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yvb

Bewertungen

Insgesamt 40 Bewertungen
Bewertung vom 26.11.2025
Das Antiquariat am alten Friedhof
Meyer, Kai

Das Antiquariat am alten Friedhof


sehr gut

Kai Meyer entführt mit diesem Roman in eine Welt, die gleichzeitig nach altem Papier und Geheimnissen duftet. Schon nach wenigen Seiten fühlt man sich wie in einem verwinkelten Buchladen, in dem jedes Regal ein eigenes Rätsel hütet. Diese Atmosphäre ist eine der größten Stärken des Buches: dicht, schimmernd, fast schon filmisch und ein bisschen so, als würde Der Schatten des Windes durch eine deutsche Brille neu erfunden.

Die Figuren wirken menschlich: fehlerhaft, neugierig, getrieben von Sehnsüchten und Ängsten. Man begleitet sie gern durch die düsteren Gassen und die flüsternde Stille, die Meyer so lebendig beschreibt, dass man das Knistern der Vergangenheit regelrecht hört.

Gegen Ende gerät die Handlung allerdings etwas ins Stolpern. Der Aufbau ist so raffiniert, die Stimmung so sorgfältig gewoben, dass der holprigere Schluss ein wenig überrascht. Es ruiniert die Geschichte nicht aber man merkt, dass der Roman seine ganz große Sogwirkung zuvor entfaltet hat.

Unterm Strich bleibt ein atmosphärisch beeindruckendes Buch, das Bücherliebe, Geheimnisse und Melancholie wunderbar verbindet. Für alle, die sich gern zwischen Schatten, Geschichten und alten Seiten verlieren, ist Das Antiquariat am Friedhof ein echtes Lesevergnügen.

Bewertung vom 26.11.2025
Die Ausweichschule
Erdmann, Kaleb

Die Ausweichschule


sehr gut

Kaleb Erdmanns "Die Ausweichschule" ist ein klug komponierter Roman, der mit viel sprachlicher Finesse und psychologischem Feingefühl eine beunruhigend aktuelle Thematik aufgreift: Wie sehr sind unsere Bildungsräume auch Orte des Ausweichens, der Vermeidung und Verdrängung?

Der Autor schafft es, gesellschaftliche Brüche und persönliche Ängste in subtilen Zwischentönen zu verhandeln. Die Charaktere wirken lebendig und vielschichtig, die Handlung entwickelt sich ruhig, aber konsequent. Besonders beeindruckend ist Erdmanns Blick für das Unsichtbare hinter dem Offensichtlichen. Man braucht zunächst etwas, bis man reinkommt, aber dann entwickelt das Buch einen regelrechten Sog.

Zurecht findet sich dieser Roman auf der Longlist des Deutschen Buchpreises – eine lesenswerte Stimme in der aktuellen deutschsprachigen Literatur.

Bewertung vom 17.10.2025
Öffnet sich der Himmel
Hewitt, Seán

Öffnet sich der Himmel


gut

Seán Hewitts Debüt "Öffnet sich der Himmel" hat mich von Anfang an in seinen Bann gezogen. Erzählt wird die Geschichte eines jungen Mannes, der in einer irischen Kleinstadt erwachsen wird und dabei mit Fragen nach Identität, Liebe und Verlust ringt. Die Natur, die ständig präsent ist, spiegelt seine innere Suche und seine sexuelles Erwachen wider und schafft eine fast poetische Kulisse.

Die Coming-of-Age-Erzählung ist leise, aber eindringlich - nie reißerisch, sondern getragen von einer Ruhe, die viel Raum für eigene Gedanken lässt. Besonders stark empfand ich die Sprache am Anfang: klar, bilderreich und von einer Intensität, die sofort berührt. Im weiteren Verlauf wird der Ton zurückhaltender, doch gerade diese stille Tiefe macht den Roman so besonders.

Ein Buch, das nachhallt - sanft, nachdenklich und voller Atmosphäre.

Bewertung vom 17.10.2025
Der Absturz
Louis, Édouard

Der Absturz


sehr gut

Édouard Louis bleibt sich treu – schonungslos ehrlich, sprachlich präzise und emotional kompromisslos. "Der Absturz" hat mich genauso gepackt wie seine Vorgänger-Romane. Wieder gelingt es ihm, das Private mit dem Politischen zu verweben, ohne je ins Moralisierende oder Sentimentale abzurutschen.

Louis seziert seine Welt mit der Schärfe eines Soziologen und der Sensibilität eines Schriftstellers. Er legt die Mechanismen sozialer Herkunft, Scham und Entfremdung offen und zeigt, wie tief diese Wunden gehen. Dabei ist seine Sprache klar, fast kühl, und doch trifft sie mitten ins Herz. In jedem Buch von ihm habe ich unzählige Sätze unterstrichen.

Ein Buch, das weh tut, weil es uns zwingt, hinzusehen. Und genau darin liegt seine Stärke: Es erinnert daran, dass Literatur mehr sein kann als Trost – sie kann ein Weckruf sein.

Bewertung vom 30.08.2025
Der Krabbenfischer
Wood, Benjamin

Der Krabbenfischer


gut

Benjamin Woods Roman erzählt ruhig und melancholisch vom jungen Thomas Flett, der Anfang der 1960er Jahre in einem abgelegenen englischen Küstendorf als Krabbenfischer arbeitet. Gefangen zwischen Pflicht und stiller Sehnsucht nach einem anderen Leben, bekommt sein Alltag eine Wendung, als ein amerikanischer Regisseur im Ort auftaucht und ihm neue Perspektiven für das Leben eröffnet.

Die Atmosphäre ist dicht und stimmungsvoll – geprägt von Nebel, Wattschlick und innerer Leere. Wood schreibt ruhig, klar und bildhaft, bleibt dabei aber sprachlich zurückhaltend. Mir fehlte etwas der emotionale Tiefgang oder die poetische Wucht, wie man sie etwa aus
"Offene See" von Benjamin Myers kennt.

Insgesamt ein stiller Roman mit schöner Kulisse und feiner Beobachtung – lesenswert für
Liebhaber:innen ruhiger, atmosphärischer Literatur, aber kein unbedingtes Muss.

Ein lesbares Buch mit schöner Stimmung. Wer britische Melancholie mag, wird es vielleicht schätzen – wer mehr literarische Wucht erwartet, wird nicht ganz auf seine Kosten kommen.

Bewertung vom 16.08.2025
Die Geschichte des Klangs
Shattuck, Ben

Die Geschichte des Klangs


ausgezeichnet

Bereits auf den ersten Seiten wusste ich, dass wird eine Geschichte, die unter die Haut gehen wird. „Die Geschichte des Klangs“ von Ben Shattuck hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Trotz der Kürze entfaltet der Text eine eindringliche Tiefe, die lange nachhallt.

Shattuck schreibt poetisch, klar und doch voller Zwischentöne. Jeder Satz wirkt sorgfältig komponiert, jeder Absatz scheint bewusst gesetzt. Dabei gelingt es ihm, große Themen wie Erinnerung, Verlust, Verbundenheit und das Wesen des Klangs in eine ruhige, fast meditative Geschichte zu verweben.

Besonders beeindruckt hat mich die emotionale Intensität, die ganz ohne Pathos auskommt. Stattdessen lebt der Text von Andeutungen, von dem, was zwischen den Zeilen schwingt. Die Sprache ist leise, aber kraftvoll – genau wie die zentrale Idee des Buchs.

Ein kleines, stilles Meisterwerk, das mich tief berührt hat. Wer Geschichten liebt, die mit wenigen Worten viel sagen, wird „Die Geschichte des Klangs“ ebenso schätzen wie ich.

Bewertung vom 07.07.2025
Strandgut
Myers, Benjamin

Strandgut


weniger gut

"Strandgut" beginnt vielversprechend mit einer dichten, atmosphärischen Stimmung und interessanten Figuren. Im weiteren Verlauf verliert der Roman jedoch spürbar an Tempo. Die beiden Handlungsstränge bleiben eher lose nebeneinander stehen und entfalten wenig gegenseitige Wirkung. Der Erzählstil ist stellenweise von vielen nachdenklichen Zitaten und Lebensweisheiten durchzogen, was nicht immer ganz natürlich wirkt. Obwohl die Sprache schön ist und einzelne Passagen berühren, fehlte mir über weite Strecken der erzählerische Sog. Broncos Passagen fand ich oft auch zu negativ erzählt und repitativ. "Strandgut" ist ein Roman mit guten Ansätzen, der mich am Ende jedoch nicht ganz überzeugen konnte und den ich leider langweilig fand. Schade, ich hätte mir eine berührendes und mitreißendes Leseerlebnis wie bei "Offene See" erhofft.

Bewertung vom 07.07.2025
Teddy
Dunlay, Emily

Teddy


gut

Der Roman "Teddy" entführt die Leser:innen ins mondäne Rom der 60er Jahre und begleitet die texanische Heldin Teddy Carlyle beim Versuch, sich als Diplomatengattin ein neues und geregeltes Leben aufzubauen. Zwischen Cocktailpartys, gesellschaftlichem Glanz und versteckten Geheimnissen wird jedoch schnell klar: Die Vergangenheit lässt sich nicht so leicht abschütteln...

Emily Dunlay zeichnet mit "Teddy" eine interessante, wenn auch für mich etwas distanzierte und exzentrische Hauptfigur. Sprachlich ist der Roman stilvoll, die Atmosphäre gelungen, doch der Spannungsbogen bleibt eher flach.

Insgesamt ist es ein unterhaltsamer Sommerroman mit speziellem Flair – nicht spektakulär, aber durchaus lesenswert für alle, die Geschichten über Neuanfänge, Selbstbehauptung und das Spiel der Gesellschaft mögen. Für den Sommer eine gute Lektüre!

Bewertung vom 02.06.2025
Das Haus der Türen
Eng, Tan Twan

Das Haus der Türen


gut

„Das Haus der Türen“ habe ich anfangs gerne gelesen – die Sprache ist stilvoll und elegant, das exotische Setting interessant. Besonders die koloniale Atmosphäre Malaysias in den 1920er Jahren fand ich spannend und hätte mir gewünscht, dass dieser historische Hintergrund noch mehr Raum bekommt. In Rückblenden entfaltet sich eine Erzählung über Loyalität, Schuld und gesellschaftliche Konventionen.

Im weiteren Verlauf rückten jedoch zunehmend persönliche Beziehungen und Verwicklungen zwischen mehreren Figuren in den Vordergrund. Für meinen Geschmack nahm das zu viel Platz ein – das komplexe Geflecht aus Affären, Loyalitäten und Emotionen stand mir irgendwann zu sehr im Zentrum, während die politischen und historischen Aspekte eher am Rand blieben.

Ein gut geschriebenes Buch, zweifellos, aber inhaltlich war es nicht ganz meins.

Bewertung vom 02.05.2025
Das ist Glück
Williams , Niall

Das ist Glück


sehr gut

Nach einer Glaubenskrise verbringt der junge Noel einen Sommer bei seinen Großeltern im verschlafenen Nest Faha, wo sich kaum je etwas verändert – nicht einmal das Wetter. Doch in der Karwoche des Jahres 1958 hört der Regen plötzlich auf, und mit ihm trifft Christy ein, ein reisender Vertreter der Elektrifizierung. Er zieht als Untermieter bei Noels Großeltern ein und wird für den jungen Mann ein wichtiger Gesprächspartner und Wegweiser. Während Noel erste Erfahrungen mit der Liebe macht und über seinen Lebensweg nachdenkt, wird klar, dass Christy aus einem ganz persönlichen Grund nach Faha zurückgekehrt ist...

"Das ist Glück" ist ein leises, poetisches Buch – typisch irisch und wunderbar entschleunigend. "Das ist Glück" erzählt seine Geschichte in einem gemächlichen Tempo, das Raum lässt für Gedanken, Gefühle und die raue Schönheit Irlands. Die Sprache ist einfühlsam, stellenweise fast lyrisch, und jede Figur wirkt mit viel Liebe zum Detail gezeichnet. Es ist kein Buch für Zwischendurch, sondern eines, das man langsam liest – und genau das macht seinen Zauber aus. Mir hat es sehr gut gefallen.