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Verena

Bewertungen

Insgesamt 161 Bewertungen
Bewertung vom 18.07.2025
Anna oder: Was von einem Leben bleibt
Sußebach, Henning

Anna oder: Was von einem Leben bleibt


gut

Vermutungen

Was bleibt von einem Leben? Dieser Frage geht Autor Henning Sußebach nach, indem er über das Leben seiner Urgroßmutter Anna recherchiert – eine, so scheint es, interessante Persönlichkeit, die in einer Zeit voller Umbrüche lebte.

Die Grundidee hat mich wirklich überzeugt. Vor allem am Anfang des Textes, als der Autor seine Beweggründe, seine Reflektionen erörterte, wurde auch ich stark zum Nachdenken angeregt. Was weiß ich über meine Urgroßeltern (kaum etwas), was wird von meiner Generation bleiben – wir, die wir alle so viel besitzen und selbst unser Frühstück an einem ganz normalen Dienstag dokumentieren, während von Anna außer einem Poesiealbum, ein paar Postkarten, einem Ring und einem Kaffeeservice kaum etwas geblieben ist. Die Thematik bietet viel Raum, zu philosophieren: Wird das Leben eines Menschen weniger bedeutend, weil es Alltag war? Oder ist gerade das Alltägliche, das vermeintlich „langweilige“, wertvoller, weil es die Basis für ein echtes Leben bildet? (Und wer bestimmt überhaupt, was interessant und was langweilig ist?)

Allerdings fällt die Umsetzung der Idee etwas schwächer aus. Zu sehr verliert sich der Autor an manchen Stellen in Vermutungen oder zieht Parallelen zur Gegenwart. An anderen Stellen, wo es meines Erachtens nötig gewesen wäre, fehlt hingegen jegliche Einordung oder Informationen aus Annas Leben werden einfach so hingenommen, ohne diese ausreichend zu hinterfragen. Ein sehr krasses Beispiel hierfür ist der Auszug aus Schulbüchern. Grundsätzlich nicht unrelevant, immerhin war Anna Lehrerin. Aber muss dafür eine Stelle gewählt werden, die abscheulichste Rassentheorie wiedergibt, in der mehrfach rassistische Bezeichnungen reproduziert werden? Klar - das hat historisch so stattgefunden, aber es wird einfach so stehen gelassen, ausgerechnet dafür gibt es keine richtige Kontextualisierung; nur ein Halbsatz sehr viel später im Buch. Unüberlegt und schade.

Trotz der Schwächen in der Umsetzung bleibt die Grundidee stark und bietet viele Denkanstöße, über die eigenen Vorfahren, aber auch ganz konkret über die Bedeutung eines Lebens nachzudenken.

Das Hörbuch ist hochwertig produziert und gut gelesen von der Schauspielerin Nina Petri.

3,5 Sterne

Bewertung vom 17.07.2025
Das Geschenk des Meeres
Kelly, Julia R.

Das Geschenk des Meeres


gut

Blasse Erzählung

In „Das Geschenk des Meeres“ geht’s nach Schottland, ins kleine Dorf Skerry ganz hoch oben im Norden. Hier wird im Winter 1900 in einem Sturm ein leblos wirkender Junge am Strand angespült. Das Kind erinnert auf unheimliche Weise an den Sohn der Lehrerin Dorothy. Er verschwand viele Jahre zuvor im Meer. Dorothy nimmt den unbekannten Jungen bei sich auf. Nicht nur das Rätsel um ihn gilt es zu lösen, auch um ihr eigenes Kind und ihre Vergangenheit gibt’s einige Geheimnisse.
Das Hörbuch wird von Astrid Kohrs einfühlsam gelesen. Gute Produktion und eine angenehme Erzählstimme sorgen für eine solide Hörqualität.
Allerdings leidet die Geschichte unter großen inhaltlichen Schwächen; auch der Stil unterstützt die Erzählung nicht wirklich. Die Figuren bleiben blass, die Emotionen kommen kaum rüber. Die Vielzahl an Zeitsprüngen und Perspektivwechseln (zwischen zu vielen unterschiedlichen Figuren) sorgen zwar für ein rasantes Tempo, verhindern aber jegliche Identifikation mit den Charakteren.
Beeindruckend ist jedoch das Setting. Skerry, so weit im Norden Schottlands gelegen, dass man fast Norwegen erahnen könnte, ist eine faszinierende Kulisse würde eigentlich geradezu danach verlangen, Elemente des Schauerromans und Nature Writings zu verwenden. Dieses kleine Fischerdorf wäre ideal gewesen, um die komplexen Hintergründe der Figur der Dorothy genauer zu beleuchten: als Lehrerin – also berufstätige Frau – kommt sie als Außenseiterin ins Dorf; die Erwartungen und Vorurteile der Dorfgemeinschaft, ihre eigenen Hoffnungen und Wünsche, die Unsicherheiten durch die lieblose Erziehung durch ihre Mutter – all das zur Zeit des Fin de Siècle wäre schon genug Stoff für eine packende Erzählung. Dafür hätte es aber eine wirklich tiefgründige Charakterentwicklung gebraucht. Stattdessen gibt es viele Intrigen und Kommunikationsprobleme.
Die Geschichte hätte also wirklich viel Potenzial gehabt, um spannend und berührend zu sein. Insgesamt eher 2,5 bis 3 Sterne von mir. Das Cover ist allerdings ein echtes Highlight und verdient die volle Punktzahl.

Bewertung vom 21.05.2025
Great Big Beautiful Life
Henry, Emily

Great Big Beautiful Life


weniger gut

Schöne große Enttäuschung

Leider war auch dieser neue Emily Henry Roman nichts für mich. Ich liebe ihre ersten drei Bücher, doch seit sie super berühmt ist, haben mich ihre Werke nicht überzeugen können: „Funny Story“ war ziemlich langweilig – ich erinnere mich kaum daran. „Happy Place“ mochte ich aus vielen Gründen nicht, vor allem weil für mich die Verwendung von Depressionen als Plot-Twist ein absolutes No-Go ist. Und „Great Big Beautiful Life“ entpuppte sich als „great big beautiful disappointment“ – eine große Enttäuschung. Es hat auf vielen Ebenen einfach nicht funktioniert.

Ich denke, die Geschichte wäre vielleicht besser gewesen, wenn sie mehr wie ein Krimi oder Thriller geschrieben worden wäre, anstatt zu versuchen, ein Rätsel innerhalb eines Liebesromans zu sein. Das größte, größte, größte Problem waren jedoch die beiden Protagonist:innen. Sie waren die am wenigsten entwickelten Figuren, die ich je in einem Emily-Henry-Buch gelesen habe. Sie wirkten stereotyp, oberflächlich und ohne echte Tiefe – einfach nur langweilig. Ich habe ihre Namen ständig vergessen, so wenig Eindruck haben sie hinterlassen.

Auch die Liebesgeschichte funktionierte nicht. Es gab null Chemie, keinen spark – nur zwei große, attraktive Menschen in einem Emily-Henry-Roman, also müssen sie wohl zwangsläufig aufeinander stehen, oder? Es wirkte erzwungen und oberflächlich.

Leider wirkte auch der Schreibstil nicht wie Henrys übliche Sprachgewandheit Manchmal schien es, als würde das Buch zu sehr versuchen, „filmisch“ zu sein, um möglichst bald von einem großen Streaming-Dienst adaptiert werden. Es gab zu viel tell statt show, was die Charaktere nur noch oberflächlicher erscheinen lies.

Na ja. Vielleicht sollte ich ihre früheren Bücher nochmal lesen – die waren beinahe perfekt. Leider scheint diese Magie nach „Book Lovers“ verloren gegangen zu sein.

Bewertung vom 07.05.2025
Beeren pflücken
Peters, Amanda

Beeren pflücken


sehr gut

Eindringlich

„Beeren pflücken“ von Amanda Peters ist für mich ein erstes kleines Jahreshighlight, auch wenn es knapp nicht für fünf Sterne gereicht hat.

Im Sommer 1962 ist eine Mi’kmaq-Familie aus Nova Scotia in Maine als Blaubeerenpflücker tätig, als plötzlich die vierjährige Ruthie spurlos verschwindet. Zuletzt wurde sie von ihrem zwei Jahre älteren Bruder Joe gesehen, auf ihrem Lieblingsstein am Rand eines Beerenfeldes. Das Verschwinden bleibt ungeklärt und verfolgt die Familie über Jahrzehnte. Währenddessen wächst Ruthie in den USA bei einem wohlhabenden, emotional distanzierten Paar als Norma auf. Ihre Eltern verbergen etwas, was Norma erst im Lauf der Jahre zu erahnen beginnt.

Ich lese regelmäßig indigene Literatur und bin immer wieder schockiert über die strukturelle Diskriminierung, die Indigene erfahren haben und zum Teil immer noch erfahren. In diesem Roman ist es – neben der systemischen Benachteiligung – vor allem Normas „Familie“, deren skrupelloses, respektloses Verhalten gegenüber der First Nation-Familie heraussticht.

Erzählerisch besonders gelungen finde ich, dass Amanda Peters, selbst Mi’kmaq und europäischer Abstammung, die Perspektiven der beiden jüngsten Kinder gewählt hat. Über die Jahre hinweg begleiten wir sie durch unterschiedliche Lebensabschnitte. Ruthies Entführung und die damit verbundenen Geheimnisse haben das Leben beider Geschwister geprägt – Joe fühlt sich schuldig, obwohl er selbst noch ein Kind war, und Norma spürt, dass mit ihrer Herkunft und ihrer Familie etwas nicht stimmt. Das Geschehene lässt beide nie los. Das sorgt für eine spannende, emotionale Erzählung.

Einzig das Ende wirkte etwas zu glatt und zu harmonisch. Es löst sich zu schnell auf, um wirklich realistisch zu erscheinen. Dennoch bleibt der Roman stark, dank der emotionalen Ebene und den glaubwürdigen Figuren.

„Beeren pflücken“ ist eine sehr empfehlenswerte Lektüre, die zum Nachdenken anregt. Ein schönes, wenn auch nicht perfektes, Jahreshighlight.

Bewertung vom 26.04.2025
Halbinsel
Bilkau, Kristine

Halbinsel


sehr gut

Leise Sinnsuche

„Halbinsel“ von Kristine Bilkau ist ein ruhiger, nachdenklicher Roman, der Fragen zu Familie, Verantwortung und Bewältigung von mentalen Krisen aufwirft. Zunächst habe ich gezögert, ob ich den Roman lesen möchte, da ich selbst in einer ähnlichen Situation war und befürchtete, dass mich die Geschichte emotional zu stark mitnehmen könnte. Gleichzeitig war es aber auch der Grund, warum ich es unbedingt lesen wollte, v.a., weil ich Bilkaus "Nebenan" so gern gelesen habe.
Der Roman spielt an der nordfriesischen Halbinsel im Wattenmeer und erzählt die Geschichte von Annett, Mitte 40, die nach dem frühen Tod ihres Mannes ihre Tochter Linn allein großgezogen hat. Linn, Anfang 20, kämpft mit Erschöpfung und Sinnsuche – eine Thematik, die ich nur allzu gut nachvollziehen kann. Nach einem Zusammenbruch auf einer Konferenz möchte sie sich für kurze Zeit bei ihrer Mutter erholen, aus Tagen werden Wochen werden Monate. Die Handlung entfaltet sich behutsam, ohne große Dramen, sondern vielmehr durch die leisen Zwischentöne des Zwischenmenschlichen.
Spannend fand ich natürlich, die Geschichte aus Sicht der Mutter zu lesen, während ich selbst in einer ähnlichen Situation als Tochter war. Vieles kam mir bekannt vor, Gedanken, die ich selbst hatte, Vorwürfe, die mir von anderen gemacht wurden, Vorurteile, die in der Gesellschaft weit verbreitet sind, wenn es um mentale Gesundheit geht.
Überhaupt behandelt der kurze Roman eine Vielzahl von Themen: mentale Gesundheit, zwischenmenschliche Beziehungen, Trauerarbeit, Generationenkonflikte, die Klimakrise. Bilkau nähert sich all diesen Themen sprachlich unaufgeregt und gleichzeitig mit einer gewissen Sogwirkung.
Dennoch hatte ich manchmal das Gefühl, dass der Roman etwas kurz ist für die Vielzahl an Themen. Manche Aspekte hätten noch mehr Tiefe vertragen können, was aber vielleicht auch an meiner eigenen Distanz während des Lesens lag.
Trotz kleiner Kritikpunkte kann ich „Halbinsel“ nur empfehlen und denke selbst auch Wochen nach der Lektüre noch darüber nach. Es ist ein leiser, ehrlicher Blick auf das Leben, das Weiterleben trotz aller Ungewissheit. Der Roman bleibt bei einem – wie das Meer – manchmal unberechenbar, manchmal still, aber immer da.

Bewertung vom 03.04.2025
Von einem Mädchen, das das Schreiben liebte. Jane Austen
Hopkinson, Deborah

Von einem Mädchen, das das Schreiben liebte. Jane Austen


ausgezeichnet

Für kleine und große Jane Austen Fans

Ein ganz wundervoll gestaltetes Büchlein, das sowohl Kinder als auch Erwachsene (und insbesondere Janeites) begeistern wird! Ich kenne bereits das englische Original „Ordinary, Extraordinary Jane Austen“ und freue mich umso mehr über die deutsche Übersetzung – das ideale Geschenk für die Kiddies in meinem Freundeskreis.

Das Buch bietet eine hervorragende Gelegenheit, mehr über Jane Austens Leben zu erfahren und gleichzeitig junge Leser:innen für das Lesen, Schreiben und das Erfinden von Geschichten zu begeistern. Besonders gut für die jüngeren Leser:innen ist, dass oft auch Jane Austen als Mädchen dargestellt wird und es dadurch eine Möglichkeit zur Identifikation gibt. Obwohl natürlich nur „wenig“ Text vorkommt, gelingt es dem Buch, einen guten Überblick über Austens Biografie zu vermitteln.

Besonders hervorheben möchte ich die wirklich wunderschönen, liebevoll und detailreich gestalteten Illustrationen. Dafür gebührt der Illustratorin Qin Leng ganz viel Lob, und ich kann das Buch wärmstens empfehlen!

Bewertung vom 27.03.2025
Mein wunderbarer Cottage-Garten
Groeningen, Isabelle van

Mein wunderbarer Cottage-Garten


gut

Inhalt top, Gestaltung flop

Pflanzplanerin und Gartenhistorikerin Isabelle Van Groeningen erzählt in ihrem neuen Buch von der Verwandlung eines leblosen Gartens in der Ortschaft Coleshill in ein blühendes Paradies. Sie beschreibt, wie sie gemeinsam mit ihrer Partnerin Gabriella Pape einen Garten gestaltet hat, der sowohl Menschen als auch der Natur Freude bereitet. Dennoch bin ich bei der Bewertung des Buches etwas hin- und hergerissen.

Das enorme Fachwissen und die Liebe zum Gärtnern sind unübersehbar, und es ist toll zu sehen, wie Gärtner:innen durch nachhaltige Praktiken einen positiven Einfluss auf die Umwelt ausüben können. Man erhält eine Fülle an Informationen über Pflanzen und den Garten in Coleshill – doch leider wird das Ganze kaum visuell unterstützt, denn Struktur und Gestaltung des Buches stellen das größte Manko dar. Dass Van Groeningen über einen Garten berichtet, den sie in den Neunzigern und frühen Zweitausendern in England angelegt hat und heute nicht mehr dort lebt, macht das Ganze natürlich ein bisschen tricky, aber nicht unmöglich, alles bildlich zu untermalen. Und es wäre absolut notwendig gewesen, denn ich hätte mir auf fast jeder Seite Fotos oder Abbildungen der beschriebenen Pflanzen gewünscht. Beispiele aus anderen Cottage-Gärten oder Zeichnungen (die wenigen enthaltenen Zeichnungen sind wirklich gelungen) hätten die qualitativ weniger hochwertigen Privatfotos als persönliche Note ergänzen können. Gerade wenn die Schönheit eines Gartens thematisiert wird, ist es essentiell, das auch bildlich darzustellen, anstatt nur Textblock an Textblock zu reihen.

Es ist schade, da die Expertise der Autorin wirklich beeindruckend ist und ich Cottage- und Bauerngärten liebe – wie wohl alle, die zu diesem Buch greifen. Da hatte ich einfach mehr erwartet. Einerseits, weil es ein schöner Zeitvertreib ist, in Gartenbüchern zu schmökern und in die grünen Oasen zu träumen; andererseits, weil ich mir noch mehr Inspiration für meinen eigenen Garten erhofft hatte.

Daher: Inhalt 5 Sterne, Gestaltung leider nur 1 Stern

Bewertung vom 26.02.2025
Das Leben fing im Sommer an
Kramer, Christoph

Das Leben fing im Sommer an


gut

Solides Sommermärchen

Fußballweltmeister Christoph Kramer hat sich an einen Roman gewagt. Sympathisch ist er eh und v.a. nachdem er begeistert über das Lesen an sich, aber auch seinen Traum vom Schreiben sprach, war meine Neugier auf sein Debüt war groß. Ich war gespannt, ob er schriftstellerisch überzeugen kann, oder ob er veröffentlich wurde, weil er – nun ja – Christoph Kramer ist.

„Das Leben fing im Sommer an“ erzählt das ganz persönliche Sommermärchen des 15-jährigen Chris im Jahr 2006. Fußball, Heim-WM, Freibad und Freunde bestimmen Chris Tage. Sein größter Wunsch: Fußballprofi werden und cool sein. Was die Profikarriere angeht, sieht es nicht so gut aus, doch plötzlich interessiert sich Debbie, das tollste Mädchen der Schule, für Chris…

Wer erinnert sich nicht an den Sommer 2006? Kramers Roman mit autobiografischen Elementen setzt genau da an: Nostalgie und unbeschwerte Momente. Ich finde es toll, dass die Handlung in NRW spielt und nicht an einem (schlecht recherchierten) „Sehnsuchtsort“, wie das aktuell ihn ähnlichen Geschichten oft der Fall ist. Chris ist ein authentischer, schüchterner Teenager, der sich nicht den toxischen Idealen seiner Altersgenossen anpasst. Ich find’s super, einen jungen Protagonisten in einem Coming-of-Age Roman so darzustellen, einen, der 8 Jahre später Weltmeister wird in einer Sportart, die oft von toxischen Männlichkeitsbildern geprägt ist.

Dennoch ist der Roman nicht ohne Schwächen. Die Übergänge zwischen den Szenen wirken oft holprig, und der Handlungsstrang um Debbie hätte mehr Tiefe vertragen können. Ich glaube, die hätte es durchaus gegeben, wenn noch mehr Fokus auf Chris‘ Entwicklung gelegt worden wäre. Es ist natürlich auch einfach super süß, wenn man im Nachwort liest, dass die Ereignisse aus diesem Sommer eine ganz nachhaltige Auswirkung auf Chris‘ Leben hatten (echt, Zufälle gibt’s!!).

Fazit: Kramers Debüt ist ein solider Coming-of-Age-Roman. Man merkt, dass er das Genre liebt, doch es gibt noch handwerkliche Unebenheiten, die durch mehr „Training“ (Sportmetapher lol) hätten verbessert werden können. Das Potenzial ist da, und ich bin gespannt, ob er weiterhin schreiben wird.

Bewertung vom 25.02.2025
Coast Road
Murrin, Alan

Coast Road


sehr gut

Beeindruckendes Debüt

„Coast Road“ von Alan Murrin ist ein eindrucksvolles Debüt, das subtil zeigt, wie sehr doch eigentlich alles Menschen unter patriarchalischen Strukturen leiden. Der Roman spielt im Herbst und Winter 1994 im kleinen Küstenort Ardglas in Irland, wo der Einfluss der Religion trotz der säkularen Verfassung des Landes nach wie vor deutlich ist. Der gesellschaftliche bzw. politische Hintergrund des Romans ist nicht ohne: Der sehr knappe Volksentscheid von 1995 zur Legalisierung von Scheidungen zeigt, wie lange es dauert, grundlegende Rechte zu erkämpfen. Mehrfach habe ich das wirklich ungläubig realisiert. 1996, als die Verfassungsänderung dann endlich in Kraft trat, ist nicht weit in der Geschichte zurück – ich selbst war da schon eingeschult.

Mit Izzy und Colette stehen 2 Frauen stehen im Mittelpunkt des Romans. Colette Crowley, eine Dichterin, hat ihren Mann verlassen, um in Dublin Erfolg zu suchen. Ihre Rückkehr wird von der Gemeinde genau beobachtet: ihr Mann lässt keinen Kontakt zwischen ihr und den gemeinsamen Kindern zu; andere nutzen Colettes vulnerable Situation aus. Izzy ist unglücklich mit einem Lokalpolitiker verheiratet. Die Verbindung zwischen den beiden Frauen treibt nicht nur die Handlung voran, sondern auch die Entwicklung der einzelnen Figuren.

Obwohl ich anfangs mit den vielen Figuren zu kämpfen hatte, rücken Colette und Izzy schnell ins Zentrum. Murrin gelingt es, die komplexen Beziehungen innerhalb der Gemeinde zu entwirren. Die verschiedenen Charaktere bleiben nie eindimensional, sondern stehen stellvertretend für die Herausforderungen, die viele Menschen in ähnlichen Situationen durchleben.

Am Ende wird mir alles ein bisschen zu schnell abgewickelt, aber dennoch ist „Coast Road“ ein wirklich beeindruckendes Debüt und für mich ein Lesehighlight.

Bewertung vom 24.02.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


sehr gut

Atmosphärischer Thriller

Ein starkes Cover, viel Lob und sogar eine Empfehlung von Obama – meine Erwartungen an „Der Gott des Waldes“ waren hoch. Darum geht’s: Im Jahr 1975 verschwindet die 13jährige Barbara Van Laar während eines Sommercamps. Ihrer sehr reichen Familie gehören das Camp und das Naturreservat, in dem es liegt. Besonders brisant: 14 Jahre zuvor verschwand bereits Barbaras Bruder Bear unter mysteriösen Umständen. Während die Suchaktion ihren Lauf nimmt, spielt die Geschichte mit Gerüchten und Geheimnissen innerhalb der Familie, aber auch der Angestellten des Camps sowie der Menschen aus der Umgebung. War das Verschwinden von Barbara ein Zufall oder steckt mehr dahinter?

Der Roman ist spannend und flüssig zu lesen, ein echter Pageturner. Doch nach ein paar Wochen fällt es mir schwer, mich an einzelne Details zu erinnern. Persönlich fand ich die vielen Perspektivwechsel nicht so ideal gewählt. Eine, maximal zwei Perspektiven oder gar ein auktorialer Erzähler, der häppchenweise Informationen an die Leser:innen weitergibt, hätten den Roman glaube ich gut tun können. Dadurch hätten evtl. auch einzelne Figuren mehr Eindruck hinterlassen können, denn obwohl keine davon flach oder stereotypisch war, blieb immer eine gewisse Distanz zu ihnen. Durch mehr Tiefe und eine größere Bindung hätte ich vll. stärker mitgefiebert, was einem Thriller grundsätzlich nicht schadet.

Hervorragend gewählt ist allerdings das Setting. Die 70er Jahre und die fehlende moderne Technologie verstärkt die Dramatik der Vermisstenfälle enorm. Und natürlich ist auch das Feriencamp mitten im Naturreservat eine wunderbare Location, die Liz Moore super in Szene setzt und in die beiden Fälle einbaut. Ich habe gelesen, dass der Roman als Mini-Serie adaptiert werden soll und kann mir die Orte, die Gebäude, die Klamotten wirklich richtig gut vorstellen.

Es sind auch zahlreiche gesellschaftliche Themen wie soziale Ungleichheit und Feminismus sind präsent, könnten aber noch besser wirken, wenn, wie erwähnt, weniger Figuren im Fokus stünden.

"Der Gott des Waldes": Ein richtig guter, atmosphärischer Thriller, der wunderbar unterhält, während der Lektüre zum Nachdenken anreget, aber zumindest bei mir keine nachhaltige Erinnerung hinterlässt.

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