimatstadt München nicht gut getan zu haben: Er scheint aus Respekt vor Knappertsbusch und auch Keilberth die grosse Geste vermieden zu haben, die doch bei Wagner und Strauss hilft, um die Ablehnung, die der so viel orgineller Fricsay in München erlebte und wegen der Erfolge der italienischen Dirigenten Verdi und auch die gemässigte Moderne vermeden zu haben, die ihm ja eigentlich lagen. Bei der Sänger-Entwicklung scheint er Risiken gescheut zu haben: Er mag für die Kürze der Karriere von Ridderbusch nicht viel können, dass München in den 80-igern aber den Holländer und den Wotan nicht selbst besetzen konnte, Prey als Beckmesser und Schreier als David waren Ereignisse, Moll wurde eher konservativ gefördert, dass man häufig auf den doch nicht herausragenden Kollo angewiesen war, dass die sicher mal hoffnungsreiche Bjoner immer weiter die Isolde sang, man aber für die Ligendza die großen Gelegenheiten nicht hatte, die sie in Stuttgart bekam, dass die Fassbaender angestrengter als bei den Aufnahmen mit Adler oder Celibidache klang, spricht für wenig Sängerführung, ich habe auch Symphoniekonzerte in Erinnerung, die einfach schlecht geprobt waren.