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Quincyliest

Bewertungen

Insgesamt 118 Bewertungen
Bewertung vom 26.07.2025
Lilianas unvergänglicher Sommer
Rivera Garza, Cristina

Lilianas unvergänglicher Sommer


ausgezeichnet

Die Pulitzerpreisträgerin Cristina Rivera Garza hat ein ergreifendes Porträt ihrer Schwester gezeichnet. Sie rekonstruiert das Leben von Liliana, die vor drei Jahrzehnten ermordet wurde. Ihre Schwester war 20 Jahre als als ihr das Leben von ihrem Ex - Partner brutal genommen wurde, der dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wurde. Unfassbar ist das Leid der Angehörigen und Freunde, unvorstellbar das Versagen von Behörden und Justiz.
C.R. Garza begibt sich auf Spurensuche, es ist eine Reise in die Vergangenheit. Anhand von Briefen, Tagebucheinträgen und Fotos bringt sie einem ihre Schwester Liliana ganz nah.
Liliana war eine kluge und schlagfertige junge Frau, sie studiert, ist beliebt bei ihren Kommilitonen. Feinfühlig und emotional wird das Leben der Schwester beschrieben, gleichzeitig ist die Sprache auch kraftvoll. Der preisgekrönte Roman ist eine Form der Trauerbewältigung und auch Anklage. C.R. Garza hat ihrer Schwester ein literarisches Denkmal gesetzt. Sie hat ein tief berührendes und zugleich hochpolitisches Buch geschrieben, das einen so schnell nicht wieder loslässt. Unbedingt lesen.

Bewertung vom 21.07.2025
Anna oder: Was von einem Leben bleibt
Sußebach, Henning

Anna oder: Was von einem Leben bleibt


ausgezeichnet

Henning Sußebach rekonstruiert in seinem berührenden Buch das Leben seiner Urgroßmutter. Er zeichnet die Biografie von Anna nach und bettet ihre Geschichte in einen historischen Kontext ein. Dafür hat er intensiv und sorgfältig recherchiert.
Die 1866 geborene Anna ist eine starke und unangepasste Frau. Sie wird in einer Klosterschule zur Lehrerin ausgebildet und erhält im Anschluss eine Anstellung in dem kleinen Ort Cobbenrode. Dort lernt sie ihren Mann kennen, doch das Glück hält nicht lange, sie wird früh zur Witwe. Ihr Leben setzt sich bewegend fort, ihr bleiben keine Schicksalsschläge erspart, doch Anna ist eine Kämpferin.
Sußebach erzählt in leisen Tönen, respektvoll und eindringlich. Er vermittelt ein Gefühl davon, wie das Leben seiner Urgroßmutter ausgesehen haben könnte. Geschichte wird lebendig erzählt. Gerne empfehle ich dieses wunderbare Buch weiter.

Bewertung vom 04.07.2025
Die Geschichte des Klangs
Shattuck, Ben

Die Geschichte des Klangs


ausgezeichnet

Ben Shattuck erzählt auf nur gut 100 Seiten die Liebesgeschichte von Lionel und David, die zwar einen Sommer nicht überdauert, aber ein Leben lang in Erinnerung bleiben wird. Beide sind Musikstudenten, Lionel hat das absolute Gehör, David komponiert. Nach dem 1. Weltkrieg begeben sie sich auf eine Reise durch New England und nehmen Balladen und Volkslieder auf einem Wachszylinder auf. Danach verlieren sie sich aus den Augen. David war die große Liebe Lionels, er bleibt in seinen Gedanken.
Die zweite Geschichte ist lose mit der ersten verwoben. Annie findet auf dem Dachboden die Phonographenwalzen und nimmt mit der Vorbesitzerin Kontakt auf. Der Kreis schließt sich, wenn auch nur vage. Einige Dinge bleiben unbeantwortet und offen.
Shattuck erzählt atmosphärisch und feinsinnig. Er hat ein Buch der leisen Töne geschrieben, unaufdringlich und doch voller Tiefgang. Ich empfehle es gern weiter.

Bewertung vom 25.06.2025
6 aus 49
Kornmüller, Jacqueline

6 aus 49


sehr gut

Nach der großartigen Novelle von J. Kornmüller "Das Haus verlassen" war ich sehr gespannt auf ihren ersten Roman, in dem sie die Lebensgeschichte ihrer Großmutter erzählt.
Lina war eine besondere Frau, emanzipiert und lebenslustig bis ins hohe Alter. Dabei meinte das Leben es nicht immer gut mit ihr. Sie erlebte bittere Armut, doch durch harte Arbeit und Fleiß gelingt ihr der soziale Aufstieg. Sie wird Inhaberin eines Hotels in Garmisch - Patenkirchen. Im Privaten hatte sie weniger Glück. Die Ehe scheitert, das Verhältnis zur Tochter ist angespannt. Doch die Beziehung zu ihrer Enkelin ist eng und liebevoll. Die Enkeltochter ist ihr großes Lebensglück.
Die Lebensgeschichte fügt sich Stück für Stück zu einem Bild zusammen, bleibt aber unvollständig. Episodenhaft sind die Kapitel. J. Kornmüller hat eine ganz eigene Sprache, sie erfindet mitunter charmante Wörter, erzählt originell und phantasiereich, darin liegt ihre große Stärke.
Einige Dinge bleiben offen, das Verhältnis zur Tochter etwa, so ergibt sich am Ende ein unvollständiges Porträt.
Im empfehle das Buch gern weiter, auch wenn meine (hohen) Erwartungen nicht ganz erfüllt wurden.

Bewertung vom 16.06.2025
Das Licht in den Wellen
Mommsen, Janne

Das Licht in den Wellen


sehr gut

Janne Mommsen hat einen unterhaltsamen und berührenden Roman geschrieben. Im Mittelpunkt der Handlung steht Inge Martensen. Im hohen Alter von fast 100 Jahren reist sie zusammen mit ihrer Urenkelin Swantje per Schiff nach New York. Es ist zugleich eine Reise in die Vergangenheit. Inge blickt auf ein erfülltes und ereignisreiches Leben zurück.
Als junge Frau verließ sie ihre Heimat, die Insel Föhr und wanderte nach Amerika aus. Noch während der Überfahrt freundet sie sich mit Karolina an, die Freundschaft hält ein Leben lang. Fast ohne Englischkenntnisse kämpft sie sich durch, wird später sogar ein angesagtes Lokal führen. Die tatkräftige Inge geht ihren Weg und lässt uns an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben.
Geschickt verbindet Mommsen Gegenwart und Vergangenheit. Erst zum Schluss erfährt man etwas über die Hintergründe der Auswanderung.
Die Familiengeschichte wird authentisch und greifbar geschildert. Mommsen erzählt warmherzig und authentisch. Der leicht zu lesende Roman ist das ideale Buch für den Sommer.

Bewertung vom 08.06.2025
Perlen
Hughes, Siân

Perlen


sehr gut

Perlen ist ein berührender und eindringlicher Roman über Verlust, Trauer und Identitätssuche. Im Mittelpunkt der Handlung steht Marianne, sie ist acht Jahre alt als ihre Mutter eines Tages aus dem Haus geht und nie wieder zurückkommt. Sie verschwindet spurlos. Marianne bleibt mit ihrem Vater Edward und ihrem jüngeren Bruder Joe zurück. Tief sitzt der Schmerz, folgenreich ist der Verlust. Die Frage, warum die Mutter fortgegangen ist, wird Marianne ein Leben lang begleiten.
Erzählt wird in Fragmenten, bruchstückhaft sind die Erinnerungen, verzerrt und umhüllt von einem Schleier des Vergessens. Die Gedanken springen, Ängste und Zweifel werden zu ständigen Begleitern.
Perlen ist ein unaufgeregtes und stilles Buch, das Emotionen und eine melancholische Atmosphäre transportiert. Hughes verzichtet auf einen roten Faden, springt zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Der lesenswerte Roman verlangt Aufmerksamkeit und belohnt den Leser mit tiefgreifenden Gedanken und einer wunderbaren Sprache.

Bewertung vom 03.06.2025
Das Echo der Sommer
Labba, Elin Anna

Das Echo der Sommer


ausgezeichnet

Elin Anna Labi thematisiert in ihrem viel beachteten Romandebüt die Vetreibung der Sami. Wie fast überall auf der Welt wurde auch in Skandinavien die indigene Bevölkerung unterdrückt.
Im Mittelpunkt der Handlung stehen die drei samischen Frauen Rávdná, ihre Schwester Anne und ihre Tochter Ingá. Die Sommermonate verbringen sie an einem See und Leben vom Fischfang. Im Herbst ziehen sie mit ihren Rentieren in ein Winterquartier.
Als sie im Frühjahr ihr Sommerlager beziehen wollen, ist alles unter Wasser: ihr Zuhause mit allem Besitz und auch das Grab des Vaters - zugunsten der Stromgewinnung. Das Sommerland verschwindet. Vom Staat erhalten Sie eine viel zu geringe Entschädigung.
Die Autorin schreibt atmosphärisch, die Grundstimmung ist düster und harmoniert mit den angesprochenen Themen Heimatverlust, Diskriminierung und Trauer. Dennoch ist ihr Ton nicht anklagend, sondern der einer Beobachterin.
Eindrucksvoll wird das einfache Leben der Sami im Einklang mit der Natur geschildert. Ich empfehle den Roman gern weiter.

Bewertung vom 05.05.2025
Hier draußen
Behm, Martina

Hier draußen


ausgezeichnet

Martina Behm hat einen eindrucksvollen Debütroman geschrieben, der das Landleben realistisch und ungeschönt abbildet.
Ihr Roman spielt in einem fiktiven Dorf in Schleswig-Holstein, Fehrdorf. Hier wohnen Ingo und Lara mit ihren beiden Kindern. Sie sind von Hamburg aufs Land gezogen, von ländlicher Idylle, mehr Wohnraum und einem Garten träumend. Ingo pendelt weiterhin nach Hamburg zur Arbeit. Als er eine weiße Hirschkuh anfährt, die getötet werden muss, kommt eine alte Legende zum Vorschein, die nichts Gutes prophezeit. Dieser Mythos ist auch der Rahmen der Handlung.
Im Verlauf der Geschichte werden weitere Dorfbewohner vorgestellt, man erfährt von ihren Sorgen und Ängsten.
Martina Behm zeichnet ein vielfältiges und facettenreiches Bild der Landbevölkerung. Sie ist eine ausgezeichnete Beobachterin und beschreibt das Landleben realistisch. Nicht nur das dörfliche Zusammenleben unterliegt einem Wandel, auch die Landwirtschaft verändert sich ständig.
Mir hat der Roman sehr gefallen und ich empfehle ihn gern weiter.

Bewertung vom 15.04.2025
Die Frau und der Fjord
Strohmeyer, Anette

Die Frau und der Fjord


ausgezeichnet

Annette Strohmeyer hat einen unterhaltsamen und bewegenden Roman geschrieben, in dem es vor allem um die Verarbeitung von Verlust und Trauer geht. Im Mittelpunkt der Handlung steht die Geschichte von Gro. Sie hat als Geologin auf einer norwegischen Ölplattform gearbeitet, war glücklich verheiratet, bis das Schicksal erbarmungslos zuschlägt. Ihr Mann Nicklas verunglückt tödlich. Gro lässt alles hinter sich, gibt ihre Karriere auf und zieht sich komplett aus ihrem bisherigen Leben zurück. Sie zieht in ein kleines Holzhaus, das an einem Fjord gelegen ist. Die Natur und die Einsamkeit helfen ihr über den schweren Verlust ihres Mannes hinweg. Schritt für Schritt kämpft sie sich zurück ins Leben und wagt einen Neuanfang.
Die Autorin findet eine gute Balance zwischen melancholischen Gedanken und einem nach vorne gerichteten Blick. Die Naturbeschreibungen sind eindrucksvoll und sehr bildhaft. Ein fesselnder Roman voller Emotionen und Spannung. Empfehlenswert!

Bewertung vom 09.04.2025
Halbinsel
Bilkau, Kristine

Halbinsel


ausgezeichnet

Kristine Bilkau hat einen berührenden Roman über die sich verändernde Beziehung einer Mutter zu ihrer Tochter geschrieben. Annett ist Ende 40, sie arbeitet als Bibliothekarin in Husum. Ihre Tochter Linn lebt nach erfolgreichem Studium in Berlin. Während einer Umwelttagung erleidet Linn einen Kreislaufzusammenbruch. Ihre Mutter holt sie zu sich nach Hause ans Meer. Dort angekommen, brechen alte Konflikte auf, Fragen hinsichtlich der zukünftigen Lebensgestaltung werden aufgeworfen. Es geht ums Loslassen und auch um einen Neustart.
Kristine Bilkau ist eine genaue Beobachterin mit einem feinen Gespür gegenwärtiger Probleme. Ohne überflüssige Worte beschreibt sie Alltägliches und spannt den Bogen zu den wichtigen Themen unserer Zeit. Sie erzählt eine einfache, unspektakuläre Geschichte in einem ganz eigenen Stil. Großartig. Klare Leseempfehlung.