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Bellis-Perennis
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Wien

Bewertungen

Insgesamt 1078 Bewertungen
Bewertung vom 24.07.2025
Ein echter Wiener geht nicht unter (eBook, ePUB)
Rebhandl, Bert

Ein echter Wiener geht nicht unter (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dieses Buch ist eine Hommage an eine Kultsendung, die 2025 ihren 50. Geburtstag feiert. Als die ersten Folgen der TV-Serie 1975 über die österreichischen Bildschirme flimmerte, war die Aufregung riesengroß. So derb, so ordinär wie Edmund „Mundl“ Sackbauer und seine Familie hat man bislang nicht im Fernsehen gesprochen.

Auf die einzelnen Episoden, 24 an der Zahl, mag ich hier nicht eingehen, deren Zusammenfassung findet der geneigte Leser und Fan der Serie, im Anhang dieses Buches. Die Silvester-Folge, die wohl jeder kennt, wird, wie „Dinner for One“ und das Neujahrskonzert regelmäßig zum Jahreswechsel ausgestrahlt.

Interessant zu lesen ist, wie es überhaupt zu dieser Serie gekommen ist und wie die Schauspielerinnen und Schauspieler einander gefunden haben.

Bert Rebhandl ist Filmxperte und untersucht den Erfolg dieser Reihe unter verschiedenen Gesichtspunkten. Zum einen betrachtet er die Arbeit des Autors (Ernst Hinterberger), der Regie (u.a. Reinhard Schwabenitzky) sowie der Schaupielerinnen und Schauspieler. Zum anderen begutachtet er das Setting der Episoden, in dem die beengten Wohnverhältnisse der Nachkriegsgeneration (Vier Erwachsene in einer Zimmer-Küche-Kabinett-Wohnung mit einer Durchschnittsgröße von 50m², meist ohne Bad und WC), fehlende Bildung, oder die im Krieg verschollenen oder gefallenen Väter eine oft negierte Rolle spielen. Jemand, der wie die Sackbauers im 10. Hieb (= Favoriten, 10. Bezirk) wohnt, wird zu jener Zeit anders betrachtet (bzw. sieht sich selbst anders) als jene, die im 7., 8. oder gar im 13. oder 14. Bezirk wohnen.

Wie alles Neue, verschreckt auch diese Familien-Saga die Zuseher, ist sie doch auch ein Abbild der eigenen ge- oder erlebten Wirklichkeit. In manchen Szenen habe ich meine Eltern wiedererkannt. 40 bis 60 Zigaretten pro Tag (Vater und Mutter zusammen), das obligate Schwechater in Vaters Hand (ohne dazugehörige Bierglas versteht sich). An das Ploppen des Verschlusses kann ich mich sehr gut erinnern. Ein cholerischer Vater, eine kalmierende Mutter, die heimlich die Fäden gezogen hat und unsere Vater im Glauben gelassen hat, er hätte dies oder jene Entscheidung getroffen. Ganz so wie es sich bei den Sackbauers in der Hasengasse abgespielt hat. Nun, 1967 haben wir immerhin schon eine (Neubau)Gemeindewohnung mit 67m² mit Badezimmer bekommen. Aber sonst sind meine Erinnerungen den Spielszenen sehr ähnlich. Statt eines Onkels aus Tirol, hat es bei uns Verwandte in Kärnten gegeben, die allerdings niemals zu uns nach Wien gekommen sind.

Nach einiger Zeit sind die Anrufe beim ORF, die sich über die Sackbauers beschwert haben, weniger geworden. Heute hat die Serie Kultstatus, zählt als Wegbereiterin für Serien wie „Kottan ermittelt“ und ist überhaupt ein Teil unserer Kulturgeschichte.

Gerne gebe ich dieser Reminiszenz an meine eigene Jugend 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 24.07.2025
Bluthunde
Jensen, Michael

Bluthunde


ausgezeichnet

Mit diesem 5. und letzten Band endet die Reihe rund um die Gebrüder Sass und ihr Syndikat. Man trägt sich schon länger mit dem Gedanken, sich zur Ruhe zu setzen, denn die Polizei, die unter Ernst Gennat einen Modernisierungsschub erlebt hat, ist ihnen auf den Fersen. Vor allem der Polizist Max Fabich hat sich in den Kopf gesetzt, den Brüdern Sass das sprichwörtliche Handwerk zu legen. Da hilft es wenig, dass Paul Konter, Kriminalbeamter und Lebensgefährte von Antonia Sass, den einen oder anderen Tipp gibt.

Einen letzten Coup wollen Franz und Max Sass landen: Sie wollen in die Disconto-Bank einbrechen, in der die NSDAP ihr Schwarzgeld in Millionenhöhe in Schließfächern gelagert hat. Doch damit legen sie sich mit einem Gegner an, bei dem sie nur verlieren können: Joseph Goebbels. Er ist zwar Ende der 1920er-Jahre noch nicht auf dem Zenith seiner Macht, doch die Bluthunde der SA terrorisieren neben Juden, Sozialisten und alle jene, die ihrer Weltanschauung entgegenstehen. Das bekommt auch Georg Sass, der bei einer Roma-Familie lebt, zu spüren.

Ob der Coup gelingt, müsst ihre schon selbst lesen!

Meine Meinung:

Michael Jensen ist es wieder sehr gut gelungen Fakten und Fiktion zu verbinden. Historische Personen wie die Brüder Sass, Max Fabich, Ernst Gennat und Joseph Goebbels werden durch fiktive Charaktere in ihren Handlungen unterstützt. Die gelungene Mischung aus historischer und kriminalistischer Spannung macht die Geschichte fesselnd und interessant. Damit lässt der Autor das Berlin der Zwischenkriegszeit lebendig auferstehen. Der Tanz auf dem Vulkan beginnt. In wenigen Jahren wird Adolf Hitler die Macht sich reißen.

Ich kenne alle Teile dieser Reihe sowie auch jene Serie, in der Jens Druwe, der hier als Assistent von Paul Konter seine Karriere bei der Berliner Kripo beginnt, die Hauptrolle verkörpert. Ob wir demnächst Kriminalroman lesen werden, die diese beiden Reihen verbinden? Interessant wäre dies schon!

Wie wir es von Michael Jensen gewöhnt sind, ist auch dieser Krimi hier penibel recherchiert und fesselnd erzählt. Die Figuren sind vielschichtig und authentisch in ihren Handlungen.

Die gewählte Perspektive, nämlich jene des Syndicats, gibt einen sehr guten Einblick in die Welt des Verbrechens. Dabei ist die Familie Sass eine ganz normale Familie, Meinungsverschiedenheiten inklusive. Wer hätte gedacht, dass sich auch Panzerknacker bei Kollegen weiterbilden?

Im Anhang berichtet Michael Jensen über das weitere Schicksal der Brüder Sass.

Fazit:

Wer einen fesselnden, historischen Krimi während einer politisch brisanten Zeit lesen will, ist hier genau richtig. Gerne gebe ich diesem raffiniert konstruierter Krimi über Mut, Gier und Loyalität, der auf wahren Ereignissen beruht, 5 Sterne und eine Leseempfehlung für die gesamte Reihe.

Bewertung vom 24.07.2025
Rattenharpyie
Vorndran, Helmut

Rattenharpyie


ausgezeichnet

Dieser 15. Krimi aus der Reihe rund um Franz Haderlein und seinem Team hat mich bis zur letzten Seite gefesselt. Warum?

Renatus Gräber, ein ehemaliger Rechtsanwalt, der den Abschaum der Menschheit erfolgreich verteidigt hat, wird am Abend seines 100. Geburtstag ermordet. Nein, nicht nur ermordet, sondern regelrecht hingerichtet, denn in seinem Appartement in der Seniorenresidenz findet man nur mehr seinen Kopf auf dessen Stirn ein kryptisches Zeichen eingeschnitten worden ist. Der Rest liegt einige Kilometer weiter auf einem Acker, in dessen Boden Dutzende Fragmente aus Aluminium zu finden sind.

Keine leichte Aufgabe für Franz Haderlein, César Huppendorfer, Bernd „Lagerfeld“ Schmitt und Neo-Kommissarin Kira Sünkel. Warum tötet jemand einen Hundertjährigen und warum auf diese Weise? Ja, die Liste der Feinde ist lang, aber .....

Fast gleichzeitig wird der geschiedene Wolfgang Zurbriggen in seinem Haus in Meggen am Vierwaldstättersee erschossen. Als die Schweizer herausfinden, dass der Tote eigentlich Deutscher mit dem Nachnamen Gräbner ist, weil er den Namen seiner Frau angenommen hat, greift Ermittler Roland Büchel zum Telefon und Lagerfelds Telefon läutet.

Großvater und Enkel erschossen, auf beider Stirn ein Zeichen, das entfernt an die Freimaurer erinnert- an Zufall glaubt hier keiner. Doch was steckt hier dahinter? Noch ahnt keiner, was das mysteriöse Zeichen darstellen soll.

Meine Meinung:

Dieser Krimi ist ganz nach meinem Geschmack!

Zum einem, weil er auf zwei Zeitebenen, nämlich Anfang April 1945, als der Zweite Weltkrieg in den letzten Zügen liegt, aber von NS-Deutschland umso erbitterter geführt wird und in die Gegenwart, in der in Franken und in der Schweiz jeweils ein Mann getötet werden, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, werden, spielt. Und zum anderen, weil das Team um Franz Haderlein wieder zu besonderer Hochform aufläuft. Das liegt nicht nur am altbewährten fränkischen Humor, wenn Oberchef Robert „Fidibus“ Suckfüll seinen Mitarbeitern erklärt, sie müssen aus Umweltschutzgründen auf Elektro-Autos umsteigen.

„Entschuldigung, VW? Warum kriegen wir kein richtiges Auto?“ (Bernd „Lagerfeld“ Schmitt)

Auch der Neuzugang von Kira Sünkel trägt auf Grund ihrer Herkunft von der Bundeswehr bzw. Flugunfalluntersuchungskommission das Ihre dazu bei. Nicht nur, dass sie zu Bernd und Ermittlerferkel Presssack bei deren Erscheinen das eintrainierte „Rühren“ entgegenschleudert, gibt sie Nachhilfeunterricht in Sachen Elektroauto an der Tankstelle. Tja, die militärischen Umgangformen lassen sich nicht leicht ablegen, sind aber eloquent,

Natürlich dürfen auch die üblichen Charaktere wie Marina „Honeypenny“ Hoffmann, der verhasste Rechtsmediziner Siebenstädter oder Heribert Ruckdeschl von der Spusi nicht fehlen.

Doch bei allem Humor wird auch nicht auf die ernste Seite in diesem Krimi vergessen: Dass Piloten der Royal Airforce und der US Airforce nach einem Absturz über deutschem Gebiet von aufgebrachtem Mob gelyncht bzw. nicht als Kriegsgefangene gemäß der Genfer Konvention behandelt worden sind, sondern von der SS brutal ermordet worden sind, obwohl den meisten Deutschen schon längst klar gewesen sein muss, dass der Krieg verloren ist. Zum Kriegsgeschehen hat Autor Helmut Vorndran penibel recherchiert. So gibt es neben Fotos, unter anderem von den B-17 Flying Fortresses, Karten von deren Heimatflughafen in Sudbury/UK und den anderen Schauplätzen, die uns neben Oberfranken, der Schweiz und UK auch nach Illinois/USA führt.

Besonders berührt hat mich, dass der Autor dieses Buch der Besatzung der „Lonesome Polecat“ gewidmet hat, die am 8. April 1945 über Herreth abgestürzt und Vorbild für diesen Krimi ist.

Fazit:

Mir hat dieses Zusammenspiel von Vergangenheit und Gegenwart, das mich bis zur letzten Seite gefesselt hat, sehr gut gefallen, weshalb ich hier eine klare Leseempfehlung und 5 Sterne gebe.

Bewertung vom 22.07.2025
Wer bin ich? (eBook, ePUB)
Lendvai, Paul

Wer bin ich? (eBook, ePUB)


sehr gut

Paul Lendvai, gebürtiger Ungar, verfolgter Jude, Flüchtling, Journalist, Osteuropa-Experte und glühender Europäer, fasst in diesem kleinen Buch sein nunmehr 96 Jahre langes Leben und seine Gedanken zur aktuellen Politik zusammen.

Paul Lendvai begleitet mich, seit ich denken kann. Gemeinsam mit Hugo Portisch (1927-2021) hat er mir und vielen anderen die Geschichte Europas erklärt. Ich kenne einige seiner Bücher wie „Die Ungarn“ oder „Orbáns Ungarn“. Als gebürtiger Ungar, der wie viel andere auch nach dem Ungarn-Aufstand von 1956 das Land verlassen hat, beobachtet er Ungarn mit großem Interesse.

Das Buch enthält für mich nichts wirklich essentiell Neues, ist aber eine gelungene Zusammenfassung, weshalb ich ihm 4 Sterne gebe.

Bewertung vom 22.07.2025
Onigiri (eBook, ePUB)
Kuhn, Yuko

Onigiri (eBook, ePUB)


gut

„Onigiri“ ist der Debütroman der studierten Kulturwissenschaftlerin Yuko Kuhn. Zuletzt war sie an der Hochschule für Film und Fernsehen München tätig und arbeitet seit diesem Jahr als freiberufliche Autorin.

Die Idee, das Leben einer dementen Mutter, die in einem, auch nach Jahrzehnten ihr fremdem Kulturkreis lebt, darzustellen habe ich sehr interessant gefunden. Doch irgendwie hat mich das Buch nicht wirklich berührt. Obwohl es die Zerrissenheit von Keiko, der Japanerin, die ihren Mann Ernst auf einer Europareise kennengelernt hat und von seiner Familie nie wirklich als Schwiegertochter angenommen worden ist, ziemlich glaubhaft darstellt, ist dies Spannung für mich nicht erlebbar.

Keikos Tochter Aki, aus deren Sicht der Roman geschrieben ist, steht der Krankheit ihrer Mutter hilflos gegenüber und wirkt streckenweise ziemlich ungeduldig, ja geradezu unwirsch im Umgang mit ihr. Umso erstaunter ist Aki, als Keiko, in ihrer alten japanischen Welt, in die Aki sie nach dem Tod ihrer Großmutter mitgenommen hat, geradezu aufblüht. Keiko, die seit Jahren nahezu verstummt ist, wird wieder gesprächig.

Nun, wenn sich Aki ein wenig mit Demenz beschäftigt hätte, wäre ihr das vielleicht nicht gar so erstaunlich vorgekommen. Es ja bekannt, dass das Langzeitgedächtnis von Demenzkranken besser funktioniert, als das Kurzzeitgedächtnis. Gleichwohl ist es natürlich sehr belastend, wenn ein Familienmitglied von Woche zu Woche mehr verlöscht.

Zunächst hat es mich ein wenig überrascht, dass Aki ihre Mutter aus dem gewohnten deutschen Umfeld herausgerissen hat, um nach Japan zu ihrer mütterlichen Familie zu fliegen. Doch dann ist mir aufgegangen, dass Keiko gar nicht richtig in Deutschland verwurzelt ist.

Zum Thema an Demenz habe ich schon einige andere Bücher gelesen bzw. Vorträge gehört, da mein Schwiegervater an Demenz erkrankt ist und wir sein Verlöschen hautnah miterlebt haben.

Fazit:

Leider hat mich dieses Buch nicht wirklich gepackt, weshalb es nur 3 Sterne erhält.

Bewertung vom 21.07.2025
Eine Olive zu viel (eBook, ePUB)
Gatakis, Katerina

Eine Olive zu viel (eBook, ePUB)


sehr gut

Anna Apostolakis hat sich von der Abteilung Wirtschaftskriminalität aus privaten Gründen zur Kripo Kalamata versetzen lassen. Dort wird sie eher mit Skepsis aufgenommen und, als man den einflussreichen Olivenbauern Batsilakis
tot auf seiner imposanten Yacht findet, mit dem wortkargen Kollegen Loukas Petritsis zusammengespannt. Die beiden Außenseiter ermitteln. Kann das gut gehen?

Recht bald ist klar, dass hinter dem Tod des erfolgreichen Olivenbauern mehr steckt.

Und welches Spiel treibt der ständig aufbrausende Kripochef Roussos?

Meine Meinung:

Dieser Griechenland-Krimi verfügt über alles, was eine sommerliche Lektüre braucht: Sommer, Hitze, einen unmöglichen Chef, eine neu Ermittlerin, ein feschen, aber wortkargen Kollegen, ein ziemlich wirres Firmengeflecht, zwei Leichen sowie wenige Spuren, die noch dazu in der Sackgasse enden. Leseherz was willst du mehr?

Der Krimi lässt sich leicht lesen und passt gut zu den aktuell hohen Temperaturen.

Die Charaktere Anna und Loukas muss man gleich mögen, denn ihre Außenseiterrolle schweißt sie irgendwie zusammen. Sowohl Anna als auch Loukas bieten dem jeweils anderen mit kleinen Überraschungen. Eigentlich ist Anna überqualifiziert für den Job in Kalamata, hat sie doch einen Abschluss in forensischer Psychologie und Loukas spricht mehrere Sprachen, darunter auch deutsch, was er zunächst auch vor Anna verheimlicht.

Ob es eine Fortsetzung geben wird?

Fazit:

Gerne gebe ich dieser Sommerlektüre 4 Sterne.

Bewertung vom 21.07.2025
Goebbels' Schatten
de Lorent, Hans-Peter

Goebbels' Schatten


sehr gut

Hans-Peter de Lorent befasst sich in seinem, wie er ihn nennt, Tatsachenroman mit einer Person, die stets im Schatten einer anderen steht, Dr. Werner Naumann. Er steht stets im Schatten von Propagandaminister Joseph Goebbels. Allerdings lässt der Titel, wenn man das Buch gelesen hat, auch die Interpretation zu, Naumann wäre so etwas wie die graue Eminenz, eine Art Schattenminister, hinter Goebbels gewesen. Immerhin ist er von Adolf Hitler, wenige Stunden vor dessen Selbstmord, mit der Aufgabe betraut worden, das NS-Gedankengut zu bewahren und auch in der Zukunft hochzuhalten.

Das Buch lässt uns in die letzten Tage von Hitler, Goebbels & Co eintauchen, die sich im Führerbunker, in dem von der sowjetischen Armee bereits eingekesselten Berlin, der Realität eines verlorenen Krieges verschließen und letztlcih Selbstmord begehen. Nach Hitlers Tod gelingt es Naumann auf abenteuerlichen Wegen aus Berlin zu entkommen. Dabei hilft ihm das Netzwerk, das er vorsorgliche (?) gesponnen hat. Er lebt zunächst unerkannt und unter falschem Namen, hält sich von seiner Familie fern, legt die Gesellenprüfung zum Maurer ab und gibt die Tarnung erst 1949 auf. Gemeinsam mit anderen Gesinnungsgenossen, die in diversen Nachfolgeparteien der NSADP versammelt sind, versucht man die aktuelle Regierung unter Konrad Adenauer zu unterwandern.

„Ich bekenne mich zu einer Idee, nicht weil sie erfolgreich ist, sondern weil sie richtig ist! Wichtig ist, dass sie wahr ist, die ganze Weite unserer Seele erfasst hat! (S. 440)

1953 fliegt die Verschwörung auf. Naumann wird verhaftet, im abschließenden Entnazifizierungsprozess als Täter eingestuft, verliert deswegen das aktive und passive Wahlrecht, seinen Job und ist für die Ewiggestrigen wertlos. Man lässt ihn fallen und muss Harald Quandt, den Sohn von Magda Goebbels aus der Ehe mit Günther Quandt um einen Job anbetteln.

Seinen letzten Auftrag, den er im Führerbunker erhalten hat, kann er nicht ausführen.

Meine Meinung:

Hans-Peter de Lorent gelingt es sehr gut Fakten mit Fiktion zu verknüpfen. Grundsätzlich habe ich nicht allzu viel Neues erfahren. Vor allem über die Person Werner Naumann nicht. Möglicherweise sind Dokumente und Akten mit einem Sperrvermerk versehen und daher öffentlich noch nicht zugänglich.

Zu Beginn erhalten wir Einblick in den Führerbunker und parallel dazu durch Rückblicke, Einblick in die Biografie von Werner Naumann.

Interessant ist, dass er sich, obwohl er quasi ein Überlebender des (sogenannten) Röhm-Putsches von 1934 ist, sich wieder auf eine Verschwörung eingelassen hat. Entkommen ist er der Säuberungsaktion in der SA nur deshalb, weil Heinrich Himmler ihn geschützt hat. Dass Naumann dann in das Propagandaministerium zu Joseph Goebbels, Himmlers Intimfeind wechselt, ist ebenso ein Anachronismus, dass er, groß gewachsen und blond, nun einem Mann unterstellt ist, der dem nordischen Typ so überhaupt nicht entspricht.

Der ehemalige britische Diplomat und Hohe Kommissar Sir Ivone Kirkpatrick hat 1953 den richtigen Riecher bewiesen, als er Werner Naumann & Co verhaften hat lassen, um eine Kandidatur Naumanns bei den Allgemeinen Wahlen im Herbst 1953 zu verhindern.

Kirkpatricks hellsichtige Mahnung von 1953:

„Es wäre töricht anzunehmen, dass der Nazismus unter keinen Umständen, und auch nicht in anderer Form, im modernen Deutschland wieder erstehen könnte.“

Fazit:

Das Buch ist penibel recherchiert geschrieben und gekonnt erzählt - eine gelungene Mischung aus Sachlichkeit und Belletristik. Gerne gebe ich hier 4 Sterne.

Bewertung vom 20.07.2025
DAS VERMÄCHTNIS
Rademacher, Uwe

DAS VERMÄCHTNIS


ausgezeichnet

In diesem dritten Fall aus der Reihe Duisburg-Krimis bekommen es BKA-Kommissar Jonathan Dawson und seine Kollegin Sascha Brinkmann mit einem höchst komplexen Fall zu tun, der bis in die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs zurück reicht.

Zunächst ermitteln sie „nur“ im Fall eines alten, qualvoll zu Tode gefolterten Priesters. Wenig später wird das Grab eines anderen Priester aufgebrochen und der Friedhofsgärtner wird ebenfalls ermordet. Ein Kollateralschaden also? Was hofften die Grabschänder im Grab des Priesters zu finden? Ein Hinweis auf einen mysteriösen Koffer aus der NS-Zeit lassen nicht nur bei Dawson und Brinkmann die Alarmglocken schrillen, sondern auch beim BND und dem Vatikan.

Bald ist klar, dass eine Gruppe Ewiggestriger auf der Jagd nach dem ominösen Koffer rücksichtslos jeden aus dem Umfeld der Priester, die um den möglichen Verbleib des Koffers Bescheid wissen könnten, foltern und dann töten. Ein erbarmungsloser Wettlauf mit der Zeit beginnt, denn die Täter sind den Ermittlern immer einen Schritt voraus. Gibt es einen Maulwurf im BKA?

Nicht genug damit, kochen der BND und der Vatikan ihr eigenes Süppchen und teilen ihre Erkenntnisse nicht mit Dawson & Co..

Meine Meinung:

Uwe Rademacher ist wieder ein rasanter Thriller gelungen bei dem nicht immer ganz klar ist, wer Feind oder Freund ist.

Die NS-Zeit mit ihren abscheulichen medizinischen Versuchen eignet sich perfekt als Thema. Lange Zeit ist für uns Leser nicht klar, ob es hier um die Entwicklung biologischer Waffen à la Anthrax oder Pest geht, oder um etwas ganz anders. Sehr geschickt wechselt die Handlung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, was den Spannungsbogen sehr hoch hält.

Die Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem packenden Thriller, der Vergangenheit und Gegenwart durch ein tödliches Geheimnis verbindet, 5 Sterne.

Bewertung vom 20.07.2025
Aschetod / Kate Burkholder Bd.16 (eBook, ePUB)
Castillo, Linda

Aschetod / Kate Burkholder Bd.16 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Der 16. Fall für Chief Kate Burkholder wird recht schnell persönlich, als ihre Kollegen Mona Kurtz und Chuck Skidmore bei einem heimlichen Stelldichein, einen brennenden Scheiterhaufen entdecken, in dem ein Mann hilflos verbrennt, weil er an einen Pfahl gefesselt ist. Der Tote ist Milan Swanz, ein Amischer, der auf Grund zahlreicher Gewalttaten und anderer Verstöße gegen die amischen Vorschriften exkommuniziert worden ist.

Recht schnell gerät Kates Bruder Jacob in den Fokus der Ermittler, denn ein Zeuge berichtet von einem Streit der beiden, den er angeblich beobachtet haben will, was Jacob aber heftig bestreitet.

So wird muss Kate den Fall abgeben, da man ihr Vertuschung vorwirft. Das hält sie aber nicht ab, auf eigene Faust zu ermitteln. Als sie entdeckt, dass es in der Vergangenheit ähnliche Fälle von Morden an Amischen gegeben hat, scheint das Gerücht um eine abtrünnigen Gruppe von Amischen, die sich als Rächer sieht, neue Nahrung zu bekommen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann John Tomasetti verfolgt sie die Spur dieser Gruppe und weiß nicht, welches Risiko sie damit eingeht.


Meine Meinung:

Dieser 16. Fall für Kate Burkholder hat es in sich. Sie ist als Amische geboren, hat sich aber dann von der Gemeinschaft losgesagt. Sie kennt die Bräuche sowie die Glaubenssätze der verschworenen Gemeinde, die, obwohl Pazifisten, schon auch die eine oder ander Auseinandersetzung untereinander haben. Diese lösen sie aber intern und rufen nie, niemals die „englische“ Polizei zu Hilfe. Sie weiß, dass Milan Swanz massiv gegen die Regeln verstoßen hat, nur das ganze Ausmaß ist ihr zunächst nicht bekannt.

Kate ist toughe Chefin, die sich um ihr Team kümmert, weshalb man ihr auch während ihrer kurzen Auszeit die nötigen Informationen zum Fall Swanz zuspielt.

Völlig unaufgeregt erklärt Linda Castillo die Lebensgewohnheiten der Amischen. Die Autorin macht das recht geschickt, in dem sie Kate Burkholder ihren Chefs bzw. den Kollegen darüber berichten lässt. Das finde ich sehr interessant, denn über das Leben der Amischen weiß ich relativ wenig. Nachdem ich in dieser Reihe erst mit dem 15. Fall eingestiegen bin, muss ich mich langsam an den Beginn vortasten, denn mich interessiert, warum sie sich von den Amischen losgesagt hat.

Der Schreibstil ist fesselnd und dieser 16. Fall wird nach dem 15. nicht mein letzter Thriller sein, den ich von Linda Castillo, die mit einigen Amischen befreundet ist und daher weiß, worüber sie schreibt, lesen werde.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem fesselnden Thriller 5 Sterne.

Bewertung vom 20.07.2025
Die Schneiderei in der Fliedergasse - Große Träume (eBook, ePUB)
Oswald, Katharina

Die Schneiderei in der Fliedergasse - Große Träume (eBook, ePUB)


sehr gut

Dieser Auftakt zu einer zumindest zweiteiligen Familien-Saga nimmt uns in die späten 1970er-Jahre nach Tübingen mit. Nach dem letzten Willen ihres verstorbenen Vaters soll Leonard Jura studieren und seine Zwillingsschwester Susanne eine kaufmännische Lehre absolvieren, um die kleine Schneiderei übernehmen zu können. Susanne fügt sich erst einmal, obwohl sie über juristisches Verständnis verfügt und liebend gerne studiert hätte. Ein typisches Frauenschicksal? Zumal Leonard weder Lust noch Begabung hat, sich den trockenen Gesetzestexten zu widmen. Lieber würde er Kleider entwerfen.

Dann schlägt das Schicksal abermals zu: Diesmal in Form eines Schreibens der Stadtverwaltung, dass das Wohnhaus der Familie im historisch wertvollen Stadtkern liegt und den Vorschriften des Denkmalsschutzes entsprechend, saniert werden muss. Die Crux daran - es fehlt der Witwe schlichtweg das Geld.

Da hilft nicht, Leonard und Susanne müssen kreativ werden. Was sie aushecken, wer ihnen hilft oder ihnen Prügel zwischen die Beine wirft, müsst ihr schon selbst lesen.

Meine Meinung:

Hinter dem Pseudonym Katharina Oswald stecken die Autorinnen Andrea Bottlinger und Claudia Hornung, die mit diesem Reihenauftakt eine gelungene Kombination aus Familien- und Zeitgeschichte geschrieben haben. So werden Feminismus, Hausbesetzungen, Straßenfeste, Improvisionstheater, Studentendemos gegen rechtsgerichtete Professoren, Burschenschafter oder Homosexualität aufgeworfen. Schmunzeln musste ich über die Bemerkungen zum Film „The Rocky Horror Picture Show“ oder zu Batikkleider.

Und ja, Frauen werden sowohl in der eigenen Familie als auch im öffentlichen Leben benachteiligt. Wenn das Geld nur für einen Studienplatz reicht, ist es fast ausschließlich der Sohn, der studieren darf. Egal ober geeignet ist oder nicht. Den Mädchen gönnt man weder Studium noch eine andere weiterführende Ausbildung. Verschenktes Geld, weil sie doch eh bald heiraten würden und zum Dazuverdienen reicht es, eine Stelle als ungelernte Kraft in Supermarkt oder Fabrik anzutreten.

Was mich nur irritiert: Braucht man in Deutschland, um eine Schneiderei zu betreiben, keine entsprechende Ausbildung? Um zu wissen, wie man Ärmel einsetzt, Abnäher richtig platziert oder die beliebte Konfektionsware anpassen soll, braucht man Schneiderhandwerk. Da hilft eine rein kaufmännische Ausbildung nicht viel.

Das Buch liest sich leicht und lässt mich an meine eigene Jugend zurückdenken. Batikkleider habe ich mir, unter der fachkundigen Anleitung meiner Großmutter, einer Schneidermeisterin, selbst genäht.

Ich bin schon neugierig wie es weitergeht, nachdem die Mutter ihren Kindern das Familiengeheimnis enthüllt hat.

Fazit:

Das Buch eignet sich sehr gut als sommerliche Lektüre. Gerne gebe ich hier 4 Sterne und freu mich auf die Fortsetzung.