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CK
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Raum Stuttgart

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Insgesamt 197 Bewertungen
Bewertung vom 06.06.2025
Evil Eye
Rum, Etaf

Evil Eye


ausgezeichnet

Die Erwartungen der anderen nicht mehr erfüllen


"Alles in ihrem Leben war eine Aufeinanderfolge von Dingen, die sie eigentlich gar nicht machen wollte, Erwartungen, zu deren Erfüllung sie sich verpflichtet fühle: Sie hatte geheiratet, um ihrem Elternhaus entfliehen zu können. Sie war in eine Kleinstadt nach North Carolina gezogen, weil ihr Mann dort arbeitete. Sie hatte Kinder bekommen, weil die Frauen in ihrem Leben das schon immer so machten. Sie hatte einen öden Job angenommen, weil er mit den Stundenplänen ihre Kinder vereinbar war. Hatte sie alles nur getan, um der Welt etwas zu beweisen, oder sich selbst? Hatte sie sich selbst beweisen wollen, dass sie ihren eigenen Weg gehen konnte, oder die Traditionen aufzugeben? Dass sie beides haben konnte, Freiheit und Familie, ohne das eine für das andere opfern zu müssen?
Doch warum fühlte es sich trotzdem so an, als hätte sie etwas geopfert? Warum ließ sie das zu?
Als ihr die Antwort klar wurde, kaute Yara auf der Innenseite ihrer Wange, bis der Schmerz sie beruhigte. Sie hatte es zugelassen, weil sie von klein auf gelernt hatte, dass Gehorsam ein größeres Gefühl von Sicherheit bot als Freiheit."

Die junge Protagonistin Yara in Etaf Rums Roman "Evil Eye" ist Tochter palästinensischer Einwanderer in Amerika, hat zwei Töchter, ist verheiratet und arbeitet als Kunstdozentin. Obwohl sie sich selbst als privilegiert betrachtet, besonders im Gegensatz zu ihrer Mutter früher, ist sie unzufrieden mit ihrem Leben. Sie wollte immer frei sein, als Künstlerin arbeiten und reisen. Nichts davon kann sie umsetzen. Sie ist unzufrieden, alles fühlt sich falsch an und sie neigt zu Wutausbrüchen und Niedergeschlagenheit. Nach außen hin funktioniert sie, innerlich ist sie unruhig. Yara ist alleine mit ihren Gefühlen, sie hat keine Freundschaften außerhalb der Ehe.
Als Yara nach einem Zwischenfall auf der Arbeit gezwungen wird, eine Auszeit sowie psychologische Beratung in Anspruch zu nehmen, muss sie sich ihren Gefühlen und dem Trauma ihrer Kindheit stellen. Doch dies fällt Yara sehr schwer.

"Worte sind mir schon immer schwer gefallen. Manches lässt sich durch Sprache einfach nicht ausdrücken."

"William sagt, durch das Schreiben lasse sich das Unaussprechliche in eine Geschichte verwandeln. Aber ich will keine Geschichte erzählen. Ich will mich befreien."

Nach und nach begreift Yara, dass sie so nicht weitermachen kann. Es ging ihren Eltern damals und geht ihrer Familie, ihrem Umfeld immer noch hauptsächlich darum, dass sie die kulturell geprägten Rollenbilder, Erwartungen und Verpflichtungen erfüllt.

"Wss würden die Leute denken? Es wäre zwecklos gewesen, weiter mit ihm darüber zu reden, da die Meinung andere Leute im grundsätzlich mehr wert war als die Wünsche seiner eigenen Tochter. Ihre Brüder dagegen hatten ihre Träume ungehindert verwirklichen dürfen."

Als Yara ihren Job verliert, ist sie erst verzweifelt. Doch dank einer neuen Therapeutin, sich entwickelnden Freundschaften und mithilfe eines Tagebuchs gelingt es ihr, die transgenerationalen Traumata zu durchbrechen und den Mut für ein selbstbestimmtes Leben zu finden.

"'Dein Ruf ist alles, was Du in dieser Welt hast', sagte Baba. 'Sonst hast Du nichts.'
'Oh doch', erwiderte Yara. 'Du hast deinen Anstand. Deine Familie. Die Gewissheit, dass du ein ehrbares Leben führst. Und du hast die Chance, ehrlich zu dir selbst zu sein. Und deinen Kindern ein gutes Vorbild zu sein und sie in einer liebevollen Umgebung aufzuziehen. 'Sie wischt sich die Tränen von der Wange. 'Wen kümmert es, was die Leute denken, wenn du nicht das Rückgrat hast, in den Spiegel zu schauen?'"

„Evil Eye“ ist ein ruhiges, feinfühliges und sehr intensives Buch, das mich von Anfang an in den Bann gezogen hat. Ich mochte den Schreibstil der Autorin sowie Aufbau des Romans sehr. Dank der Tagebucheinträge konnte man sich noch mehr in Yara hineinversetzen.
Gegen Ende geht alles ein wenig schnell im Vergleich zum vorher eher langsamen Aufbau, dennoch hat mich „Evil Eye“ voll überzeugt. Ein Roman über patriarchale Strukturen, psychische Gesundheit, kulturelle Identität und Herkunft, Mutterschaft und vieles mehr.
Von mir gibt es hier eine ganz klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 04.06.2025
Bible Bad Ass
Löhle, Edith

Bible Bad Ass


sehr gut

"In meiner Hose ist eine geladene Waffe. Sie ist geladen mit Enttäuschung und Zorn, Hülsen voll Wut. Seit meinem vierzehnten Lebensjahr habe ich eine Mitgliedschaft im Schießverein. So ein bewaffneter Unterleib ist krass, der Rückstoß ist das Heftigste. Das merke ich auch heute wieder, morgens halb zehn in Deutschland. Mitten in Berlin, mitten im Patriarchat."

Die Protagonistin des Romans „Bible Bad Ass“ von Edith Löhle war mir von Anfang an sympathisch. Klara schreibt für ein feministisches Magazin, doch ihr Chef ist leider eher der „typische alte weiße Mann“, weshalb sie auch ständig aneinandergeraten.

„Du bist so alte Welt, Martin. Solange Frauen als Objekte gelten und ihre Körper als Waren gehandelt werden, solange Sex auf Macht basiert, solange das weibliche Geschlechtsorgan ein Schimpfwort ist, solange Frauen bei gleicher Arbeit weniger verdienen als Männer, solange Frauen über Schönheit definiert werden, solange Frauen wegen ihres Geschlechts verfolgt und getötet werden, so lange sind wir alle unfrei. Und du bist sowas von Teil des Problems.“

Als Klara einen Artikel über eine Annina, eine queere Priesterin schreibt, den ich Chef so nicht veröffentlichen will, wird sie beurlaubt. Und landet plötzlich in einem ominösen WhatsApp-Chat mit Frauen, die sich Magdalena, Maria, Ruth, Lilith, …nennen. Klara weiß nicht, was hier los ist. Doch während sie weiter an ihrer Story schreibt und Stress mit ihrem Lebensgefährten Noah hat, melden sich immer mehr Frauen über WhatsApp bei ihr. Klara beginnt zu recherchieren und trifft auf biblische Frauenfiguren, von denen sie noch nie gehört hat oder deren Geschichten falsch wiedergegeben wurden. Klara ist Feuer und Flamme, die Lügen der Kirchenväter aufzudecken. Dass ihre Freunde und ihr Partner sich Sorgen angesichts ihres Verhaltens machen, ist gut nachvollziehbar.
Gegen Ende schwächelt das Buch ein wenig, manches driftete mir zu sehr in den esoterischen Bereich ab. Auch das Ende konnte mich nicht komplett überzeugen; hier hätte ich mir noch mehr „Sisterhood“ gewünscht. Dennoch zeigt es recht gut auf, wie man Wut in Mitgefühl und Liebe umwandeln kann, um eine Veränderung bzw. Verbesserung der Welt möglich zu machen. Wobei ich finde, dass es auch positive Aspekte von Wut gibt

"Was die Zukunft bringt, weiß ich nicht. Ist sie weiblich? Ist sie non-binär ist sie menschlich? Was ich aber weiß, ist: In meiner Hose ist eine geladene Waffe. Sie ist geladen mit Weisheit und Vertrauen, Hülsen voll Mitgefühl."

Edith Löhles Debütroman ist eine gelungene feministische Abrechnung mit den Lügen der Bibel und der Kirche, die auch jede Menge Wissenswertes über die weiblichen Figuren der damaligen Zeit bietet.
Die Autorin packt eine Vielzahl feministischer Themen (Rassismus, Sexismus, Heteronormativität, Intersektionalität, …) in ihr Buch, wobei es meiner Meinung nach nicht zu viel ist.

Edith Löhles Schreibstil ist modern und frech, witzige Kapitelüberschriften wie „Muschitation“ u.ä. lockern das Buch au. Die Erzählform mit dem Chatverlauf funktioniert sehr gut.

Das Buch ist einerseits ein feministischer Roman, jedoch auch eine klug recherchierte Auseinandersetzung mit einem patriarchalen System, welches über Jahrtausende hinweg weibliche Stimmen unsichtbar gemacht hat. Es bietet viel Stoff zum Nachdenken und ich habe während der Lektüre des Öfteren etwas nachgeschlagen, um mehr darüber zu erfahren. Dabei hat sich gezeigt, dass die Autorin wirklich gründlich recherchiert hat, großes Lob!

Interessant fand ich übrigens auch die Version des aramäischen Vaterunsers nach Neil Douglas-Klotz (gerne mal nachlesen, ich fand es sehr erhellend - auch für alle, die mit der Kirche so ihre Probleme haben):

"Das Nichtglauben fühlt sich für mich so an wie ein leerer Magen. An nichts zu glauben, würde mich also mit einem Hungergefühl zurücklassen. Mit einem unbefriedigenden Nichts. Aber: Der Gedanke an die Kirche fühlt sich für mich an wie eine vergorene Milch, längst abgelaufen und so nicht mehr genießbar. 'Wahrscheinlich ist der Glaube gelernt. Das Vaterunser hat mich früher, als Kind, gebettet. Und heute habe ich ein Problem mit dem Inhalt, aber es fühlt sich trotzdem an wie Heimat.'"
Die Textstellen mit den Überschriften "Warum bin ich so geladen?" fand ich übrigens besonders gelungen!
Die zitierten Songtitel im Laufe des Buchs untermalen die Story auch musikalisch.

Das Buch wird sicher nicht die breite Masse ansprechen, mich hat es jedoch sehr angesprochen.
Meiner Meinung nach ist es nicht nur für religiöse Menschen zu empfehlen, da es zwar Themen anspricht, die oft mit der Bibel in Verbindung stehen, jedoch auch für die meisten weiblich gelesenen Personen von Bedeutung sind.

Trotz kleinerer Schwächen vergebe ich 4 von 5 Sternen und kann das Buch auf jeden Fall weiterempfehlen!

Bewertung vom 04.06.2025
Das bin ich!?
Landschof, Andrea

Das bin ich!?


weniger gut

"Warum tun sich Menschen so schwer damit, ihre Talente zu leben, herauszufinden, was oder wer zu Ihnen passt oder einfach stimmige Entscheidungen zu treffen? Den meisten Menschen ist gar nicht bewusst, über welche Möglichkeiten sie verfügen. Unsere frühen Prägungen haben oftmals unsere Talente untergraben. Diese Prägungen können von gesellschaftlichen Erwartungen über familiäre Einflüsse bis hin zu persönlichen Ängsten und Unsicherheiten reichen. Talente wurden verdrängt oder abgespalten, weil sie nicht gefragt, nicht erlaubt oder nicht erwünscht waren."

"Im Zusammenhang mit Persönlichkeits- und Talententwicklung ist die Frage interessant, ob unsere Persönlichkeit eigentlich festgelegt ist - oder in welchen Bereichen und in welchem Ausmaß wir uns oder unsere Charaktereigenschaften verändern können. Damit verbunden sehe ich auch die Frage, auf welche Weise wir Menschen an unsere Talente herankommen. Können wir etwas entwickeln, das nicht da ist?"

Ich hatte an das Buch „Das bin ich !?“ von Andrea Landschof recht hohe Erwartungen, die aber leider nicht recht erfüllt wurden.
Das Buch richtet sich laut Klappentext an Menschen, die beruflich oder privat feststecken, in einer Sackgasse, die unzufrieden sind mit dem Status quo und die nach einer Veränderung streben.
Das Thema finde ich wirklich wichtig und interessant. Die Frage „Wie können wir uns von alten Prägungen und unbewussten Mustern lösen, um unser Leben wirklich selbstbestimmt zu gestalten?“ treibt wohl viele von uns um.
Andrea Landschof bringt in ihrem Buch einige interessante Gedanken hervor, die jedoch ein bisschen „in der Masse“ untergehen, da sehr viele Themen jeweils nur knapp angerissen werden.
Die Transaktionsanalyse wird in einfacher Sprache, jedoch nur oberflächlich erklärt.

"Es ist außerordentlich heilsam, sich von überholten Sehnsüchten zu trennen, weil sie nicht mehr zu einem passen."

"Innerer Wandel:
Es ist nicht immer zwingend notwendig, sich eine neue Stelle, neue Arbeitskollegen oder einen neuen Partner zu suchen. Gleichgültig, wohin es dich verschlägt - du nimmst Dich ja immer selbst mit, mit denselben Einstellungen und Problemen."

Die Fragebögen und praktischen Übungen können durchaus hilfreich sein, ebenso die Fallbeispiele.
Ich muss allerdings sagen, dass mich die Umsetzung des Themas nicht recht überzeugen konnte. Vieles wird nur oberflächlich angerissen, das meiste davon hat man auch schonmal gehört und gelesen (außer, man ist komplett neu in dem Thema).

Auch die optische Darstellung sowie der Schreibstil haben mir persönlich nicht gefallen, alles wirkt sehr nüchtern und wenig fesselnd, so dass das Lesen etwas zäh war.
Das Buch ist sicherlich empfehlenswert für alle, die sich mit diesem Thema noch nicht beschäftigt haben. Ich persönlich konnte beim Lesen leider keinen wirklichen Mehrwert für mich feststellen; daher vergebe ich nur 2 Sterne.

Bewertung vom 02.06.2025
Vom Mond aus betrachtet, spielt das alles keine Rolle
Freytag, Anne

Vom Mond aus betrachtet, spielt das alles keine Rolle


sehr gut

Sallys Welt, vom Mond aus betrachtet: All-Age-Roman der leisen Töne - 3,5 ⭐️


Nachdem mich kürzlich der Roman „Blaues Wunder“ sowie der Jugendroman „Das Gegenteil von Hasen“ von Anne Freytag sehr, sehr begeistert hatte, wollte ich nun gerne noch mehr von dieser Autorin lesen. Der „All-Age“-Roman „Vom Mond aus betrachtet, spielt das alles keine Rolle“ hat mich vom Titel her stark angesprochen.

Die Hauptperson ist hier Sally, die es gerade nicht einfach hat: Ihre beste Freundin Pia ist weit weggezogen, ihr Freund Felix hat mir ihr Schluss gemacht und wegen Corona sind alle im zweiten harten Lockdown.

"Anfangs hat es noch Spaß gemacht, das alles. Weil man noch nie einen Lockdown hatte, weil man noch nie so lange zu Hause war, weil es genug gab, das liegen geblieben ist. Aber irgendwann kann man sich nicht mehr an der Oberfläche halten. Und dann sinkt man hinab in einen Teil seines Wesens, den man bis dahin nicht kannte oder bewusst gemieden hat. Isolation macht etwas mit einem."

Sally ist zuhause eingesperrt mit ihrer nicht gerade einfachen Mutter sowie ihren Geschwistern Henry, Franny und Charlie. Zu allem Übel lädt ihre Mutter auch noch ihre Volontärin Leni ein, bei ihnen zu wohnen. Sally begegnet Leni sehr abweisend, doch dann entwickeln sich da ganz unerwartet andere Gefühle.
Und auch Felix möchte plötzlich wieder mehr als nur ab und zu das Bett mit Sally teilen. Eigentlich hatte Sally ihn sich zurückgewünscht, doch ist das wirklich so?

"Ich wünschte, ich hätte den entscheidenden Schritt gemacht, als mir klar wurde, dass ich nicht mehr ich war, sondern Felix Version von mir. Aber das habe ich nicht."

Sally ist eine sehr sympathische und authentische Protagonistin. Man kann sich gut in sie hineinversetzen, in ihre Unsicherheiten und ihren Wunsch, allen zu gefallen und es allen Recht zu machen. Dabei schluckt sie viel hinunter, auch wenn es ihr damit nicht gut geht.

"Ich finde es anstrengend, wenn Menschen so sind. Wenn man das, was scheinbar ist, ununterbrochen mit dem, was tatsächlich ist, abgleichen muss. Manchmal kommt es mir so vor, als würde ich die Launen meiner Mitmenschen nicht nur wahr-, sondern mich aufnehmen - über die Haut. Oder die Atemwege. Wie ein Gift, das mich langsam hinrafft."

Vor allem Sallys Entwicklung im Laufe des Buches, mehr zu sich selbst und ihren Bedürfnissen hin, fand ich sehr gelungen.

"Es ging nie darum, ob ich geliebt werde, es ging nicht um andere. Es ging um mich. Ich habe mein Umfeld als Spiegel benutzt, um mich selbst sehen zu können - nur dass man im Spiegel nicht so aussieht wie man aussieht."

Es ist ein sehr ruhiges Buch, es passiert nicht viel, alles passiert nur langsam; doch gleichzeitig passiert ganz viel im Innenleben von Sally. Das muss man mögen. Mir hat es ganz gut gefallen, jedoch fand ich die anderen beiden Bücher von Anne Freytag noch stärker.

Den Epilog mit der Überschrift "Futur 2“ fand ich wirklich sehr gelungen, ein passender Schluss für dieses Buch. Die Liste mit allen im Buch genannten Songs ganz am Ende finde ich eine nette Idee der Autorin.

"Ich weiß, warum ich so geworden bin. Weil jeder in einer Familie eine ganz bestimmte Rolle einnimmt, eine Funktion im Gesamtgefüge. Es können nicht alle gleich sein - nicht alle laut, nicht alle gleich wichtig. Wir besetzen die Nischen, die noch frei sind."

Für dieses ruhige, aber angeheme Leseerlebnis vergebe ich final 3,5⭐️

Bewertung vom 31.05.2025
Blaues Wunder
Freytag, Anne

Blaues Wunder


ausgezeichnet

Spannendes, kluges Kammerspiel: Ein echter Pageturner!

Ich sage es gleich vorweg: Ich habe „Blaues Wunder“ von Anne Freytag an einem Abend gelesen, weil ich das Buch schlicht und einfach nicht mehr aus der Hand legen konnte!

Die Geschichte ist ein wahres Kammerspiel, die gesamte Handlung findet weitgehend auf dem Meer und zwischen 7 Personen statt. Dort finden sich drei Frauen nicht ganz freiwillig zu einem Kurzurlaub auf einer Luxusyacht zusammen, denn der Bankenchef Walter Bronstein hat seine beiden leitenden Angestellten mitsamt ihren Ehefrauen eingeladen. Walters Frau Rachel sowie ihr erwachsener Sohn David sind auch mit an Bord.
Auf der Yacht mangelt es an nichts, alles ist Luxus pur, von den Suiten bis hin zur Verpflegung, dennoch trügt die Ferienidylle, es schwingt immer etwas Bedrohliches mit und allen ist klar, dass es hier um etwas Wichtiges geht. Um was genau, weiß zu Beginn noch niemand.
Dennoch ist Nora Mattern fest entschlossen, ihren Mann Ferdinand mit allen Kräften zu unterstützen. Dank ihres guten Aussehens kann sie hier punkten, dennoch ist sie nicht glücklich mit ihrer Rolle bei diesem Konkurrenzspiel und auch nicht in ihrer Ehe.
Auch zwischen Franziska Dannenberg und ihrem Mann Kilian kriselt es, anfangs gibt es hier nur Andeutungen, später kommen die Gründe heraus (aber ich werde hier sicher nicht spoilern). Trotzdem lässt sich auch die eher unscheinbare Franziska auf den Konkurrenzkampf mit Nora ein:

„Manchmal hilft es, unterschätzt zu werden. Auf Kommando lächeln zu können. Von jedem für freundlich gehalten zu werden. Manchmal ist die kleine Schwester von Scheiße eine Chance. Ein Türöffner.“

Nicht nur das Setting und die allgemeine Stimmung haben mir sehr gut gefallen, auch dass der Roman aus drei verschiedenen weiblichen Ich-Perspektiven geschrieben ist, fand ich absolut gelungen. Die Perspektiven der Männer werden hier ausgelassen, was sehr passend zur Geschichte ist.

Der „reiche alte Mann“ Walter ist gleichermaßen klischeehaft wie authentisch dargestellt. Dass auch seine Frau Rachel trotz allem Luxus und Prunk nicht glücklich in dieser Ehe ist, wird schnell deutlich, ebenso wie das Toxische an dieser Beziehung.

„Ich habe viel Schmuck. Vierundzwanzig Ehejahre viel Schmuck. Eines Tages werde ich alles verkaufen und den Erlös an Frauenhäuser spenden. Dann war es wenigstens für irgendwas gut.“

Im Laufe der Geschichte entwickelt sich ein Kammerspiel vom Feinsten, man kann sich der Sogwirkung nicht entziehen. Auch wenn man schon ahnt, dass das Ganze nicht gut ausgehen wird, bleibt die Spannung bis zum Schluss aufrechterhalten.

Anne Freytag zeigt sich mit diesem Roman als präzise Beobachterin, die besonders durch die Dynamik zwischen den Figuren patriarchalische Strukturen aufzeigt.
Ein gleichzeitig spannender sowie unterhaltsamer Roman mit Tiefgang - für mich ganz klar eines meiner bisherigen Highlights dieses Jahr!

Bewertung vom 31.05.2025
The Lesbiana's Guide To Catholic School (eBook, ePUB)
Reyes, Sonora

The Lesbiana's Guide To Catholic School (eBook, ePUB)


sehr gut

Queerer Coming-of-Age-Roman mit Herz und Humor

Die 16jährige Yamilet Flores, genannt Yami, hat es nicht einfach. Nachdem sie von ihrer ehemals besten Freundin ungewollt geoutet wurde, ist sie einerseits froh, die Schule zu wechseln, damit sie ihr nicht mehr begegnen muss; sie war nämlich auch in sie verliebt. Doch als eines der einzigen mexikanischen Kinder auf ihrer weißen, reichen und sehr katholischen Schule fällt sie natürlich immer auf. Sie möchte hier deshalb auf keinen Fall als lesbisch auffallen, also verheimlicht sie das. Sie hat ohnehin genug damit zu tun, ihren Bruder Cesar aus Schwierigkeiten herauszuhalten, ihre Mutter stolz zu machen und einen neuen Nebenjob mit gutem Einkommen zu finden.
Doch es ist sehr schwer allen vorzutäuschen, man sei hetero, wenn da ein super kluges und süßes Mädchen an der Schule ist, das noch dazu ganz offen queer lebt: Bo. Wie soll Yamilet es schaffen, ihren immer stärker werdenden Gefühlen zu widerstehen?
Sonora Reyes hat hier einen gleichzeitig humorvollen wie ernstzunehmenden, queeren Coming-of-Age-Roman geschrieben, der vor allem, aber nicht nur das junge Publikum begeistern dürfte.
Die Protagonistin ist sehr sympathisch und authentisch, die Nebenfiguren überzeugen nicht alle komplett, sind aber weitgehend stimmig getroffen.
Schön finde ich, dass hier ein breites Spektrum an Themen untergebracht ist wie Rassismus, Queerness und Queerfeindlichkeit, Queerness, Religiosität und mentale Gesundheit. Dennoch wirkt der Roman nicht überladen. Lediglich die Gedankenkgänge der Protagonistin sind mir persönlich manchmal etwas zu raumeinnehmend, hier hätte sich die Autorin für meinen Geschmack etwas kürzer fassen können.
Insgesamt jedoch ein schöner Feel-Good-Roman.
Der wunderschöne Farbschnitt mit Blumenmuster ist ein zusätzliches optisches Highlight des Buches und dürfte bei der Zielgruppe (zu der ich sicher nicht direkt gehöre *zwinker*, aber ich lese gerne vielseitig und divers) sicher gut ankommen.

Bewertung vom 29.05.2025
Tage wie Salzwasser
Frey, Sita Maria

Tage wie Salzwasser


sehr gut

Wie gut ist die Mathematik darin, das Leben zu berechnen?


Der Roman „Tage wie Salzwasser“ von Sita Maria Frey besticht nicht nur durch das wunderschöne Cover, sondern auch eine Geschichte, in der vor allem Frauen die Hauptrollen spielen.
Da ist zum einen die Mathematikerin Atlanta, deren Leben hauptsächlich aus Zahlen und Logik besteht. Sie wird trotz Pille schwanger.
Als sie am Bahnhof auf ihren Freund Malte wartet, bekommt sie wie aus dem Nichts die Nachricht von seinem Tod. Für Atlanta bricht mit Maltes Selbstmord eine Welt zusammen. Sie traut sich nicht zu, das Kind alleine zu bekommen, sie ist verzweifelt.
Dann ist da noch Enza, eine Radhändlerin, deren Leben vom frühen Tod ihres Vaters, als sie ein junges Mädchen war, stark geprägt wurde. Sie hat eine sehr enge Bindung zu ihrer Mutter Hilde, ansonsten lebt sie recht autark und einsam, treibt Kraftsport und ist auch ansonsten eine starke Frau.
Als Atlanta Enza ins Fahrrad läuft, verknüpft sich das Leben der beiden sehr unterschiedlichen Frauen. Atlanta möchte herausfinden, was es mit den vier Adressen auf sich hat, die Malte vor seinem Tod in ein Notizbuch geschrieben hat. Sie glaubt, das muss eine tiefere Bedeutung haben. Und Enza wird von ihrer Mutter gebeten, eine Verwandte in Noto an der sizilianischen Ostküste zu besuchen. Ausgerechnet das ist einer der Orte aus Maltes Notizbuch. So machen sich die beiden Frauen auf Enzas Motorrad auf einen abenteuerlichen Road Trip ....
Erst am Ende gibt es eine Erklärung für Maltes Tod; diesen Schluss fand ich insgeamt sehr stimmig.

„Tage wie Salzwasser“ ist ein Buch der leiseren Töne, eine Geschichte über Freundschaft und Verzeihen, und darüber, dass das Leben manchmal seine ganz eigenen Wege geht.

„Ich bin mir sicher, ihr werdet etwas finden, was ihr nicht gesucht habt.“

Bewertung vom 28.05.2025
Krakadu
Sabbag, Britta

Krakadu


ausgezeichnet

Liebenswert-lustiges Meeres-Abenteuer mit Krakadu


Krakadu ist ein etwas tollpatschiger, aber sehr liebenswerter Krake. Es ist gar nicht so einfach, mit acht Armen klarzukommen. Zum Glück hat Krakadu ja seinen besten Freund, den ziemlich gebildeten Seestern Prof. Der klebt quasi ständig an ihm. Und so ist es unvermeidlich, dass die beiden den Alltag und so manches nicht ganz freiwillige Abenteuer miteinander teilen.

Allein schon die wunderschönen und witzigen Illustrationen von Lisa Nollenberger verdienen mehr als 5 Sterne!

Dazu noch die lustige und liebenswerte Geschichte, diese phantastischen Wortkreationen - wow!
Ich bin zwar nicht sicher ob bzw. denke nicht, dass Kinder den Witz an Namen wie "Ella Fischgerald" und "Grönehaier" verstehen - aber die Eltern sollen ja auch ihren Spaß haben!
Wir haben uns in der Familie jedenfalls alle tierisch amüsiert über die lustige Geschichte und die originellen Wortkreationen (Fischfluencer, Herbstquatsch, Ganzjahresnovember, und so weiter).
Und wo geht ein Krake einkaufen? Natürlich beim Discounter "Algi".

Ein wirklich liebenswert und humorvolles Kinderbuch zum Vorlesen oder selbst lesen - wir sind begeistert!

"Der Krakadu ist sich oft nicht ganz klar darüber, wie ein Krake so zu sein hat. Und das ist sehr gut!
Denn wenn man gar nicht erst versucht, irgendwo reinzupassen, ist es auf jeden Fall ziemlich einfach, man selbst zu sein."

Bewertung vom 26.05.2025
Sputnik
Berkel, Christian

Sputnik


schlecht

Sputnik hat mich nicht erreicht: Langweilig und nichtssagend


„Sputnik“ist die Fortsetzung von Christian Berkels beiden vorherigen Büchern „Der Apfelbaum“ und „Ada“, die allesamt biographisch geprägt sind. Ich muss dazu sagen, dass ich die beiden früheren Bücher nicht gelesen hatte; ob dies meine Leseerfahrung verändert hätte, weiß ich nicht.

Berkels Roman beginnt aber weit vor seiner Geburt, noch im Bauch seiner Mutter - diesen Prolog kannte ich schon von der Leseprobe und fand ihn recht originell geschrieben.
Danach ging es um seine schwierige Kindheit und Jugend sowie die problematische Beziehung zu seiner Mutter; auch die zu seinem Vater ist nicht viel einfacher.
Ich muss gestehen, dass ich recht schnell merkte, dass mich dieses Buch leider nicht erreichen konnte.
Die Handlung plätschert so vor sich hin, es passiert nicht viel. Dagegen war es einfach zu viel des Guten bei seinen feuchten Jungendträumen. Für mich las sich das alles recht selbstverliebt und klischeehaft; und für Außenstehende völlig uninteressant.
Dann ab Berkels Frankreich-Aufenthalt drehte sich eigentlich alles nur noch, sehr bruchstückartig geschildert, um eine Auflistung seiner Stationen als Schauspieler.
Spätestens ab hier habe ich mich furchbar gelangweilt und das Buch nur mit großer Mühe zu Ende gebracht.
Ich hatte aufgrund der Leseprobe und des recht originellen Prologs ganz andere Erwartungen an dieses Buch. Es war mein erstes und sicher auch mein letztes Buch von Christian Berkel.

Bewertung vom 23.05.2025
Wir sind hier für die Stille
Riese, Dorothee

Wir sind hier für die Stille


schlecht

Schöner Titel, Schreibstil schwer zugänglich: Buch abgebrochen

„Wir sind hier für die Stille“ von Dorothee Riese - der Titel hatte mich stark angesprochen, genauso wieder Klappentext:
Es geht in diesem Roman um die fast sechsjährige Judith, die Anfang der 1990er Jahre mit ihren Eltern von Deutschland nach Rumänien auswandert, in ein abgelegenes Dorf in Transsilvanien am Rande der Karpaten. Judiths Eltern wollen, dass ihr Kind in einer ursprünglichen, vom Kapitalismus freien Gemeinschaft aufwächst. In Rumänien lernt Judith viele arme Menschen kennen, und ein Mädchen mit einer Ziege, Irina. Irina ist eine Romni.

Ich muss sagen, das war eines der wenigen Bücher, bei denen ich vorher keine Leseprobe gelesen habe, und das war ein großer Fehler. Wie gesagt, thematisch interessiert mich das sehr - aber ich fand den Schreibstil wirklich sehr schwer zugänglich. Ich fand mich in der Geschichte schwer zurecht, konnte oft die Zusammenhänge nicht sehen; die Figuren blieben für mich alle sehr gesichtslos und unnahbar.
Ich habe mich wirklich gequält mit dem Lesen – und dann nach ca. 2/3 des Buchs abgebrochen. Das kommt nicht oft vor, aber hier war mir meine Lesezeit dann doch zu schade.
Dieses Buch war trotz des an sich interessanten Themas und des sehr schönen Titels eine herbe Enttäuschung.