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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Kwinsu
Wohnort: 
Salzburg

Bewertungen

Insgesamt 118 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2025
Schattengrünes Tal
Hauff, Kristina

Schattengrünes Tal


weniger gut

Lisas Leben ist ganz ok, zwar hat die Ehe mit Simon die besten Jahre schon hinter sich und ihr sturer, alter Vater Carl will einfach nichts an dem immer maroder werdenden Hotel, das seinen Glanz längst verloren hat, ändern, aber sie gibt sich mit wenig zufrieden. Dann jedoch betritt Daniela die Bühne. Die eigenartige Frau ist Lisa nicht so recht geheuer, doch als diese es schafft, Lisas Umfeld immer mehr für sich einzunehmen, lässt sie sich mehr und mehr auf sie ein. Hätte sie sich doch lieber auf ihre Bauchgefühl verlassen...

Die erste Hälfte des Buches macht echt Spaß zu lesen - der Schreibstil ist sehr kurzweilig, es wird ein gewisser Spannungsbogen aufgebaut, die Autorin baut atmosphärische Bilder auf, man kann Lisas Zweifel und ihr schlechtes Bauchgefühl was Daniela betrifft gut nachvollziehen, genauso wie die nicht mehr so frische Beziehung zu ihrem Mann und den Ärger über ihren Vater, der einfach nicht sieht, dass die gute alte Zeit im Hotel längst vorüber ist und vollkommen unwillig ist, sich auf Neues einzulassen. Schnell lesen lässt sich die Geschichte auch, weil sie in kurzen Kapiteln immer verschiedenen Figuren folgt. Und man verfällt rasch in Spekulationen, was es mit dieser ominösen Daniela wohl auf sich hat und wie sich das Erzählte wohl weiterentwickeln wird. Soweit so gut.

Als dann aber im zweiten Teil des Buches fast jede Vermutung dann tatsächlich eintritt und dann auch noch ein Geschlechterstereotyp nach dem anderen bedient wird, hat sich der Spaß für mich aufgehört und ich musste mich einigermaßen ärgern. Schwanzgesteuerte Männer, rachsüchtige, manipulative und als Gegentyp naive Frauen, Frauen, die alles mit sich machen lassen und zur Krönung noch ein Happy End auf allen Ebenen. Alles bleibt oberflächlich, die Figuren haben keinerlei Tiefe, leider stelle ich mir persönlich so eine gute Geschichte nicht vor. Schade, es hatte vielversprechend begonnen.

Mein Fazit: Schattengrünes Tal beginnt vielversprechend mit einem kurzweiligen Schreibstil und einem schnell einsetzenden Spannungsboden, bedient aber rasch sämtliche Geschlechterstereotypen und ist sehr vorhersehbar. Wem das nicht stört, könnte das Buch gefallen.

Bewertung vom 15.09.2025
Jenseits der See
Lynch, Paul

Jenseits der See


ausgezeichnet

Der Fischer Bolivar begeht einen fatalen Fehler: er entscheidet sich, trotz Unwetterwarnung in See zu stechen und überredet den jungen Hector, ihm zu assistieren. Die Konsequenzen sind so grauenhaft wie unvorstellbar: der Sturm reißt sie auf offene See, alles was ihnen bleibt ist das defekte Boot und sie selbst. Es beginnt ein Kampf um Leben und Tod, der beide weit über ihre Grenzen treibt.

Was für ein wahnsinnig gutes Buch ist Autor Paul Lynch hier gelungen! Die philosophischen Betrachtungen auf das Leben und das Sein, der immer intensiver werdende Wahn, die rohe Grausamkeit alles zu tun um zu überleben - oder aber auch nicht, das Existieren im Nichts mit einem fremden Menschen, der Freund und Feind zugleich wird - all das schildert der Autor atemberaubend überzeugend und in metapherngeladener Sprache.

Bolivar war vor dem einschneidenden Erlebnis, das über mehrere Monat andauert, ein Schlitzohr, ein Kleinkrimineller, der Frauen benutzte und nur auf sein eigenes Wohl aus war. Hector wiederum ein junger, fröhlicher Mensch, dem das Leben noch bevorstand. Die Ausnahmesituation scheint ihre Charaktereigenschaften zu brechen, während Bolivar zum Optimisten wird, öffnet Hector dem Wahn Tür und Tor, seine Gedanken werden paranoid, soweit, dass er irgendwann bei Gott landet. Bolivar kommt nicht mehr zu ihm durch und hört doch nicht auf, seine Überzeugung, dass für sie alles gut ausgehen wird, dem jungen Mann zu übertragen - vergebens.

Lynch erzeugt ein so realistisches Bild von dieser auf wahren Begebenheiten beruhender Geschichte, dass ich den Schmerz und die Hoffnung der Protagonisten fühlen konnte, als würde ich als stille Beobachterin mit im Boot sitzen. Die Wandlungen der Figuren ist stet und nachvollziehbar, während der eine in eine unberechtigte Dauerbeichte verfällt, erkennt der andere seine Fehler, reflektiert sie und setzt Hoffnung darin, sie wieder gutmachen zu können. Neben der philosophischen Komponente verbaut der Autor auch eine Spiegelung der Abgründe der Menschheit in die Umgebung der Weltmeere. Hier treiben Maßen an (Plastik)Müll, die in der ausweglosen Situation aber zu dankbaren Werkzeugen werden. Trotzdem ist die Anzahl und auch die bloße Existenz der achtlos entsorgten Verbrauchsgüter mitten im offenen Meer ein Umstand, der mich höchst traurig gestimmt hat. Ein weiterer schwer erträglicher Aspekt ist die Grausamkeit gegenüber Tieren, die Bolivar an den Tag legt, um zu überleben. Hier geht es nicht ums reine Töten, sondern ums Quälen, um das eigene Überleben zu sichern.

Nichts an der Geschichte wirkt unrealistisch, sie zieht einen Sog aus Ausweglosigkeit und Hoffnung, Aufgeben und Kämpfen, Verhandeln von Existenz und Tod. Und als Draufgabe die umwerfende Sprache des Autors, der sich mit Metaphern austobt, die nicht immer nachvollziehbar, dafür aber eine literarische Wohltat sind.

Mein Fazit: Jenseits der See ist ein großartiger Roman über den Existenzkampf auf hoher See in einer ausweglosen Situation, der den beiden Protagonisten alles abverlangt und sie in einen Zustand versetzt, der sie zwischen Wahn und Wirklichkeit, Hoffnung und Aufgabe, Grausamkeit und Zuneigung gefangen hält, um sie schließlich in ihrer eigenen Erkenntnis auszuspucken. Hier zeigt sich Sprachgewalt in metaphernhafter Höchstleistung, die in keiner Sekunde auf Kosten der Geschichte geht. Jenseits der See ist für mich eines der Jahreshighlights 2025 und ich kann allen, die beim Lesen emotional gerne an ihre Grenzen getrieben werden, raten: lest dieses Buch!

Bewertung vom 14.09.2025
Die Probe
Kitamura, Katie

Die Probe


sehr gut

Akt 1: Eine Begegnung mit dem jungen Xavier bringt das Leben der erzählenden Schauspielerin durcheinander. Er eröffnet der Protagonistin, er glaube sie wäre seine Mutter. Dabei kann das gar nicht sein, nie hat sie ein Kind geboren. Trotzdem lässt sie die Begegnung nicht los.
Akt 2: Xavier ist bei der namenlosen Schauspielerin und ihrem Mann Tomas eingezogen. Während sie über ihr bisher verbrachtes, gemeinsames Familienleben sinniert, das Großziehen von Xavier, ihre Gefühle zu ihm, ihre nicht greifbare Beziehung, scheint dieser gekommen sein, um zu bleiben - und das nicht alleine.

Katie Kitamura nimmt die beobachtenden Leser*innen in "Die Probe" mit in ein gekonntes Verwirrspiel, das - je weiter man in die Geschichte vordringt - immer undurchsichtig wird. Was ist wahr und was ist falsch, gibt es sowas wie die Wahrheit überhaupt und worin kann man Theater und Realität unterscheiden? Was ist passiert, in der Lücke, die zwischen dem ersten und dem zweiten Teil klafft? Und ist die Protagonistin überhaupt zurechnungsfähig oder befindet sie sich in einer sich stetig steigernden Wahnvorstellung? Diese Fragen und viele mehr begegnen einem unwillkürlich beim Lesen dieses Dramas in zwei Akten. Es gibt unzählige Weisen, wie man welches Ereignis / wie man die Gedanken der Protagonistin und ihrer Familie, seien es jene im Theater oder jene der vermeintlichen Realität, interpretieren kann, es bieten sich viele Spielräume, die unklar und glasklar zugleich sind. Fest steht: diesen Roman sollte man am Besten in einem Lesekreis lesen, denn alleine macht das Rätselraten, das Zurechtbiegen der eigenen Wahrnehmung, die Anstrengungen der Hirnwindungen nur halb soviel Spaß.

Man sollte gefasst sein auf eine dichte Sprache, die jedes Wort ernst nimmt und gleichzeitig ad absurdum führt, nur eines ist gewiss: die Erzählerin ist absolut unzuverlässig. Zwar hat das Büchlein nur wenige Seiten, es sind nur 176 abzüglich der üblichen Leerseiten, aber es verlangt die volle Aufmerksamkeit, damit einem die Geschichten nicht davon rennen. Zu der ganzen Unklarheit kommt dann auch noch die Gewissheit, dass die Protagonistin eine hervorragende Schauspielerin ist, nicht nur im wörtlichen Sinn, sondern auch im beruflichen. Ist man mit dem Lesen fertig, beginnt erst die richtige Arbeit, denn verstehen tut man nur das, was man selbst hineininterpretieren will. Und das ist pure Absicht der Autorin. Für dieses Spiel muss man offen sein, muss sich darauf einlassen und auch bereit sein, die eigene Meinung zu revidieren.

Viele kluge Fragen ergeben sich, über das Zusammenleben, über Beziehungen und Wünsche, über Karriere, über Mann und Frau - und natürlich übers Theater. Letzteres ist bekanntlicherweise eine spezielle Welt und war für mich auch der Grund, weshalb ich bei den teilweise längeren Schilderungen darüber manchmal etwas entnervt war. Überhaupt war das Milieu, in dem sich die Protagonistin bewegt, für mich sowohl unzugänglich, wie auch unverständlich. Annahmen über Menschen wirkten teilweise befremdlich, weshalb ich auch keine wirkliche Anteilnahme an dem verwirrenden Leben der Schauspielerin nehmen konnte.

Mein Fazit: "Die Probe" ist ein gekonnt inszeniertes Verwirrspiel, das wohl bewusst so geschrieben wurde, dass es nicht aufgelöst werden kann. Es taucht tief ein in die wirre Psyche der Protagonistin sowie die Welt des Theaters und glänzt durch eine präzise eingesetzte Sprache. Es ist eine Empfehlung für alle, die offen sind einem unlösbaren Rätsel gegenüberzutreten und sich nicht scheuen, in die Welt des Theaters einzutauchen.

Bewertung vom 14.09.2025
Öffnet sich der Himmel
Hewitt, Seán

Öffnet sich der Himmel


ausgezeichnet

James kämpft als schwuler Teenager mit dem engen Korsett eines nordenglischen Dorfes. Nach seinem Outing zieht er sich zurück und macht sich selbst zum Außenseiter. Getragen durch seine Fantasie, ändert sich alles, als er den eigenwilligen und störrischen Luke kennenlernt. Mit ihm erlebt er das erste Mal, was es heißt zu lieben, auch wenn er nicht weiß, ob Luke seine Gefühle erwidert.

Ich kann nicht umher, "Öffnet sich der Himmel" als literarische Wucht zu bezeichnen. Seán Hewitt haucht seinem Protagonisten so viel Begehren, Unsicherheit, Verlangen, sozialisierten Anstand ein, dass ich mehrere Tage nach Beenden des Buches immer noch in James' Gefühlswelt gefangen bin. Der Autor erzählt die Geschichte ohne pathetisch zu sein und frei von jedem Kitsch, zudem ist es auch vollkommen egal, wem seine Liebe gilt, denn sie ist vollkommen. Zugegebenermaßen sind James' Gedanken und Reflexionen fast zu reif für einen Teenager, jedoch bettet Hewitt das Erzählte in eine Rückschau aus Erwachsenensicht - der nunmehr erwachsene James kehrt Jahre nach dem Geschehen in die Ortschaft zurück und schildert so das Jahr, das ihn für immer verändert hat - und wird somit authentisch.

Die Sprache des Erzählers ist dicht und eindringlich, oft habe ich beim Lesen vergessen zu atmen. Mitunter hat der Text seine Längen und das Fortkommen scheint zäh und langsam, allerdings sind die Worte so gesetzt, dass jedes Einzelne seinen treffsicheren Platz hat, nichts erscheint unnötig, um einen in die Gefühlswelt hineinzuversetzen. Andererseits beherrscht der Autor auch nachhaltige Bilder zu erzeugen, die wohl dauerhaft im Kopf verweilen werden. Ganz nebenbei, aber natürlich, wird auch das Thema Armut angesprochen und wie es sich auf das Leben eines Teenagers auswirkt.

Mein Fazit: "Öffnet sich der Himmel" ist ein beeindruckend authentisch erzählter Roman über die erste und prägendste Liebe, die all ihre Fassetten - von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt - durchspielt, ohne dabei kitschig zu sein. Den Protagonisten lernt man dabei so gut kennen, dass es fast schade ist, nicht mehr aus dem weiteren Verlauf seines Lebens zu erfahren. Die stellenweisen Längen sind nicht störend, sondern unterstreichen die Authentizität des Protagonisten - eine absolute Leseempfehlung für alle, die sich in die Gefühlswelt eines Teenagers mitreißen lassen wollen.

Bewertung vom 09.09.2025
Huhu und Momo - Für dich trau ich mich!
Halls, Smriti

Huhu und Momo - Für dich trau ich mich!


ausgezeichnet

Huhu und Momo ist wirklich ein ganz entzückendes Kinderbuch!
Ich habe es mit meiner vierjährigen Nichte gelesen und sie war wirklich sehr begeistert! Besonders von den vielen kleinen Details, die Fliegenpilze, die Glühwürmchen, die vielen süßen Wohndetails, die lustigen Schlappen und die Zipfelmütze - meine Nichte amüsiert sich prächtig und entdeckt immer wieder Neues, das sie in Begeisterung versetzt.

Die Geschichte ist sehr nett: die Eule Huhu ist am Liebsten bei sich zuhause, verlässt ihre Baumhöhle nur sehr ungern - aber sie fühlt sich einsam. Schließlich schließt sie mit der Maus Momo Freundschaft, sie besucht Huhu jeden Tag und sie verbringen gemütliche Stunden zusammen. Als Momo aber eines Abends fort bleibt, macht sich Huhu Sorgen - und überwindet schließlich ihre Draußen-Angst, um ihrer Freundin zu Hilfe zu eilen.

Die kurzen Texte sind in Reimform getextet, die zeitweise etwas holprig zu lesen sind, aber je öfter man den Text liest, desto einfacher fällt es, in den Flow des Gereimten hinein zu kommen. Aus rein subjektiver Erfahrung mit meiner Nichte würde ich sagen, dass die Geschichte hier aber gar nicht so im Vordergrund steht, sondern eher die schönen Illustrationen, die immer wieder Neues entdecken lassen. Das ist bei anderen Kindern sicher anders, ich persönlich finde die Story mit der Moral "über den eigenen Schatten springen, um anderen zu helfen" sehr gelungen. Ich finde das Buch sehr altersentsprechend und kann es allen empfehlen, die gerne mit Kindern auf eine visuelle Entdeckungsreise gehen!

Bewertung vom 31.08.2025
Junge Frau mit Katze
Dröscher, Daniela

Junge Frau mit Katze


gut

Ela steht kurz vor ihrer Promotion, als sie plötzlich von allen möglichen Krankheiten befallen wird. Nicht nur ihr Abschluss, sondern auch ihre wissenschaftliche Karriere laufen Gefahr zu scheitern. Obwohl sie gesundheitlich stark gebeutelt ist, arbeitet und lernt sie, immer kurz vor dem endgültigen Kollaps. Doch nicht nur dies macht ihr zu schaffen, auch ihre komplizierten Familienverhältnisse scheinen sie in den Abgrund zu ziehen...

Daniela Dröscher legt mit "Junge Frau mit Katze" den autofiktionalen Nachfolger ihres Erfolgsbuches "Lügen über meine Mutter" vor. Während letztgenanntes mich seinerzeit umgehend in den Bann zog, ich schockiert, betroffen, mitfühlend war und ständig auch Parallelen zu meiner eigenen Biographie vorfinden konnte, bin ich von ihrem aktuellen Buch einigermaßen enttäuscht. Zwar mag ich den Schreibstil der Autorin sehr, allerdings fehlte mir eine tiefere Aussage oder grundsätzlich eine einnehmende Geschichte.

Hauptsächlich geht es um Krankheit. Immer neue Krankheiten tauchen auf, über weite Strecken weiß man nicht, ist das nun echt oder eingebildet, wurde ihr ihre Kränklichkeit von der Mutter anerzogen oder weiß Ela einfach nicht, wann einmal Schluss sein muss. Trotzdem es ihr miserabel geht, arbeitet sie weiter und lernt sogar japanisch im Schnelldurchlauf, weil sie es einfach nicht schafft, ein Missverständnis aufzuklären. Strikt hält sie am eingeschlagenen Weg der literaturwissenschaftlichen Karriere fest, ohne zu wissen, ob sie das eigentlich will. Gleichzeitig regt sie sich über ihre Mutter auf, die sich endlich zu emanzipieren scheint, kehrt immer hervor, wie dick und unbeweglich ist und zwischen den Zeilen liest man, dass auch sie sich für ihre Mutter schämt. Statt sich mit ihr zu freuen, stellt sie ihre eigene Abhängigkeit vor das Wohl ihrer geplagten Mutter. Wenig ist gemein mit dem Mitfühlenden aus den "Lügen". Ihre engste Freundin Leo scheint sie nur zu akzeptieren, wenn Ela sich um deren Tochter Henny kümmert, auch wenn sie zum Kindersitten eigentlich zu krank ist. Generell wirken Elas Beziehungen alle toxisch. Nur ihr Bruder, lebend im fernen London, scheint ihr eine liebevolle Stütze zu sein. Ihr Arbeitskollege O ein Lichtblick in ihrem Leben. Elas Kater Sir Wilson ist ein Highlight.

Besonders irritiert hat es mich, wie die Protagonistin die Augen für Tatsächliches verschließt. Eine schwerwiegende Krankheit, die sie vor einiger Zeit hatte, stellt sich als einigermaßen harmlos heraus, doch die tatsächliche, positivere Diagnose wollte sie einfach lange Zeit nicht hören. Einmal in den Strudel der Krankheit hineingezogen, scheint es keinen Weg mehr heraus zu geben. Zwar ist mir aus eigener Erfahrung bewusst, wie tief einen ein schweres Krankheitsschicksal oder die Ungewissheit, was man selbst eigentlich so will, schwer belasten kann. Aber in dem Ausmaß, in welchem das die Protagonistin erfährt, ist nicht nur äußerst hinunterziehend, sondern mitunter auch nervig.

Mein Fazit: "Junge Frau mit Katze" kann man lesen, wenn man wissen will, wie es nach "Lügen über meine Mutter" weitergegangen ist oder kein Problem hat, von allen möglichen Krankheitsgeschichten mit hypochondrischen Anflügen gepaart mit toxischen Beziehungen und einigen Lichtblicken einvernommen zu werden. An der Anziehungskraft des Vorgängers kann es leider nicht mithalten.

Bewertung vom 30.08.2025
Sputnik
Berkel, Christian

Sputnik


sehr gut

Dem jungen Sputnik wirft es aus der Bahn, als er erfährt, dass er kein ganzer Deutscher ist. Mit seinen sieben Jahren kann er es noch nicht verstehen, was es bedeutet, halb Jüdisch, halb Deutsch zu sein. Doch dass seine Familie traumatisiert ist, spürt er schon durch die lange Abwesenheit seiner Mutter, ohne die er die erste Zeit aufwächst und die dann nach ihrer Rückkehr oft entrückt scheint. Bald entdeckt er seine Liebe für das Theater und für Frankreich und setzt sich in den Kopf nicht nur die Bühnen der Welt, sondern auch das deutsche Nachbarsland zu erobern. Wir begleiten Sputnik bei seiner Reise ins Erwachsenwerden in der Nachkriegszeit und erleben, wie er stets zwischen den Welten steht.

Autor und Schauspieler Christian Berkel legt mit "Sputnik" einen autobiografischen Roman vor, der manchmal schräg, manchmal lustig, meist unterhaltsam und selten aber doch langatmig ist. Bereits zu Beginn begleiten wir seine ersten Wahrnehmungen, die mit erwachsener Stimme im Fruchtwasser seiner Mutter beginnen. Seine Kindheit ist nicht leicht, der Vater, Arzt, ist herrisch und gewalttätig, die Mutter in ihrem Trauma gefangen - sie überlebte den Holocaust nur knapp und gleitet oft in eine Schockstarre, wenn ihr das Erlebte wieder in den Sinn kommt. Sie verbindet eine Liebe zu Frankreich, sie verbringen Urlaube dort und für Sputnik ist es klar, dass er eines Tages ganz dort bleiben will. Als Jugendlicher geht er schließlich in Paris zur Schule, wird aber von jedem als Deutscher wahrgenommen, was ihm mächtig zusetzt. Sputnik hegt keine Leidenschaft für die Schule und seine Gedanken drehen sich fast ausschließlich um Mädchen - und das Theater. Beide Themen verfolgt er mit Vehemenz und die Szenen, in denen er seine sexuellen Erfahrungen als auch seine ersten Schritte in die Theater- und Schauspielwelt, oft unterlegt mit dem Konsum von Drogen, sind streckenweise langatmig, wenn auch schräg und lustig.

Der Schreibstil des Autors ist sehr einnehmend, das Buch ist leicht und schnell zu lesen, allerdings ist mir nach Beendigung nicht ganz klar, was er denn nun eigentlich erzählen wollte. Themen gibt es zur Genüge: seine Familie, der Holocaust, das Nicht-Thematisieren dessen, Mädchen, Sex, homosexuelle Avancen, die Schauspielerei, das Theater, Drogenkonsum, das Erwachsenwerden, ein Leben zwischen den Welten. Der endgültige Kitt zwischen allem fehlt mir aber ein wenig, auch wenn sich der Autor redlich bemüht, dort zu enden, wo er angefangen hat.

Mein Fazit: "Sputnik" ist ein unterhaltsamer, autobiografischer Roman über das Erwachsenwerden zwischen verschiedenen Welten in der so schwierigen Nachkriegszeit. Geprägt von einer traumatisierten Familie versucht der Protagonist seine Fesseln zu sprengen. Auch wenn sich manche Stellen ziehen und für mich die Erzählung nicht zu hundert Prozent stimmig ist, kann ich allen, die an deutsch-französischer Zeitgeschichte und an der Schauspielwelt interessiert sind, das Buch ans Herz legen. Es erhält von mir 3,5 Sterne.

Bewertung vom 06.08.2025
Der letzte Ouzo (eBook, ePUB)
Feilitzsch, Hanna von

Der letzte Ouzo (eBook, ePUB)


weniger gut

Nach einiger Zeit in Deutschland kehrt die ehemalige Kriminalpolizistin Christina in ihre Heimat Griechenland zurück: auf der kleinen Insel Paros nimmt sie ihre Polizeitätigkeit wieder auf. Während sie sich anfänglich einen gemütlichen Wiedereinstieg in ihre berufliche Tätigkeit als Polizistin erhofft, überschlagen sich die Ereignisse: eine Inselbewohnerin wird tot aufgefunden und ihr Ehemann gilt als wahrscheinlicher Täter. Doch Christina ahnt von Beginn an, dass der Fall nicht so einfach gelagert ist, wie sich das ihre Kollegen vorstellen...

Hanna von Feilitzsch deckt in ihrem selbstpublizierten Krimidebut "Der letzte Ouzo" die engen Banden der Inselbewohner schonungslos auf. Die Antwort scheint schnell gefunden zu sein, doch die Ermittlerin Christina weiß, dass nichts so ist, wie es scheint. Sie verlässt sich auf ihre Intuition und Menschenkenntnis und ist überzeugt davon, dass der verdächtige Ehemann nicht der Täter sein kann. Sie ahnt, dass honore Menschen mehr zu verbergen haben, wie sie nach außen den Anschein wahren.

Die Erzählperspektive schwankt zwischen Christina und einer weiteren Person, von der wir einige Zeit nicht erfahren wer sie ist. Diese Person wirkt anfangs verdächtig, ist sie doch offensichtlich psychisch beeinträchtigt und weiß selbst nicht, was sie mit der Tat zu tun hat. Christina jedoch folgt unabweichlich ihrer Intuition und soll letztendlich auch recht behalten.

Die Autorin schafft es eindringlich, die Stimmung und Landschaft der kleinen griechischen Insel zu beschreiben und einzufangen: sofort fühlt man sich als Teil der Gemeinschaft und der Landschaft. Leider wird einiges für meinen Geschmack zu genau beschrieben, weshalb sich die Geschichte für mich enorm in die Länge zieht. Die Gedanken der Ermittlerin Christina werden umfangreich und detailliert beschrieben, was für meinen Geschmack die Spannung abflachen lässt: zu vieles wird aus erzählt, statt es nur anzuteasern. Im gesamten Roman werden immer wieder Floskeln wiederholt, wie beispielsweise: "Sie wusste es nicht" - was mir im Laufe des Lesens fast zu viel wurde. Das mag viele nicht stören und soll auch nicht davon abhalten, den atmosphärischen Krimi zu lesen. Mir persönlich war es aber zu wenig "show, don't tell", das heißt, für meinen Geschmack wurde zu viel aus erzählt. Hinzu kommt, dass die Aufklärung des Falles dann sehr rasch erfolgt. Die Protagonistin Christina spricht dann davon, dass sie den Fall aufgeklärt hat, ohne, dass für mich ersichtlich ist, weshalb sie das getan hat; sprich: sie sagt, den Fall aufgeklärt zu haben, aber die tatsächliche Aufklärung folgt in einer für mich langatmigen Handlung danach. Die Ermittlerin handelt meines Erachtens auch oft irrrational und unrealistisch. Sie will über weite Strecken keinem vertrauen und tut dies dann in einem vorhersehbaren Ausmaß, dass ihr leider viel Ärger und Schaden einbringt.

Zweifelsohne fühlt man sich beim Lesen gut in die kleine Welt der touristischen Insel versetzt, der Fall an sich wirkt für mich aber zu konstruiert und zu langatmig. Freundschaften sind plötzlich existent und die ehrenwerten Bürger sind vorhersehbar korrupt. Vertrauen wird scheinbar zufällig verteilt. Ich habe von der Autorin zuvor einen Familienroman gelesen, der mir ob der ausführlichen Erzählweise tief in Erinnerung geblieben ist, für einen Krimi ist mir diese aber leider zu langatmig.

Bewertung vom 06.08.2025
Botanik des Wahnsinns
Engler, Leon

Botanik des Wahnsinns


ausgezeichnet

Es gibt nichts, was es nicht gibt, heißt es so schön und das trifft auch auf den erzählenden Protagonisten zu: seine Familie ist voller Wahnsinn. Depression, Suizidversuche, bipolare Störung, Alkoholismus, nochmal Depression, Realitätsverweigerung, etc. pp. Kein Wunder also, dass er Angst vor dem Wahnsinn hat. Schließlich landet er selbst in der Psychiatrie: als Psychologe. Seine Spurensuche in der eigenen Familie deckt allerhand psychisches Chaos auf, das aber nicht immer krankhaft sein muss. Es kann auch die Verzweiflung an der Gesellschaft sein.

Leon Engler legt mit seinem Debüt "Botanik des Wahnsinns" nicht nur ein grandioses Cover vor (wie großartig treffend kann ein Cover nur sein?!?!), sondern auch ein schwarzhumoriges, tiefgehendes und kurzweiliges Schreibwerk, das einen in rund zweihundert Seiten auf eine Reise durch eine notorisch psychisch vorbelastete Familiengeschichte und schließlich zu ihm selbst mit schippert. Vieles ist tragisch, manches befremdlich, doch irgendwie meistert der Protagonist trotz seiner Vorbelastung den Alltag ganz gut. Er versucht viel Neues, weiß nicht so recht, wo die Reise hinführt und landet schließlich im Naheliegenden: dem Beruf als Psychologen. Seine Vorgesetzte lässt ihn rotieren, er macht die unterschiedlichsten Erfahrungen, um am Ende doch festzustellen: das will ich nicht.

Der Autor strotzt nicht nur selbst mit einer philosophischen, humorigen und treffend klugen Sprache, sondern bedient sich auch an wichtigen Zitaten aus der Intellektuellengeschichte, schneidert dies aber größtenteils dem ikonischen Nachbarn des Protagonisten zu. Sätze wie "Ich gehe ins Bad, schaue in den Spiegel und werde alt." (S. 198), "Wie lächerlich klein wirkt doch die Erfindung der Glühbirne, der Fotografie oder des Quantencomputers verglichen mit der Erfindung eines liebenden Gottes" (S. 152) oder "Ich glaube, er mag die Menschen, doch verzweifelt an der Menschheit" (S. 81) sind genauso treffsicher wie kreativ und: einfach großartig! Ob der Thematik kippt einiges verständlicherweise ins Deprimierende, doch das weiß der Erzähler liebevoll, humorvoll und auch sehr schräg zu kaschieren, ohne dabei den Realitätssinn zu verlieren.

Eines ist gewiss: die Geschichte ist tragisch, aber vielleicht ist es der Umstand, dass der Autor längere Zeit in Wien residierte: es ist auch lustig; und schräg. So stellt der Protagonist über seine ehrgeizige Mutter, die trotz bildungsbefremdlicher Herkunft mitunter durchaus erfolgreich wurde, bis sie mit einer fast beispiellosen Ignoranz den Erfolg auch wieder erfolgreich zunichte macht, die Herkunft nicht in Frage: "Wenn meine Mutter einmal keine Eins geschrieben hatte, vergrub sie aus Furcht vor meiner Großmutter ihre Prüfungen. Auf dem Schulweg hatte sie einen Friedhof der Misserfolge eröffnet. Neben den S-Bahn-Gleisen verrotteten Ovid und Seneca zwei Jahrtausende später ein weiteres mal." (S. 25)

Zugegeben: oft musste ich das Buch weglegen, um nicht selbst zu verzweifeln, doch konnte ich nie lange von ihm ablassen. Der Autor trifft meine Vorliebe für schräges, tiefgründiges Drama gekonnt und lässt dieses kurzumfassende Buch zu einem Highlight des Jahres heranwachsen, das ich einerseits nicht so schnell vergessen werde und andererseits bestimmt des Öfteren noch einmal lesen muss. Es ist einfach wahnsinnig großartig!

Bewertung vom 05.08.2025
Psychopompos
Nothomb, Amélie

Psychopompos


ausgezeichnet

Amélie Nothomb arbeitet in "Psychopompos" ihre eigene Geschichte auf: das Heranwachsen als Botschaftertochter in verschiedenen Ländern, ein traumatisches Erlebnis, das sie fortan nicht nur prägte, sondern fast umbrachte, die Suche nach sich selbst, die Verbindung zu Vögel, der stets anwesende Tod und schließlich ihr Schreiben.

Die Autorin war mir bislang unbekannt, nach diesem ergreifenden Selbstportrait, das durch eine philosophische und teils poetische Sprache beeindruckt, möchte ich das rasch ändern. Von der ersten Seite weg zog mich ihre feinfühlige Sprache in den Bann, ihre innige Verbindung zu Vögel, der Genuss diese Tiere zu beobachten, die Versuche Verbindungen mit ihnen aufzubauen, Ähnlichkeiten mit sich selbst zu finden, der große Wunsch und die kindliche Überzeugung eines Tages fliegen zu können - als das kann ich zutiefst nachempfinden. Nebenher ist das Trauma so verheerend, dass sie es nicht beschreiben kann, doch löst sie es anhand ihrer metapherhaften und intensiven Sprache auf und hinterlässt die Lesenden schockiert. Danach sind auch die Vögel nicht mehr von großer Bedeutet, schlichtes Überleben zählt. Nicht all ihre Gedanken sind nachvollziehbar, aber grundsätzlich weiß man, worauf Nothomb hinaus will - sie schenkt den Leser*innen Vertrauen, indem sie ihre Gedankenwelt offenlegt.

Die Autorin scheint sich gut auf die unterschiedlichen Kulturen, die sie im Laufe ihrer Kindheit kennenlernte, einlassen zu können, ja auch lieben zu lernen. Im Fokus steht, neben den Vögeln, immer ihr Vater, zu dem sie eine besondere Zuneigung hegt und dem sie am Ende seines Lebens etwas gibt, was sie auch noch nach seinem Tod verbindet. Die Verbindung zum Vater bleibt tief, auch nachdem ihr als Zwölfjährige dieses furchtbare Etwas passiert, das ihr die Liebe zum Meer, den Vögeln und auch zu sich selbst nimmt. Fortan ist sie unsicher, ob sie noch leben möchte, oder doch eher sterben, lange Zeit schwankt sie in einem Stadium zwischendrin. Irgendwann ist sie auf die antike Legende des Psychopompos gestoßen, ein Seelengeleiter, der die Seelen Verstorbener ins Jenseits begleitet und sie fragt sich, ob das ihre Rolle im Leben und im Sterben sein soll. Doch irgendwann weiß sie: ihre Bestimmung ist das Schreiben.

Mein Fazit: Psychopompos ist ein ergreifendes Selbstportrait, das nicht nur Vögel, sondern auch die Vater-Tochter-Beziehung und die Beziehung zu sich selbst in den Mittelpunkt setzt. Es ist ein Versuch, sich selbst zu verstehen, das Hin- und Hergerissenwerden zwischen Lebensfreude und Todessehnsucht und ein Trauma durch das eigene Schreiben zu überwinden. Es ist eine Empfehlung an alle, die bereit sind, sich auf philosophische (Selbst-)Erkenntnisse einzulassen und die es nicht stört, dass man vielleicht nicht alles zu hundert Prozent nachvollziehen kann. Die Zerrissenheit und die siegende Liebe zum Leben fühlt mal allemal.