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CK
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Raum Stuttgart

Bewertungen

Insgesamt 130 Bewertungen
Bewertung vom 12.02.2025
(K)eine Mutter
Diesteldorf, Jeanne

(K)eine Mutter


sehr gut

Ein wichtiges und (immer noch) aktuelles Buch. Denn Abtreibung ist nach wie vor ein Tabuthema. Kaum jemand spricht darüber, obwohl durchschnittlich jede vierte Frau im Leben einmal eine Schwangerschaft abbricht. Die Gründe hier sind so vielfältig wie die Frauen und ihr Leben es auch sind. Doch wenn es um das Thema Abtreibung geht, liegt das Hauptaugenmerk leider nicht bei den Frauen, wie es sein sollte. Stattdessen bestimmen vor allen diejenigen darüber, die persönlich nicht betroffen sind: meistens Männer, die die Gesetze machen.

Jeanne Diesteldorf lässt in diesem Buch 12 Frauen von ihren Erfahrungen erzählen. Es macht sprachlos und wütend, was alle auf verschiedene Weise erleben mussten bei dem verpflichtenden Beratungsgespräch, der Suche nach Ärzten, unsensiblen Pflegekräften, der Krankenkasse und so weiter. Man könnte glauben, wir leben noch im Mittelalter.

Ich bewundere den Mut dieser zwölf Frauen, so offen über ihre Erfahrungen zu sprechen. Es ist unfassbar, dass Abtreibung immer noch so stigmatisiert und vor allem illegal ist. Hier muss dringend eine Veränderung her. Es darf nicht sein, dass Frauen heutzutage noch so behandelt werden, von Krankenkassen, Ärzt*innen, vor dem Gesetz und von der Gesellschaft.
Keine Frau trifft die Entscheidung zu einer Abtreibung leichtfertig. Niemand möchte das unbedingt erleben. Und niemand wird das ohne Notwendigkeit machen, nur weil es plötzlich nicht mehr illegal ist. Aber es muss Frauen möglich sein, sicher und ohne Bevormundung abtreiben zu können.

Mein einziger Kritikpunkt zu dieser Veröffentlichung ist, dass die 12 Frauen alle aus recht ähnlichen Verhältnissen stammen und alle in ziemlich ähnlichen Situationen waren. Hier hätte ich mir etwas mehr Vielfalt gewünscht (verschiedene Kulturen, verschiedene soziale Schichten, …). Daher 1 Stern Abzug. Ansonsten ein wirklich wichtiges, mutiges und sehr empfehlenswertes Buch!

"Für diejenigen, die unerwartet schwanger geworden sind, kommt es oft überraschend, dass sie im Rahmen ihrer Entscheidung bevormundet, teils schikaniert werden und sie sich am Ende dieser Erfahrung oft fremdbestimmt fühlen und schämen. Dabei könnten ihre Geschichten auch anders verlaufen. Doch nach wie vor schließt sich an die Erfahrung oft Schweigen an, Schuldgefühle oder stille Wut. Das macht es schwer, den Schwangerschaftsabbruch als normales Lebensereignis psychisch zu integrieren, und belastet manchmal noch viele Jahre später."

"Das finanzielle Risiko von Sex verbleibt damit bei denjenigen, die schwanger werden können. Im Zweifel müssen Sie die Kosten allein tragen. Solidarität kennt unser Gesundheitssystem an dieser Stelle nicht. Dabei sind wir alle in dieses Thema involviert und sollten als Gesellschaft endlich gemeinsam dafür einstehen, dass diejenigen, die schwanger werden können, immer eine Wahl haben und wir ihrer Entscheidung vertrauen."

"Wie gleichberechtigt ist unsere Gesellschaft, wenn sie noch immer Menschen für etwas Selbstverständliches stigmatisiert: über den eigenen Körper und das eigene Leben entscheiden zu wollen? Denn solch eine gesetzliche Regelung betrifft im deutschen Recht ausschließlich diejenigen, die schwanger werden können. Kein Cis-Mann muss jemals eine ähnliche Einschränkung über seine reproduktive Selbstbestimmung befürchten. Die aktuelle Gesetzeslage ermöglicht es in Deutschland, dass Schwangere gegen Ihren ausdrücklichen Willen dazu gezwungen werden, eine Schwangerschaft auszutragen."

"Sie versteht nicht, wer etwas davon hat, wenn Menschen Kinder kriegen, die in dem Moment kein Kind kriegen wollen. Da hat das Kind nix davon, da hat die Gesellschaft nix davon. Das fühlt sich dann an wie eine Bestrafung dafür, dass man Sex hatte. Warum ist es die Aufgabe und Verantwortung der Frau? Warum soll sie dann am Ende mit den Konsequenzen leben? Und warum sollen über diese Situation dann Leute entscheiden, die überhaupt nichts damit zu tun haben - mit der Frau, mit ihrem Leben, mit ihrem Körper und mit dem, was sie will? Die überhaupt nicht in diese Situation sind?"

"Sie will nicht die sein, die abgetrieben hat, als wäre es ein großer Makel. Genau so kommt es ihr oft vor in der öffentlichen Debatte und weil sie es selbst verschweigt. Es kommt ihr so vor, als wäre es etwas smSchwerwiegendes. Etwas, das an einem hängt und einen beschwert. Etwas, das nicht sein darf.
Aber wir müssen endlich anfangen, darüber zu sprechen. Es benennen, davon erzählen."

"Mein Abbruch war eine der besten Entscheidungen, die ich je getroffen habe", sagt Janine überzeugt. Dennoch trauert sie. Oder gerade deswegen. Sie trauert, weil die Situation so war, wie sie war. Weil es so sein musste. "Ich hätte lieber keinen Abbruch gehabt. Dieses ganze Prozedere, diese Wartezeit und vor allem das Gefühl: eigentlich gehört mir mein Körper gar nicht richtig. Eigentlich gehört er halt dem Staat, und der ist weiß, männlich und heterosexuell."

Bewertung vom 10.02.2025
Du solltest mich mit Krone sehen
Johnson, Leah

Du solltest mich mit Krone sehen


sehr gut

Liz Lighty holt sich die Krone, die ihr zusteht

"Du solltest mich mit Krone sehen" von Leah Johnson ist ein schönes Jugendbuch voller Empowerment und sympathischer Charaktere.
Aus der Ich-Perspektive erzählt in diesem Roman die Protagonistin Liz(zy), die es nicht leicht hat(te) im Leben. Ihre Geschichte spielt an einer typischen amerikanischen High School, aber Liz ist alles andere als der typische Teenager. Sie ist schwarz und queer, hatte und hat es familiär nicht immer leicht. Sie ist unheimlich klug und ehrgeizig und liebt Musik über alles. Als sie ein Stipendium nicht bekommt, ohne das sie nicht aufs Wunsch-College gehen kann, braucht sie einen alternativen Plan. Sie muss die Prom-Queen des diesjährigen Abschlussballs werden. Doch das ist gar nicht so leicht. Dank ihrer Freund*innen könnte sie es schaffen, aber dann taucht da noch dieses Mädchen auf, Amanda/Mack, und zwischen den beiden entwickeln sich Gefühle, die das Rennen um die Krone erschweren oder gar unmöglich machen könnten, denn die Schule ist sehr konservativ und vor allem die fiese Rachel tut alles, um ihre Teilnahme am Wettkampf zu behindern ...
Liz macht im Laufe der Geschichte meiner Meinung nach eine beeindruckende Entwicklung durch, sie findet zu sich selbst und sie lernt für sich selbst einzustehen und für das zu kämpfen, was sie liebt.
Die Themen Queerfeindlichkeit und Rassismus werden hier in eine unterhaltsame Geschichte verpackt, was wirklich gut gelungen ist. Insgesamt ein wirklich schöner Jugendroman mit einem wichtigen und aktuellen Thema und einem wunderschönen, hoffnungsvollen Ende.

"So gesehen sind Gruppen von High-School-Freunden sowas wie ein Ensemble. Meine Freundinnen sind offiziell Spinner, Tintenkleckse auf einem ansonsten blütenweißen Blatt, aber genau deswegen funktionieren wir so gut zusammen. Denn solange sie meine Leute sind, solange sie diejenigen auf meiner rmRechten und Linken sind, kann ich manchmal vergessen, dass ich nirgends sonst in dieser Stadt hinpasse."

"Aks ich am nächsten Tag im Korridor an ihm vorbei ging, konnte ich ihm nicht mal in die Augen schauen. Ich konnte es nicht benennen, aber ich schämte mich auf eine Art und Weise wie nie zuvor in meinem Leben Punkt auf einmal war mir alles peinlich, was mich ausmachte. Welches Memo hatte ich verpasst, indem es hieß, dass sich alle über Nacht verändern sollten? Plötzlich passte für mich alles zusammen: die Outfits waren cooler, der Haarschnitt viel Pinterest-würdiger, und die Autos auf dem Parkplatz der Zwölftklässler glänzen mehr als je zuvor."

"So überrascht ich auch angesichts Jordans Wissen über das Klassensystem im mittelalterlichen Europa bin, er hat recht. Dieser ganze Wettbewerb ist so aufgebaut, um irgendein verdrehtes Märchen nachzuahmen. Die Königin soll die Beste unter uns sein: die Klügste, die Schönste, die Würdigste. Aber die Leute, die gewinnen, sind selten diejenigen, die es wirklich verdienen. Wie in jeder Monarchie sind sie einfach am nächsten an der Spitze. Den Titel der Königin verdient man sich nicht; man erbt ihn."

Bewertung vom 07.02.2025
Die lichten Sommer
Kucher, Simone

Die lichten Sommer


sehr gut

"Die lichten Sommer" von Simone Kucher ist ein anspruchsvoller und berührender Roman über die Folgen von Vertreibung und Flucht.
Erzählt wird hauptsächlich die Geschichte zweier Frauen, Mutter und Tochter.
Elisabeth, genannt Liz, kommt zu Beginn der Fünfzigerjahre in einem kleinen süddeutschen Dorf zur Welt. Wie alle ansässigen Frauen arbeitet sie schon als Jugendliche tagsüber in der Fabrik, abends hilft sie im Wirtshaus der Eltern. Sie ist das Kind von Geflüchteten, die nach Kriegsende aus der ehemaligen Tschechoslowakei vertrieben wurden. Liz darf keine Ausbildung machen, träumt von einem anderen, besseren Leben. Sie heiratet jung und trägt immer noch die Last der Vergangenheit in sich, ein generationenübergreifendes Trauma.
Die Charaktere sind sehr authentisch und lebendig beschrieben, die Geschichte sehr berührend.
Besonders gelungen fand ich auch, wie die Autorin historische Ereignisse mit den persönlichen Geschichten ihrer Figuren verbunden hat.
Die Rückblenden und Perspektivwechseln machen die Geschichte besonders lesenswert und anspruchsvoll. Man kann sich genauso gut in Liz hineinversetzen wie in ihre Mutter Nevenka, wenn sie aus ihrer Kindheit in der Tschechoslowakei erzählt.
Vieles wird aber auch nur angedeutet, hier hätte ich mir Noch eine Vertiefung gewünscht, besonders was Nevenkas Vergangenheit angeht.
Insgesamt hat mir das Buch aber sehr gut gefallen und ich hoffe, von Simone Kucher wird man in Zukunft noch mehr lesen!

"Und kann doch nicht sagen, was sie denkt, was ihr jetzt klar wird, was sie unterscheidet: Wenn Liz etwas verantwortlich machen müsste für ein Unglück, dann wäre es immer etwas das von innen kommt, aus ihr selbst heraus. Nie etwas von außen: die Umstände, andere Menschen und schon gar nicht die Natur.
Sie setzt erneut an und verstummt. Diese Stimme, mit der sie sprechen könnte, singen. Das, was da aus ihr herauskam, war einfach nicht gut genug. Daran lag es, nicht an den Zahlen."

"Liz rutscht unruhig auf ihrem Stuhl herum, beim ersten Mal völlig überrumpelt, beim zweiten Mal schon gefasster. Warum bleibt sie denn so stumm? Lässt sich das einfach so gefallen? Ist sie schon zu weich geklopft von diesem täglichen Kampf. Sie kämpft doch jeden Tag, oder nicht? Seit Jahren. Immer schon. Und warum kann sie nicht einfach sagen: Nein, ich bin verdammt noch mal kein Flüchtling. Ich bin genauso wie du auf dieser stinkenden Erde hier geboren. In Baracken zwar, aber eindeutig hier, schleudert sie in Gedanken die Worte durch die Luft. Und fragt sich erstaunt: Ab wann ist man denn ein Ansässiger?"

Bewertung vom 06.02.2025
Queenie
Carty-Williams, Candice

Queenie


ausgezeichnet

Queenie kriegt ihr Leben auf die Reihe …

Das Buch "Queenie" von Candice Carty-Williams hatte mich spontan angesprochen, da es ja offenbar beim Erscheinen viel Aufmerksam erregte und interessant klang. Nachdem die Titelheldin vorab als "Schwarze Bridget Jones" angekündigt wurde, wusste ich aber nicht so recht, was mich erwarten würde. Leichte Unterhaltung? Nicht direkt ... Tatsächlich geht es um eine Schwarze junge Frau, die nicht nur mit einer unglücklichen Liebesbeziehung, ihrer Vergangenheit (von der Mutter verlassen) sondern vor allem auch mit Problemen wie Alltagsrassismus, Lookismus und Sexismus zu kämpfen hat.
Queenie stammt aus einer jamaikanischen Familie, lebt in London und schafft es irgendwie immer, die falschen Entscheidungen zu treffen.Eigentlich ist sie glücklich mit ihrem weißen Freund Tom, nur dass er sie nie verteidigt gegen die rassistischen Sprüche seiner Verwandten, setzt Queenie zu und bringt immer wieder Streit zwischen den Beiden. Doch dann will Tom eine "Beziehungspause", wodurch Queenie in ein tiefes Loch fällt. Sie stürzt sich daraufhin ins Internet-Dating, was immer wieder zu Selbsterniedrigungen und gefährlichen Situationen führt. Ihr Leben gerät immer mehr außer Kontrolle. Sie muss dringend etwas in ihrem Leben ändern - nur wie?

Dass ein Charakter wie Queenie polarisiert, ist irgendwie klar. Die Heldin ist anfangs auch nicht direkt sympathisch; sehr ich-bezogen und ziemlich anstrengend kommt sie rüber.
Mit der Zeit kann man Queenie aber nach und nach besser verstehen, ihre Hintergründe und Gedankengänge. Vor allem, als sie sich dann in eine Therapie begibt tun sich hier einige Abgründe auf, die einem ganz schön zu knabbern geben.
Das Buch kommt weitgehend locker-flockig daher und es gibt auch einiges zu lachen (besonders in den ersten Szenen) - doch dann wieder bleibt einem das Lachen im Hals stecken.
Insgesamt hat mir das Buch einigermaßen gut gefallen, konnte mich jedoch leider nicht vollständig überzeugen.

Bewertung vom 04.02.2025
Elefantensommer
Goldberg Sloan, Holly

Elefantensommer


ausgezeichnet

"Es ist immer etwas drin, das du auf den ersten Blick nicht siehst."

Holly Goldberg Sloan hat mit "Elefantensommer: Ein 2 ½ Tonnen schwerer Grund, morgens aufzustehen" einen wunderschönen Jugendroman geschrieben.
Wir kennen schon andere Bücher der Autorin, die ebenfalls großartig waren (am allerbesten fanden wir "Short"), also mussten wir dieses Buch auch lesen.
Erzählt wird hier die Geschichte der 11jährigen Sila, die seit Monaten darauf wartet, dass ihre Mutter endlich wieder aus ihrer alten Heimat, der Türkei, zurückkehrt.
Es gab Probleme mit der Einwanderungsbehörde. Sila bleibt mit ihrem Vater in den USA und wird mit jedem Tag trauriger und unglücklicher. Nichts macht ihr mehr Freude, selbst mit ihren Freunden möchte sie sich nicht mehr treffen. Dann muss sie auch noch an einem Schulprojekt teilnehmen, bei dem sie den gleichaltrigen autistischen Jungen Mateo kennenlernt. Doch zwischen den beiden entwickelt sich ganz unerwartet eine Freundschaft. Außerdem lernt Sila Gio kennen, einen älteren Herrn, der sich von einem Lottogewinn eine Farm gekauft hat. Und er rettet die alte Elefantendame Veda und gibt ihr ein neues Zuhause. Dadurch findet auch Sila wieder ihre Lebensfreude zurück, und auch Mateo taut auf ...
Die Geschichte bringt schwierige Themen wie Autismus, Ausgrenzung und Einsamkeit, Migration, soziale Ungerechtigkeit, Tierschutz und artgerechte Haltung so kindgerecht und leicht rüber, dass es eine wahre Freude ist.
Der Schreibstil der Autorin ist wie immer großartig. Die Perspektivwechsel machen das Lesevergnügen noch größer, man kann sich sehr gut in die jeweiligen Charaktere hineinversetzen.
Ein wirklich tiefgründiges und herzerwärmendes Buch, voller Mitgefühlt, Mut, Hoffnung und Glück, das rundum gelungen ist. Eine ganz klare Leseempfehlung für Kinder ab ca. 10 Jahren von uns!

"Mateo nickte zustimmend und fügte hinzu: "Deswegen ist es auch sinnvoll, sich die Inhaltsstoffe auf der Verpackung durchzulesen."
Sila war verwirrt. "Wie meinst du das?"
"Es ist immer etwas drin, das du auf den ersten Blick nicht siehst."
Sie war sich nicht sicher, ob sie in wirklich verstand. Später ertappte sie sich bei dem Gedanken, ob er vielleicht über sich selbst geredet hatte."

Bewertung vom 03.02.2025
Achtzehnter Stock
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


ausgezeichnet

Heftig, hoffnungsvoll und berührend:
Glück findet von Zeit zu Zeit sogar in den achtzehnten Stock


Wanda lebt mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie im achtzehnten Stock eines Hochhauses. Eigentlich ist sie Schauspielerin und träumt von der großen Karriere. Aber manchmal läuft das Leben anders als erhofft. Sie hangelt sich so durch, mehr schlecht als recht.
Doch als sie unerwartet eine einmalige Chance bekommt, lernt sie plötzlich eine neue Welt kennen, in der Geld keine Rolle spielt und Türen immer offenstehen. Wirklich? Kann sie das alte Leben wirklich einfach so hinter sich lassen?
Mir hat er Schreibstil und überhaupt die ganze Story unheimlich gut gefallen. Ich konnte das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Für mich war das schon so ein kleines Highlight zu Anfang des Jahres!

„Sollen die doch alle denken, was sie wollen. Glück lässt sich von Pisse im Treppenhaus nicht abschrecken, Glück findet von Zeit zu Zeit sogar in den achtzehnten Stock.“

„Adam lacht und ruft mir hinterher: »Vergiss nicht, woher du kommst!«, und ich rufe über die Schulter zurück: »So was kann man nicht vergessen, egal, wie sehr man es auch versucht.«“

„Das ist meine Chance, und ich fresse das Glück in mich rein, bevor es mir irgendjemand wieder nehmen kann.“

„Ich habe nichts mehr zu verlieren, ich bin wie eine offene Wunde, aber ich blute nicht mehr. Ich habe den Schmerz domestiziert. Es ist alles Gottes Plan. Er will mich testen, er will sehen, wie weit ich gehe. Ich muss ihm vertrauen, er hat mich nicht vergessen, denn egal, wie dunkel die Nacht ist, irgendwann gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit, und eines Tages wird sich der Himmel öffnen und der Geist Gottes wie eine Taube auf uns herabkommen. Irgendwann wird alles Sinn machen.“

„Er sei sich ganz sicher, und einer nach dem anderen dreht sich zu mir um und kriegt den Mund nicht mehr zu. Nicht wegen mir. Sie sehen mich gar nicht, sie sehen sich selbst. Wenn ich es geschafft habe, dann können sie es auch. Ich wollte nie ein Vorbild sein, doch vielleicht hat Aylins Mama recht, vielleicht bin ich eine von ihnen, vielleicht ist zwischen uns etwas, das größer und tiefer ist als ich selbst, und ich kann endlich etwas zurückgeben.“

„Wir trinken auf das neue Jahr. Das alte war beschissen, aber das neue wird ganz groß. Das neue Jahr wird unser Jahr. Niemand wird uns je wieder vergessen. Das Haus ist ein Mahnmal, ein Mittelfinger, der in den Himmel ragt und unübersehbar an uns erinnert, an uns und all die anderen, die keiner sehen wollte.“

Bewertung vom 03.02.2025
Wenn wir lächeln
Unterlehberg, Mascha

Wenn wir lächeln


ausgezeichnet

Geschichte einer Freunschaft – Hat mich leider nicht berührt

"Wenn wir lächeln" von Mascha Unterlehberg hatte mich aufgrund des wirklich wunderschön gestalteten Covers sofort angesprochen, auch der Klappentext klang sehr vielversprechend. Ich wollte es also wirklich gerne mögen, aber ... Das Buch konnte mich dann leider nicht überzeugen.

Erzählt wird hier die Geschichte von Jara und Anto, die eine nicht ganz einfache Freunschaft verbindet. Trotz aller Nähe und des Zusammenhalts ist da auch immer wieder Neid, Zweifel und Angst. Die beiden sind sehr aufeinander fixiert, sehr eng miteinander, obwohl sie offenbar aus unterschriedlichen sozialen Schichten kommen. Die Schwesternschaft der beiden steht über allem, sie teilen alles, auch ihre Gewaltfantasien. Jeden Abend gibt es einen neuen Plan, sie glauben, alles im Griff zu haben. Bis ihnen Stück für Stück die Kontrolle entgleitet. Und nun bleibt die Frage: Wohin mit all der Wut? Die Freunschaft nimmt kein gutes Ende ...

Ich fand den Schreibstil größtenteils ziemlich anstrengend und teilweise auch verwirrend. Die Zeit- und Themensprünge fand ich persönlich nicht so gelungen.

Ein paar gute Stellen gab es schon:

"Wenn wir in den Bars sitzen und die Blicke auf uns spüren, dann erinnern wir uns, erinnern sich unsere Körper daran, wie es war, als uns die Blicke das erste Mal trafen. Wie aufregen das war, wie schmeichelhaft: fremde Blicke von fremden Männern, die schon viel gesehen haben mussten, so viel älter als wir, und uns trotzdem für würdig befanden, und sagen, und wir wurden größer dabei und erwachsener und wurden es doch nicht."

"Wir stehen dann auf, wir drehen uns um, und wenn wir können, dann lächeln wir. Wir lächeln, wir lehnen uns aneinander, wir erwidern die Blicke. Wir warten."

"Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir klar, dass andere ihre Mutter nicht wirklich hast. Sie will nicht, dass ihre Mutter tot ist, auch wenn Sie diese ganzen schlimmen Witze macht. Anto wünscht sich etwas, von dem sie weiß, dass sie es nicht bekommt. Ich denke, dass das immer so ist, für alle Menschen: dass es eine einzige Person gibt, von der man unbedingt zurück geliebt werden will, und meistens ist das die Person, die einem nicht das Gefühl gibt, besonders wichtig zu sein."

Doch abgesehen von ein paar guten Fragmenten, konnte mich das Buch sehr zu meinem Bedauern nicht abholen. Die Art und Weise, wie hier die Themen patriarchale Gewalt, erste Gefühle, Sexualität, Schwesternschaft und Klassenunterschiede bearbeitet wurden, hat leider nicht meinen Geschmack getroffen. Die Themen wurden oft nur angedeutet, angerissen - aber es hat mich leider nicht berührt.
Die Protagonistinnen sind mir fremd geblieben, ich konnte keinen Bezug zu ihnen und ihren Handlungen und Gedankengängen herstellen (bis auf einige wenige Stellen). Ich konnte die Geschichte einfach nicht fühlen. Manche Autor*innen berühren einen eben mit ihren Worten, andere nicht.
Bei diesem Buch war es leider so, dass ich hier keinen bleibenden Mehrwert für mich feststellen konnte. Da gibt es meiner Meinung nach aktuell viele bessere Bücher und Autor*innen - aber das ist natürlich immer individuelle Geschmackssache.

Bewertung vom 01.02.2025
Mehr als binär
Vaid-Menon, Alok

Mehr als binär


ausgezeichnet

Wichtiges und kluges Buch: Für mehr Vielfalt und Offenheit


"Mehr als binär“ von Alok Vaid-Menon ist ein sehr wichtiges und toll gestaltetes Buch, das uns alle einlädt, über die Kategorien "Mann" und "Frau" hinauszudenken. Das Buch können/sollten alle lesen, die sich mit dem Alltag von nicht-binären und gendernonkonformen Menschen befassen möchten oder für diejenigen, die selbst noch auf der Suche nach ihrer eigenen Identität sind.
Das Buch ist einerseits sehr persönlich, da es viel von Aloks eigener Lebensgeschichte und seinem Werdegang zu sich selbst erzählt. Gleichzeitig ist es aber auch ein sehr politisches und aktuelles Buch, da es von Vorurteilen und Vorwürfen berichtet, mit denen gendernonkonforme Menschen jeden Tag zu kämpfen haben.

Das Buch ist zwar relativ kurz, enthält aber wirklich jede Menge kluger Worte und Gedanken. Es ist eine gute Grundlage, um sich Gedanken darüber zu machen, was allgemein als "normal" angesehen wird. Besonders wenn sich jemand bisher noch nicht mit diesem Thema befasst haben sollte, gibt es hier wirklich gute Denkanstöße, um seinen Horizont zu erweitern.

Das Buch wurde ganz großartig übersetzt von Linus Giese und Charlotte (Luca Mael) Milsch. Auch die wunderschönen und farbenfrohen Illustrationen von Julius Thesing sind ein echtes Highlight dieses insgesamt großartigen Buchs. Von mir bekommt es eine ganz klare Leseempfehlung!

"Was mir so schmerzlich bewusst ist: zwischen dem, was Menschen sehen, und dem was ich tatsächlich bin, gibt es einen großen Unterschied. Die tödlichste Waffe des Menschen ist nicht die Faust; es sind die Augen. Was Menschen auffällt und wie sie etwas bewerten, hat etwas mit Macht und Machtverhältnissen zu tun."

"Das gesamte Publikum lachte mich aus.
Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich bewusst Scham empfunden habe. "Jungen tun so etwas nicht", sagten meine Klassenkamerad* innen. Ich konnte nicht verstehen, wie etwas, dass mir so viel Freude bereitete, von anderen so abgewertet werden konnte.
Jungen tun was genau nicht? Tanzen, fühlen, Purzelbäume schlagen?
Was Geschlecht bedeutete, lernte ich über Scham. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise war beides für mich untrennbar miteinander verbunden."

"Wir sind gleichzeitig zu viel und niemals genug. Das Problem sind immer wir. Doch vielleicht sind wir das gar nicht Strich. Vielleicht ist das ganze Geschlechtersystem das Problem. Welchen Definitionen glauben wir überhaupt? Die binäre Geschlechterordnung ist so angelegt, dass wir alle zwangsläufig daran scheitern."

"Wir wünschen uns eine Welt, in der alle Menschen, ungeachtet ihre Erscheinung, mit Würde und Respekt behandelt werden - eine Welt, in der dieser Faktor keinen Einfluss auf die Sicherheit, Arbeitschancen und Möglichkeiten im Leben hat. Wir wünschen uns eine Welt, die die Vielseitigkeit von allen und allem zu schätzen weiß - eine Welt, in der Veränderungen nicht unterdrückt, sondern gefeiert werden. Wir wünschen uns eine Welt, in der Menschen eine Bedeutung haben, die völlig losgelöst von ihrer Geschlechtsidentität ist."

Bewertung vom 30.01.2025
Riot, don't diet!
Lechner, Elisabeth

Riot, don't diet!


ausgezeichnet

Die Zukunft ist widerspenstig: Ein Aufstand gegen „Schönheitsnormen“

„Riot, don’t diet! Aufstand der widerspenstigen Körper“ von Elisabeth Lechner ist ein herausragendes Buch, dessen Wichtigkeit ich gar nicht genug betonen kann!

Wer in unserer Gesellschaft nicht der „Norm“ entspricht, weil sie/er dick, haarig, queer, alt, ein Mensch mit Behinderung oder eine Person of Colour ist, wird häufig marginalisiert, gemobbt und ausgegrenzt. Doch wer definiert eigentlich „Schönheit“ und wem nützt dieser „Zwang“ zur ständigen Selbstoptimierung?
Das Buch ist in die Kapitel „DICK“, „SCHWARZ“, „HAARIG“ „QUEER“, „BEHINDERT“ und „ALT“ unterteilt. Zu jedem Kapitel bringt lässt Elisabeth Lechner eine Theorie vor, welche dann mit ganz konkreten Beispielen ergänzt wird, auch lässt sie immer verschiedene AktivistInnen zu Wort kommen.
Oft wird hier der Kapitalismus kritisiert, da besonders die Schönheitsindustrie vom permanenten Wunsch nach „Verbesserung“ der Menschen profitiert. Doch auch Ansätze wie die „Body Positivity“ -Bewegung werden beurteilt und auf ihre Stärken und Schwächen untersucht.
Am Ende des Buchs legt sie einen ermutigenden 5-Punkte-Plan vor, wie echte Solidarität aussehen kann und wie wir ALLE unseren Begriff von Schönheit hinterfragen können.

Dieses Buch kann ein Augenöffner sein. Es ist ein Aufruf, uns selbst und andere mit anderen Augen zu sehen:

"Um Sehgewohnheiten nachhaltig zu verändern, braucht es nicht nur eine viel diverse mediale Repräsentation aller Körper, sondern auch einen veränderten Umgang mit uns selbst."

"Auch wenn ihr nicht von Diskriminierung aufgrund eures Äußeren betroffen seid, ja gerade dann, wenn ihr von diesen Strukturen profitiert, fangt an mitzudenken, wie es anderen geht und helft mit, die Welt inklusiver und für alle lebenswerter zu machen. Tragt bei zu einer Welt, in der die Rolle des Aussehens, gerade von Frauen, gar nicht mehr so wichtig ist, und überlegt euch zum Beispiel, wofür ihr Menschen Komplimente macht. Sind es immer Oberflächlichkeiten, oder feiert ihr eure Freund*innen auch für ihren Humor, ihren Scharfsinn und ihre Eloquenz? Es geht hier absolut nicht um Verbote, sondern nur um ein Bewusstmachen, in welcher Situation Äußerlichkeiten vor Kompetenzen und Zwischenmenschlichem zum Tragen kommen - und um ein stückwwises Loskommen von diesen Strukturen."

"Die Zukunft ist widerspenstig. Ihr ist egal, wie dein Körper aussieht."

Bewertung vom 28.01.2025
Digitale Diagnosen
Wiesböck, Laura

Digitale Diagnosen


ausgezeichnet

"Digitale Diagnosen: Psychische Gesundheit als Social-Media-Trend" von Laura Wiesböck ist ein hochaktuelles und sehr wichtiges Buch. Aktuell ist es im Trend, dass sich Menschen selbst Diagnosen für psychische und neurologische Erkrankungen stellen:
"Die Fülle der Informationen und ästhetisierten Bilder im Bereich psychischer Krankheiten ist verbunden mit dem Trend, dass ich immer mehr Nutzer:innen selbst eine Diagnose stellen, ohne medizinisches Fachpersonal zu konsultieren."

"Was sagt es über eine Gesellschaft aus, wenn der Schmerz über den Verlust einer nahestehenden Person als Krankheit klassifiziert wird? Ist Traurigkeit mittlerweile zu einem Symptom worden, dem es lösungsorientiert zu begegnen gilt? Welche Funktion erfüllt die Schematisierung und Pathologisierung von leidvollen Erfahrungen? Und was hat Gereiztheit mit psychischer Gesundheit ("Mental Health") zu tun? Ist ein dünnes Nervenkostüm nicht ein nachvollziehbarer Zustand für Mütter, die unter dauerhaftem Schlafmangel, fordernden Betreuungspflichten, mangelnder Unterstützung und hohen gesellschaftlichen Erwartungen leiden? Oder können Menschen sich mittlerweile nur mehr eine legitime Auszeit erlauben, wenn sie auf ihre Gesundheit verweisen?"

Die Soziologin Laura Wiesböck analysiert auf sehr gut verständliche Art und Weise die Ursachen und Folgen dieses Trends rund um das Thema "Mental Health".
Sie zeigt die hieraus entstehenden Gefahren auf wie Fehldiagnosen und "Genesungshindernisse", erklärt Begriffe wie "toxisch", "triggern" und "Trauma" sowie deren zunehmende bzw. übermäßige Verwendung.

"Die umgangssprachliche Trivialisierung von psychopathologischen Begriffen zeigt sich auch darin, dass universelle Merkmale des menschlichen Daseins, wie Trennungen, Enttäuschungen oder Erfahrungen des Scheiterns, vermehrt als "Traumata" bezeichnet werden. Das kulturelle und soziale Konzept von "Trauma" in der Alltagssprache schließt Erfahrungen ein, die zwar verletzen oder verärgern, aber integraler Bestandteil des Lebens - und keine außerordentlichen Schockerlebnisse sind."

"Das kann mitunter auch im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Erzählung stehen, das persönliche Entwicklungsschritte erst oft nach traumatisierenden Erfahrungen stattfinden ("posttraumatisches Wachstum"). Wer lernt, dass ein Trauma die Grundlage ist, um wachsen oder "healen" zu können bzw. zu dürfen, wird sich eher an einer traumatisierenden Deutung von gewaltvollen Ereignissen oder Erfahrungen orientieren."

Sie wirft einen Blick auf Influencer:innen und die Gefahr der Nachahmung, besonders was Jugendliche angeht.
"Das birgt vielfältige Risiken. Denn die Mehrheit der Mental-Health-Influencer:innen besitzt keine Ausbildung- oder Berufsqualifikationen, um als Expert:innen auf dem Gebiet von psychiatrischen Erkrankungen zu gelten. Bis dato gibt es keine Regulierung und Standards dafür, anerkannte wissenschaftlich oder medizinisch begründete Kriterien einzuhalten. Das zeigt sich auch in den von Laien verbreiteten Informationen über psychiatrische Diagnosen, die häufig unzutreffend oder stark verkürzt sind."

"Influencer:innen kommt dementsprechend eine wichtige Rolle in der Popularisierung von Diagnosen zu. Sie können andere dahingehend beeinflussen ("influencen"), eine psychische Erkrankung für anstrebenswert zu halten, ob sie das selbst beabsichtigen oder nicht, spielt in der auf Nachahmung ausgelegten Struktur keine Rolle."

Auch das Kapitel "Mental Health und Selfcare als Wohlstandsphänomen" fand ich sehr gut geschrieben.
"Selfcare bei Frauen wird dann zu einer Verknüpfung von Jugendlichkeit, Weiblichkeit, Konsum, Autonomie und Transformation. Es gilt, effizienter, fitter, flexibler, widerstandsfähige, positiver und resilienter zu werden, dabei jung und attraktiv auszusehen und gesellschaftlich möglichst wenig Kosten zu verursachen. Damit stehen Frauen nicht nur im Wettbewerb mit anderen, sondern auch mit sich selbst, konkret mit einer "besseren Version" ihrer selbst. Nach dieser Logik gibt es keine Zeit, in der das jetzige Selbst ausreicht oder vielleicht sogar zufrieden stellt."

Das Kapitel "Plädoyer für zwischenmenschliche Ambivalenz und Trost" bringt das Buch perfekt zum Abschluss.

"Wenn von psychischen Abweichungen die Rede, sollte sich eigentlich immer auch die Frage stellen, wovon eigentlich abgewichen wird."

"Die Zuschreibung einer Diagnose erfüllt für Menschen zahlreiche individuelle Stabilisierungsfunktionen. So können Diagnosen als eine offizielle Anerkennung von Leid und Dysfunktionalitäz gesehen werden, in einer auf sichtbare Produktivität ausgelegten Gesellschaft, die dafür kaum mehr legitimen Platz hat, in der Ineffizienz oder Traurigkeit im Gegenteil eher als Kompetenzverlust gesehen werden."

Das Buch bekommt von mir eine ausdrückliche Leseempfehlung - ein wichtiges Thema, hervorragend analysiert und großartig geschrieben!