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digitus
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Schwäbische Alb

Bewertungen

Insgesamt 29 Bewertungen
Bewertung vom 20.04.2025
Die Frau und der Fjord
Strohmeyer, Anette

Die Frau und der Fjord


ausgezeichnet

Heilende Orte

Warum zum Donner wird dieses Buch in die Schublade "Liebesroman" gesteckt, bei der unmittelbar das Klischee "Frauenbuch" gleich mitgemeint ist?

Und ja, es ist ein Buch über eine Frau und über Trauer, also über eines dieser Gefühle, über das Männer, dem Vorurteil nach, nicht reden können. Und ja, ich habe es als männlicher Leser mit Begeisterung und Interesse gelesen!

Anette Strohmeyer hat einen sehr ruhigen und dennoch mitreißenden Erzählstil. Ich habe Gro, die Frau im Fjord, unmittelbar ins Herz geschlossen, ihre Begeisterung für die Natur an ihrem neuen Wohnort, ihre Neugierde für die Geschichten, die ihr Haus birgt. Ihre Zurückhaltung neue Menschen kennen zu lernen, ihre Trauer um Nicklas und ihren Kampf gegen eine 'böse' Schwiegermutter.

Und dann die Auseinandersetzung mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber, einer Ölgesellschaft, die rücksichtslos Ölvorkommen ausbeutet. Ohne Rücksicht auf Natur und Menschen, wovon Gro und ihr Fjord dann plötzlich unmittelbar betroffen sind.

Spannend. Traurig und gleichzeitig wunderbar Hoffnung gebend.

Bewertung vom 23.03.2025
Die Kurve
Schmidt, Dirk

Die Kurve


ausgezeichnet

Problemlöser

Carl war in einem anderen Leben mal Sozialarbeiter oder sowas und hat einen Jugendtreff in Herne auf die Beine gestellt "in einer Gegend, in der niemand aufwachsen, leben oder tot über einem Zaun hängen möchte".
Und dort hat er ein Team rekrutiert, das er nun telefonisch aus dem Hintergrund lenkt, für ihn kriminelle Dienstleistungen zu erbringen.
"Die Kurve" ist der Name dieses Jugendzentrums und irgendwie sind alle aus Carls Team irgendwie aus der Kurve getragen worden, verkrachte Existenzen; schräg, aber doch irgendwie auch liebenswert.
Die Telefonate mit den Teammitgliedern sind meist skurril-feinsinnig, haben Momente, die einem ein Lächeln auf die Lippen zaubern.
Und immer wieder gibt es Sätze wie oben, die einen in ihrer immensen Sprachgewalt innehalten lassen und die so großartig sind, dass man sie mehrfach lesen muss.
Kein klassischer "Thriller", irgendwie anders, tiefgehender und gerade deswegen lohnend und ein Lesetipp.

Bewertung vom 09.03.2025
Der ewige Tanz
Schroeder, Steffen

Der ewige Tanz


ausgezeichnet

Das Leben und den Tod tanzen

Steffen Schroeder hat einen biographischen Roman über eine schillernde Figur der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts geschrieben. Über Emanzipation, den Kampf um sexuelle Selbstbestimmung, Mode und Drogenmissbrauch.

Das Buch ist spannend und lässt sich in einem Satz lesen. Er lässt uns eintauchen in eine unsichere Zeit nach dem ersten Weltkrieg, in eine Gesellschaft, die von diesem Krieg gezeichnet ist und ihr Überleben pompös feiert.

Wir begleiten Anita Berber, eine junge Frau, die vom expressionistischen Tanz besessen ist, die gleichermaßen begeistert und schockiert mit ihren Auftritten in ganz Europa. Eine Grenzgängerin, die viele Berühmtheiten der damaligen Zeit kennenlernt, die zur Stilikone wird.

Dass sie noch nicht einmal dreissigjährig an Tuberkulose stirbt, ist dramatisch und stimmig zugleich. Only the Good Die Young.

Bewertung vom 03.03.2025
Die Tage nach dem Pflaumenregen
Chen, Karissa

Die Tage nach dem Pflaumenregen


ausgezeichnet

Zwei Welten in zwei Kriegen

Mich hat bei "Die Tage nach dem Pflaumenregen" zuallererst das wunderschöne Cover begeistert. Das Buch ist der Debütroman der taiwanesisch-amerikanischen Autorin Karissa Chen.

Der Roman erzählt die Geschichte von Suchi und Haiwen, die sich 1938 in Shanghai kennenlernen und ineinander verlieben. Ihre Beziehung wird jedoch durch die Wirren des Zweiten Weltkriegs und des Chinesischen Bürgerkriegs auf eine harte Probe gestellt. Haiwen meldet sich freiwillig zur Armee, um seinen Bruder vor der Einberufung zu bewahren, und hinterlässt Suchi lediglich seine Geige und eine kurze Nachricht: "Verzeih mir."
Sechzig Jahre später treffen sie sich zufällig in Los Angeles wieder.

Schon die ersten Seiten nehmen die Leserin und den Leser mit der plastischen Erzählweise der Autorin gefangen. Orte und Personen entstehen vor dem inneren Auge.

Viele Rückblenden verlangen Aufmerksamkeit, sind aber wichtig, um die Geschichte und Dynamik der beschriebenen Familien zu verstehen.

Mit gut 600 Seiten ist das Buch ein ganz schöner Brocken, die Geschichte ist teils dramatisch aber immer flüssig zu lesen. Von mir ein eindeutiger Lesetipp.

Bewertung vom 22.10.2024
Broken Crystal
Miller, Tobias

Broken Crystal


sehr gut

Reichweite um jeden Preis

Die junge Crystal MacCray hat sich einer Klimaaktivisten-Gruppe angeschlossen. Das wäre noch nichts Besonderes wenn nicht ihre milliardenschweren Eltern sie gerne wieder zurück nach Hause holen würden, sie durch ihre Drogenabhängigkeit unberechenbar wird und sich die Gruppe im Kampf um Reichweite zu einer terroristischen Vereinigung entwickelt.

Ein alternder Legionär wird auf die junge Frau angesetzt, soll sich in die Gruppe der Ökoaktivisten einschleichen. Er merkt bald, dass die Sache außer Kontrolle gerät. Ein ominöser Sponsor kommt ins Spiel, der eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt und ein neuer Aktivist taucht auf, der die Führung der Gruppe übernimmt und eine noch nicht gekannte mörderische Konsequenz in die Aktionen bringt.

Die Rahmenhandlung dieses Thrillers ist ein Interview an einem konspirativen Ort, in dem der Agent seine Geschichte erzählt und warum er ganz oben auf der Fahndungsliste des FBI steht.

Tobias Miller ist ein Meister seines Fachs. Das Buch ist spannend von der ersten bis zur letzten Minute. Auch wenn nicht alles aufgelöst wird, eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 23.09.2024
Bis in alle Endlichkeit
Kestrel, James

Bis in alle Endlichkeit


ausgezeichnet

Film Noir im 21. Jahrhundert

Schon das letzte Buch von James Kestrel "Fünf Winter" war so fesselnd, dass ich es kaum aus den Händen legen konnte. Deswegen hatte ich große Erwartungen an "Bis in alle Endlichkeit". Und während "Fünf Winter" in der Zeit des 2. Weltkrieges spielte, bewegt sich die Geschichte des Privatdetektivs Lee Crowe in der Jetztzeit.

Claire Gravesend liegt tot auf einem verbeulten Luxusauto in einem herumtergekommenen Viertel von San Francisco. Crowe wird von der Mutter der Toten beauftragt, die Umstände des Todes zu erhellen. Und während die Polizei von einem Selbstmord ausgeht, verdichten sich für Crowe die Hinweise auf ein Tötungsdelikt.

Letztlich geht es um Menschen, die um jeden Preis Alterung und Tod vermeiden wollen und dabei auch über Leichen gehen.

Ungemein spannend, toll konstruiert und meisterhaft erzählt. Absoluter Lesetipp.

Bewertung vom 12.08.2024
Sobald wir angekommen sind
Lewinsky, Micha

Sobald wir angekommen sind


ausgezeichnet

Fliehen oder Kämpfen?

Wir begegnen auf den ersten Seiten des Buches Benjamin Oppenheim, einen Züricher Juden, verheiratet und zusammen lebend mit Marina und den Kindern, auch wenn sie schon voneinander getrennt sind und er viel Zeit bei seiner Freundin Julia verbringt.

Das zentrale Thema ist Angst, Angst vor einem Krieg, der im Osten bereits tobt und der näher rücken könnte. Angst davor, dieser Bedrohung begegnen zu müssen, zu fliehen oder zu kämpfen.

Und Ben, ein eher glück- und brotloser Drehbuchautor wirkt völlig verloren in dieser Welt. Die beiden Frauen in seinem Leben sind die Lebenspraktischen.

So organisiert Marina schließlich die Flucht der Familie nach Brasilien, wo sich Ben als Wiedergänger von Stefan Zweig erlebt.

Und so geht es in diesem Roman um Existenz und Identität, um Flucht oder Standhalten, Heimat und Nomadentum, Herkunft und Zukunft, Aufbruch und Ankunft. Mit dem Link zum Angriffskrieg auf die Ukraine hat der Roman eine bedrückende Aktualität.

Lewinsky hat eine sehr gewinnende Erzählweise. Mir hat die Lektüre Freude gemacht. Ein eher stilles aber sehr intensives Buch.

Bewertung vom 15.07.2024
Eve
Towles, Amor

Eve


ausgezeichnet

Mich hat schon das Cover gefangen, tolles geheimnisvolles Gesicht mit 30s-Make-Up und ein klassischer Drei-Buchstaben-Namen als Titel.

Und von Anfang an toll erzählt, immer aus der Sicht eines Protagonisten bzw. einer Protagonistin.

Eve fährt nach Hollywood und mischt dort die Reichen und Schönen auf. Es ist die Zeit, in der der seinerzeit teuerste Film und der kommerziell erfolgreichste Film der Geschichte gedreht wird: "Vom Winde verweht".

Eve freundet sich mit Olivia de Havilland an, und als diese durch freizügige Fotografien, deren Entstehung sie nicht erklären kann, erpresst wird, macht sich Eve - unterstützt von einem alternden Ermittler - auf die Jagd nach dem Erpresser.

Das alles ist so fesselnd erzählt, dass man den Band kaum aus der Hand legen möchte. Die Personen werden plastisch geschildert ...

Eine wunderbare Mischung aus satirisch anmutender Gesellschaftsskizze des Vorkriegsamerika und einer spannenden Kriminalgeschichte.

Lesetipp.

Bewertung vom 20.06.2024
Man sieht sich
Karnick, Julia

Man sieht sich


ausgezeichnet

Ein toller Roman für die Generation X

Für mich als "Zeitgenosse" der beiden Protagonisten in "Man sieht sich" ist dieses Buch ein echtes Vergnügen, weil ich vieles wieder entdeckt und wieder erkannt habe.

Friederika und Robert könnten Schulkamerad:innen sein. Den Soundtrack zu diesem Buch findet man erst, wenn man es fertig gelesen hat, weil er sich auf den hinteren Vorsatzseiten findet. Er läuft bei mir (als Spotify-Playlist) gerade auf Heavy Rotation ... hach ...

Alle, die heute in ihren 50ern sind, werden sich in diesem Buch wiederfinden. Die beiden Hauptfiguren sind plastisch und sympathisch geschildert, die Situationen in die sie geraten, ebenso. Der Roman ist - selbst wenn Schweres geschildert wird - ein Wohlfühlbuch, das einen als Leserin und Leser mitnimmt.

Für mich schon jetzt das Buch des Jahres 2024. Dass etliche Rezensionen Längen beklagen, kann ich nicht so recht nachvollziehen; mir erscheint das, was man als Länge sehen kann, stimmig und gut. Genau wie auch das Happy End ...

Bewertung vom 25.05.2024
Allzumenschliches
Meurisse, Catherine

Allzumenschliches


weniger gut

Halbgar

Eigentlich eine witzige Idee, die Botschaften der großen Philosophinnen und Philosophen in zweiseitige Comics zu packen. Eine Art "Sophies Welt" für Graphic-Novel-Conaisseurs.

Die Leseprobe hatte Appetit auf mehr gemacht, aber dann springt der Funke nicht über.

Als Leser habe ich mich durch die Bildergeschichten gequält. Nur wenn man zumindest Halbwissen über die Werke der erwähnten Philosophinnen und Philosophen hat, kann man die Pointen erahnen.

Und ja: Catherine Meurisse ist eine großartige Künstlerin, das Handlettering von Olav Korth ist stimmig, das Cover mit dem Caspar-David-Friedrich-Zitat ist eine Wucht, aber das ist - zumindest für mich - schon alles. Schade.

Vielleicht habe ich aber einfach den richtigen Zugang nicht gefunden. Mir hat die Lockerheit gefehlt um allgegenwärtig vorhandene philosophische Inhalte ins Leben zu holen ... Schade.