Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
EvaLiest
Wohnort: 
Nürnberg

Bewertungen

Insgesamt 70 Bewertungen
Bewertung vom 27.08.2025
Lázár
Biedermann, Nelio

Lázár


sehr gut

Lázár von Nelio Biedermann, das auf den ersten Blick wie eine Familiensaga daherkommt, ist so unheimlich vielschichtig, dass ich nach der Lektüre lange gebraucht habe, um meine Gedanken zu sortieren (und vielleicht auch immer noch dabei bin).
Zum einen geht es natürlich schon um die Geschichte der Familie Lázár, um die Einzelschicksale, um die Bedeutung von Familie, um die Unterschiede zwischen den Generationen und gleichzeitig die Bewahrung von Tradition. Besonders die Männerfiguren sind dabei sehr tragisch angelegt und müssen sich der Frage nach Schuld und Verantwortung stellen.
Eine zweite Ebene ist die historische Entwicklung der KuK-Monarchie und der Geschehnisse rund um die beiden Weltkriege. Die Auswirkungen werden hauptsächlich am Beispiel der Baronenfamilie gezeigt, was ich sehr gelungen finde, da es für mich die Problematik der Verhältnismäßigkeit oder Vergleichbarkeit von Leid aufzeigt. Immer wieder habe ich großes Mitleid mit der Familie empfunden, obwohl mir gleichzeitig deren Privilegien und Fehlverhalten durchaus bewusst waren. Spannend!
Und dann gibt es noch eine symbolische Ebene, die sich vor allem aus religiösen und teils auch literarischen Referenzen speist. Ich bin mir sicher, dass ich hier nicht alle Verweise bemerkt bzw. verstanden habe, aber ein paar, wie zum Beispiel das Gleichnis von Lazarus oder die Anspielung auf Prousts Suche nach der verlorenen Zeit, sind dann doch offensichtlich genug.
Was mich an diesem Buch am meisten begeistert hat, ist die Sprache, mit der Nelio Biedermann vielleicht sogar noch eine vierte Ebene schafft. Sie ist bildgewaltig, ohne dabei so lyrisch zu sein, dass sie gekünstelt oder kitschig wirkt. Sie ist aber stellenweise auch kompliziert, nutzt Schachtelsätze und komplexe Konstruktionen, und durchbricht damit auch immer wieder die Illusion der Nostalgie.
Insgesamt ist es ein Buch, das mich in seinen Bann gezogen hat und auch nach der Lektüre noch stark nachwirkt. So viele Themen werden hier gekonnt miteinander verbunden und ich hätte gerne mehr geschrieben, zu den Schicksalen der jüdischen Bevölkerung, der Frauen, der Intellektuellen, oder auch einfach zu den einzelnen Figuren.
Am Ende bleiben leider ein paar Fragen offen, auf deren Auflösung ich hingefiebert habe und dann etwas enttäuscht war, als ich keine Antworten bekam. Selbst nach diversen Recherchen und viel Nachdenken bleibt es mir ein Rätsel, was in der Ruine passiert ist. Auch zu Imre oder den Schatten hätte ich mir mehr gewünscht. Dennoch ein starkes Buch, das ich absolut empfehle!
4,5/5

Bewertung vom 27.08.2025
Warum schlafen wir?
Evans, Cathy

Warum schlafen wir?


gut

Warum schlafen wir? Vom Träumen, Schlummern und Schlafwandeln ist ein tolles Kinderbuch von Cathy Evans (Autorin) und Polya Plavinskaia (Illustratorin) [Übersetzung von Stefanie Brägelmann], das viele verschiedene Aspekte zum Thema Schlaf in den Fokus nimmt.

Schon das Cover ist so schön gestaltet, mit der silbernen Schrift und den vielen Häusern, in denen es schon einiges zu entdecken gibt.

Die Inhalte sind wirklich vielfältig und reichen von Erklärungen, was beim Schlafen passiert, über Träume, bis hin zu Schlaftypen oder Schlaf bei Tieren. Hier ist wirklich für alle etwas dabei. Die Illustrationen sind schön, wenn mich die Fülle der Motive auf manchen Seiten auch überfordert. Die Farben sind eher dunkel (passend zum Thema) und teilweise ist die Kombination aus Text und Bild dann doch etwas chaotisch. Optisch toll, aber nicht immer so leicht zu lesen.

Etwas, das mir gar nicht gefällt, ist die Schriftart, die für viele der Texte verwendet wurde. Zum einen ist sie gar nicht so einfach zu lesen, zum anderen wird die Groß- und Kleinschreibung teilweise ignoriert. Finde ich bei einem Buch, das viele Kinder sicher auch alleine lesen, nicht sehr gelungen.

Insgesamt ein gemischtes Fazit: die Inhalte sind super, und auch die Illustrationen gefallen mir. Leider ist das Leseerlebnis nicht so angenehm, wie erhofft (aber das kommt sicher auch daher, dass hier alle sehr reizoffen sind, für andere Leser:innen mag das unproblematisch sein).

Bewertung vom 27.08.2025
Heimat
Lühmann, Hannah

Heimat


sehr gut

Heimat von Hannah Lühmann ist ein kurzer Roman, der sich mit Retraditionalisierung und Rechtsruck auseinandersetzt.

Jana zieht mit ihrem Mann und den Kindern aufs Land und knüpft dort Kontakt zu anderen Müttern. Schnell wird sie in die Gruppe aufgenommen, um dann festzustellen, dass vor allem die „Anführerin“, Karolin, ihr Leben als Tradwife gekonnt auf den sozialen Medien inszeniert. Diese scheinbar selbstgewählte Rückkehr in traditionelle Rollenmuster wird im perfekt kuratierten Feed geschickt als einzig erfüllendes Familienmodell präsentiert: dreckige, aber glückliche Kinder, die den ganzen Tag im Freien spielen und natürlich nicht fremdbetreut werden; Rezepte, bei denen man neben den Erzeugnissen aus dem eigenen Garten selbstverständlich vor allem die Liebe schmeckt, mit der sie für die Familie zubereitet wurden; Landhausästhetik von den Holzmöbeln bis zu den Outfits der gesamten Familie. Jana merkt, dass sie gleichzeitig fasziniert, abgeschreckt und sogar neidisch ist und wir begleiten sie dabei, wie sie sich mit dem Ganzen auseinandersetzt. Nebenbei finden Themen wie Familiendynamik, rechte Politik, Werte und Mutterschaft mit all ihren Konsequenzen Eingang in die Geschichte.

Die unheimliche Stärke dieses Buches liegt darin, dass man sich beim Lesen selbst immer wieder dabei ertappt, Karolin nicht wirklich widersprechen zu können. Es ist total gruselig, weil es aufzeigt, wie subtil die Neue Rechte agiert. Wie gut sie die Schwachpunkte bestimmter Gruppen (hier: junge Mütter) ausfindig machen und dann genau dort ansetzen. Und zwar nicht durch laute Parolen oder angriffslustige Argumente, sondern durch ganz gezielt gesetzte, scheinbar beifällige Bemerkungen. Und die treffen genau dort, wo das Selbstbewusstsein vielleicht eh schon leicht angekratzt ist. Und dann beginnen die Zweifel. Und das reicht.

Dieses Buch macht Angst, weil es sich hier keinesfalls um eine Dystopie handelt, sondern sich die Geschichte so oder so ähnlich in vielen ländlichen Regionen abspielen könnte und es vermutlich auch tut. Beim Lesen musste ich neben Margaret Attwood’s Handmaid’s Tale auch an die Metapher mit dem Frosch im Wasserglas denken: Aus einem Glas mit heißem Wasser würde er sofort wieder raushüpfen, aber wenn man ihn in kaltes Wasser setzt und die Temperatur ganz langsam erhöht, merkt er die Hitze erst, wenn es schon zu spät ist.

Das Einzige, das ich mir noch gewünscht hätte, wären etwas mehr Infos an bestimmten Stellen: Wie genau ist die Dynamik zwischen Karolin und Clemens? Über Jonas hätte ich auch so gerne mehr erfahren – vielleicht hätte man den kalifornischen Liebhaber für ein paar mehr Informationen opfern können?

Insgesamt hat mich das Buch aber überzeugen können, und von mir gibt’s definitiv eine Empfehlung. Eignet sich ganz sicher auch gut als Buchclub-Buch oder Oberstufenlektüre! Und als Geschenk für all jene, die vielleicht anfällig für die vermeintliche Idylle der Tradwife-Bewegung sind.

4,5/5

Bewertung vom 11.08.2025
183 Pinguine. Das große Tier-Such-Buch
Frattini, Stéphane;Manceau, Édouard

183 Pinguine. Das große Tier-Such-Buch


ausgezeichnet

183 Pinguine von Stéphane Frattini und Édouard Manceau ist kein gewöhnliches Wimmelbuch. Auf jeder Seite sind 1 Tonne Tiere abgebildet (vermutlich ungefähr, so genau habe ich das jetzt nicht recherchiert…). So kann man das Größenverhältnis zwischen den verschiedenen Tierarten gut einschätzen, denn natürlich sind es viel weniger Wale als Krokodile oder Pinguine. Und auf jeder Seite gibt es dann einen kurzen Text und ein paar Suchaufgaben (die zum Glück recht anspruchsvoll sind, sodass wir mit dem Buch länger unseren Spaß haben können).
Das Buch ist ein ganz wunderbares Wimmelbuch für ältere Kinder. Neben kniffligen Suchaufgaben sind hier auch einige interessante Informationen enthalten, sodass ganz nebenbei auch noch etwas gelernt werden kann. Super Kombination. Für Fans von Walter und Pierre aber auch für alle anderen Hobby-Sucher😊.

Bewertung vom 11.08.2025
Kosmos SchlauFUX Roboter und KI
Leimbach, Thorsten;Jost, Beate

Kosmos SchlauFUX Roboter und KI


sehr gut

Das KOSMOS Kinderbuch Roboter und KI von Beate Jost und Thorsten Leimbach überzeugt durch eine Fülle von Fakten und abwechslungsreiche Themen.

Roboter und KI sind aus unserem Leben heute nicht mehr wegzudenken, aber die meisten von uns kennen sich mit den Details der Technologien vermutlich nicht so gut aus. Umso besser, wenn es gute Kinderbücher gibt, die das Ganze kindgerecht aufbereitet erklären können – so lernen auch wir Erwachsenen noch etwas dabei. Egal, ob Nanotechnologie, Sprachroboter oder Prothesen, hier werden wirklich unheimlich viele Themen abgedeckt. Und da diese oft recht eng miteinander verknüpft sind, gibt es auf jeder Seite Hinweise, welchen Beitrag man als nächstes lesen könnte – je nachdem, welcher Aspekt des aktuellen Themas am meisten interessiert hat. Das kennt man aus Abenteuergeschichten aus der Kindheit und auch wenn es hier meiner Meinung nicht nötig wäre, bietet es doch ein Gefühl der Autonomie und Selbstbestimmung, was für Kinder ja nie verkehrt ist.

Gut gefallen hat mir die Auswahl der Themen und die Aufarbeitung der Informationen. Einen Stern Abzug gibt es allerdings für die doch sehr beladenen Seiten. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hinsehen soll und die Fülle der Informationen wirkt zunächst etwas erschlagend.

Abgesehen davon ein gelungenes Buch mit viel Fachwissen für kluge Köpfe.

Bewertung vom 11.08.2025
Das Geschenk
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


sehr gut

Das Geschenk ist der zweite Roman, den ich von Gaea Schoeters gelesen habe (in der wunderbaren Übersetzung von Lisa Mensing), und auch wenn er für mich nicht ganz an den grandiosen Debütroman Trophäe herankommt, ist es doch ein sehr gelungenes Buch.

Eines Tages stehen plötzlich Elefanten mitten in Berlin. Nach einem kurzen Moment der Verwirrung stellt sich heraus, dass die Regierung von Botswana 20.000 Tiere nach Deutschland geschickt hat. Und zwar als Reaktion auf die Einmischung des Bundeskanzlers in die dortige Politik: eine Änderung des deutschen Elfenbeineinfuhrgesetzes sorgt in dem afrikanischen Land nämlich für eine erhebliche Elefantenüberpopulation. Und nun muss Deutschland selbst sehen, wie man damit fertig wird, wenn Unmengen an Elefanten durchs Land streifen, und das Ausland bevormundend verbietet, korrigierend einzugreifen.

Es geht in diesem kurzen Roman um Überheblichkeit und Doppelmoral, um das gönnerhafte Auftreten westlicher Regierungen gegenüber ehemaligen Kolonien, deren scheinbare Zugeständnisse selten ohne erhobenen Zeigefinger auskommen.

Der Roman trifft – neben der Kritik an der Außenpolitik – auch voll ins Zentrum aktueller politischer Vorgänge. Ein konservativer Kanzler, eine rechte Partei als zweitstärkste Kraft, eine Ministerin, die wissentlich als Bauernopfer instrumentalisiert wird, und das, obwohl sie sich als äußerst kompetent herausstellt. Und inmitten der persönlichen Befindlichkeiten die Frage: wollen Politiker:innen „das Richtige tun oder an der Macht bleiben“?

Auf teils groteske, absurde Weise findet Schoeters wunde Punkte und drückt mal kurz drauf. Nicht zu sehr, doch schon so, dass man es spüren kann. Dadurch ist der Roman zwar kritisch, aber nicht dogmatisch oder belehrend, sondern ein Impuls zur Reflektion.

Diese Leichtigkeit erreicht die Autorin auch durch die präzise sprachliche Gestaltung. Die Geschichte liest sich unheimlich flüssig, hat aber dennoch einen gewissen Wortwitz, der auch dank der tollen Übersetzung erhalten bleibt. Daneben ist die Zeichnung der Personen und auch die Beschreibung der Elefanten äußerst gelungen.

Kleiner Wehrmutstropfen: Das Cover des Buches wurde mit KI erstellt. Das finde ich nicht gut, denn gerade in der Welt der Kunstschaffenden würde ich mir hier mehr Bewusstsein wünschen. Ich bin mir sicher, es gibt wunderbare Künstler:innen, die dem Buch ein würdiges Cover beschert hätten.
Abgesehen davon: Lest das Buch! Es ist kurz und knapp, und dabei wunderbar kluge und humorvolle Unterhaltung.

4,5/5

Bewertung vom 11.08.2025
Hundesohn
Keskinkiliç, Ozan Zakariya

Hundesohn


sehr gut

Hundesohn von Ozan Zakariya Keskinkiliç ist ein Roman, der ganz sicher polarisieren wird. Auf dem Buchrücken steht, es sei eine Liebesgeschichte. Und das stimmt definitiv.
Doch es ist nicht nur die Geschichte zwischen Zakariya und Hassan, die erzählt wird. Auch die Liebe zur Familie, zu Freund:innen, zur Literatur, zu Sprache und letztendlich auch zu sich selbst wird hier verhandelt.
Der Roman ist zugleich derb und zärtlich, was wie ein Widerspruch klingt, aber die einzige Beschreibung ist, die hier passt. Neben rohen Passagen über Bettwanzen oder Sexualpraktiken stehen poetische Sätze über Sprache oder Herkunft. Der Protagonist ist dabei unaufhörlich auf der Suche nach sich selbst, seiner Identität und einem Halt in seinem Leben.
Dieses Buch zeigt für mich mal wieder, was Lesen und Literatur alles kann. Ich habe nichts, aber auch gar nichts mit dem Protagonisten gemeinsam. Er ist ein Mann, queer, Muslim, religiös, hat einen Migrationshintergrund, wechselnde Sexualpartner, … . Und dennoch konnte ich mich so sehr in seine Erzählung einfühlen! Manchmal, wenn das Leid und die Sehnsucht besonders spürbar waren, hätte ich ihn einfach gerne in den Arm genommen.
Ich muss aber ehrlicherweise sagen, dass ich auch verstehen kann, wenn man zu dem Buch keinen Zugang findet. Mann muss sich darauf einlassen, die expliziten, drastischen Szenen zu lesen und sich ihnen ausliefern, da die verletzlichen, leisen Seiten erst durch den Kontrast ihre volle Wirkung entfalten.

Bewertung vom 17.07.2025
Gesellschaftsspiel
Zwickau, Dora

Gesellschaftsspiel


gut

In Gesellschaftsspiel von Dora Zwickau entwickelt ein Tech-Milliardär eine App, mit der er die Demokratie digitalisieren möchte. Die Einwohner:innen Weimars erhalten in einem Pilotprojekt Zugang zu der Plattform, über die sie scheinbar basisdemokratisch alle Aspekte des politischen Miteinander bestimmen können. Im Zentrum des Geschehens stehen Isabelle, Annika, und ihre Tante Dagmar, die sich nach dem Tod der Mutter bzw. Schwester einander wieder annähern. Jede geht auf ihre eigene Art mit der App um, und so zeigen sich verschiedene Facetten. Durch Isabelles Arbeit als Lehrerin bekommt man zudem noch den Blick darauf, wie Jugendliche mit der App interagieren.

Wie das Ganze dann konkret abläuft und auf welche Probleme und Kritik wir stoßen, möchte ich gar nicht weiter ausführen, denn genau das ist das eigentlich Spannende an dem Roman. Wer nutzt die App, wer nutzt sie aus und wer boykottiert sie? Inwiefern gelingt es, eine Gesellschaft digital abzubilden und lassen sich die aktuellen Probleme der Demokratie damit lösen oder werden sie gar potenziert?

Abgesehen davon ist mir das Buch ein bisschen zu voll mit Nebenthemen. Ein klassisches Bingo-Buch, bei dem ich das Gefühl habe, die Autorin konnte sich nicht so ganz auf einige wenige Erzählstränge festlegen und bringt daher alles unter, was auf ihrer Bingokarte steht. Schade, denn das Kernthema hat definitiv Potenzial und hätte noch etwas mehr Details und Tiefe verdient.

Nachdem ich zum Inhalt nicht zu viel verraten möchte, noch ein paar Worte zum Titel, der mir ob seiner Mehrdeutigkeit unglaublich gut gefällt. Es geht hier zunächst um ein Gedankenspiel bezogen auf die Gesellschaft. Wie würden die Menschen reagieren, wenn sie die Möglichkeit hätten, per App an der Politik beteiligt zu sein? Welche Vorteile würden sich ergeben, und wo wären die Grenzen und Gefahren? Daneben ist es aber für mich auch eine Anspielung auf den Begriff Gamification, also den Trend, aus allem ein Spiel zu machen, oder zumindest spielerische Elemente einzufügen. Was im Alltag hilfreich sein mag (ich denke da an Lern-Apps für Kinder oder Haushalts-Apps mit Belohnungssystemen), muss gesamtgesellschaftlich gesehen noch lange nicht funktionieren. Letztlich lese ich aus dem Titel auch die Angst, dass unsere Zukunft aufs Spiel gesetzt wird und Menschen sich und somit unsere Demokratie regelrecht verzocken. Und wie bei den meisten Gesellschaftsspielen gibt es am Ende vielleicht mehr Verlierer als Gewinner.

Bewertung vom 12.07.2025
Treppe aus Papier
Szántó, Henrik

Treppe aus Papier


sehr gut

Treppe aus Papier von Henrik Szántó hat mich überrascht. Mit einer außergewöhnlichen Erzählperspektive, zwei sehr gut ausgearbeiteten Protagonistinnen und einem sehr nuancierten Blick auf Schuld und Verantwortung.

Die sechzehnjährige Nele, die sich mit dem Geschichtsunterricht rund um den Nationalsozialismus und die Gründung der BRD in der Schule schwer tut, gerät mit ihrer neunzigjährigen Nachbarin ins Gespräch und im Laufe des Buches erfährt sie von ihr aus erster Hand viel über die Vergangenheit. Der abstrakte Schulstoff wird so für sie greifbar und motiviert sie, sich selbst weiter zu informieren, sowohl allgemein als auch über ihre Familiengeschichte. Sie erkennt, wie wichtig es ist, (sich) auch unangenehme(n) Fragen zu stellen und verzweifelt an dem Verhalten der Mitmenschen, die sich dem Verweigern wollen.

Über weitere Erzählstränge erfahren wir von den unterschiedlichsten Hausbewohner:innen zu verschiedenen Zeiten und wie diese auf unterschiedliche Arten zu Opfern, Tätern, und Nutznießern einer Ideologie wurden. Dabei wird deutlich, dass die Hintergründe zwar oft erklären können, wie es zu einer Situation kommen konnte, diese aber nie eine Entschuldigung für das Verhalten darstellen. Es geht um Erinnerungskultur, um Schuldfragen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene und darum, dass es ohne ein Anerkennen dieser Schuld keine Möglichkeit gibt, die Vergangenheit aufzuarbeiten.

Der Roman hat mich zunächst aufgrund der außergewöhnlichen Erzählperspektive angesprochen. Wir bekommen die Geschichte nämlich vom Haus selbst erzählt, was ein richtig spannendes Konzept ist. Und das zieht sich allegorisch durch das ganze Buch und zeigt, dass Geschichte und Geschichten eben nicht nur flüchtig sind, sondern ihre Spuren hinterlassen und sich im Fundament einer Gesellschaft niederlassen, sich überlagern und wichtig für das Verständnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind. Im Gegensatz zu den meisten anderen Büchern, bei denen wir uns zeitlich auf einer Ebene befinden, uns aber räumlich mit den Figuren fortbewegen, überlagern sich hier die Ereignisse aus hundert Jahren, während wir uns räumlich auf einen Ort konzentrieren und dadurch die deutsche Geschichte in einer Art Mikrokosmos wahrnehmen. Diese besondere Erzählperspektive wurde hier meiner Meinung nach richtig gut umgesetzt und macht für mich den Reiz des Werkes aus.

Was mich immer wieder aus der Geschichte gerissen hat, waren die Eltern von Nele. Schon am Anfang fand ich sie ziemlich nervig (der Vater kümmert sich nicht um seine stinkigen Sportsachen, und die Mutter erwartet dann, dass die Tochter das übernimmt?), aber als Nele dann beginnt, ihre Fragen zu stellen, kann ich mir die abweisende Reaktion der Eltern einfach nicht erklären. Klar, sie werden damit konfrontiert, sich nicht/zu wenig mit der potenziellen Nazi-Vergangenheit der eigenen Familie auseinandergesetzt zu haben, und niemand wird gerne kritisiert, aber die Heftigkeit, mit der sie Neles Nachforschen als unangemessen hinstellen, fand ich nicht nachvollziehbar.

Abgesehen davon hat mir das Buch aber richtig gut gefallen und die Thematik rund um Erinnerungskultur, Schuld und Scham wurde durch die Erzählung auf innovative Art transportiert. Der Roman regt zum Nachdenken an, über die eigene Familiengeschichte, aber auch über Hintergründe, die unsere Gesellschaft geformt haben und vielleicht die ein oder andere aktuelle Entwicklung erklären können.
4,5/5

Bewertung vom 19.06.2025
Eldrador Creatures: Lava gegen Eis
Thilo

Eldrador Creatures: Lava gegen Eis


sehr gut

Das Erstlesebuch Eldrador Creatures – Lava gegen Eis von THiLO basiert auf den beliebten Schleichfiguren und kann dadurch sicher bei einigen Erstlesenden punkten.
Die Illustrationen von Tobias Goldschalt sind passend zur Geschichte und lenken nicht zu sehr vom Text ab, der ja in Erstlesebüchern durchaus im Vordergrund steht.
Die Geschichte ist simpel, aber spannend genug, um die Leseratten von morgen bei der Stange zu halten. Mein Sohn hat immer wieder spekuliert, was wohl als nächstes passiert. Mir hat diese Einteilung in Gut und Böse, bzw. Böse und Böse nicht so wirklich gefallen, aber bei meinem Sohn kam die Geschichte auch inhaltlich gut an.
Grundsätzlich finde ich den Text in Ordnung für Erstlesende, allerdings kommt das Wort Battle Cave vor, was zwar aus der Welt dieser Kreaturen stammt, aber zumindest meinen Sohn vor einige Probleme gestellt hat. Da wir das Buch gemeinsam gelesen haben (jeder eine Seite im Wechsel), konnte ich hier erklären, was gemeint ist und wie man es ausspricht, aber so etwas sollte bei Büchern, die explizit für Leseanfänger:innen konzipiert sind, nicht nötig sein.
Die Länge der einzelnen Geschichten ist angemessen, sodass man hier jederzeit Pausen machen kann, oder bei großer Motivation auch längere Passagen lesen kann.
Insgesamt war ich selbst nicht so begeistert, aber meinem Sohn hat das Buch sehr gefallen und es hat ihn sehr motiviert. Und das ist die Hauptsache!
3,5/5