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VoKa

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Insgesamt 21 Bewertungen
Bewertung vom 28.05.2025
Die Kammer
Dean, Will

Die Kammer


gut

Ein klaustrophobisches Szenario

Nachdem von Will Dean »Totenstille« (2019) und »Totenwinter« (2020) bereits zwei Kriminalromane in Deutsch erschienen sind, ist nun mit »Die Kammer« erstmals ein deutschsprachiger Stand Alone Thriller von ihm erschienen. Im englischsprachigen Raum sind seine Thriller viel beachtet.

Der Plot beginnt langatmig und hat mit einem Thriller wenig gemein. Der Inhalt gleicht eher einem Sachbuch. Hier kann das Buch nicht punkten.

Die Geschichte wird von der Protagonistin Ellen Brooke erzählt. Sie ist die einzige Frau an Bord einer Dekompressionskammer, die insgesamt aus sechs Tauchern besteht. Alle außer dem jungen »Tea Bag« mit bisher nur zwei Tauchgängen sind erfahrene Tiefseetaucher. In den ersten Kapiteln erfahren wir mehr darüber, wie die Arbeit und das Leben als Berufstaucher in großer Tiefe ablaufen. Diese melden sich für diesen gefährlichen Job, weil er viel Geld einbringt.

Die Figurenzeichnung bleibt mit Ausnahme der Protagonistin Ellen Brooke blass. Man kann sich ein gutes Bild über deren bisheriges Leben machen. Sie sehnt sich nach ihrem Mann und ihren beiden Kindern, bevor man plötzlich erfährt, dass alle drei bei einem Unfall ums Leben gekommen sind. Die innere Zerrissenheit wird deutlich, um mit der Situation umzugehen. Brooke wird mit der Zeit immer paranoider.

Bei einem ersten Tauchgang von Ellen und André zur Überprüfung einer Ölpipeline irgendwo in der Nordsee kommt es fast zu einem Unglück, weil sich der Versorgungsschlauch von Ellen verhakt und ein Ventil in der Glocke defekt ist. Weitere Tauchgänge finden aufgrund des plötzlichen Ablebens des jungen Tea Bag gefolgt von weiteren mysteriösen Todesfällen nicht statt.

Die Stimmung in der nur wenige Quadratmeter großen Dekompressionskammer an Bord der DSV Deep Topaz ändert sich von gereizt bis ängstlich. Die Crew soll eine Fernautopsie bei Tea Bag durchführen und dem Leichnam Körperproben zur Bestimmung der Todesursache entnehmen. Das stellt eine enorme psychische Belastung für die Taucher dar und wird auch gut vom Autor beschrieben. Die schottische Polizei befragt die Crew-Mitglieder über Funk einzeln und getrennt voneinander, was zusätzlich für Unsicherheit sorgt.

Nach dem mysteriösen Todesfall des zweiten Tauchers zieht die Spannung an. Es entwickelt sich ein echter Locked Room-Thriller. Die verbleibenden Taucher werden spürbar nervöser, auf engstem Raum vergleichbar mit einem Kleinbus unter klaustrophobischen Verhältnissen und zwei Leichen in der Nähe. Zunächst der Sturm, das defekte Ventil, zwei erfolglose Wiederbelebungsversuche, die Befragung durch die Polizei und dann Tea-Bags Überführung in das Rettungsboot tun ihr Übriges.

Die Stimmung unter den verbleibenden Tauchern schlägt um. Was könnte zum Tod der Taucher geführt haben und woher kommt die Gefahr? Mord, Totschlag oder grobe Fahrlässigkeit? Müdigkeit gepaart mit Angst macht sich breit. Keiner möchte mehr was essen oder trinken, und es dauert noch Tage, bis die Dekomprimierung abgeschlossen ist und man diesen metallischen Sarg verlassen kann. Ein plötzliches Öffnen der Luke würde ohne Druckausgleich zu Gasblasen im Körperinneren führen. Das hat der Autor realitätsnah beschrieben.

Gegenseitige Verdächtigungen häufen sich, keiner traut mehr dem Anderen. Die Gefahr um Leib und Leben wächst, die psychische Anspannung auf engstem Raum ohne Ausweichmöglichkeiten nimmt zu. Das Ende wirkt konstruiert und hinterlässt beim Leser Staunen und Unverständnis.

In einem Glossar am Ende des Buches werden allgemein verwendete Begriffe des Sättigungstauchens erläutert. Diese Seiten zum Nachschlagen tragen dazu bei, die Materie besser zu verstehen.

Tauchunfälle und Tauchanekdoten vergangener Einsätze werden eingestreut. Die waren fast über die ganze Welt verteilt, und man erfährt dabei über Unglücke und Todesfälle aus dieser Zeit. Das bremst immer wieder die Spannung aus.

Fazit

Das Buch hat sowohl Stärken als auch Schwächen. Die Gefahren beim Tiefseetauchen und viele technische Begriffe speziell beim Sättigungstauchen werden vom Autor authentisch und leicht verständlich beschrieben. Das Setting ist düster, aber stimmig. Fehlendes Pacing ist ein Schwachpunkt in diesem Thriller.
Es gibt Unregelmäßigkeiten in den Beschreibungen, die evtl. auf eine mangelhafte Übersetzung zurückzuführen sind. Im Todesfall von Tea-Bag untersucht die Grampian Police den Fall. Diese territoriale Polizei der nordöstlichen Region Schottlands wurde bereits 2013 durch die Police Scotland abgelöst. Bei einem »Procurator Fiscal« handelt es sich nicht um einen Rechtsmediziner, wie irrtümlich beschrieben wird, sondern um einen schottischen Staatsanwalt.
Auch wenn der bekannte Tiefseetaucher Hans-Jürgen Strickling (49) dieses Buch als wirklichen Pageturner bezeichnet, so kann ich dem nicht ganz folgen.

Bewertung vom 05.05.2025
Wie Risse in der Erde
Hall, Clare Leslie

Wie Risse in der Erde


sehr gut

Eine unvollendete Liebe

Die Geschichte beginnt im Jahr 1955 mit einem Todesfall. Erst sehr viel später wird man erfahren, wer Opfer und wer Täter ist. Die hier geschilderte Dramaturgie erzeugt gleich zu Beginn Spannung. Abwechselnd erfährt man aus der Vergangenheit und der Gegenwart dreizehn Jahre später, wie sich alles entwickelt hat.

Elisabeth (Beth) Kennedy und Gabriel Wolfe sind zwei junge Teenager, die sich durch Zufall begegnen. Ihre Herkunft kann nicht unterschiedlicher sein. Sie, ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen und er aus einem feinen Elternhaus. Es dauert nicht lange, und sie verlieben sich ineinander.

Tessa, die Mutter von Gabriel, ist eine Frau, deren Dekadenz kaum zu überbieten ist. Sie ist gegen diese Verbindung. Sie hält Beth für nicht standesgemäß für ihren Sohn und das sagt sie ihr auch überaus deutlich. Durch ein großes Missverständnis verändert sich alles. Der Sommer geht zu Ende und Gabriel beginnt sein Studium in Oxford. Beth bleibt auf dem Land. Am Anfang schreibt er ihr Briefe, die nach Sehnsucht und Leidenschaft klingen. Später verändert sich der Inhalt der Briefe. Sie klingen, als hätte er sie aus Pflichtgefühl geschrieben. Es ist eine Liebe, die nur einen Sommer lang Bestand hat.

Danach kommt die Zeit, in der sich Beth und Frank Johnson näherkommen. Er ist der gutaussehende Junge aus der Nachbarschaft, der Beth schon immer aus der Ferne bewundert hat. Sie heiraten und bekommen einen gemeinsamen Sohn. Die Ehe ist glücklich bis zu dem Tag, als der neunjährige Bobby durch einen Unglücksfall sein Leben verliert. Frank gibt sich daran die Schuld. Jimmy, der jüngere Bruder von Frank kommt nicht über Bobbies Tod hinweg.

Dreizehn Jahre später kehrt Gabriel - inzwischen ein erfolgreicher Romanautor - wieder in seine alte Heimat zurück. Die Liebe zwischen Beth und Gabe keimt wieder auf. Beth wird dabei bewusst, dass sie nie erloschen ist. Frank hat eine Ahnung von dieser heimlichen Liebesbeziehung, nimmt es aber gleichgültig hin, getrieben von den Schuldgefühlen an Bobbys Tod. Jimmy bezeichnet seine Schwägerin als Schlampe. Er ist jähzornig und labil. Nach einer mehrstündigen Sauftour droht er damit, Gabriel umzubringen.

Frank und Gabriel sind zwei Figuren, die mit vielen Klischees behaftet sind. Frank ist der verständnisvolle und gütige Ehemann. Auf der anderen Seite Gabriel, der smarte Sonnyboy, der in Oxford studiert hat, standesgemäß geheiratet hat und später wieder geschieden wurde. Im Gegensatz dazu die bodenständige Beth, deren innere Zerrissenheit durch die Liebe zu zwei Männern deutlich erkennbar ist.

Es ist der Autorin sehr gut gelungen, die verschiedenen Stimmungen einzufangen. Zu Beginn ist da die große Liebe zwischen Beth und Gabe, die abrupt zu Ende geht. Auf der anderen Seite der zunächst enttäuschte Frank Johnson, der doch noch seine angebetete Beth zur Frau bekommt. Dreizehn Jahre später die Rückkehr von Gabriel in seine alte Heimat, was bei Frank Misstrauen und bei seinem Bruder Jimmy Unmut und später Hass hervorruft.

Die Geschichte knüpft wieder an den Beginn an. Wir werden von einem Prozess im zentralen Strafgerichtshof des Vereinigten Königreichs Old Bailey erfahren, wissen aber zunächst nicht, wer auf der Anklagebank sitzt. Daher bleibt es auch bis zum Schluss ein großes Geheimnis, wer Schuld an dem Todesfall mit Fremdeinwirkung trägt.

Fazit

An der epischen Geschichte hat die Autorin rund vier Jahre bis zur Fertigstellung geschrieben. Sie hat den Roman unter dem Pseudonym Clare Leslie Hall in Gedenken an ihre verstorbenen Eltern Jean Leslie und William Hall gewidmet.
Eine gelungene Symbiose zwischen Liebe, Leidenschaft, tragischen Ereignissen, einem Kriminalfall und einem Gerichtsverfahren vereint diesen Roman zu einem großen Lesevergnügen.
Eingebaute Wendungen kommen überraschend und offenbaren Dinge, die man nicht für möglich gehalten hat. Zum Ende hin spitzen sich die Ereignisse immer schneller zu. Hier war mir der Plot etwas zu rasant im Vergleich zur Erzählung davor.

Bewertung vom 24.04.2025
Die Nacht / Art Mayer-Serie Bd.3
Raabe, Marc

Die Nacht / Art Mayer-Serie Bd.3


ausgezeichnet

Was ist mit Dana Karasch geschehen

Dieser dritte Teil der Serie konzentriert sich ganz auf die Suche nach der vermissten Dana Karasch. Seit eineinhalb Jahren ist der BKA-Ermittler Art Mayer auf der Suche nach der Mutter der kleinen Milla. Diese wohnt im selben Haus wie Mayer bei ihrer dementen Großmutter. Der ansonsten so ruppige und eigensinnige Ermittler hat ein Herz für die achtjährige Milla und möchte unter allen Umständen vermeiden, dass sie aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen wird. Diese Erfahrung hat er am eigenen Leib als Kind im Heim und später bei Pflegeeltern gemacht. Er ist auch nach wie vor davon überzeugt, dass Dana noch lebt.

Wechselweise erfahren wir in zwei verschiedenen Zeitebenen zurück in die Vergangenheit von vor fünfzehn Jahren und der Gegenwart aus der Erzählperspektive von Dana, was sich damals zugetragen hat. Die beiden Zeitebenen sind perfekt aufeinander abgestimmt.

Alles fing damit an, dass Dana Bauer (Karasch) mit ihren Freunden Samuel (Sammy) Krieger, Richard Dressel, Adi Weber und Lissi Manderscheidt zu einer Party aufgebrochen sind. Danas Stiefvater Walter Bauer hatte zuvor Dana aufgetragen, auf ihren fünfjährigen Stiefbruder Rocco aufzupassen. Als Dana und ihre Freunde spät nachts betrunken zurückkommen, ist Rocco verschwunden und trotz einer groß angelegten Suchaktion nie wieder aufgetaucht. Dana ist getriggert, wenn sie darüber nachdenkt, was in der Zeit ihres Blackouts mit ihr geschehen ist.

Walter ist ein gewaltbereiter und zorniger Typ, der vor nichts zurückschreckt. Das Verschwinden seines Sohnes Rocco bringt das Fass zum Überlaufen. Er bedroht Dana und ihre Freunde mit einer Waffe und zwingt sie zu russischem Roulette mit einem Revolver - einem tödlichen Glücksspiel. Die Zerrissenheit der Personen wird bildgewaltig beschrieben.

Die Suche nach Dana wird konkreter, als Art eine mysteriöse Nachricht auf sein Handy bekommt, mit der er Hinweise auf Danas Verschwinden in einer verlassenen Wohnwagensiedlung in einem Waldgebiet außerhalb Berlins bekommt.

In diesem Lost Place finden die Ermittler in einem der Wohnwagen eine gefesselte Leiche, die mit gestreckten Armen unter dem Dachfenster eines Wohnwagens hängt. Das Opfer ist übel zugerichtet. Bei dem Toten handelt es sich um den angesehenen Richter am Kammergericht Berlin, Dr. Richard Dressel. Die Spurensicherung findet in unmittelbarer Nähe vergrabene menschliche Knochen und Schädelteile.

Bei allen Personen aus der Vergangenheit rätselt man, ob sie heute noch leben und welche Rolle sie im Vermisstenfall Dana spielen. Darauf konzentrieren sich die Ermittlungen von Art Mayer und seiner taffen Assistentin Nele Tschaikowski. Beide Figuren erleben wir als ambivalentes Ermittlerduo mit einer gesteigerten emotionalen Reife. Allerdings sollen sie in diesem Fall nicht weiter tätig sein. Art ist aus persönlichen Gründen zu nah dran an dem Fall und Nele ist nach der Geburt ihres Sohnes noch in Mutterschutz. Und es gibt noch einen weiteren Grund, warum Art und Nele nicht weiter in der Vergangenheit graben sollen. Trotzdem setzen sie sich über die Anweisung ihres Vorgesetzten hinweg und ermitteln weiter.

Die Geschichte ist vielschichtig angelegt. Es geht nicht nur um die Suche nach vermissten Personen und die Aufklärung eines Verbrechens, das vor fünfzehn Jahren geschehen ist. Es geht auch um eine rechtsradikale Vereinigung, die sich »WW - Wehrsportgruppe Wolfsrudel« nannte. Der Verfassungsschutz hatte einen V-Mann mit dem Decknamen »Wolf« darauf angesetzt. Diese Gruppe hat Attentate auf hochrangige Personen des Staates geplant.

Das Setting ist clever konstruiert, wenn es auch auf den ersten Seiten etwas Zeit braucht, um den richtigen Einstieg zu finden. Danach entwickelt sich schnell ein guter Spannungsbogen. Im letzten Drittel zieht das Tempo spürbar an. Cliffhanger bei den Wechseln der Zeitebenen tragen mit dazu bei. Es gibt viele überraschende Wendungen in diesem Fall mit einem Plot-Twist zum Ende hin, den man so nicht vermuten konnte.

Der Thriller dringt tief in die Psyche der einzelnen Figuren ein. Wir erfahren u.a. von einer dissoziativen Identitätsstörung einer Person. Sie schlüpft dabei in die Rolle der einen Person und dann wieder in die andere. Die ganze Haltung, Mimik, Stimme und das Vokabular übernimmt sie dabei. Das bringt Art und Nele in große Gefahr.

Fazit

Nach allen Büchern von Marc Raabe, die ich bisher gelesen habe, ist dieses Buch vielleicht das bisher Beste von ihm. Und dieser Eindruck bezieht sich nicht nur auf die aktuelle Reihe.
Trotz einiger Rückblenden auf vorangegangene Ereignisse kann man diesen dritten Band unabhängig von den ersten beiden Teilen lesen.
Wer gedacht hat, dass mit »Die Nacht« die Art-Meyer-Serie zu Ende geht, liegt falsch. Kaum ist dieser Band erschienen, gibt es schon den Hinweis auf einen vierten Band, der im Frühjahr des nächsten Jahres mit dem Titel »Im Morgengrauen« erscheinen soll. Es bleiben genug Fragen offen, die Raum für einen weiteren Band schaffen.

Bewertung vom 03.04.2025
Racheritual
Cross, Ethan

Racheritual


sehr gut

Die Odin Society

Der Thriller besteht sowohl aus zwei Zeit- als auch aus zwei Handlungsebenen. Wir befinden uns zu Beginn der Thematik neun Jahre vor der aktuellen Zeitrechnung. Steinar Hagen ist Professor für skandinavische Kulturwissenschaften, der aus einer norwegischen Unternehmerfamilie stammt. Hagen hegt immer noch einen Groll über die blutige Zwangskonvertierung Norwegens vom Paganismus (Heidentum) zum Christentum.

Er ist Vorsitzender der »Odin Society« – eine Vereinigung, dessen Mitglieder über nordische Mythen reden. So ist zumindest die offizielle Lesart. Die Lehre über skandinavische Kulturwissenschaften hat aber offenbar seinem Verstand geschadet.

Als Steinar Hagen noch klein war, hatte ihm einer der Älteren der Vereinigung prophezeit, dass er eines Tages ein großer Berserker-Anführer werden würde. Das hatte er als seine Berufung aufgefasst und deren Sitten und Gebräuche verinnerlicht. Seit jeher hat er sich als ein Jünger Odins verstanden.

Die Anhänger der Wikingerkultur wurden gemäß alten Traditionen in die Gegenwart versetzt. Ihr Glaubenssystem wirkt in der heutigen Zeit brutal. Die Verflechtung von germanischer Mythologie und Gegenwart ist eine der Stärken dieses Thrillers, wenn diese Vermischung auch als verwirrend empfunden werden kann.

Hagen pflegt das Brauchtum der Wikinger und lebt diese Bräuche - er ist nahezu besessen. Seine beiden Söhne Magni und Modi hat er nach den Söhnen des germanischen Gotts Thor genannt. Magni ist hinterlistig und brutal ganz im Sinn seines Vaters und der Vereinigung. Modi ist genau das Gegenteil von seinem Bruder, lässt sich aber von Magni stark beeinflussen und zu Handlungen hinreißen, die ihm anschließend leidtun. Auf seine Tochter Freya ist Hagen senior nicht stolz, denn er hätte sich lieber noch einen Sohn gewünscht. Freya unternimmt aber alles, um ihrem Vater zu imponieren. In ihr steckt ein verborgenes Gewaltpotential.

Zur Aufnahme in die »Odin Society« gehört ein Berserker-Ritual, wobei Odin ein Opfer gebracht werden muss. Das ist die Grundlage dessen, was man im weiteren Verlauf der blutigen und brutalen Realitäten dieser Vereinigung erfährt. Die Art der Darstellung und der rohe Sprachgebrauch könnte die Meinungen dazu spalten.

Der obdachlose Jamar Evans steht für die vielen Opfer, die als Opfergabe an Odin gebracht werden von durch Drogen berauschte Berserker im Glaubenswahn. Jamar träumt von einem besseren Leben und bangt dabei zwischen Hoffnung und Perspektivlosigkeit.

Baxter Kincaid und sein Partner Terry Callahan vom Morddezernat des San Francisco Police Department ermitteln in ungelösten Mordfällen, die mit bestialischer Gewalt ausgeführt wurden. Sie bekommen Hinweise, die zu einem möglichen Täter führen. Anhand der vorliegenden Beweise wird dieser festgenommen und zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Daraufhin werden Baxter und Terry Opfer eines Attentats, wobei Terry fast zu Tode kommt. Die beiden quittieren anschließend den Polizeidienst.

Baxter Kincaid ist mittlerweile privater Ermittler und leitet zusammen mit Corin Campbell eine Detektei. Die beiden Figuren hat Cross mit Tiefgang gezeichnet, was sowohl die Stärken als auch deren Schwächen betrifft. Ex-Detective Baxter, der sich ab und zu eine Line Koks zieht, ist ein Gutmensch und sucht nach Möglichkeit immer nach einer gewaltfreien Lösung ohne Waffen. Corin ist genau das Gegenteil. Sie geht keiner Konfrontation aus dem Weg und ist knallhart in ihrer Vorgehensweise. Baxters ehemaliger Partner Terry fühlt sich nach seiner Nahtoderfahrung geläutert und ist jetzt als Seelsorger tätig. In einer weiteren Nebenrolle neben Terry erscheint die suspendierte FBI-Ermittlerin Isodora Davis. Diese beiden Personen haben keine tragenden Rollen.

Weitere Ritualmorde versetzen die Bevölkerung von San Francisco in Angst und Schrecken. Alle Opfer weisen eindeutig auf den »Ravenkiller« als Täter hin. Ihnen wurden symbolisch zwei Raben in die Stirn geritzt. In der nordischen Mythologie sind Hugin und Munin die beiden Raben Odins. Wer verbirgt sich hinter dem »Ravenkiller«?

Fazit

Dieser Thriller ist äußerst brutal und nichts für schwache Nerven. Viele Grausamkeiten hat der Autor in die Handlung eingebaut.
Merkwürdige und schräge Ermittlertypen wie Baxter Kincaid und seine Partnerin Corin Campbell treffen auf Personen, die dem Brauchtum der Wikinger verfallen sind. Allen voran der Exzentriker Steinar Hagen.
Die beiden Handlungsebenen springen kapitelweise zwischen den Mitgliedern der »Odin Society« und dem Protagonisten Baxter Kincaid und den dazugehörigen Figuren. Cliffhanger halten die Spannung hoch.
Obwohl mich dieses Buch nicht restlos überzeugen konnte, sehe ich Potential. Man darf gespannt sein, wie sich die Reihe weiterentwickelt.

Bewertung vom 06.11.2024
Blutrotes Karma
Grangé, Jean-Christophe

Blutrotes Karma


ausgezeichnet

Vom Okzident zum Orient

Gleich mit seinem Erstlingswerk »Der Flug der Störche« aus dem Jahr 2007 schaffte Grangé den internationalen Durchbruch. Oft wählt er weit entfernte Schauplätze, wo er Frankreich mit der Handlung verknüpft.

Im Titel des Buches »Blutrotes Karma« steckt bereits die Aussage, dass es hier um etwas Spirituelles geht. In indischen Religionen wie bspw. dem Hinduismus oder dem Buddhismus ist die Lehre des Karmas eng mit dem Glauben an die Wiedergeburt verbunden.

Die Handlung geht zurück in das Jahr 1968. Studentischer Protest und das Aufbegehren der Arbeiter treffen zusammen. Es wird für ein besseres Arbeitsrecht demonstriert. Das öffentliche Leben existiert praktisch nicht mehr. Verdruss, Wut, Hass – all das ergießt sich auf den Straßen von Paris. Eine Studentenrevolte ungeahnten Ausmaßes gleicht einem Armageddon. Ein gewisser Daniel Cohn-Bendit wird zum Sprecher der Studenten. Ein sehr interessanter Einblick in die damalige politische Lage in Frankreich.

Mitten hinein in die Unruhen geschehen zwei grausame Morde an jungen Studentinnen in Paris. Hervé ist schockiert, denn er findet die erste Leiche – seine Freundin Suzanne. Wenig später wird eine weitere Studentin tot aufgefunden. Dabei handelt es sich um Cecilé, eine Freundin von Suzanne und Nicole, die dritte Studentin im Bund.

Sowohl Suzanne als auch Cecilé wurden vollkommen nackt aufgehängt an den Handgelenken mit den Armen nach oben in unterschiedlichen Yoga-Posen aufgefunden. Nichts weist daraufhin, dass die Morde etwas mit den Unruhen zu tun haben könnten.

Hervé ruft seinen Bruder Jean-Louis Mersch an. Die Halbbrüder haben dieselbe Mutter aber zwei verschiedene Väter. Ihr bisheriges Leben wurde durch eine prekäre Kindheit und eine unsichere Jugend geprägt. Nicole, eine Freundin von Suzanne und Cecilé, hat Angst, dass sie das dritte Opfer sein könnte.

Die drei Protagonisten wollen den Mörder finden und sich Klarheit verschaffen. Mersch ist Kommissar bei der Polizei. Ein schroffer Typ, der fast ständig unter dem Einfluss von Amphetaminen steht. Flashbacks erinnern ihn an seine Zeit als Soldat, wo er im Unabhängigkeitskrieg in Algerien gekämpft hat. Hervé ist Geschichts- und Philosophiestudent. Nicole, spirituell angehaucht, ebenfalls Studentin, befasst sich intensiv mit der buddhistischen Religionslehre. Sie stammt aus einem wohlbehüteten und begüterten Elternhaus.

Jean-Louis, Hervé und Nicole ermitteln auf eigene Faust. In einer wahren Odyssee führt sie der Weg von Paris über Kalkutta, nach Varanasi, dem Ursprungsland des Hinduismus und Buddhismus. In dem sogenannten Elysium (paradiesischer Ort in der Jenseitsvorstellung der Menschheit) erhalten sie Fragen auf ihre Antworten und nehmen eine Spur zum Mörder auf. Zurück in Europa reisen Jean-Louis, Hervé und Nicole zur endgültigen Wahrheitsfindung nach Rom, genauer gesagt in den heiligen Vatikan.

Auf der ganzen Reise bewegen wir uns dabei immer in demselben Handlungsstrang. Kurze Kapitel werden lediglich durch Cliffhanger unterbrochen.

Grangé zeichnet eine präzise Figurenbeschreibung aus. Handlungen und Schauplätze werden ausführlich, präzise und detailliert dargestellt. Das bezieht die grausamen Szenen mit ein. Wir werden mit ungewöhnlichen Erzählstrukturen konfrontiert, die die volle Aufmerksamkeit erfordern. Dabei ist man ständig in Angst und Sorge, dass Jean-Louis, Hervé und Nicole etwas zustoßen könnte. Überall lauern die Gefahren.

Fazit:

Dieser Thriller hätte nicht besser in der heutigen Zeit platziert werden können. Die hier erzählte Geschichte führt die drei Protagonisten vom Okzident zum Orient. Sie ist wie in der Realität gekennzeichnet von Sorgen, Ängsten, auch Aggressionen und Hass.
Man muss sich beim Lesen auf etwas Besonderes einlassen. Es ist nicht nur ein einfacher Thriller, in dem die Polizei einen Mörder jagt. Hier steckt mehr dahinter, es ist alles viel tiefgründiger und wunderbar recherchiert. Die Personen und Schauplätze könnten nicht besser beschrieben sein.
Die Spannungskurve steigt langsam, aber stetig nach oben mit Plot-Twists an Stellen, wo man sie nicht vermutet. Man kann sich nie sicher sein, was einen als nächstes erwartet.
Die Erzählweise besticht durch einen frischen, modernen Stil – manchmal blumig, manchmal etwas lustig, aber auch intellektuell. Eine Sogwirkung ist unverkennbar.
Wer sich für die Geschichte der französischen Studentenrevolte, asiatische Religionen und Spiritualität interessiert, dem kann ich dieses Buch empfehlen. Ein kleiner Kritikpunkt sei allerdings angemerkt: Den Überraschungseffekt hätte ich mir mehr zum Ende hin gewünscht. So ging es »nur« noch darum, wie sich alles klärt. Ich vergebe dennoch fünf Sterne verbunden mit einer klaren Leseempfehlung.

Bewertung vom 02.10.2024
Stalker - Er will dein Leben.
Strobel, Arno

Stalker - Er will dein Leben.


sehr gut

Wenn dich die Vergangenheit einholt

Eric Sanders ist Schauspieler und hat ein festes Engagement am Münchner Residenztheater. Er will mehr, er will berühmt werden und im Rampenlicht stehen. Dieser Wunsch scheint in Erfüllung zu gehen, als er die Hauptrolle im neuen Münchner Tatort angeboten bekommt.

Die Rolle wird ein Erfolg. Die schauspielerische Leistung wird allseits gelobt. Die Zahl seiner Follower auf Facebook steigt rasant. Aber die Medaille hat auch eine Kehrseite. Nicht jeder gönnt ihm den Erfolg. Das muss er sehr schnell erfahren.

Ein Fremder schleicht sich in Erics Identität ein und postet fiese Kommentare in Erics Namen, was einen regelrechten Shitstorm auslöst. Der Fremde gibt sich damit allein aber nicht zufrieden. Er droht damit, seiner Frau Paula und seinem Sohn Leon Gewalt anzutun, wenn er nicht öffentlich im Netz einen Mord gesteht, den er als elfjähriger Junge begangen haben soll.

Aufgrund der Ereignisse ist Erics Leben völlig aus dem Ruder gelaufen. Er kann sich nicht vorstellen, weitere Rollen als Schauspieler zu übernehmen. Eine Produktionsfirma wollte ihn eigentlich für Filmaufnahmen engagieren. Das zerschlägt sich ebenfalls. Wie sich diese einschneidenden Ereignisse auf die Psyche eines Menschen auswirken, hat Strobel sehr deutlich und nachvollziehbar beschrieben.

Eric durchlebt in immer wieder auftretenden Alpträumen ein Déjà-vu, das sich zunehmend konkretisiert. Man wird den Gedanken nicht los, dass die Alpträume einen realen Bezug zu Erics Vergangenheit haben. Er ist verzweifelt und will Licht in seine Vergangenheit bringen. Dafür ist er zu allem entschlossen und das kommt auch sehr gut rüber.

Was wäre gewesen, wenn Eric Sanders nicht so ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt wäre? Hätte der Fremde ihn dann auch gestalkt? Und geht es hier nicht auch um eine gestohlene Identität? Diese Fragen sind rhetorisch, aber für mich gibt es keine kausalen Zusammenhänge. Der gespannte Bogen zur Vergangenheit und die damit verbundenen Ursachen wirkten mir etwas überzeichnet.

Das Ende ist völlig unerwartet. Strobel hat es mit Twists geschickt verstanden, die Auflösung und Begründung bis zum Schluss verdeckt zu halten.

Fazit:

Die Handlung beginnt zügig mit einigen Spannungselementen und man ist schnell im Geschehen. Das ändert sich nach der Hälfte des Buches. Eric will endlich wissen, was in der Vergangenheit passiert ist. Zu diesem Zeitpunkt war er elf Jahre alt. Dies wird sehr ausführlich auf ca. 50 Seiten beschrieben. Das war mir zu langatmig, zumal hier die Spannung gefehlt hat. Danach wird es wieder konkret und die Dynamik nimmt zu.
Die einzelnen Kapitel haben eine angenehme Länge ohne Cliffhanger. Wenn man die Abschnitte mit Erics Alpträumen mit einbezieht, gibt es einen durchgängigen Handlungsstrang.
Es ist authentisch und erschreckend zugleich, was einem widerfahren kann, wenn man sich auf Social-Media einlässt und seine Gedanken mit anderen teilt. Wir erfahren außerdem, wie Stalking die physische und psychische Unversehrtheit eines Menschen schädigen kann.
Mir hat die Herangehensweise und Umsetzung des Themas Stalking gut gefallen. Abstriche gibt es von mir für die Ursachenforschung und die damit verbundenen Ereignisse aus der Vergangenheit sowie für die Langatmigkeit im Mittelteil. Wie schon bei seinem vorherigen Psychothriller »Der Trip« konnte mich auch dieser Stand Alone nicht ganz überzeugen. Ich ziehe daher einen von fünf Sternen ab.

Bewertung vom 15.07.2024
Hast du Zeit? (eBook, ePUB)
Winkelmann, Andreas

Hast du Zeit? (eBook, ePUB)


sehr gut

Nur die Zeit ist unser

»Alles ist fremdes Eigentum, nur die Zeit ist unser«. Dieses so flüchtige, so leicht verlierbare Gut ist der einzige Besitz, in den uns die Natur gesetzt hat, und doch verdrängt uns daraus, wer da will.« (Zitat aus den Schriften des römischen Philosophen Lucius Annaeus Seneca – 1-65 n.Chr.).

In dem Thriller »Hast du Zeit?« befasst sich Andreas Winkelmann sehr intensiv mit dem Thema »Zeit«. Der Täter beschwert sich darüber, dass ihm die Zeit »gestohlen« wurde. Er will sich rächen und ist bereit, dafür zu töten. Nach welchen Kriterien wählt er die Personen aus? Das ist aus meiner Sicht ein skurriler Ansatz. Bei einigen ist es offensichtlich, warum er sie ausgewählt hat. Bei anderen vermissten Personen kann ich keine Verbindung herstellen. Hierzu haben mir die Beweggründe des Täters gefehlt.

Lars Erik Grotheer, ehemaliger Bundestagspolizist und mittlerweile in Rente, sowie Lilly Costanzo lernen wir im weiteren Verlauf näher kennen. Diese beiden Figuren sind die Protagonisten in diesem Thriller. Sie vermissen einen lieben Menschen. Lars Erik, der zu seiner Tochter Michelle Burghardt nach langer »Sendepause« wieder Zugang gefunden hat. Lilly vermisst ihre Lebenspartnerin Felicitas Möller.

In Deutschland werden täglich 200 bis 300 Vermisstenfälle registriert. In den meisten Fällen sucht die Polizei nicht nach diesen Menschen, da kein konkreter Verdacht vorliegt. Daher ermitteln Grotheer und Costanzo zunächst auf eigene Faust und stoßen dabei auf weitere Vermisstenfälle. Kein Motiv und keine Verbindung zu den vermissten Personen sind erkennbar.

Bei Angehörigen von einigen Vermissten tauchen Sanduhren auf. Was hat das für eine Bedeutung? Die Angehörigen sind irritiert und haben kein gutes Gefühl.

In eingeschobenen Kapiteln, die immer mit der Überschrift »Hinter der Zeit« beginnen, erzählt der Täter in Monologform über seine Gefühlslage. Es dreht sich dabei alles um ein und dieselbe Person: Hannah. Wer ist das – eine Verwandte oder Bekannte? Warum hat er sich immer um sie gekümmert und ihr seine Zeit geopfert? Ist sie krank? Nach und nach kommen wir der Lösung näher. Und plötzlich ist sie nicht mehr da. Ein sehr starkes Setting.

Nicht nur die Gefühle des Täters können wir im weiteren Verlauf besser verstehen und einordnen, auch in die Psyche der Entführten lässt uns der Autor tief blicken. Wir erfahren ein grausames Finale, was auf einen tief traumatisierten und psychopathischen Menschen schließen lässt.

Fazit:

Winkelmann hat als Grundlage für seinen Thriller ein Thema (Zeit) gewählt, dass zum Nachdenken anregt.
Einmal drin in der Handlung – und das geschieht schon auf den ersten Seiten – »fliegt« man durch den Inhalt. Verschiedene Erzählperspektiven sorgen zusätzlich für Spannung, die zum richtigen Zeitpunkt auf die Spitze getrieben wird.
Von Beginn an hat Winkelmann in seinen Kapiteln bei der Leserschaft für Verwirrung gesorgt. Das trifft insbesondere auf das Mitwirken vieler Figuren zu, wobei die meisten keinen Bezug zueinander haben. Das macht es nicht gerade einfach, den Überblick zu behalten.
Bei der Kapitellänge setze ich mehr auf Kontinuität, was hier nicht gegeben ist. Einmal sind sie überschaubar kurz, dann wieder lang. Endet ein Kapitel mit einem Cliffhanger, wünsche ich mir kurze Kapitel zur Fortsetzung des Handlungsstrangs.
Der Schreibstil ist leicht verständlich, flüssig und spannend. Unter Abwägung aller Pluspunkte und der verhalten angebrachten Kritik vergebe ich vier Sterne.

Bewertung vom 26.06.2024
Wenn sie lügt
Geschke, Linus

Wenn sie lügt


sehr gut

Hass – Leid – Liebe

Waldesroda ist ein kleiner trister Ort in Thüringen, wo ein verschlossener Menschenschlag lebt. Dort ist damals vor neunzehn Jahren ein unfassbares Verbrechen geschehen, das das Leben komplett verändert hat. Diese Vergangenheit hat Auswirkungen auf die Gegenwart.

In zwei verschiedenen Zeitebenen erzählt der Autor abwechselnd aus der Vergangenheit und der Gegenwart. Zum besseren Verständnis sind die Kapitel jeweils mit »NORAH«, »GORAN« und »ER« übertitelt. Cliffhanger an den Kapitelenden dienen dazu, zum Weiterlesen anzuspornen. Das hat Geschke sehr gut umgesetzt.

Rolaf, Peggy, Marcel, Lisa, Daniel, Norah und Goran sind eine eingeschworene Teenager-Clique. Als sich Norah in den vier Jahre älteren David verliebt, bekommt die Clique erste Risse. David will nicht, dass Norah sich weiter mit ihren Freunden trifft. Aus unerklärlichen Gründen ermordet David ein Liebespärchen und wird kurz nach der Tat und seiner Flucht von der Polizei für tot erklärt. Norah ist fortan nur noch die »Freundin des Killers«. Schweigen nach der Tat bringt die Clique endgültig auseinander.

Weil beide der Vergangenheit entfliehen wollen, zieht Norah nach Dresden und Goran nach Berlin.

Neunzehn Jahre später – Norah ist längst wieder in ihre Heimat zurückgezogen – brechen die alten Wunden wieder auf. Mysteriöse Drohbriefe tauchen plötzlich bei Norah auf. Dort werden Dinge erwähnt, die außer ihr nur noch David wissen konnte. Zudem nennt sie der Briefeschreiber »Äffchen«, so wie David sie liebevoll genannt hatte. Ist es ein Indiz dafür, dass er bei seiner Flucht nicht ums Leben gekommen und jetzt zurückgekehrt ist? Ein spannendes Element, das der Autor hier eingebaut hat.

Auch Goran kehrt aus Berlin zurück. Norahs Mutter Elisabeth, zu der Goran immer ein besonderes Verhältnis hatte, erzählt ihm von den Drohbriefen und bittet ihn, zurückzukommen. Norah und Goran hatten schon immer eine engere Beziehung zueinander, wollten sich dies aber nie eingestehen.

In einer auktorialen Erzählweise wird uns das Leben der Protagonisten Norah und Goran vor neunzehn Jahren und in der Gegenwart als Erwachsene mit Mitte dreißig geschildert. Dazwischen erfahren wir aus den Kapiteln, die mit »ER« beginnen, von einer Person voller Wut und Hass, die sich rächen will. Aber an wem und für was?

Im Laufe der Handlung wird »ER« immer mehr zum zentralen Thema. Norah und Goran versuchen, sie oder ihn ausfindig zu machen. Es kann sich nur um jemanden im näheren Umfeld von Norah handeln. Im Ausschlussverfahren derer, die es sein könnten, wird der Kreis immer kleiner.

Wenn man als aufmerksamer Leser die richtigen Schlüsse zieht, kommt man der Lösung schon bald auf die Spur. Es gibt nur eine Person, die die Drohbriefe geschrieben haben kann, auch wenn Geschke versucht, immer wieder andere Fährten zu legen.

Fazit:

Nach »Das Loft« (2022) und »Die Verborgenen« (2023) ist dies der dritte Stand Alone-Thriller von L. Geschke. Wie man hört, will der Autor sich demnächst wieder einer neuen Reihe widmen.
Die Charaktere der einzelnen Figuren sind sehr gut ausgearbeitet. Das trifft in erster Linie auf Norah und Goran zu.
Was in diesem Thriller weiterhin auffällt, ist die Tatsache, dass wir keine polizeilichen Ermittlungen haben, geschweige denn ein Ermittlerteam – lediglich ein oder zweimal wird ein Polizeieinsatz am Rand erwähnt.
Eingefügte Absätze mit Fallzahlen aus der Kriminalstatistik sind interessant und aufschlussreich. Das hat mir sehr gut gefallen.
Leider konnte mich das Setting nicht ganz überzeugen. Eingefügte Plot-Twists hätten die Handlung bereichert. Von der Dynamik her ist »Wenn sie lügt« nicht der stärkste Stand-Alone des Autors.

Bewertung vom 21.05.2024
Die Sehenden und die Toten / Ein Carla-Seidel-Krimi Bd.1
Piontek, Sia

Die Sehenden und die Toten / Ein Carla-Seidel-Krimi Bd.1


gut

Eine verschmähte Liebe

Kriminalkommissarin Clara Seidel hat sich vor zwei Jahren vom Morddezernat in Hamburg zur Polizeistation Dannenberg ins beschauliche Wendland versetzen lassen. Sie hat dort ein Fachwerkhaus gekauft und ist zusammen mit ihrer siebzehnjährigen Tochter Lana eingezogen.

Es muss in der Vergangenheit etwas in ihrem privaten Bereich passiert sein, das Clara zu diesem Schritt bewogen hat. Sowohl Mutter als auch Tochter versuchen das Geschehene zu verarbeiten – es ist aber mehr ein Verdrängen. Clara hat ein Alkoholproblem und sie leidet hin und wieder an Panikattacken. Ist sie unter diesen Umständen noch für den Polizeidienst tauglich? Lana möchte nur Kontakt mit ihrer Mutter haben und interessiert sich sehr für die Arbeit ihrer Mutter. Beide verbindet die Erinnerung an die Vergangenheit und sie sind auch sonst ein gut eingespieltes Team.

Man kann sich nicht daran erinnern, wann die Polizeistation Dannenberg ein Tötungsdelikt aufzuklären hatte. Aber genau das ist jetzt der Fall. Es geschieht ein Mord an einem achtzehnjährigen Jungen. Justus Libermann wird tot in den Elbtalauen gefunden. Seine Augäpfel wurden entfernt und durch Spiegelscherben ersetzt. Was will uns der Täter mitteilen? Ist es ein möglicher Hinweis auf einen Fetisch, haben wir es mit einem Psychopathen oder einem perversen Mörder zu tun?

Clara Seidel ist für die Polizeistation Dannenberg überqualifiziert und die anderen Mitarbeiter zunächst mit dem aktuellen Fall überfordert. Es fehlen die richtigen Ansätze für die Ermittlungen. Eine Soko wird zusammengestellt. Die Leitung übernimmt Kai Wächter vom Staatsschutz in Hannover. Warum wurde dieser Beamte nach Dannenberg versetzt? Gibt es dafür einen Grund?

Wächter sowie Alexander Libermann, der Vater des Opfers haben einen fiesen Charakter. Wächter ist arrogant und herablassend seinen Mitarbeitern gegenüber. Spannungen zwischen Wächter und Seidel sind unübersehbar. Der Tod seines Sohnes Justus lässt Libermann offensichtlich kalt.

Mit Clara Seidel und deren Tochter Lana habe ich während des Lesens in gewisser Weise Mitgefühl entwickelt. Von Beginn an wird ein Spannungsfeld aufgebaut, das nicht abebbt, aber auch im weiteren Verlauf nicht zunimmt. Während der Erzählung legt die Autorin immer wieder neue Spuren bzw. Hinweise zu Ereignissen und möglichen Tätern aus, um den Leser in die Irre zu führen. Ist ein neuer Verdacht aufgekommen, erweist er sich schnell wieder als haltlos.

Gerade zum Ende hin hätte ich mir aber gewünscht, dass etwas Unvorhersehbares geschieht. So kam es lediglich zu einem anonymen Anruf mit einem Glückwunsch zum Erfolg, den Clara Seidel schaudern lässt. Ein »Woweffekt« ist bei mir nicht eingetreten.

Fazit:

Dieser Kriminalroman ist atmosphärisch und kommt ohne Klischees aus. Schon nach wenigen Seiten kommt man leicht in diesen Plot hinein.
Die Kapitel sind relativ kurzgehalten, was das Lesen positiv beeinflusst. Manche Kapitel enden mit einem Cliffhanger, bei anderen Kapiteln wird die Handlung im darauffolgenden Kapitel fortgesetzt.
Die Autorin beschreibt die einzelnen Charaktere so, dass man sich gut in die Figuren und deren Verhalten hineinversetzen kann. Sie dringt dabei tief in deren Psyche ein. Dafür scheint Piontek ein »Händchen« zu haben.
Als Einstieg in die Kriminalliteratur nicht schlecht, obwohl noch einiges an Luft nach oben bleibt. Von mir gibt es drei Sterne.

Bewertung vom 22.04.2024
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Kvensler, Ulf

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sehr gut

Wahrheit oder Lüge?

Wie jedes Jahr brechen Anna, Milena und Henrik zu einer Wanderung im Norden Schwedens auf. Anna Samuelsson und Henrik Ljungman sind verlobt, Milena Tankovic ist Annas beste Freundin. Anna sowie Milena haben zusammen Jura studiert und Henrik bei den Vorlesungen als Dozent kennengelernt. Im Laufe der Geschichte wird man den Verdacht nicht los, dass Milena auf Anna wegen Henrik eifersüchtig ist.

In einer anderen Zeitebene vor ungefähr zehn Jahren erfahren wir, wie sich Anna und Henrik kennengelernt haben und nähergekommen sind. In einer zweiten Zeitebene erzählt Milena, wie sie versucht hat, mit Henrik Kontakt aufzunehmen. Aber Henrik hat sich für Anna entschieden.

Dieses Jahr möchte Milena ihren neuen Freund Jacob Tessin mitnehmen. Die anderen Beiden stimmen zu, obwohl Henrik nicht begeistert ist. Jacob scheint auch nicht der zu sein, für den er sich ausgibt. Schon auf der Bahnfahrt zum Ausgangspunkt fällt Jacob durch sein eigenmächtiges Verhalten auf. Er will die drei zu einer Touränderung durch die alpine Gebirgslandschaft des Sarek überreden.

Eine Tour, die wesentlich anspruchsvoller und gefährlicher ist als die geplante Route. Jacob hat eine Kletterausrüstung dabei (Haken, Seile, Eispickel) was darauf schließen lässt, dass er nicht nur wandern will.

Auf der Zugfahrt zum Ausgangspunkt kommt es zu ersten Konflikten in der Gruppe. Es entstehen Spannungen zwischen Henrik und Jacob.

Mit zunehmendem Schwierigkeitsgrad der Tour verändern sich die einzelnen Charaktere. Jacob entpuppt sich mehr und mehr als Narziss und Psychopath. Seine Freundin Milena ordnet sich ihm unter. Sie ist ihm hörig, weil sie auch Angst vor ihm hat. Henrik wirkt gleichgültig aber zunehmend auch depressiv, je länger die Tour dauert. Er ist der einzige von den vieren, der mit den Strapazen überhaupt nicht zurechtkommt und sogar zweimal eine Panikattacke erleidet. Anna hingegen hat anfangs einen starken Charakter und feste Prinzipien. Später wirkt sie zuweilen fast paranoid.

Am unsympathischsten habe ich Jacob empfunden. Henrik und Anna haben mir manchmal leidgetan. Milena hat sich nicht als die Freundin von Anna gezeigt, die sie vorgibt zu sein. Jacob hat mehr und mehr einen Keil zwischen die drei getrieben.

Nach einem Erzählstrang, der jeweils mit einem Cliffhanger endet, erfahren wir in eingeschobenen Kapiteln etwas aus der Zeugenbefragung zwischen Kommissar Anders Suhonen und einer anderen Person.

Nach zwei Drittel des Buches war für mich der Spannungshöhepunkt erreicht, danach flachte es eher ab. Was danach geschah, ist eine Überraschung und nicht vorhersehbar. Was ist wirklich passiert? Es gibt keinen Folgeband und somit kann man auch keinen Cliffhanger vermuten.

Fazit:

Eine intensive Beschreibung der vier Charaktere ist Kvensler gelungen. Wie verändert sich die Haltung von Menschen, wenn sie in Gefahrensituationen kommen oder bedrängt werden? Dies hat der Autor sehr eindrucksvoll erläutert.
Die alpine Gebirgslandschaft des Nationalparks Sarek im schwedischen Teil von Lappland ist mit ihrer Schönheit, aber auch mit den abrupten Wetterveränderungen in die Geschichte mit einbezogen worden. Das ist informativ und hat mir sehr gut gefallen.
Neben den positiven Aspekten sind mir aber auch negative Dinge aufgefallen. Tagelang ist die Gruppe Wind, Regen, Eis und Schnee ausgesetzt. Irgendwann ist die komplette Kleidung einschl. Wechselkleidung durchnässt. Sogar die Schlafsäcke werden nass. Und trotzdem gibt es nicht das kleinste Anzeichen einer Erkältung.
Mit der Subline des Buches »Nur einer kehrt zurück« hadere ich etwas. Hiermit legt sich der Autor meines Erachtens bereits fest, dass im Laufe der Wanderung etwas Unwiederbringliches passiert. Oder hatte der Autor Bedenken, dass die Headline »Der Ausflug« alleinstehend zu brav, zu nichtssagend ist?
Viel hat der Autor richtig gemacht, aber einiges hat mir auch nicht gefallen, worauf ich auch eingegangen bin. Daher ziehe ich von fünf Sternen einen ab.