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kaffeeelse
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psychologiebegeiste und Ethnographie liebende Vielleserin

Bewertungen

Insgesamt 112 Bewertungen
Bewertung vom 27.08.2025
Das Loch
Oyamada, Hiroko

Das Loch


sehr gut

Veränderung und Magischer Realismus

Wir sind in Japan. Wir sind in einer anderen Welt. Die junge Asahi zieht mit ihrem Mann von der Großstadt aufs Land in den Geburtsort des Mannes. Die Schwiegereltern leben um die Ecke, das Paar ist also auch nicht allein in der neuen Welt. Asahi gibt ihren Job auf und wird Hausfrau. Der Arbeitsweg zum Job in die Großstadt ist Asahi zu anstrengend, daher trifft sie diese Entscheidung, auf dem Land will sie erst einmal schauen, vielleicht bietet sich ja eine andere Möglichkeit zur Arbeit für sie. So weit, so gut und zum Teil ist das alles für mich auch nachvollziehbar. Wir sind in einer anderen Welt. Die Frau folgt dem Mann. Das kann man bewerten. Man kann es aber auch lassen. Denn solche Geschichten finden sich nicht nur in Japan, auch bei uns gibt es solche Entschlüsse. Man muss dies nicht gut finden, kann es aber auch als gegebenen Fakt hinnehmen. Allerdings ein Fakt, dem frau etwas skeptisch hinterherblickt.

Und so schaut sich Asahi in ihrem neuen Zuhause um. Sie langweilt sich im neuen Zuhause, dessen Anforderungen nicht so hochgesteckt sind. Latent und unterschwellig bemerkt man aber auch schon etwas Eigenwilliges. Die Schreibe, die Stimmung im Buch hat mich etwas an Haruki Murakami erinnert. Asahi unternimmt Streifzüge an ihrem neuen Domizil, erkundet ihre Umgebung, folgt einem komischen Tier und fällt in ein Loch. Ab diesem Zeitpunkt gewinnt diese eigenwillige Stimmung in dem Buch die Oberhand und als Leserin befinde ich mich in einem Lesesog, der mich nicht mehr loslässt. Asahi begegnet immer mehr latent surrealen Dingen, Situationen, Menschen. Und als Leserin verfolge ich beinahe atemlos, fast fiebrig das Geschehen.

Solch ein Gefühl liebe ich ja beim Lesen und die japanische Autorin Hiroko Oyamada erschafft dieses Gefühl fast mühelos. Das Buch ist ausgezeichnet worden, für mich ist dies völlig nachvollziehbar. Denn „Das Loch“ ist definitiv gelungen und wunderschön.

Das etwas distanziert Geschriebene dringt nicht völlig in mich ein und eine Nähe zu Asahi entsteht in mir während der Lektüre nicht vollkommen, daher meine 4 Sterne Bewertung. Dennoch ist diese 4 Sterne Bewertung sehr nah an den 5 Sternen angesiedelt. Denn dieser entstandene Lesesog während der Lektüre entschädigt für mich den angegebenen Kritikpunkt in einem hohen Maße. Ich kann „Das Loch“ auf jeden Fall sehr empfehlen. Ich habe es sehr gern gelesen und die kurze nur 128 Seiten lange Geschichte ist echt gelungen. Sie hätte durchaus länger sein können. Aber sie muss nicht länger sein. In dem Buch ist für mich alles drin, was hier reingehört. Ich habe nichts vermisst. Und ich empfehle das Buch jedem Freund japanischer Literatur, jedem Freund von schaurigen Geschichten. Unbedingt lesen ihr Lieben!

Bewertung vom 26.08.2025
Möge der Tigris um dich weinen
Malfatto, Emilienne

Möge der Tigris um dich weinen


sehr gut

Schwangerschaft als Todesurteil

Möge der Tigris um dich weinen. Es weinen hier aber noch einige mehr und nicht nur der Tigris. Sicher. Aber wer soll fanatisches Denken bekämpfen, wenn die Macht, die Gewalt, die Herrschaft bei den Fanatikern sitzt. Und was macht eine Familie, wenn diese Fanatiker in der eigenen Familie sitzen? Was kann so eine Familie tun? Außer dem Geschehen fassungslos beiwohnen. Dem Geschehen fassungslos beiwohnen müssen. Ohne etwas tun zu können, da man sich beim Tun selber gefährden würde. Sein eigenes Todesurteil unterschreiben würde. Kann man so ein Tun aus unserer Sicherheit heraus bewerten? Meiner Meinung nach nicht. Denn hier schwingt die Frage mit, was hätte man selbst getan. Und nun ja, die Heldendichte unter uns, nun ja, sie ist gering.

In „Möge der Tigris um dich weinen“ schaut Emilienne Malfatto auf eine irakische Familie, eine irakische Familie, die wegen der Gewalt aus Bagdad in die irakische Provinz flieht. Eine irakische Familie, die den Vater verliert. Einen Vater, den ich nicht unbedingt als Fanatiker wahrgenommen habe. Der älteste Sohn wird das Oberhaupt in der nun vaterlosen Familie, ein Sohn, der nun die Gewalt und die Macht innehat. Ein Sohn, ein junger Mensch mit wenig Lebenserfahrung. Ein Sohn, für den der Ehrbegriff Bedeutung hat und der anders beschrieben wird als der verstorbene Vater. Der Sohn ist ein Kämpfer, ist einer der Fanatiker. Obwohl ich sagen muss, dass er und auch sein Freund gegen den IS gekämpft haben, was wieder etwas für sie spricht, den Sohn jedoch nicht von diesen alten patriarchalen Sichten befreit. Die Tochter der Familie war mit dem Freund ihres Bruders zusammen. Doch hier stelle ich mir unweigerlich Fragen. Wie war dieses Zusammensein in der Familie geregelt, wie war dieses Zusammensein möglich? Diese Frage wird hier in dem Buch leider weniger betrachtet. Ich stelle sie mir dennoch. Kann dies möglich sein in der strengen irakischen Gesellschaft?

Fakt in dem Buch ist jedoch, die Tochter ist schwanger, der Freund des Bruders ist im Gefecht gestorben, ohne dass die junge Tochter mit ihm verheiratet war. Die Ehre der Familie und die Ehre der Tochter stehen nun auf dem Spiel. Das Todesurteil der jungen Frau ist damit unterschrieben. Ein schreckliches Szenario. Denn dass die Schwangerschaft, ein weiteres Leben also ein Grund für den Tod ist, dies ist wohl unbegreifbar. Und grauenhaft. Und es zeigt eine vollkommen kranke und lebensfeindliche Sicht!

Die Familienmitglieder kommen zu Wort und schildern ihre Sichten, ihre Meinungen, welche nicht völlig mit den Sichten des älteren Bruders zusammenfinden. Aber handlungsfähig ist wirklich niemand. Ein Horror. Ein Horror der mit dem Tod endet. Ein Tod, der die Familienmitglieder begleiten wird, ein Tod, der sie nie verlassen wird. Schrecklich!

Mit eingebunden in das Buch hat die Autorin auch die Vergangenheit des Irak, in dem sie den Tigris sprechen lässt und auch das Gilgamesch-Epos mit einbezieht. Ein Land mit einer großartigen Vergangenheit, in der auch Frauen gleichberechtigter in der Gesellschaft verortet waren, blickt auf dieses unsägliche Jetzt, das in Teilen der irakischen Gesellschaft zu finden ist. Hier ist es ein Grauen, das im Jetzt lebt. Meist ist es ja eher andersherum.

Das Buch ist sehr intensiv geschrieben. Eine intensive Schreibe, die wütend macht. Aber ebenso eine Schreibe, die auch etwas gefährlich ist. Denn irgendwie verleitet sie zu Verallgemeinerungen. Auch in der irakischen Gesellschaft wird es fortschrittlicheres Denken geben. Auch dort ist nicht jeder ein Fanatiker. Das darf man bei der Lektüre nicht vergessen. Nicht jeder würde ein Familienmitglied dem Ehrbegriff opfern und dann auch noch einen Menschen der eigenen Familie einfach umbringen. Das hoffe ich sehr. Das wünsche ich mir. Nur ob es wirklich so ist, kann ich leider nicht beurteilen. Leider. Ich denke mir nur, dass z. B. bei den Kurden, den Jeziden, den Assyrern/Aramäern/Mandäern, den Armeniern, den Juden, den Marsch-Arabern(Maadan) andere Betrachtungen zur Frau zu finden sind. Und ich möchte dies hier anmerken um Verallgemeinerungen zu vermeiden. Und ja, die Suche im Netz lässt mich hier frohlocken. Auch im Irak gibt es mittlerweile feministische Bewegungen. Yeah! Aber dennoch gibt es im Irak eben auch die schreckliche Einschränkung der Frauenrechte, die Entrechtung der Frauen, was das Buch ja thematisiert.

Das Buch ist intensiv und sehr traurig. Es bewegt sehr! Ich möchte auch in keiner Weise mit meinen Bemerkungen irgendwie die Grundaussage des Buches schmälern oder negieren. Denn dieses Buch ist richtig und überaus wichtig!

Bewertung vom 26.08.2025
Die Zeit der Fliegen
Piñeiro, Claudia

Die Zeit der Fliegen


sehr gut

Mütter und Töchter

Die Zeit der Fliegen. Was für ein Titel. Zieht so ein Titel an. Mich eigentlich nicht. Warum ich das Buch dennoch gelesen habe. Dies hängt sicher mit meiner Liebe zur lateinamerikanischen Literatur zusammen. Ebenso aber auch mit dem Cover. Ich muss es zugeben. Denn dieses Cover ist einfach gelungen! Fleischfressende Pflanzen und Fliegen vor einem schreiend pinken Hintergrund. Ein Hingucker. Definitiv. Wenn man dazu dann die Inhaltsangabe liest, in der von einer Unternehmung die Rede ist, die die Schädlingbekämpfung und eine Detektei beinhaltet, fragt man sich schon wie Cover und Inhaltsangabe zusammenhängen. Wer sind die Fliegen und wer die fleischfressenden Pflanzen? Auch von diesem Gedankengang her finde ich das Cover absolut gelungen.

Inés Experey, ehemals Pereyra und die Manca sind die Gründerinnen dieser Firma FFF – Frauen, Fliegen, Finale – Ökologische Schädlingsbekämpfung und Detektei, von Frauen für Frauen. Beide Frauen haben sich im Knast kennengelernt. Inés saß für den Mord an der Freundin ihres Mannes ein und die Manca wegen Drogengeschäften. Hier wird dann bei der Lektüre klarer, dass dieses Buch hier, „Die Zeit der Fliegen“ einen Vorgänger hat, den ich noch nicht kenne. „Ganz die Deine“ wäre dieser Vorgänger, in der die Geschichte um das Fremdgehen ihres Mannes Ernesto erzählt wird und Inés Reaktion darauf. Obwohl ich natürlich nicht ganz so darüber erfreut war und ich „Ganz die Deine“ definitiv auch noch lesen möchte, kann ich sagen, dass mir die Lektüre von „Ganz die Deine“ zum besseren Verständnis von „Die Zeit der Fliegen“ nicht gefehlt hat.

Inés hat das Vergangene natürlich nicht vergessen. Fünfzehn Jahre Knast haben sie aus ihrem Leben gerissen, Leerstellen hinterlassen, Leerstellen und Konflikte, die es auch schon vorher gab, aber nicht weiterbearbeitet werden konnten und damit immer noch im Raum stehen. Da ist das angeknackste Verhältnis von Inés zu ihrer Tochter Laura, ursächlich für diese Situation ist vielleicht auch das beschädigte Verhältnis zur eigenen Mutter, was Inés natürlich auch belastet. Auch ihre Tat scheint an Inés nicht spurlos vorbeigegangen zu sein, denn sie schaut auch differenzierend auf das Vergangene.

Ihre Freundin Manca sieht, dass etwas in Inés Leben nicht stimmt, möchte ihrer Freundin helfen, aber die Mauern, die Inés zum Selbstschutz errichtet hat sind hoch.

Erschwerend kommt hinzu, dass eine Kundin von Inés, Señora Bonar, Inés ein unmoralisches Angebot macht. Anscheinend ist auch sie betrogen worden, was ja Verbindungen erzeugt und möchte tätig werden, auch in dem Wissen um Inés Vergangenheit, bietet Inés eine Menge Geld für ihre Dienste an, für das Beschaffen von Gift. Das Wissen um eine schwere Erkrankung der Manca macht Inés hier die Entscheidung schwer, denn sie möchte sauber bleiben. Andererseits wieder. …

Dies zur Gemengelage im Buch. Doch das Buch ist in seiner Gestaltung noch etwas ausgeklügelter. Denn einerseits gibt es diese Handlung. Andererseits gibt es dazu diesen Chor, der Bezüge zur griechischen Tragödie hat, in dem aber weitere Sichten, feministische Sichten in das Buch eingestreut werden. Nachhallende Sichten, gesellschaftskritische Sichten an der argentinischen Wirklichkeit. Vielleicht ist hier auch ein gewisser Humor, ein zynischer Humor zu verspüren, den ich ja auch sehr liebe, aber eine Komödie habe ich in dem Buch nicht wahrgenommen. Diese Verbindung zur griechischen Tragödie fand ich recht gut gelungen, sie bereichert das Buch, lässt ja auch Erweiterungen gut zu.

Gelesen habe ich „Die Zeit der Fliegen“ sehr gern, allerdings ist auch noch Luft nach oben. Denn so richtig angezündet hat mich das Buch nicht, obwohl ja gerade die feministische Thematik und auch die lateinamerikanische Literatur mich schon zu Höhenflügen bringen. Dennoch ist „Die Zeit der Fliegen“ ein gutes Buch für mich, Charaktere und Handlung sind für meinen Geschmack gut ausgearbeitet und fesselnd war das Geschriebene allemal. Wenn man die Reaktionen in der Leserschaft ansieht, scheint dieses Buch durchaus auch etwas mit den Lesenden zu machen, denn die Reaktionen fallen doch recht unterschiedlich aus. Das Buch scheint etwas zu polarisieren.

Für mich war „Die Zeit der Fliegen“ ein 4 Sterne Buch und ich habe es sehr gern gelesen, auch wenn ich nicht gebrannt habe.

Bewertung vom 25.08.2025
Reservoir Bitches
de la Cerda, Dahlia

Reservoir Bitches


ausgezeichnet

Mexikanische Einblicke

In „Reservoir Bitches“ blickt Dahlia de la Cerda auf Mexiko, auf den dortigen Machismo und auf die Frauen von Mexiko. Es sind Erzählungen, andererseits wieder sind es keine Erzählungen, denn diese Erzählungen greifen teilweise ineinander ein. Charaktere kehren wieder, verbinden manche Erzählungen und machen dadurch die Erzählungen romanhafter, die Erzählungen verdichten sich in Richtung eines Episodenromans. Durch diese Verbindungen innerhalb der Erzählungen verdichtet sich für mich auch die Handlung, alles wird irgendwie noch intensiver. Wenn man dies so sagen kann, denn thematisch ist das Beschriebene schon intensiv genug.

Es geht um weibliches Leben, weibliches Erleben in einem vom Patriarchat förmlich verschlungenen Land. Es geht um die Frauen eines Landes, in dem Frauenrechte neu geschrieben werden müssen. Es geht um ein Land, in dem sich Frauen formieren und um ihre Rechte kämpfen, es geht um ein Land, in dem gerade eine feministische Revolte stattfindet. In dieses Bild passt das Buch der mexikanischen Autorin perfekt. Außerdem ist Dahlia de la Cerda Mitbegründerin der feministischen Organisation Morras Help Morras. Übrigens eine Organisation von vielen. In dem großen Land Mexiko ist das keine Überraschung, denn die Frauen des Landes werden nicht nur in der Hauptstadt, sondern in fast allen Bundesstaaten des Landes aufbegehren.

Das Patriarchat, der Machismo, die organisierte Kriminalität, die in vielerlei Hinsicht in die Strukturen des Landes eingesickert ist, sind natürlich an ihrem Machterhalt, an ihrem weiter bestehenden Geldfluss interessiert. Inwieweit die Kirchen des Landes an einem Bestehen der bisherigen Ordnung festhalten, kann ich nicht sagen. Allerdings verbinde ich hier meine Vermutungen. Denn Konservative und Kirchen sind ja oft miteinander verbunden.

Allerdings gewinnen Frauen in Mexiko an Macht, besetzen Stellen in der Politik, in der Öffentlichkeit, bringen Veränderungen, gewinnen Stimmen. Weibliche Stimmen. Denn wir sind die Hälfte der Bevölkerung. In Mexiko. Und auch an allen anderen Orten der Welt. Das sollte das Patriarchat nie vergessen. Dies vergisst es auch nicht. Denn es ist an seinem Machterhalt interessiert und versucht natürlich Neuerungen zu be- und verhindern. In Mexiko und auch sonst überall.

Was „Reservoir Bitches“ so intensiv macht, ist die geschilderte Gewalt an den weiblichen Charakteren. „Reservoir Bitches“ ist traurig, ist düster. Dennoch ist es auch voller Hoffnung. Denn die Frauen in den Erzählungen erscheinen wehrhafter, als man dies in einem Land des Machismo vermuten könnte. Wie auch das Beschriebene in einer jungen Sprache geschrieben ist, die die 1985 geborene Dahlia de la Cerda wunderbar benutzt und damit auch die Veränderung im Zeitgeist in Mexiko darlegt.

„Reservoir Bitches“ ist kein einfach zu lesendes Buch. Es ist kein sonniges Buch. Aber es ist ein wichtiges Buch. Denn Information und Blicke über den Tellerrand hinaus waren ja noch nie Fehler. Und das Wissen um das weibliche Aufbegehren in vielen Teilen der Welt ist eine gute Information. Das Wissen um die Taten des Patriarchats ist ebenso essentiell. Denn diese rückwärtsgewandten Kräfte formieren sich ja momentan in vielen Teilen der Erde, sie vernetzen sich, wollen eine Umstrukturierung, wollen die Macht bei sich wissen und damit auch das Geld. Gilead is coming. Das sollten wir wissen. Denn wie weit sind die Frauen der Erde von mexikanischen Verhältnissen entfernt? Eine Frage, die weh tut. Ich weiß. Aber wie weit ist die Frage von der Realität entfernt, wenn auch bei uns eine Partei so viele Stimmen bekommt, die ganz offen Frauenrechte beschneiden will und unseren Platz am Herd und in der Mutterschaft sieht. Nicht etwa im Job. Nein. Und solche Sichten in Zeiten, in denen es immer mehr an einer arbeitenden Bevölkerung fehlt. Da fragt frau sich schon, was soll das? Gilead winkt da fröhlich um die Ecke.

Lest „Reservoir Bitches“, es ist richtig gut. Es ist spannend geschrieben und es ist voller Kraft. Es ist voller Information! Informationen, die berühren, die unsagbar wütend machen, aber ebenso sind es auch Informationen, die wach rütteln, die wach rütteln können. Wenn mensch es zulässt.

Bewertung vom 25.08.2025
Die Stadt der Anderen
Melo, Patricia

Die Stadt der Anderen


ausgezeichnet

Berührende Einblicke

Die Stadt der Anderen. Welcher Anderen? Wer sind diese Anderen? Patrícia Melo beschreibt in ihrem Buch „Die Stadt der Anderen“ die Welten der Obdachlosen von São Paulo. Sie gibt diesen Anderen Gesichter, sie gibt diesen Anderen Leben, macht sie der Leserschaft greifbar.

Patrícia Melo lässt uns in eine andere Welt blicken, ermöglicht diesen vielbeschworenen Blick über den Tellerrand. Nun könnte man sich in seiner vermeintlich sicheren Welt zurücklehnen und für sich schlussfolgern, dass es hier eben diese Anderen sind, um die es hier geht. Doch ist dies wirklich so? Sind diese hier beschriebenen Anderen wirklich die Anderen, oder sind es wir alle?

Das ist eine Frage, die schmerzlich sein könnte!

Denn in unserer leistungsorientierten Welt zählt der Leistende. Und es zählt der Vermögende. Und diese Anderen? Da wir ein sozialer Staat sind, werden auch die Anderen unterstützt. Noch. Denn auch bei uns werden diese Stimmen lauter, die diesen Anderen ihre Sicherung minimieren möchten. Kürzungen im sozialen Bereich liefen schon und laufen weiter. Was kommt dann noch? Wie weit sind wir dann von diesen hier beschriebenen Verhältnissen in São Paulo entfernt? Wann ist diese Stadt der Anderen bei uns? Wollen wir das?

Aus dieser Sicht heraus ist „Die Stadt der Anderen“ ein überaus wichtiges Buch. Man kann es lesen und diese hier beschriebene Welt in São Paulo verorten. Man kann sich nach der sehr berührenden Lektüre zurücklehnen und sich in seiner Sicherheit wiegen. In dieser vermeintlichen Sicherheit.

Man könnte auch bei den Anderen verbleiben und ihnen diese sich schnell anbietende Schuldzuweisung zukommen lassen. Man könnte das. Aber will man das als lesender Mensch? Denn die Welt der Literatur macht ja etwas mit uns. Sie gewährt Einblicke. Und diese Anderen sind meiner Meinung nach wir alle. Suchterkrankungen sind Erkrankungen. Punkt. Wie viele anderen Erkrankungen gibt es, die die eigene Leistung behindern und auch verhindern? Was ist man dann wert in dieser leistungs- und gewinnorientierten Gesellschaft, in der sich zunehmend auch recht gewissenlose Subjekte in höheren Positionen tummeln?

Diese Frage tut weh, ich weiß.

Und die vermeintliche Sicherheit, in die man sich zurückziehen möchte, ist schwankend und fragil. Und diese Sicherheit wird immer fragiler. Sie ist zerbrechlich.

„Die Stadt der Anderen“ zeigt eine Welt, in der wir nicht leben wollen, in der aber Teile unserer Gesellschaft in einem gewissen Maße schon leben. Auch dies sollte uns bewusst sein. Suchterkrankungen gibt es auch bei uns, Menschen in ausweglosen Situationen ebenso, auch Obdachlose befinden sich schon in unseren Städten. „Die Stadt der Anderen“ ist also schon da, auch wenn wir sehr gern die Augen davor verschließen möchten. Diese Stadt der Anderen ist bei uns sicher noch nicht so ausgeprägt wie hier in São Paulo beschrieben. Aber müssen wir so lange warten bis diese Zustände auch bei uns zutreffen?

Das Buch stellt die Frage wie wertvoll jeder Mensch in unseren Landen ist. Manche sehen hier ja Unterschiede. Andererseits kann man auch fragen, wie krank so eine Unterteilung ist. Denn in der Geschichte zeigt sich ja, wohin solche Einteilungen führen können.

Patrícia Melo hat mit „Die Stadt der Anderen“ ein soghaft-spannendes Buch geschrieben, ein berührend-emotionales Buch. Es zeigt auf was in unseren Gesellschaften los ist, es zeigt diese Anderen, gibt ihnen Stimmen und Gesichter, macht sie erlebbar. Was dieses Buch mit uns als Lesenden macht, muss jede/r für sich selbst entscheiden.

Mich hat „Die Stadt der Anderen“ tief berührt und für mich war dieses Buch von Patrícia Melo ein Lesehighlight in diesem Lesejahr 2025. ❤

Bewertung vom 25.08.2025
Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch
Schmitter, Elke

Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch


ausgezeichnet

Bildung über die Einbildung

Alles, was man über Liebe weiß. Das klingt vielversprechend. Denn da kommt wohl so einiges zusammen. Und ja, Elke Schmitters Buch verspricht viel und für mich hat dieses Buch das gegebene Versprechen auch eingelöst. Empathisch und emotional eingelöst.

Beschrieben ist dieses Buch mit dem Wort EINBILDUNGSROMAN. Was Leser doch irgendwie aufblicken lässt. Denn in genau dieser Beschreibung/dieser Schreibweise steckt ja wohl ein Grund, eine Absicht.

Bei der Lektüre entfaltet sich diese Schreibweise, denn das Buch ist in zwei gehaltvolle Teile gegliedert.

Der erste Teil ist dann wohl dieser Bildungsroman, denn in diesem Teil erzählt Elke Schmitter, übrigens mit vielen Fußnoten versehen, vielschichtig und vielstimmig über diese so tiefgreifende Emotion, die uns ereilen kann und definitiv ereilen sollte. Die Liebe. Was passiert mit den Liebenden, was passiert mit dem Menschen, was passiert in ihm/ihr? Was macht dieses Gefühl? Was kann es auslösen? Was passiert mit uns, im Gefühl und auch danach? Psychologische Sichten zum Thema, soziologische Blicke und auch philosophische Sichten erweitern diese Blicke auf das Konstrukt Liebe. Blicke auf die Romantik. Blicke auf die Liebe in Literatur und Kunst. Auch dies wird hier erörtert. In Blicken auf Tagebücher wird auch die Liebe in vergangenen Zeiten in Augenschein genommen. Und mit diesem Hochgefühl auch das durchaus passende Pendant, das Liebesleid. Denn diese Irrungen und Wirrungen erzeugen ja nicht nur Glückseligkeit. Braucht man dann diese romantische Liebe? Meiner Meinung nach Ja. Denn ohne dieses Gefühl würde wohl im Leben etwas fehlen. Etwas Essentielles. Dennoch ist das Konstrukt der Liebe durchaus hinterfragbar. Und diese Fragen werden hier auch gestellt. Indirekt und direkt. Zu welchem Schluss hier jeder kommt. Nun denn. Findet es heraus.

Der zweite Teil des Buches befasst sich mit der Beschreibung Einbildungsroman. Es geht um das Miteinander von Helena und Levin. Es geht um das rosarote Gefühl und es geht um das Erwachen aus diesem wattigen Gefühl, es geht um den Fall aus den Wolken. Es geht um den Kampf dagegen, die Versuche des Schönredens, des Nichtloslassenwollens.

Nun könnte man hier durchaus in die Versuchung geraten eine Bewertung einzuflechten. Sich mit dieser Bewertung auch schützen. Schützen wollen. Doch warum machen manche Menschen so etwas? Sich davon abgrenzen wollen. Denn kann man sich davon abgrenzen? Warum wird dies so negativ aufgenommen? Kommt dies von der eigenen schon durchlebten Erfahrung? Oder von der selbst empfundenen Abscheu vor den negativen Geschehnissen? Oder von der Bewertung der Betroffenen als Verlierer? Denn gibt es Menschen, die vor so einer Einbildungskraft gefeit sind? Oder hängt dies nicht auch mit dem bisher Erlebten zusammen, dass man manchmal nicht wahrhaben möchte, nicht wahrhaben kann? Und das bisher Erlebte, ist das immer steuerbar? Meiner Meinung nach mitnichten. Aber auch hier. Findet heraus, wie ihr dazu steht.

Mich hat dieser zweite Teil getriggert, Erinnerungen hochgeholt und auch eine Scham. Doch genauso wie diese Empfindungen kamen, kam auch ein Verständnis, ein heilsames Verständnis. Denn manchmal geht es nicht anders. Leider. Um so schöner dies später aus einem anderen Licht sehen zu können. Und auch etwas darüber lächeln zu können. Über sich selbst zu lächeln. Denn dieses Ganze impliziert halt auch ein war, eine Vergangenheit. Und das ist gut so.

Denn letztlich macht ja alles, was damals war, dieses Jetzt. Das Damals macht das Jetzt erst möglich. Auch Helena tendiert in diese Richtung.

In dem Buch „Alles, was ich über Liebe weiß, steht in diesem Buch“ von Elke Schmitter steht alles über die Liebe. Meiner Meinung nach. Alles an Bildung. Aber auch alles von der Einbildung. Das Buch macht diese Einbildung, das Warum der Einbildung greifbar und verständlich. Für daran Interessierte ist dieses Buch durchaus ein Gewinn. Für mich war es definitiv ein Gewinn. Aus verschiedenen Gründen.

Bewertung vom 25.08.2025
Diese brennende Leere
Comensal, Jorge

Diese brennende Leere


sehr gut

Blicke ins Gestern und Blicke auf das Jetzt

Die Handlung des Buches ist in Mexiko City im Jahre 2030 angesiedelt. Das sind 5 Jahre in der Zukunft, zur Zeit der Ersterscheinung des Buches 2022 waren es dann 8 Jahre. Reicht das um eine dystopische Verbindung knüpfen zu können. Denn ganz leicht hüpft sie hier in der Geschichte um die Ecke. Aber kann man ein Geschehen dystopisch nennen, welches ja momentan schon spürbar ist, sich also auch in den kommenden Jahren abzeichnen wird, nur halt etwas stärker. Leichte dystopische Tendenzen habe ich wahrgenommen, aber irgendwie erleben wir ja auch schon heute diese Dystopie. Und damit wäre es ja keine.

Der Klimawandel. Ja, klar. Manche denken ja immer noch, dass es diesen nicht gibt. Aber diese Menschen vermuten uns wahrscheinlich auch noch auf einer Scheibe, diffamieren Frauen als Hexen und LGBTQIA+ möchten sie ganz weit hinten versteckt wissen, wenn nicht sogar noch schlimmeres. Wir merken auf, für mich gibt es den Klimawandel. Und für mich gibt es auch noch so einiges mehr.

Und dies ist auch ein Grund, warum mir dieses Buch hier, „Diese brennende Leere“ von Jorge Comensal sehr gefallen hat.

„Diese brennende Leere“ vom mexikanischen Autor Jorge Comensal ist ein Buch, welches sich thematisch recht vielschichtig bewegt. Auf einer Familiengeschichte eingebettet, erzählt Jorge Comensal über die junge Physikerin Karina, durchaus auch eine Geschichte über weibliches Leben, weibliches Erleben in Mexiko, und damit erzählt er auch einen veränderten Blick im Lande des Machismo. Eben jene Physikerin Karina kümmert sich um ihre Oma Rebeca, diese ist alt, krank und hat auch ein Suchtproblem. Doch beide haben auch noch ein anderes Problem. Karinas Eltern hatten einen Autounfall und sie werden vermisst. Doch irgendetwas an der Geschichte, die Rebeca Karina erzählt hat stört Karina und so sucht sie sich Hilfe und diese Hilfe erscheint in der Figur des traumatisiert wirkenden Silverio, einen irgendwie vor sich hinlebenden Friedhofswärter, der mit seinem Leben hadert und mit dem Überleben beschäftigt ist. Die Hitze in der Stadt wird thematisiert und damit auch der Klimawandel, Hitze hat Folgen und so kommt auch schnell das Feuer ins Spiel. Im Park Chapultepec. Wo sich auch ein Zoo und der Friedhof befinden. Und damit kommen zu den bestehenden Thematiken noch die Tierhaltung, die Zoologie und der Artenschutz in die Handlung des Buches. Ebenso wie der mexikanische Umgang mit dem Tod, ich sag nur Dia de los Muertos und auch andere Formen der Spiritualität und mit ihr auch ein kleiner Funken Magischer Realismus. Mit der Tochter von Silverio, mit Daenerys kommt noch der Aktivismus ins Spiel, der junge Blick auf das Jetzt oder im Buch auf das Morgen, und irgendwie auch das heutige Morgen.

Nun könnte man nach dieser Auflistung meinen dies wäre zu viel an Themen. Dieses Gefühl hatte ich nun während der Lektüre gar nicht. Ich habe mich bestens unterhalten gefühlt bei der durchaus spannenden Reise durch die 416 Seiten. „Diese brennende Leere“ ist ein geschickt konstruiertes Buch, fesselnd geschrieben und auch inhaltlich sehr überzeugend, es passt sehr gut in unsere Zeit, die Figuren sind glaubhaft gezeichnet.

Nur das Feuer in in mir ist nicht entstanden. Was irgendwie schade ist bei dieser Thematik. Keiner der Charaktere hat mich im Innersten erreicht, aber gut, dies muss ja auch nicht immer der Fall sein. Um so schöner ist das Gefühl, wenn es dann einmal so ist. Dennoch ist „Diese brennende Leere“ ein richtig gutes und perfekt in die heutige Zeit passendes Buch und ich kann es wirklich empfehlen.

Bewertung vom 25.08.2025
Die Stimmen des Yucumã
Kretzmann, Morgana

Die Stimmen des Yucumã


sehr gut

Naturschutz und Magischer Realismus

Die menschliche Gier, menschliche Ränke, Korruption, Naturschutz, Familienfehden, Familiengeheimnisse, etwas Magischer Realismus und starke weibliche Charaktere bringt die brasilianische Autorin Morgana Kretzmann in ihrem spannenden Roman „Die Stimmen des Yucumã“ unter.

Angesiedelt ist der Roman im real existierenden Turvo-Nationalpark (Parque Estadual do Turvo) in Brasilien, im Bundesstaat Rio Grande do Sul. Und auch der Kampf gegen den Stausee hat reale Hintergründe, 2015 wurde vom Gericht gegen das vom IBAMA (Brasilianisches Institut für Umwelt und erneuerbare natürliche Ressourcen) genehmigte Staudammprojekt eine Unterlassungsverfügung erreicht, da der Staudamm Teile des Turvo-Parks überflutet hätte und damit erreichten Naturschutz zunichte gemacht hätte. Dies zum Hintergrund des Buchs. Denn mit diesem Wissen wird die Handlung des Romans irgendwie greifbarer. Denn menschliche Gier, menschliche Gewinnsucht und eine real existierende Korruption sind sicher an vielen Orten der Welt bemerkbar, so auch in Brasilien. Von 2011 bis 2016 war Dilma Rousseff Präsidentin des Landes. Und auch ihre Zeit war gespickt mit Korruption, Gewalt gegenüber Protesten im eigenen Land und einer sinkenden Wirtschaftsleistung, wie auch bei Vorgängern und Nachfolgern zu beobachten ist. Aber Veränderungen brauchen Zeit, dies sollte man nicht vergessen. Und altbekannte Strukturen verändern sich auch nicht von heute auf morgen.

In diese Realität baut Morgana Kretzmann ihre Figuren ein. Es gibt Familien, Familien mit dunklen Geheimnissen, miteinander verfehdete Familien, wobei sich die Gründe für diese Fehden nach und nach aufklären, und es gibt starke weibliche Charaktere, die Parkrangerin Chaya, ihre Cousine Preta, die Anführerin der Pies Rubros, eine Gruppe von Jäger*innen und Schmuggler*innen und Olga, einerseits eine Assistentin eines Kongressabgeordneten, andererseits auch eine Journalistin. Die drei Frauen kennen sich von früh an, waren befreundet, sind aber durch gewisse Ereignisse in der Vergangenheit miteinander in einen Clinch geraten. Jetzt geht es allerdings um den Schutz des Parks und seiner Tiere, unter ihnen auch der Jaguar, übrigens ein verehrtes Wesen der Indigenen, der auch eine gewisse Stimme im Buch bekommt und auch um das Vermächtnis eines Urahnen von Chaya und Preta, dem Vermächtnis von Sarampião. Jetzt steht dies im Vordergrund und nicht die Rivalitäten der Frauen. In den Mythen um den Wasserfall Yucumã sind indigene Spuren enthalten und auch in der Denke der Protas findet man so einiges uraltes. Eine gewisse Portion Magischer Realismus im Text zollt den einstigen Herren des Landes ebenso einen gewissen Respekt. Das hat mir sehr gefallen. Dass es weibliche Helden gibt, hat mir auch sehr gefallen, vielleicht deutet dies auf eine Veränderung des bisher von mir eher in Brasilien vermuteten Machismo hin. Vielleicht. Nicht gefallen hat mir teilweise die Art der erzählten Geschichte. Manchmal erinnerte sie mich leider an eine Telenovela, dann wieder ist sie spannend und mitreißend. Durch dieses Wechselnde im Erzählten kommt auch meine 4 Punkte Bewertung zustande. Wäre dieses etwas Seifige nicht gewesen, wäre das Erzählte an manchen Stellen etwas realer gewesen, dann wäre „Die Stimmen des Yucumã“ ein 5 Sterne Buch für mich geworden. Denn diese Thematik, klar mit so einer Thematik hat man mich recht schnell auf seiner Seite. Naturschutz, Magischer Realismus, indigene Einflüsse, starke weibliche Charaktere und eine anklagende Gesellschaftskritik, dies hat mir sehr gefallen. Nur das Stil des Erzählten hat mich leider nicht völlig überzeugen können. Leider! Denn dieses Buch wollte ich als ein 5 Sterne Buch abfeiern können.

Bewertung vom 25.08.2025
Sein Name ist Donner
Talty, Morgan

Sein Name ist Donner


ausgezeichnet

Leben im Reservat

Morgan Talty ist ein indigener Autor und gehört der Penobscot Indian Nation an. Die Penobscot sind ein Volk der Algonkin Sprachfamilie, deren Mitglieder einst große Teile von Nordamerika besiedelten. Einst waren sie Teil der großen Wabanaki Konföderation, die sie mit den Mikmaq, Maliseet, Passamaquoddy und den eigentlichen Abenaki bildeten und die die USA (Maine, New Hampshire und Vermont) und Kanada (New Brunswick, Nova Scotia, Quebec, Prince Edward Island und Neufundland) besiedelten. Die Penobscot waren im Tal des Penobscot River im heutigen Maine beheimatet. Alle diese Völker gibt es auch heute noch, was ein Glücksfall ist, denn die meisten Indigenen sind ja bekanntlich verschwunden. Vielleicht hat hier diese Abgeschiedenheit in den nördlichen Gefilden geholfen.

Morgan Talty ist in Bridgeport, Connecticut geboren und lebte dort mit seiner Mutter bis er 6 Jahre alt war, dann zogen sie ins Penobscot Reservat in Maine um. Sie fanden hier ein anderes Leben vor. Ein prägendes Leben, das Morgan Talty bis er 18 Jahre alt war im Reservat durchlief. Erst dann fand er für sich andere Wege

Heute unterrichtet Morgan Talty in den Universitäten von Orono und Portland in Maine Kreatives Schreiben. Und er schreibt selbst. Bisher erschienen zwei Bücher. Sein Debut „Nigth oft he living Rez“ erschien 2022 und liegt hier in diesem Buch in deutscher Übersetzung aus dem Englischen vor. Sein zweites Buch „Fire exit“ erschien 2024 in den USA.

Sein Buch erschien in Englisch, was vielleicht erstaunen mag, denn es könnte ja auch in der Penobscot Sprache geschrieben sein. Doch hier wird es schwierig. Die letzte Penobscot Sprecherin starb 1990. Was macht das wohl mit einem Volk, welches sich selbst als Volk wahrnimmt, dessen Sprache aber verschwunden ist und sich die Angehörigen des Volkes nun in Englisch, in der Sprache der Eroberer unterhalten. Auch dies thematisiert Morgan Talty in seinem Buch.

Ebenso wie er das Leben im Reservat in seinem Buch spiegelt. Nun mag diese gezeichnete und empfundene Ausweglosigkeit, dieser Konsum von Substanzen für manche sicher etwas befremdlich vorkommen. Denn hier schwingt ein unausgesprochenes Warum mit. Doch sicher ist ein Sprung aus diesen Verhältnissen schwierig. Denn dieses eventuelle negative Selbstwahrnehmen, dieses die Sicht der Eroberer übergestülpt bekommen, dieser Bürger zweiter Klasse sein, macht etwas mit den Menschen. Morgan Talty ist dieser Sprung gelungen, was bewundernswert ist, sehr bewundernswert. Gerade wenn man impliziert, was dieses Aufwachsen für ihn bedeutet hat. Denn dieses Buch hier ist dazu sehr bedeutsam.

Das Leben in den Reservaten kannte ich schon von anderen Büchern. Angefangen hat dieses Erkennen bei mir mit den Büchern von Liselotte Welskopf-Henrich, mit ihrer Pentalogie „Das Blut des Adlers“. Weitergegangen ist es mit Büchern von Louise Erdrich, Naomi Fontaine, Tommy Orange und Natasha Kanapé Fontaine. Wobei diese zuletzt genannten Autoren alle selbst indigene Wurzeln haben. Auch weitere Autoren haben sich mit dieser Thematik befasst, ich nenne hier mal noch Jacques Poulin, Éric Plamondon und Frauke Buchholz. Alles Buchtipps übrigens. Weitere Autoren mit ihren Büchern warten noch auf ihre Lesezeit, ich denke hier besonders an Michel Jean und Richard Wagamese. Und ja, diese Thematik hat eine Wichtigkeit bei mir. Schon lange. Und weiterhin.

Mich hat Morgan Talty mit seinem eindringlichen Buch hier sehr beeindruckt. Ich erhoffe mir sehr, dass auch das zweite Buch von ihm auf Deutsch erscheint. Denn diese Thematik hier, sie beschäftigt mich, sie treibt mich um. Und Morgan Talty hat mit seinem Buch mein inneres Feuer geschürt.

Lest es und schaut selbst!

Für mich ist „Sein Name ist Donner“ definitiv ein Jahreshighlight in diesem Lesejahr 2025! ❤

Bewertung vom 25.08.2025
Jenseits aller Zeit
Barry, Sebastian

Jenseits aller Zeit


ausgezeichnet

Liebe

Tom Kettle ist die Hauptfigur in dem Roman „Jenseits aller Zeit“ von Sebastian Barry. Jahre voller Arbeit sind vorbei und der verdiente Ruhestand ist das Jetzt. Ein Domizil an der irischen Küste, der Blick auf das Meer. Idyllisch. Könnte man meinen. Tom versinnbildlicht den Ruhestand mit dem Nichtstun und das tut er, rauchend und aufs Meer schauend. Er macht nichts. Doch sein Hirn lässt dieses Nichts nicht zu. Und so wird hinter dem Alleinsein von Tom schnell klar. Hier war mehr, hier ist mehr.

Und nicht nur das. Die Polizei klopft an, die alten Kollegen von Tom schauen vorbei. Und mit ihnen kommt ebenso das Vergangene wieder ins Leben von Tom Kettle und lässt ihm keine Ruhe.

Sebastian Barry kenne ich schon von den wunderbaren Büchern „Tage ohne Ende“, „Tausend Monde“ und „Mein fernes, fremdes Land“. Alle waren sie 5 Sterne Bücher für mich. Ein männlicher Autor, der es schafft, sich in mein Herz zu schreiben. Dies ist nicht oft bei mir zu beobachten. Meist sind es weibliche Blicke, die in mich eindringen und mein Herz entflammen, mein Hirn hell auflodern lassen. Aber Sebastian Barry schafft dies auch. Und er schafft das wiederholt. Das vierte Mal sozusagen. Vier Bücher habe ich bisher von ihm gelesen und viermal wurden 5 Sterne erreicht. Nun werden sich hier manche wundern und denken, was hat dieser Umstand für eine Wichtigkeit. Dass ein männlicher Autor so etwas schafft. Denn für viele Leser gibt es ja viele Männer/männliche Autoren/männliche Sichten, die berühren. Nun. Genau dies ist bisher bei mir weniger der Fall. Ich werde oft einfach weniger berührt, öfter enttäuscht. Ich denke auch, dass ich vermehrt zu weiblichen Autoren greife. Ohne dies mit einer weiblich besetzten WIchtigkeit zu tun, natürlich. Sie sprechen mich einfach oft thematisch mehr an, sie schreiben vielschichtiger, blicken weiter. Oft, nicht immer wohlgemerkt. Also, Luft holen und schön ruhig weiter atmen. Denn das soll hier natürlich nicht in einem Klischee ausarten und auch deswegen meine Lobeshymne auf Sebastian Barry. Wie auch auf so zwei/drei weitere männliche Autoren.

Vielleicht macht auch die irische Literatur etwas mit mir. Denn wenn ich auf meinem Blog nachschaue und dem Link zur Irischen Literatur folge, finde ich viele Schätze. Intensive Bücher. Entzündende Bücher. Von Männern und Frauen. Auffallend viele 5 Sterne Bücher. Nun gut, vielleicht hat das auch mit der Vorauswahl zu tun, die ja Andere treffen, bevor ein Buch es zu uns auf unseren Markt schafft. Hier wird ja die Spreu vom Weizen getrennt. Wenn man dies so sagen darf. Dennoch finde ich das etwas auffallend und auch etwas sonderbar. Ich werde das mal weiter beobachten. Denn um mal noch etwas weiter auszuholen, es gab auch eine gewisse Affinität zum Keltentum in mir. Früher, vielleicht auch noch jetzt. Keine Ahnung.

Aber zurück zum Herrn Barry. Ich kann ihn nur wärmstens empfehlen. Ich liebe diese vier Bücher alle! Ich liebe ihre Charaktere, ich liebe ihre Geschichten. Ich liebe diese Färbung, dieses Gefühl in mir bei der Lektüre. Ich liebe diese wiederkehrenden Familiennamen. Ja. Auch hier wieder. Man müsste dies einmal gesamt beobachten. Also dann, wenn ich alle Bücher von Sebastian Barry gelesen habe. Also dauert es noch. 😊 Denn lesen möchte ich so viele Bücher. Aber ich möchte auch alles von Sebastian Barry lesen. Irgendwann.

Und ich vermute einfach, dass die Zahl der 5 Sterne Bücher sich mit jedem weiteren gelesenen Buch von Sebastian Barry erhöhen wird. Denn seine Sichten werden ähnlich bleiben und seine Charaktere sicher ebenso.

Von daher und auch wegen meiner Kenntnis der vier schon gelesenen Bücher von Sebastian Barry.

Leute, lest unbedingt Bücher von Sebastian Barry. Ein wirklicher Lesegenuss für mich. In diesem Urteil stehe ich sicher nicht allein. Absolute Sebastian Barry Liebe hier. ❤