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kaffeeelse
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psychologiebegeiste und Ethnographie liebende Vielleserin

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Insgesamt 133 Bewertungen
Bewertung vom 15.12.2025
Das Schwarz an den Händen meines Vaters
Schätte, Lena

Das Schwarz an den Händen meines Vaters


ausgezeichnet

Der Alkohol

Wieder ein Buch von der Longlist und wieder ein Knaller. Ein Blick auf die Alkoholsucht. Klar, dass dies mich einfängt. Arbeite ich doch seit vielen Jahren in der Psychiatrie und natürlich habe ich viele Menschen mit genau diesem Krankheitsbild kennengelernt. Ich wollte immer in die Psychiatrie und ich habe diesen Schritt/diese Entscheidung nie bereut. Die Umstände in der Medizin, die sich in den vielen Jahren merklich zum Negativen verändert haben, sind ein Grund zum Verzweifeln. Ja. Aber nicht die Arbeit. Nicht die Psychiatrie. Ich bin ein empathischer und gefühlsbetonter Mensch. So zu sein hat zwei Seiten, wie fast alles im Leben. Man empfindet und kann reagieren. So reagieren, dass es dem Gegenüber etwas bringt, zeigen, dass man Verständnis hat und gleichzeitig auch ein Vielleicht ermöglichen. Ein Vielleicht, was schlussendlich der Patient umsetzen muss. Eine Aktion, die aus dem Verständnis der Erkrankung erwächst, erwachsen muss. Aber gerade dies ist ein sehr schwerer Schritt. Die zweite Seite bei einem empathischen Wesen ist, dass man für dieses Fühlen einen Preis zu zahlen hat. Denn dieses Empathisch sein macht auch Türen auf. Türen, die dem Negativen Einlass gewähren. Mit dem man dann zu kämpfen hat! Aber man ist ja hier, um zu lernen. Und so lernt man dann. Weil man es muss und will. Denn das Leben ist schön, wie Frieda sagte! Die ja mit dem Alkohol auch ihre Erfahrungen gemacht hat.

Lena Schätte ist wie ich Psychiatriekrankenschwester. Sie kennt das psychiatrische Erleben. Sie kennt die psychiatrischen Erkrankungen. Sie kennt die Suchterkrankungen. Und sie schreibt in diesem Buch darüber. Intensiv, schonungslos und sehr berührend! „Das Schwarz an den Händen meines Vaters“ ist ein Blick auf einen suchterkrankten Vater, genauso ist es aber auch ein Blick auf die gesamte Familie. Denn psychiatrische Erkrankungen betreffen den Erkrankten, aber auch das gesamte Umfeld. Psychiatrische Erkrankungen infiltrieren die Umgebung mehr, als es die meisten anderen Erkrankungen tun. Hier erkrankt ein Mensch, betroffen sind aber Viele mehr. Und dies macht psychiatrische Erkrankungen so ungemein tückisch, bösartig und dunkel.

Lena Schätte beschreibt hier einen sehr negativen Prozess. Dies mag die Lesenden sicherlich sehr anfassen. Dennoch entbehrt es nicht einer tiefen Wahrheit. Psychiatrische Erkrankungen töten. Auch dies ist ein Grund, dass ihnen endlich ein angemessener Platz in unserer Gesellschaft gebührt. Denn es sind eben nicht die Anderen, die krank werden. Es sind wir alle! Und dies müssen wir begreifen. Nur so lassen sie sich minimieren. Hier ist in den letzten Jahren schon einiges passiert. Die Anzahl der Psychosen geht meiner Meinung nach etwas zurück, vielleicht liegt das an der nunmehr verbesserten medizinischen Versorgung, so dass einerseits eher reagiert wird und auch durch verbesserte Medikationen schlimme Verläufe minimiert werden konnten. Bei den depressiven Erkrankungen und bei den Suchterkrankungen sehe ich eher eine Anhäufung. Ein Verständnis kann hier helfen, Veränderungen in der Gesellschaft zum Beispiel, ein empathischeres Menschenbild in D, etwas weniger Druck in unserer Gesellschaft und etwas weniger starres Denken. Fromme Wünsche. Ich weiß. Gerade jetzt.

Aber eine Information kann hier durchaus helfen. Und in der Literatur finde ich gerade in den letzten Jahren viele Beispiele, die ein Verständnis von psychiatrischen Erkrankungen ermöglichen.

So auch dieses Buch hier. „Das Schwarz an den Händen meines Vaters“ von Lena Schätte. Ein Blick auf einen alkoholkranken Vater, ein Blick auf seine Tochter, die ähnliche Verhaltensweisen zeigt. Ein Blick auf den Alkohol, dem wir ja in unserer Gesellschaft einen großen Platz einräumen. Wir alle. Ich ebenso. Und der etwas mit uns macht. Was wir alle wissen. Aber manchmal ist es schwer. Und ein Glas hilft beim Entspannen. Wer kennt es nicht?

Doch es gibt sie. Diejenigen, die es nicht kennen. Nicht mehr kennen. Diejenigen, die der Suchtspirale entkommen sind. Denn genau das geht. Es ist schwer, sehr schwer. Aber es ist möglich. Das sollte man nicht vergessen. Denn Entspannen kann man auf vielerlei Weise.

Auch das zeigt ja dieses Buch, die Möglichkeit des Entkommens!

Das Buch „Das Schwarz an den Händen meines Vaters“ von Lena Schätte reiht sich in die anderen Positiv-Erfahrungen aus der Longlist ein, ich werde weiter der Longlist nachforschen und viele weitere Schätze finden. Wie auch „Das Schwarz an den Händen meines Vaters“ ein Schatz ist. Lesen!

Bewertung vom 15.12.2025
ë
Kicaj, Jehona

ë


ausgezeichnet

Das Gestern und das Jetzt

Wer etwas darüber erfahren möchte, was Krieg, Flucht und Asyl mit Menschen machen, ist bei dem Buch „ë“ von Jehona Kicay völlig richtig. Wieder ein Buch von der Longlist des Deutschen Buchpreises, welches mich völlig überwältigt hat.

„ë“ ist ein dünnes nur 176 Seiten starkes Büchlein und es hat mich völlig in seinen Bann gezogen. Ich hatte das Gefühl einen Wälzer gelesen zu haben. Denn inhaltlich hat dieses Büchlein mehr in sich als die Seitenanzahl vermuten lässt. Eine Erzählstimme berichtet von ihrem Neuanfang in einem anderen Land. Aber gibt es diesen Neuanfang wirklich? Denn wie viel von der erlebten Vergangenheit schleppt man weiter mit sich herum? Inwieweit kann man vergessen? Was will man wirklich vergessen? Was kann man vergessen? Teile des eigenen Lebens. Traumatische Erfahrungen. Geht ein furchtbares Erleben wieder aus dem eigenen Kopf raus? Was bedeutet dieses so oft zitierte Verarbeiten von Traumata? Ein Negieren. Ein Löschen. Ein damit leben können. Ein damit leben müssen. ???

Die weibliche Erzählstimme ist im Kosovo geboren, ist Albanerin, hat den Kosovo-Krieg erlebt. Kennt das damalige Grauen. Lebt jetzt in Deutschland. Aber in ihr lebt auch die Vergangenheit. Das Trauma! Der Verlust! Ein Schnitt! Ein Einschnitt! Eine Wunde! Eine schwärende Wunde!

Was macht so ein erlebtes Trauma mit den Betroffenen? Es verändert. Klar. Definitiv.

Ein Leben im Asyl. Fernab der Heimat. Fernab der Wurzeln. Fernab der eigenen Sprache. Ein Leben in einem neuen Land. Das Leben besteht aus Begegnungen. Nicht immer nur positive Begegnungen. Was triggert Betroffene? Was kann Betroffene triggern. Nicht jeder von uns ist mit Empathie gesegnet. Dies triggert. Und auch nicht jeder empathische Mensch ist immer vollkommen empathisch. Jeder von uns macht Fehler. Folgenschwere Fehler. Auch darüber berichtet dieses Buch.

So viel Inhalt auf diesen Seiten. Ein tief berührendes Buch! Ein kluges Buch! Ein eindringliches Buch! Es gibt hier nicht den erhobenen Zeigefinger. Es gibt eine Protagonistin, die von ihrem Damals und von ihrem Jetzt berichtet. Sie berichtet still und ruhig. Gerade dadurch schlägt dieses Buch so ein. Bei mir. Und sicher auch bei vielen anderen Leser*innen. Ein Lesehighlight für mich in diesem Lesejahr 2025.

Eine Leseempfehlung! Unbedingt lesen!

Bewertung vom 15.12.2025
Das hier ist nicht Miami
Melchor, Fernanda

Das hier ist nicht Miami


sehr gut

Das hier ist Veracruz!

Fernanda Melchor „Das hier ist nicht Miami“. Ein weiteres Buch über Mexiko, welches sich vor meine Augen schlich und damit mexikanische Lebenswelten sichtbarer macht. Wenn ich mal von den ganzen Büchern über Frieda Kahlo absehe, gab es in der letzten Zeit noch einige Bücher mehr, die mich über Mexiko informierten. Seien es geschichtliche und daraus resultierende Wahrnehmungen im Jetzt, die man im Buch „Jetzt ergebe ich mich, und das ist alles“ von Álvaro Enrigue findet oder Blicke aus dem weiblichen Jetzt von Mexiko in „Reservoir Bitches“ von Dahlia de la Cerda und ein Blick aus einer möglichen Zukunft von Mexiko in „Diese brennende Leere“ von Jorge Comensal. Viele verschiedene Blicke auf Mexiko. Und Fernanda Melchor liefert in „Das ist nicht Miami“ ihren Blick auf Mexiko, auf ihre Heimat, auf den Bundesstaat Veracruz.

Nun ist „Das hier ist nicht Miami“ kein Roman, es sind Erzählungen in diesem Buch vereinigt. Sehr interessante Erzählungen. Die einzeln betrachtet perfekt sind. Jedoch nur in der Verortung zueinander finden. Was ich etwas schade fand. Aber das sind Erzählungen halt auch. Sie sind einzeln zu betrachten. Ermöglichen in ihrer Fülle verschiedene Blicke. Und hier sind das eben Blicke auf den karibischen Bundesstaat Veracruz.

Blicke auf die Menschen in Veracruz, auf ihr Leben, auf ihr Sein. Blicke auf die Provinz. Blicke auf weibliches Sein. Blicke auf das Vergeistigte, auf den Glauben, auf die Geisterwelt. Wobei hier die Geschichte um ein Haus, welches einen namenlosen Schrecken beheimatet, schon im Buch heraussticht, mich hachtig die Seiten umblättern ließ. Was für ein Schauer! Was für eine Kraft in dieser Geschichte! Wobei dieser namenlose Schrecken vielleicht auch als ein Sinnbild zu verstehen ist. Doch dieses Noir in der Geschichte, der Schauer, nun, ich war verzaubert. Blicke auf die Gewalt, auf die Kartelle, auf das Morden folgen. Wie auch über das Tun der westlichen Welt in Mexiko berichtet wird. Und auch das Thema Flucht in die vermeintlichen Segnungen der westlichen Welt wird thematisiert. Wobei ich hier die Veränderung in der Welt mal benennen möchte. Hier ist Miami noch ein Ziel der Migration. Ob das wohl heute immer noch so ist, wo doch Unmenschliches mehr und mehr das Sagen übernimmt in unserer westlichen Welt. Momentan könnte es zumindest auch ein glücklicher Umstand für manche sein, nicht in Miami zu sein. Nur mal so am Rande.

Fernanda Melchor hat mich auf jeden Fall neugierig werden lassen auf ihr Werk mit diesem Buch hier. Ich besitze ja noch zwei Bücher von ihr. Mal schauen, wann ich zur Lektüre komme. Ich schreibe hier ja nun öfter, dass ich weitere Bücher in meinen heiligen Regalen habe. Das leidige Thema von uns sammelwütigen Büchermenschen. Hach ja. Ich weiß, kennen wir wohl alle. Und das ist auch gut so. Denn für etwas brennen, Leidenschaften zu kennen, bedeutet halt auch dem Negativen im Leben besser begegnen zu können.

Ein Lesettipp. Wer an Mexiko interessiert ist, sollte zu diesem Buch hier greifen. Aber auch zu den am Anfang genannten Büchern. Unbedingt! ❤🐍🦅

Bewertung vom 15.12.2025
Der letzte Mord am Ende der Welt
Turton, Stuart

Der letzte Mord am Ende der Welt


ausgezeichnet

Eine weitere aufregende Reise mit Stuart Turton

Stuart Turton. Die beiden Vorgänger von „Der letzte Mord am Ende der Welt“ habe ich sehr geliebt. Zwei völlig unterschiedliche Bücher. Beide dem Genre Kriminalroman zugerechnet. Das sind sie auch. Aber halt nicht nur. Beeindruckt das eine Buch mit einer gehörigen Portion Mystery, so tendiert das andere eher in Richtung Abenteuerroman/Historischer Roman. Dennoch sind sie beide auch Kriminalromane. Wirklich gelungen sind diese beiden Bücher. Ich habe sie beide sehr geliebt und natürlich sehr gern gelesen. Sie sind Leseempfehlungen von mir. Und natürlich war ich sehr neugierig auf dieses Buch hier von Stuart Turton. Denn was macht er hier nun? Und ebenso ist die Frage, ob er wieder so einen Pageturner schafft.

Das kann ich kurz beantworten. Ja! Natürlich ja! Unbedingt ja!

Der letzte Mord am Ende der Welt. Schon der Titel ist der Knaller. Denn natürlich fragt man sich gleich, was nun das hier wieder wird. Strategisch gut gewählt. Denn jeder, der vom Stuart-Turton-Fieber erfasst wurde, wird hier aufhorchen und natürlich zu dem Buch greifen wollen.

Eine letzte Insel im Meer. Auf ihr die Überlebenden einer Katastrophe. Eine Dystopie. Wobei nun dystopische Themen meiner Meinung nach gut in die heutige Zeit passen. Denn beim heutigen Tun auf der Welt kommen recht schnell dystopische Gedanken in meinen Kopf. Zur Dystopie mixt Stuart Turton hier aber auch Sci-Fi-Elemente dazu. Auf dieser Insel leben Dorfbewohner und Wissenschaftler zusammen als Überlebende, dennoch gibt es auch Unterschiede zwischen ihnen. Eine Apokalypse hat die Erde heimgesucht. Ein giftiger Nebel suchte unsere Kugel heim und brachte die Menschen um. Nur diese Insel und ihre Bewohner blieben dank eines Abwehrsystems verschont. Ein Mord passiert. An einer Wissenschaftlerin. Durch diesen Mord wird das Abwehrsystem der Insel heruntergefahren. Den Bewohnern bleiben nun 107 Stunden bis der Nebel sie vernichten wird. Der Horror schlechthin. Emory ist eine der Dorfbewohnerinnen, doch sie ist auch mehr, denn in ihr wohnt ein starker Geist und sie besitzt eine gehörige Portion Wissensdrang, unterscheidet sich dadurch von den anderen Dorfbewohnern. Dies wurde auch von der nun toten Wissenschaftlerin Niema bemerkt und Niema als Lehrerin der Insel hat Emory anders gefördert als die anderen Dorfbewohner. Niema wollte wohl auch in der Nacht ihrer Ermordung etwas verkünden. Doch das Problem hier ist, dass niemand auf der Insel noch eine Erinnerung an die Nacht der Ermordung von Niema hat und Emorys Ermittlungen dadurch ungemein erschwert werden. 107 Stunden hat Emory und diese letzte Insel.

Stuart Turton hat wieder einen Pageturner erschaffen. Unheimlich spannend. Wer die anderen beiden Bücher geliebt hat, wird auch hier begeistert sein. Ich war es auf jeden Fall und empfehle dieses Buch sehr. Bin wohl ein Fan der Schreibe von Stuart Turton.

Bewertung vom 15.12.2025
Im Herzen der Katze
Khayyer, Jina

Im Herzen der Katze


ausgezeichnet

Die Katze macht weiter

Im Herzen der Katze. Ein Lesehighlight in diesem Lesejahr. Definitiv. Das erste Buch in einem Lesemonat der Tränen. Gerade dieser Lesemonat hatte es in sich. Ein Monat voller wahnsinnig intensiver Bücher. Und dieses „Im Herzen der Katze“ ist eines davon.

Der Deutsche Buchpreis und seine Longlist. Ich suchte dieser Longlist schon ein Stück hinterher. Denn diese Longlist hat es in sich. Seit 2018 lese ich der Longlist hinterher und immer wieder gibt es echte Lesehighlights für mich. So auch hier.

Im Herzen der Katze. Welche Katze? Der Umriss von Iran wird in dem Buch zu einer Katze erklärt. Und wenn man der Erklärung im Buch folgt, kann man dies nachvollziehen. Katzen liebe ich. Wild, eigensinnig, sinnlich, voller Leben. Dies in Verbindung zu bringen mit dem Iran erscheint etwas fragil, bzw. auch etwas unsinnig.

Denn der Iran, ein wunderschönes Land, ist momentan von einem Regime beherrscht, welches das Sinnliche nicht zu schätzen weiß, welches das Weibliche in ein enges Korsett steckt. Ein eng geschnürtes Korsett, welches das Luftholen schwierig macht.

Jina Khayyer entführt die Leserschaft in den Iran. Sie selbst ist Deutsche mit iranischen Wurzeln, wurde in Deutschland geboren, lebte in Deutschland und lebt jetzt in Frankreich. Sie kennt den Iran, liebt den Iran und muss aus der Ferne zusehen, was in ihrer empfundenen Heimat passiert. Das scheint nicht einfach zu sein.

Eine Bloggerin (Danke Seitenmusik!) hat in ihrem Post zu „Im Herzen der Katze“ ein Lied mit verlinkt. Shervin Hajipour – Baraye. Das Lied wurde das Lied der Proteste im Iran. Unheimlich traurig. Die Tränen flossen schon beim Hören. Aber beinahe noch intensiver sind die Bilder, die Videos, in denen die iranischen Gemeinden im Exil dieses Lied singen. Tränen und Schauer. Da ist die Liebe zum Iran. Und auch die Trauer über das entsetzliche Geschehen dort.

Jina Mahsa Amini und der Slogan Jin, Jiyan, Azadî - Frau, Leben, Freiheit sind wohl allen bekannt. Doch dies sind die Proteste aus dem Jahr 2022. Proteste im Iran gibt es schon länger. 1979 kamen die Ayatollahs an die Macht. Eine Flucht setzte ein. Aber nicht alle flohen, es blieben auch menschlich tickende Iraner. Und sie wehren sich. Mutig und ungeheuer stark.

Im Buch lässt der Tod von Jina Mahsa Amini die Titelfigur Jina in Südfrankreich zusammenzucken. Die Namensgleichheit lässt dieses Grauen noch näher rücken. Sie erinnert sich. An das Jahr 2000 und auch an 2009, an ihre Besuche im Iran. Sie denkt an ihre Familie im Iran. An ihre Familie im Iran, die 2022 auf der Straße sind und protestieren, sich damit gefährden, in einem Land der regierenden Mörder!

Ein unheimlich bewegendes Buch! Ein Blick auf ein Regime. Aber auch ein Blick auf den Mut der Menschen und vor allem auf den Mut der Frauen dort! ❤❤❤

Was mir in dem Buch auch sehr gefallen hat, ist diese wunderschöne Sprache. Diese verschiedenen Arten Danke zu sagen. Dieses Blumige in der Sprache. Mein Herz ging auf! Mehrfach. Immer wieder. Dieses Buch macht ungeheuer neugierig auf den Iran.

Auch wenn ich aus verschiedenen Gründen wohl niemals dahin reisen werde!

Aber eins kann ich sagen. Unbedingt „Im Herzen der Katze“ von Jina Khayyer lesen. Dieses Buch ist einfach wunderschön. Ungeheuer traurig, sehr bewegend, aber es berichtet von unserer Stärke, der Stärke der Frauen!!! 💕🔥❤

Bewertung vom 15.12.2025
Die Verdorbenen
Köhlmeier, Michael

Die Verdorbenen


sehr gut

Johann, Christiane und Tommi

„Die Verdorbenen“ ist mein drittes Buch der diesjährigen Longlist des Deutschen Buchpreises. Völlig überzeugt hat es mich leider nicht. Dennoch ist es gut zu lesen. In dem Buch ist von der Liebe zu lesen. Ebenso von einer Erkundung des Bösen. Eine interessante Verbindung. Beides ist recht animalisch und verbindet sich manchmal auch. Von daher schon mal gut ausgewählt.

Die 70er Jahre. Johann trifft auf Christiane und Tommi. Irgendetwas passiert zwischen ihnen. Nur was. Liebe ist das meiner Meinung nach nicht. Vielleicht eine Form der Besessenheit, die irgendwie auch in Machtspielchen mündet. Aber mit Liebe hat dies in meinen Augen nichts zu tun, eher ist es ein Begehren, aber auch dazu fehlt irgendwie ein Stück in meinen Augen. Wobei ich mich aber auch frage, ob Johann zur Liebe überhaupt fähig ist. Denn dieses Gesamtertzählte um Johann führt deutlich zu etwas Anderem. Michael Köhlmeier möchte in seinem Buch „Die Verdorbenen“ auch auf das Böse schauen. Und das gelingt ihm.

Das Dreiergespann Johann, Christiane und Tommi sind junge Menschen in den 70ern, die studieren, wenig Mittel haben, sich gerade auch selbst finden. Von daher kann man ja keine vollständig ausgebildeten Charaktere erwarten. Deswegen stört mich hier das nicht völlig Auserzählte nicht. Dennoch bin ich mit der Formulierung der Charaktere auch nicht völlig zufrieden. Denn sie sind mir fremd, fern und irgendwie auch nicht greifbar. Dass, was da zwischen ihnen passiert, erscheint mir nicht schlüssig. Doch warum ist das so? Liegt das am Erzählten? Meiner Meinung nach nicht. Das Erzählte ist stimmig. Es sind diese Charaktere, gegen die ich mich irgendwie sträube. Sie machen etwas, was irgendwie Nähe suggeriert, Nähe suggerieren soll. Aber diese Nähe ist nicht spürbar. Keine Liebe, kein Begehren, keine Sucht. Nur rationales Tun. Vor allem von Johann. Doch was hat die Ratio bei der Liebe, beim Begehren verloren? Kann die Ratio zur Liebe führen?

Doch die Leserschaft erlebt Johann ja nicht nur im Tun in der Dreierbeziehung. Als Kind wurde er von seinem Vater einmal gefragt, ob er einen Wunsch hat. Johann konnte sich nicht zu einer Antwort durchringen. Was man irgendwie verstehen kann, denn dieser Wunsch bestand darin irgendwann einmal einen Mann töten zu wollen. Das kann man ja nicht erzählen, denkt Johann. Ja, das kann man nicht erzählen, aber noch weniger kann man das wollen, denkt eine Bewahrerin. Manche Menschen sind manche Menschen, ja, aber Abstand ist immer noch der bessere Weg. Johann empfindet dies anders und wenn man diesen Gedanken zentraler stellt, bekommt auch das Verhalten in der Dreiecksbeziehung irgendwie eine andere Bedeutung.

Johann ist für mich in dem Buch hier der dunkelste Charakter, dennoch heißt das Buch ja „Die Verdorbenen“. In der Lektüre erschließt sich das. Dennoch, Johann ist eine treibende Kraft, ein Charakter, dem man im wahren Leben nicht begegnen möchte. Und ja, man begegnet solchen Wesen trotzdem.

Ein interessantes Buch. Ja. Aber empfehlen kann ich es nicht. Denn es hat mich nicht angezündet und auch nicht völlig überzeugt. Wobei ich mich schon frage, woran dies liegt. Denn das Erzählte macht dies nicht. Es ist die Thematik, die das in mir auslöst. Und auch der Hauptcharakter Johann. Ich stehe seinem Tun verständnislos gegenüber und verabscheue ihn. Und dies in einer Intension, die mit der Ratio nichts, rein gar nichts zu tun hat!

Bewertung vom 15.12.2025
Wachs
Wunnicke, Christine

Wachs


sehr gut

Marie und Madeleine

Das Buch „Wachs“ von Christine Wunnicke war mein zweites Buch der diesjährigen Longlist. Es ist eine Liebesgeschichte, es ist ein Blick auf zwei außergewöhnliche Frauen, ein Blick auf die Zeit der französischen Revolution. Eine Zeit, die mich irgendwie fasziniert, aber auch abschreckt, denn der Mensch ist nun mal der Mensch. Hauptpersonen des Buches sind Marie Bihéron (1719 bis 1795) und Madeleine Basseporte (1701 bis 1780). Zwei real existierende Frauen. Zwei Frauen, die dem Bild, was für sie entworfen wurde, nicht entsprechen wollen, aufbegehren und ein Leben leben, was sie selbst bestimmen. Zwei Charaktere, die mich natürlich beeindrucken. Zwei Menschen, von denen ich hier im Buch zum ersten Mal höre/lese. Was ich sehr schön finde. Denn dass es schon früher Frauen gab, die nicht hinnehmen wollten, was die Gesellschaft für sie vorgesehen hatte, weiß man irgendwie, dennoch verortet man weibliches Aufbegehren eher in spätere Zeiten. Daher ist es sehr schön von Frauen zu lesen, die auch in früheren Zeiten ihre Selbstbestimmung einforderten. Ich habe vor einiger Zeit eine Doku über die Frauen der französischen Revolution auf Arte gesehen, die ebenso fast gänzlich unbekannt sind, die es aber durchaus gab. Was das Bild von Eugène Delacroix über die Französische Revolution ja auch zeigt, auch wenn dieses Bild die Frau barbusig darstellt, was wahrscheinlich eher der männlichen Phantasie als den Tatsachen entspricht. Dennoch kommt dieses Bild ja nicht einfach so daher. Denke ich mir zumindest. Aber zurück zu Marie und Madeleine und dem Buch „Wachs“. Marie seziert Leichen, modelliert aus Wachs anatomische Modelle, Madeleine zeichnet Pflanzen und lehrt das Zeichnen, beide verdienen selbstbestimmt ihren Lebensunterhalt. Christine Wunnicke spinnt um diese beiden Personen ihr Buch. 176 Seiten, die von zwei Frauen erzählen, natürlich passt auf diese Seiten nicht das durchgehend erzählte Leben der zwei Persönlichkeiten, episodenhaft erhält man Einblicke auf das Leben der zwei bemerkenswerten Frauen. Episodenhaft blickt man auf das 18. Jahrhundert und eben auch auf die Französische Revolution. Ein interessant gemachtes Buch, welches ich empfehle, denn Marie und Madeleine sind es wert nicht vergessen zu werden. Danke fürs Sichtbarmachen Christine Wunnicke! Durch das episodenhaft geschriebene Buch entbrenne ich nicht vollkommen, denn thematisch entzündet mich das Buch um so mehr. Von daher empfehle ich dieses Buch sehr! Lesen!

Bewertung vom 15.12.2025
Blinde Geister
Schwenk, Lina

Blinde Geister


ausgezeichnet

Das Gestern und das Heute

Eine Familiengeschichte. Auf 191 Seiten. Nun könnte man meinen, dass diese Seitenanzahl es schwierig machen könnte, glaubhaft und vor allem überzeugend auf die verschiedenen Generationen einer Familie zu schauen. Aber dieses Kunststück auf diesen doch wenigen Seiten einen intensiven Blick auf eine Familie zu werfen, gelingt Lina Schwenk wirklich grandios und diese Autorin begeistert mich hier ungemein. Das erste Buch der diesjährigen Longlist für mich und ich bin gleich hellauf entzückt. „Blinde Geister“ ist ein so schöner Blick auf Fritzchen, auf Rita und Karl, auf Martha, auf Olivia und Paul, auf Joris, auf Ava und Ilja, ein absolut gelungener Blick, liebe ich, sehr!

Die verschiedenen Generationen werden beleuchtet und mit ihnen ihre Sichten, diese Sichten und Erlebnisse, die Menschen beeinflussen, etwas mit ihnen machen. Und natürlich beeinflussen die verschiedenen Generationen einer Familie einander. Elter und Kinder. Was gibt man in der Elternrolle an die Kinder weiter, was nehmen diese an und geben es ihrerseits weiter? Immerzu und so fort. Was bemerkt man an negativen Einflüssen innerhalb einer Familie und versucht dagegen zu steuern, mehr oder weniger erfolgreich, denn völlig abgrenzen gelingt in einer Familie natürlich schlechter, gerade wegen der bestehenden Verbindungen. Trotz der geringen Seitenanzahl brenne ich und bin fast sofort in diesem Buch angekommen. Natürlich begeistern mich die weiblichen Charaktere mehr. Denn was in einer Familie liegt meist in den Händen der Frauen?

„Blinde Geister“ ist aber nicht nur ein Blick auf eine Familie. Hier geht es auch um Ängste, und speziell der Angst vor einem Krieg. Die Nachkriegsgeneration empfindet diese Angst sehr stark, nachvollziehbar stark, gibt diese Angst weiter, beeinflusst die Nachkommenden. Und viele Jahre später entstehen neue Ängste. Was macht man dann? Wie viel Raum lässt man diesen Ängsten, wenn man sich einem Szenario gegenübersieht, welches wieder in Richtung Angst vor einem Krieg geht. Diese Frage dürfen wir uns gerade selbst beantworten. Das Buch zeigt die Umgangsweise der Personen darin. Denn was ist wichtig? Angsterfüllende Situationen. Oder unser Hier und Jetzt. Unser begrenztes Hier und Jetzt. Lässt man die Angst das Leben bestimmen? Oder arbeitet man bewusst dagegen? Dies sind Dinge, mit denen wir uns in den Psychiatrien tagtäglich befassen. Aber mittlerweile nicht nur wir in den Psychiatrien. Leider. Von daher ist „Blinde Geister“ ein gerade sehr richtiges und wichtiges Buch, dem ich viele Leser wünsche.

Olivia und Martha. Ihr Gestern, ihr Heute und ihr Morgen. Wunderschöne Blicke. Auf Ursachen und Möglichkeiten. Man geht einen Weg mit Olivia und Martha. Erlebt ihre Welt und schaut auch etwas auf die Eigene.

Mich hat „Blinde Geister“ begeistert und überzeugt. Eine wunderschöne Familiengeschichte auf 191 Seiten. Dies muss man erst einmal in dieser Eindringlichkeit hinbekommen. Chapeau! Liebe ich und empfehle ich natürlich. Sehr!

Bewertung vom 15.12.2025
Sing, wilder Vogel, sing
O'Mahony, Jacqueline

Sing, wilder Vogel, sing


ausgezeichnet

Honoras Weg

Sing, wilder Vogel, sing. Ein schöner Titel. Ja, dieses Singen, dieses Fliegen wollen, dieser Drang nach Freiheit. Ein wohl uns allen bekanntes Thema. Die Konventionen. Das Hamsterrad. Man kann daran zerbrechen. Oder man sucht sich seinen Weg. Für uns in unserem Jetzt ist diese Suche nach der Freiheit dank gewisser sozialer Errungenschaften ein nicht unmögliches Unterfangen. Ja, mit Einschränkungen. Aber wer das Eine will muss halt auch das Andere in Kauf nehmen. Oder man muss gehen, neu anfangen. Und sich neuen Unwägbarkeiten stellen. Dennoch ist auch dies nicht mit dieser Welt vor fast zweihundert Jahren vergleichbar. Und so kann man wohl Honora‘s Welt nicht mit dem Jetzt in einen Einklang bringen.

Den Drang nach einer Freiheit aber schon. Nach dem Singen. Nach dem Fliegen.

1849. Irland. Die Zeit der Großen Hungersnot. Der Tod findet reichlich Nahrung. Und der Mensch zeigt sein düsteres Gesicht. Eroberer und Eroberte. Menschen erster und zweiter Klasse. Vermeintliche Überlegenheiten. Die zu einem Grauen führen. Hier in einem Blick auf die Tragödie von Dooloogh beispielhaft gezeichnet. Habe noch nie vorher davon gehört. Sicher wird es aber viele solcher Dramen gegeben haben, bei der großen Zahl von Toten in Irland ist dies zu vermuten. Denn der Mensch ist nun mal der Mensch. Honora überlebt eben dieses Grauen von Dooloogh, ist auf sich gestellt, ohne ein soziales Netz. Wobei dieses Netz eher grobmaschig war, da Honora etwas aus dem eng gestrickten weiblichen Rahmen fällt. Denn sie singt, sie fliegt. Vielleicht fällt ihr schon daher dieser weite Weg in die USA leichter, da sie ja schon früh das menschliche Wesen erkennen musste. Doch der Weg geht weiter, denn die Ostküste der USA ist nicht das Ziel von Honora. Es geht weiter in den Westen des Landes. Und hier passiert etwas, was mich innerlich aufglühen lässt. Die Autorin lässt Honora einem Mann der Cayuse begegnen. Und sie verflicht in dem Roman irisches Erleben mit dem Erleben der Indigenen. Zeigt Verbindungen der Indigenen der USA zu den Iren auf. Eroberte verbünden sich. Herrlich. Ich liebe es! Sehr! Genauso wie ich den Charakter der Honora liebe!

Ein wunderbares Buch. Spannend, wunderbare Charaktere, eine abenteuerliche Handlung, eine Geschichte voller Wissen, eine absolut gelungene Mischung, die ich wirklich sehr empfehle! Unbedingt lesen!

Bewertung vom 15.12.2025
Das Haus der Türen
Eng, Tan Twan

Das Haus der Türen


ausgezeichnet

Die Vergangenheit klopft wieder an

Das Haus der Türen. Schon der Titel ließ mich aufhorchen. Klingt irgendwie anziehend. Auch das Cover ist absolut gelungen. Und das Buch. Ja, das war ein Lesehighlight! Ich habs geliebt. Ich habs verschlungen.

Im ersten Teil des Buches „Das Haus der Türen“ bekommt Lesley Hamlyn 1947 in Doornfontein in Südafrika Post. Ein Buch. Und mit diesem Buch kommen auch die Erinnerungen. Erinnerungen, die eigentlich immer da waren, die nie verschwunden sind. Erinnerungen an ihre Zeit in Penang Island im Cassowary House in Malaysia.

Der zweite Teil des Buches führt dann in dieses vergangene Geschehen im Jahr 1921. Eine koloniale Welt entsteht vor den Augen der Lesenden. Flirrend, schwül und ungeheuer anziehend, absolut spannend. Lesley Hamlyn und ihr Mann Robert leben in Penang Island in eben jenem Cassowary House. Sie bekommen Besuch vom Schriftsteller Willie Somerset Maugham, einem alten Freund von Robert. Lesley und Willie freunden sich nach anfänglichen Ressentiments an und finden viele Gemeinsamkeiten, denn Lesley ist keine normale Dame der englischen Kolonialgesellschaft. Lesley hat Wünsche, Wichtigkeiten, Sichten und Geheimnisse, wie auch Willie nicht völlig ehrlich sein Leben leben kann. Beide müssen in ihrer damaligen Welt Stärke entwickeln und natürlich entbrennt mein Herz für beide Charaktere. Kolonialismus, Gleichstellung der Frau, Homosexualität und politischer Kampf sind Themen dieses Buches. Wer meine Lesevorlieben kennt, weiß, das ist genau meins. Ebenso bietet dieses Buch wichtige und interessante Blicke auf William Somerset Maugham. Diese Blicke erwecken eine Neugier in mir. Ebenso ist „Das Haus der Türen“ ein interessanter Blick auf die Einwohner von Penang Island, auf die koloniale Welt in Penang Island, in Malaysia. Das Buch eröffnet einen Blick auf die Chinesen in Penang Island, in Malaysia, zeigt mir bisher Unbekanntes, lässt mein ethnographisch tickendes Herz aufleuchten. Aber nicht nur für den Kopf bietet dieses Buch Nahrung. Auch fürs Herz ist hier viel dabei, Lesley und Robert, ihre Ehe, ihre Probleme, ihre Geheimnisse und auch Willie und seine versteckt auszulebende Liebe. Eine wirkliche wunderschöne Mischung! Lesley, eine Frau der Oberschicht, aber auch sie ist den Regeln der damaligen Welt verpflichtet. Denn ein Zuwiderhandeln bedeutet eine Ächtung, wie es eine Freundin von Lesley erfahren muss. Lesley ist der tragende Charakter des Buches, eine tolle Figur. Ich mag Lesley. Sehr! Genauso wie ich „Das Haus der Türen“ mag. Ein wunderschöner sirrender und flirrender Blick auf eine vergangene Welt. Unterhaltend und auch lehrreich.

„Das Haus der Türen“ war für mich ein Lesehighlight. Ich empfehle es sehr! Unbedingt lesen!