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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Kwinsu
Wohnort: 
Salzburg

Bewertungen

Insgesamt 102 Bewertungen
Bewertung vom 23.06.2025
Die Schrecken der anderen
Clavadetscher, Martina

Die Schrecken der anderen


sehr gut

Ein Toter im Eis, der soziophobe Schibig, die Alte, Kern und dessen Mutter: das sind die Hauptfiguren in Martina Clavadetschers "Die Schrecken der Anderen". Langsam werden die Personen eingeführt und sachte miteinander verwoben. Die Sprache ist zwar einfach zu lesen, aber doch sehr anspruchsvoll und komplex, es bedarf einer hohen Konzentration, um dem Erzählten die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.

Gewaltig und dicht ist nicht nur die Sprache, sondern auch der Inhalt. Jede einzelne Figur bekommt einen schrägen Charakter, ist mit eigenen Besonderheiten ausgestattet. Was sie vereint, ist das Unzugängliche, das Mysteriöse das ihnen anhaftet. Jede und jeder ist etwas auf der Spur, lang ist nicht erkennbar, dass es sich um Gemeinsames handelt. Die Geschichte ist Geschichte und Ungeschichte zugleich, sie ist nicht fassbar und lässt sich deshalb auch kaum beschreiben.

Es ist ein Leseerlebnis, das man selbst erfahren muss, es hat etwas Märchenhaftes, aber doch sehr Reales, könnte vor oder in hundert Jahren spielen. Es beeindruckt und stößt ab zugleich. Schließlich geht es - wie in vielen Dingen - um das Geld, dass nicht nur Dreck am Stecken hat, sondern auch Blut - und alle gieren danach, aus unterschiedlichen Motiven. Und auch hier, in der neutralen Schweiz, tauchen abstoßende Spuren von Alt- und Neonazis auf.

Es benötigt definitiv einen zweiten Durchlauf, um dieses Buch zu verstehen und es fassen zu könne, denn es bleibt: ein Rätsel. Eines allerdings, dass es sich lohnt lösen zu wollen. Und hoffentlich gelöst werden kann.

Bewertung vom 21.06.2025
Windstärke 17
Wahl, Caroline

Windstärke 17


ausgezeichnet

Ida hat nichts mehr, außer sich selbst und ein paar Klamotten in dem Hartschalenkoffer ihrer Mutter. Nach deren selbstgewählten Tod flüchtet sich die junge Frau auf die Insel Rügen, ohne Plan und ohne Ziel. Sie landet bei dem älteren Ehepaar Marianne und Knut, das ihr schnell zu einer neuen Familie wird. Doch der Tod ihrer alkoholkranken Mutter hat ein tiefes Trauma in ihr hinterlassen und treibt Ida immer wieder in die Verzweiflung. Von ihrer Schwester Tilda will sie sich nicht helfen lassen, aber auf Rügen kann sie wieder etwas zur Ruhe kommen. Und sich schließlich selber finden.

Was für ein wunderbarer Roman! Viele Rezensionen sagen, dass ihnen der Vorgänger "22 Bahnen" besser gefallen haben - aber nein: Windstärke 17 ist intensiver, authentischer, aufgeregter, echter! Die Autorin hat ihr Schreibtalent mit diesem, ihrem zweiten Roman, weiterentwickelt, sie konnte mich ab der ersten Zeile mitnehmen, schafft es perfekt die innere Zerrissenheit der Protagonistin mitfühlbar darzustellen. Nicht nur der Tod ihrer Mutter geht Ida nahe, auch die schambehaftenden Vorwürfe, die sie ihrer Schwester macht, sie allein gelassen zu haben, genauso wie die unbegreiflichen Gefühle die sie gegenüber Leif hegt, den sie auf der Insel kennenlernt, hat, der so unzuverlässig ist, aber doch immer für sie da ist. Und dann die schöne, unhinterfragte Vertrautheit, die ihr Marianne und Knut gegenüberbringen, die sie aufnehmen, ohne Fragen zu stellen und sie einfach sein lassen wie sie ist.

Ida übt sich in Selbstverletzungen, indem sie sich Vorwürfen hingibt, für den Tod ihrer Mutter verantwortlich zu sein; sich ins Meer stürzt und bis zur Erschöpfung zu schwimmen, egal bei welchem Wetter; sich von ihrer Schwester mit aller Gewalt fernhält und die Gefühle für Leif negiert. All das ist ein Prozess, der ihr letztendlich zur langsamen Selbstheilung verhilft.

Windstärke 17 ist emotionaler als der Vorgänger, macht es besser verständlich, was es heißt, mit einem alkoholkranken Elternteil zu leben, in einer Phase, in der man doch eigentlich alle Kraft braucht, um sich selbst zu finden. Ida kann sich selbst nicht vertrauen und somit keinem anderen - trotzdem lässt sie sich auf andere Menschen ein und kann sich fallen lassen.

Caroline Wahls zweiter Roman ist ein bewegendes Portrait einer trauernden jungen Frau, die trotz ihrer innerlichen Zerrissenheit und dem weltabgewandten Misstrauen sich selbst und Vertrauen zu anderen findet. Ein mitreißendes, großartiges Buch, das man auf alle Fälle gelesen haben sollte!

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 21.06.2025
Fischtage
Brandi, Charlotte

Fischtage


weniger gut

Ella ist sechzehn und lebt mit ihrer Bobofamilie in Dortmund. Ihre Eltern kümmern sich hauptsächlich um sich selbst und so denken sie sich auch nichts dabei, als ihr vierzehnjährige Luis plötzlich nicht mehr da ist. Ella jedoch macht sich Sorgen, auch wenn sie ihren Bruder - genau wie den Rest der Welt - eigentlich gar nicht ausstehen kann. Angepisst von ihren gleichgültigen Eltern zieht sie kurzerhand in den Schrebergarten ihres dementen Kumpels Eckard und begibt sich auf die Suche nach dem kleinen Bruder. Tatkräftige Unterstützung erhält sie von der Werkkursleiterin Oksana und einem sprechenden Fisch...

Charlotte Brandi zeichnet in "Fischtage" ein Portrait einer Teenagerin, die an beängstigenden Wutattacken leidet, umgeben von einer Familie der alles gleichgültig ist. So kümmert sie es nicht groß, dass ihr Junge verschwunden ist, genauso wenig, dass Ella in die Gartenhütte zieht und die Mutter fremdgeht. Ellas Wesen ist geprägt von Gewalt, nicht augenscheinlich aus ihrem Elternhaus - außer natürlich die Ego-Zentriertheit der Eltern, sondern von der Stadt, den Begegnungen, die sie hat und denen sie nur Wut entgegenbringen kann. So wird sie ein ums andere Mal verprügelt und schließlich auch vergewaltigt. Auszumachen scheint es der derben Sechzehnjährigen nur wenig. Nur wenn es um ihren vermissten Bruder geht, zeigt sie verletzliche Gefühle, die sie mitnehmen, die Sorge um ihn lässt sie zittern. Ellas neue Freundin Oksana ist ihr sehr wichtig und sie wird von ihr magisch angezogen. Als Leserin ist diese Figur aber sehr uneinsichtig und nervig und irgendwie wird angedeutet, dass auch eine sexuelle (oder romantische?) Anziehungskraft die beiden verbindet - das wird einem aber irgendwie nur vor die Füße geworfen, ohne dass man es spüren kann.

Vorwiegend zeichnet sich "Fischtage" durch eine derbe, vulgäre Sprache der Protagonistin und die bereits erwähnte Gleichgültigkeit und Gewalt aus. Was die Story eigentlich aussagen will, bleibt offen und wenn man dazu Lust hat, kann man darüber spekulieren. Das Positive ist, dass die Kapitel meist sehr kurz gehalten sind und man so recht schnell die notwendigen Pausen einlegen kann. Die Geschichte mit dem sprechenden Fisch, der gerne großspurige Ratschläge erteilt, ist mitunter erheiternd, auch wenn ihr es gut getan hätte, wenn er eine größere Rolle eingenommen hätte. Dieses fantastische Element und einige anderen schräge Ideen hätten das Buch zu einem modernen, wortgewaltigen Teenager-Werk werden lassen können. Die Lieblosigkeit, das Fallenlassen von Figuren (z.B. Eckard) und Handlungssträngen und das Martialische lassen einen aber nur mit vielen Fragezeichen im Kopf zurück. Kann man lesen, muss man aber nicht.

Bewertung vom 15.06.2025
Eine Welt nur für uns
Deya, Claire

Eine Welt nur für uns


gut

Fabien leitet einen Entminungstrupp, der einen Küstenabschnitt in Südfrankreich von den tödlichen Fallen befreien soll. Eines Tages stößt Vincent zu ihnen, der dem Leiter erst suspekt, dann aber schnell zum Vertrauten wird. Doch Vincent hat nur eins im Sinn: die Wahrheit über den Verbleib seiner Geliebten Ariane herauszufinden. Dafür muss er Kontakt mit den deutschen Kriegsgefangenen aufnehmen, die in der Truppe unfreiwillig mitarbeiten. Er findet einen Deutschen, Lukas, der etwas über Ariane herausfinden kann. Doch im Laufe der Zeit stellt sich heraus, dass Lukas seine eigenen Ziele verfolgt...

Die Historikerin Claire Deya beschreibt in "Eine Welt nur für uns" ein Kapitel Zeitgeschichte, dass nur wenig Aufmerksamkeit bekommt: den fatalen Gefahren der Minen. Dabei zeigt sie aus unterschiedlichen Perspektiven mehrere Protagonisten, die alle mit ihren eigenen Traumata zurecht kommen müssen. Vincent musste mehrere Jahre als Kriegsgefangener in einem Lager in Deutschland verbringen und versucht mit all seiner Kraft seine große Liebe wiederzufinden. Fabien hat seine Geliebte verloren und stellt sein Können - dem Minenentschärfen und seine Führungskraft - dem Wohle aller zur Verfügung. Lukas, der deutsche Kriegsgefangene, der ausbrechen will, um seine Geliebte wiederzusehen. Und schließlich Saskia, eine Jüdin, deren Familie im Holocaust umgekommen ist und die Elternhaus von anderen Menschen bewohnt vorfinden muss - sie sucht nach Gerechtigkeit. Ihrer aller Leben ist auf ungewisse Weise miteinander verwoben, was sich erst im Laufe der Geschichte mit aller Klarheit zeigt.

Die Sprache des Romans ist kurzweilig, was den Roman schnell lesbar macht. Allerdings ist sie oft auch pathetisch und neigt zum Schwülstigen, was besonders zu Beginn und am Ende wahrnehmbar ist. Teilweise werden die unterschiedlichen Minen in einer Detailliertheit beschrieben, die für den Fortgang der Geschichte unnötig erscheint und auch etwas langweilt. Nichtsdestotrotz ist es sehr lehrreich, über die Aufwändigkeit der Minenentschärfung, mit all ihren katastrophalen Konsequenzen zu erfahren. Allerdings weiß man nie so genau, ob man jetzt einen Liebesroman, einen Roman über den Schrecken des zweiten Weltkrieges oder ein Buch über all die verborgenen Geheimnisse der einzelnen Figuren liest. Hinzu kommt, dass die persönlichen Geschichten der einzelnen Figuren recht umfangreich geschildert werden, man allerdings etwas den Überblick über die Charaktere verliert. Die geschilderten Beziehungen bleiben größtenteils oberflächlich und nicht immer glaubhaft bzw. nachvollziehbar. Die inneren Konflikte der Protagonist:innen werden zwar beschrieben, über weite Teile konnte ich sie aber nicht mitfühlen, was vermutlich an der verschnörkelten Sprache lag. Mir hat einfach das gewisse literarische Etwas gefehlt. Was mir aber eindringlich in Erinnerung bleiben wird, ist die Schilderung einer missglückten Minenentschärfung; dieses Kapitel ist der Autorin wirklich sehr gut gelungen.

Aufschlussreich war das Nachwort der Autorin, das uns wissen lässt, das einige familiäre, aber auch ihr erzählten Geschichten in den Roman eingeflossen sind, was im Nachgang zu einer größeren Glaubhaftigkeit führt. Trotzdem wurden einige Plottwists zu kurz abgehandelt und nicht immer schlüssig auserzählt, was einen unbefriedigenden Nachgeschmack hinterlässt. Nichtdestotrotz zeigt sie aber auch die Menschlichkeit, die trotz all der Grausamkeit immer wieder hervorblitzt. Einige großartige, philosophisch anmutende Sätze kann das Buch auch aufweisen.

Mein Fazit: "Eine Welt nur für uns" ist ein in großen Teil kurzweiliger Roman, der sich schnell lesen lässt. Er gibt aufschlussreiche Informationen über ein Kapitel in der Geschichte, das nur wenig Aufmerksamkeit erlangt: der gefährlichen Tätigkeit der Minenräumung. Leider fehlt es für meinen Geschmack der Sprache an dem gewissen literarischen Etwas und wirkt oft schwülstig und pathetisch. Die Auflösung der aufgebauten Spannungselemente passieren recht schnell und meines Erachtens öfters unbefriedigend, Zudem bleiben die Charaktere recht oberflächlich und unzugänglich. Trotzdem ist das Buch lesenswert für alle, die mehr über die Alltagsgeschichte des Endes des Zweiten Weltkriegs wissen wollen und die es nicht stört, dass vielleicht nicht alles so schlüssig und unpathetisch erzählt wird.

Bewertung vom 15.06.2025
Die Ahoibande
Lambeck, Silke

Die Ahoibande


ausgezeichnet

Willi und sein Hund Ohdschi, Paule, Jojo und Schulz leben auf der Nordseeinsel Süderhoorn. Naja, Schulz nicht immer, denn er ist aus Berlin, besucht aber seine Oma und seine Ahoibande regelmäßig. Gemeinsam erkunden sie die Welt und erleben allerhand Abenteuer auf der kleinen Insel. Ob Surfen, Robben, Schlittenfahren oder Wikinger-Amulette, die Insel bietet viel zu entdecken. Und gemeinsam macht es einfach mehr Spaß.

Silke Lambeck erzählt in "Die Ahoi-Bande" liebevolle und kindgerechte Geschichten um eine kleine Rasselbande, die durch dick und dünn geht. Sie begegnen allerhand schrulligen, aber netten Erwachsenen, aber auch verrückten und wagemutigen Tieren und den verschiedenen Elementen der Natur. Sie sind stets gemeinsam unterwegs und können sich aufeinander verlassen, denn Freundschaft ist das beste Gut. Doch es geht nicht nur um Abenteuer, denn die Bande ist hilfsbereit: sie retten den alten Hannes, springen ein, wenn in der Frühstückspension von Paulas Mutter Not an der Frau ist und sie helfen einander, wenn Willi seine Tauchangst überwinden mag.

In neun entzückenden, in sich abgeschlossenen Geschichten, die einmal die ganzen Jahreszeiten durchmachen, wird in wohliger Atmosphäre erzählt, wie sie alle Herausforderungen meistern. Das besondere an der Ahoibande ist, dass kein negatives Wort fällt, keine negativen Ereignisse ihren Weg kreuzen. Es ist der heile, manchmal für die Kinder auch langweilige Inselalltag, der ihr Leben zu etwas ganz besonderen macht.

Untermalt werden diese schönen Kindergeschichten mit wunderbaren Illustrationen von Lena Hesse, die das Buch zu einem wahren Augenschmaus machen.

Mein Fazit: Die Ahoibande ist ein wunderschön illustriertes Kinderbuch mit 9 abgeschlossenen Geschichten um eine kleine Kinderbande auf einer Nordseeinsel, die in den verschiedenen Jahreszeiten Zusammenhalt und Abenteuer erleben. Es ist unterhaltsam und zeigt Kindern, welch positive Kraft Freundschaft und Hilfsbereitschaft ist.

Bewertung vom 15.06.2025
Der dunkle Sommer
Buck, Vera

Der dunkle Sommer


ausgezeichnet

Um ihrem eigenen Trauma zu entkommen, kauft sich Tilda in dem Geisterdorf Botigalli auf Sardinien ein Haus um einen Euro. Sie sehnt sich nach Einsamkeit, auch wenn diese schwer zu ertragen ist - besonders, weil in dem Dorf unheimliche Dinge vor sich gehen. Bald trifft sie auf den Journalisten Enzo, der den Urheber eines lang zurückliegenden Massakers in dem Dorf aufdecken möchte. Tilda bekommt ungebetenen Besuch von ihrem Bruder, der sich im Laufe der Zeit zu einer angenehmen Begebenheit entwickelt. Als dieser aber plötzlich spurlos verschwindet, beginnt nicht nur die Suche nach ihm, sondern auch die atemberaubende Aufdeckung der furchtbaren Wahrheit der Vergangenheit des Dorfes...

Vera Buck schafft in "Der dunkle Sommer" etwas, was nicht viele Thriller vermögen: die Geschichte fesselt, sie baut sich langsam zu einem dichten Konstrukt auf und vor allem wird sie äußerst schlüssig und in perfektem Tempo auserzählt. Es wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, wir folgen Tilda und Enzo in der Gegenwart und Franca, einer jungen Dorfbewohnerin, die das Massaker auf Botigalli hautnah miterlebt. Und dann lesen wir noch von einer Person, die sich lange nicht zu erkennen gibt.

Das Erzähltempo ist anfänglich recht gemächlich, steigert sich im Laufe des Romans aber immer mehr und weiß gekonnt zu fesseln. Besonders schön gelingt die Landschaftsbeschreibung, die einen gekonnt und bildgewaltig nach Sardinien und speziell nach Botigalli versetzt. Neben den unheimlichen, aber nicht widernatürlichen Geschehnissen aus der Vergangenheit, schildert die Autorin auch die Beziehungen der unterschiedlichen Figuren zueinander und über weitere Strecken könnte das Buch auch ein bloßer, intensiver Familienroman sein. Doch äußerst mitreißend wird das Rätsel um das Massaker und das langsame Aufklären der Hintergründe erzählt. Im Nachwort lässt uns die Autorin wissen, dass es reale, geschichtliche Vorbilder für die Geschichte gibt. Sie gibt uns Einblicke in kriminelle Machenschaften, die in Italien aufgrund enormer Armut lange Zeit gang und gäbe waren.

Mein Fazit: "Der dunkle Sommer" ist eine gelungene Kombination aus Familienroman und Thriller, die uns in ein recht unbekanntes Kapitel italienischer Geschichte mitnimmt, obwohl sie in der Gegenwart erzählt wird. Die Autorin entwirrt die komplexe Geschichte in perfektem Tempo und äußerst schlüssig und erzeugt wunderbare Kopfbilder vom schönen Sardinien. Eine absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 08.06.2025
Verbrannte Wörter
Heine, Matthias

Verbrannte Wörter


sehr gut

Matthias Heine liefert uns mit der 2. Auflage von "Verbrannte Wörter. Wo wir noch reden wie die Nazis - und wo nicht" ein äußerst aktuelles und ausführliches Werk in alphabetischer Reihenfolge, das informativ und überraschend zugleich ist.

Nach einer fundierten Einleitung zum aktuellen Wissensstand, erhalten wir Erläuterungen über die (NS-) Geschichte verschiedenster Wörter. Die Erklärungen sind in adäquater Wissenschaftssprache verfasst, nehmen uns in die Spurensuche mit und beziehen sich auch oft auf aktuelle Debatten in deutscher und österreichischer Politik. Jede Wortbetrachtung schließt mit einem Fazit, welches zusammenfasst, ob und in welchem Zusammenhang das jeweilige Wort verwendet werden sollte - oder eben nicht. Erschütternd wird in Erinnerung gerufen, was die Nazis alles steuerten und verbürokratisierten - eben auch die Sprache. Doch nicht überall stecken Nazis drinnen, wo wir das vermuten, was zu der ein oder anderen Überraschung führt. Andererseits gab es auch große Aha-Momente, da ich niemals eine NS-Prägung in gewissen Wörtern vermutet hätte. Dazu gehört beispielsweise "betreuen".

Mit dem Fazit der einzelnen Wörter bin ich ehrlichgestanden nicht immer zufrieden, weshalb ich auch einen Stern Abzug gebe. Besonders bei der Redewendung "bis zur Vergasung" ist es mir einfach zu schwammig. Zudem finde ich den Aufbau des Buches ein wenig unübersichtlich und ich würde mir eine bessere Auffindbarkeit der Wörter mittels einer Buchstabenmarkierung wünschen. Positiv hervorzuheben ist das Eingehen auf aktuelle politische Diskussionen.

Mein Fazit: "Verbrannte Wörter" ist ein Buch, das in jedem deutschsprachigen Haushalt stehen sollte, da es den bewussten Umgang mit Sprache schult. Es eignet sich hervorragend für den Unterricht verschiedenster Gruppe, um sie für einen kritischen Umgang mit Sprache zu sensibilisieren. Vielleicht kann es in der nächsten Ausgabe noch etwas übersichtlicher gestaltet und Handlungsempfehlungen konkreter und weniger subjektiv gegeben werden.

Bewertung vom 08.06.2025
Papa, erzähl mir deine Geschichte: Das Erinnerungsbuch zum Ausfüllen   Ein persönliches und besonderes Geschenk für Väte
Valentin, Clara

Papa, erzähl mir deine Geschichte: Das Erinnerungsbuch zum Ausfüllen Ein persönliches und besonderes Geschenk für Väte


ausgezeichnet

Was für eine schöne Idee und Umsetzung ist "Papa, Erzähl mir deine Geschichte"! Ich habe mir schon jahrelang gedacht, dass ich gerne mehr über die Vergangenheit meines Vaters lernen möchte und dieses Büchlein ist die perfekte Anleitung dazu!

Besonders schön finde ich, dass wirklich viele Bereiche des Lebens abgedeckt werden und dass viele verschiedene Möglichkeiten bestehen, das Buch auszufüllen: persönliche Gedanken, Multiple-Choice-Kästchen, Platz für Fotos und für Kritzeleien. Das Buch ist in acht Kapitel/Lebensabschnitte eingeteilt. Besonders wertvoll finde ich auch die Ausfüll-Tipps am Anfang und Zwischendurch. Schön sind auch die immer wieder eingestreuten Zitate, beispielsweise Astrid Lindgren mit "Die Kindheit ist der Boden, auf dem wir unser ganzes Leben lang stehen.".

Die Fragen, die vorkommen, sind wirklich abwechslungsreich und ich bin fasziniert, an was alles gedacht wurde - verschiedenste Kindheitserinnerungen, berufliche Etappen, Familientraditionen, Hobbies, etc. pp. Die beruflichen Fragen sind für mich persönlich ein wenig zu erfolgs- und leistungsorientiert, wobei das ja auch alles sehr individuell ist. Grundsätzlich sind die Fragen und auch die Multiple-Choice-Antwortmöglichkeiten sehr offen und für alle Generationen geeignet. Mein Papa ist schon über 80 und hatte dementsprechend in seiner Jugend noch kein Fernsehen oder Videospiele, aber das ist gar nicht tragisch, weil es genügend andere Antwortmöglichkeiten gibt. Auch am Ende ist ausreichend Platz, um Erinnerungen oder Gedanken, die vorne noch nicht aufgegriffen wurden, festzuhalten.

Ich bin schon sehr gespannt, wie mein Vater auf das Geschenk reagieren wird - und natürlich noch mehr, wenn es zu mir mit seinen Antworten zurückkommen wird. Um mit einem Zitat aus dem Buch zu schließen: "Denn Erinnerungen werden erst dann wirklich wertvoll, wenn wir sie mit denen teilen, die wir lieben." (S. 106) Absolute Kaufempfehlung, um Erinnerungen nachhaltig zu bewahren!

Bewertung vom 26.05.2025
Durch das Raue zu den Sternen
Kloeble, Christopher

Durch das Raue zu den Sternen


ausgezeichnet

Arkadia Fink, 13 Jahre alt, weiß ganz genau was sie will: in einem Knabenchor singen und dadurch berühmt werden. Auf dem Weg dorthin lässt sie sich keine Steine in den Weg legen - weder von ihrem ablehnenden Vater, noch von ihrer Mutter, die nur mal kurz weggegangen ist und schon gar nicht von der Tatsache, dass die kein Knabe ist...

Was für ein großartiges Buch ist Christopher Kloeble hier gelungen! Der Autor schafft es, Arkadia absolut authentisch darzustellen: sie hat Ecken und Kanten, strotzt vor Selbstbewusstsein, ist wütend, durchsetzungsstark, liebt Musik abgöttisch - vor allem Beethoven (der im übrigen eine Frau war) und vor allem kann sie es meisterhaft, die Realität zu verdrängen. Trotzdem sie weiß was sie kann, stößt sie immer auch an ihre Grenzen, trifft aber auf Menschen, die an sie glauben und sie fördern. Gegen jene, die sie nicht so gut behandeln, setzt sie sich gekonnt und durchaus auch boshaft zur Wehr.

Auch wenn Arkadia sehr willensstark ist, ist sie gleichzeitig auch sehr verletzlich. Keiner, wirklich keiner darf ihr gegenüber den Satz: "Deine Mutter ist..." benutzen, denn derjenige erlebt sein oder ihr blaues Wunder, im wahrsten Sinn des Wortes. Ganz offen spielt der Autor mit dem Verdrängungsmechanismus des Mädchens: die Ich-Erzählerin sagt, was nicht so geschah, obwohl es alle so erzählen; sie träumt davon ihren ersten großen Auftritt vor ihrer Mutter zu bestreiten, obwohl die Leser:innen ahnen, dass dies eher unwahrscheinlich ist. Bis zum Schluss ist nicht klar, warum die Mutter nur kurz einmal weggegangen ist, die Auflösung überrascht, ist aber nachvollziehbar und gibt dem starken Charakter Arkadia noch eine weitere Facette.

Meine Stimmung beim Lesen schwankte zwischen amüsiert sein, Bewunderung und Mitleid für dieses besondere Mädchen. Trotzdem ihr schon etliche schlechte Dinge passiert und ihre Eltern das Gegenteil von perfekt sind, zieht sie aus allem positive Kraft. Wird sie auf Fehler hingewiesen, lernt sie daraus und will die Sache umso mehr. Ich konnte mich sehr in die Figur hineinversetzen und wollte ob der Intensität des Textes, der mitreißenden und eindringlichen Sprache, Sätze wie: "Es geht nicht um falsche oder richtige Töne, es geht um starke oder schwache Entscheidungen." (S. 65f.), der Tatsache, dass Arkadia immer wieder das Unmögliche möglich macht und dem Stimmungsmix aus Melancholie, Tiefe, Verdrängung und Hoffnung gar nicht mehr zum Lesen aufhören.

Christopher Kloeble ist mit "Durch das Raue zu den Sternen" ein großartiger Roman gelungen, der definitiv eines meiner Lesehighlights des Jahres 2025 ist. Es ist eine mitreißende und authentische Geschichte, die ermutigt niemals aufzugeben. 10 von 5 Sternen!

Bewertung vom 23.05.2025
Das Echo der Sommer
Labba, Elin Anna

Das Echo der Sommer


ausgezeichnet

Rávdná, ihre Schwester Ánne und ihre Tochter Ingá sind Sami, sie folgen dem Lauf der Jahreszeiten. Im Winter leben sie in einer Baracke im Osten, im Sommer ziehen sie gen Westen an den See, um dort der Fischerei nachzugehen. Immer wieder wird durch ein großes Elektrizitätsunternehmen ihr Territorium verkleinert, indem es den See, der ihre Lebensgrundlage darstellt, mehr und mehr aufstaut. Jedes Mal verlieren sie ein Mehr an dem ohnehin schon geringen Eigentum. Die Samen werden als minderwertiges Volk angesehen, nahezu ohne Rechte. Doch ihr Widerstand wird im Laufe der Jahrzehnte immer mehr...

Elin Anna Labba thematisiert in "Das Echo der Sommer" die kontinuierliche Vertreibung der Sami auf eindrucksvolle Weise. Die indigene Bevölkerung Skandinaviens wurde lange Zeit als minderwertig angesehen, als Menschen betrachtet, die es selbst nicht zustande bringen, in "geordneten" Verhältnisse zu leben. Ohne groß zu fragen, werden sie peu à peu ihres Lebensraumes beraubt, ohne eine Mitsprache an ihrer Zukunft zu haben. Labba erzählt anschaulich die Naturverbundenheit der Sami - und wie diese von der schwedischen Obrigkeit gekonnt ignoriert wurde. Die drei Frauen stecken sich lange zurück, bis sie nicht mehr mitmachen wollen. Dabei gehen sie äußerst unterschiedlich mit der schleichenden Vertreibung um. Ánne, selbst vom Schicksal stark mitgenommen, resigniert, während ihre Schwester Rávdná immer mehr Widerstand leistet. Rávdnás Tochter Inga will bloß leben, interessiert sich nicht wirklich für Politik, sondern bemüht sich um ein erträgliches Überleben. Sie leben im Einklang mit der Natur, doch im Laufe der Zeit scheint das immer mehr ein Hindernis zu sein.

Die Erzählung der Autorin hat eine besondere Atmosphäre, die Leser:innen spüren förmlich die Verbundenheit der Figuren mit der Natur und die zerstörerische Kraft der hegemonialen Herrscherbevölkerung. Die Sprache ist kühl, beinahe unemotional und hinterlässt doch den Eindruck der puren Unterdrückung der indigenen Bevölkerung. Wir begleiten die Protagonistinnen über einen Zeitraum von mehr als fünfzig Jahren (1920er bis in die 1970er Jahre) und fühlen, wie unterschiedlich deren Umgang mit der Unterdrückung doch ist. Von purer Resignation, über widerständischen Handeln zu Ignoranz ist alles vorhanden. Die Charaktere sind äußerst unterschiedlich, ihnen gemein ist aber, dass sie nie wirklich zugänglich sind. Trotzdem sind all ihre Handlungen nachvollziehbar, auch wenn es schwer erträglich ist, in welchem Ausmaß die Unterdrückung stattfindet.

Das Buch ist für alle geeignet, die sich mit der Geschichte und dem Umgang mit dieser europäischen indigenen Bevölkerung auseinander setzen wollen. Die Landschaftsbeschreibungen und die kulturellen und religiösen Aspekte der samischen Bevölkerung werden glaubhaft vermittelt. Die Autorin schafft es gekonnt, Bilder zu erzeugen, die die Handlung, die Figuren und die landschaftliche Atmosphäre authentisch widerspiegeln.

In den letzten Jahren hat es einige Literatur gegeben, die sich mit der samischen Kultur und deren Unterdrückung beschäftigt haben. Elin Anna Labba schafft es in "Das Echo der Sommer" glaubhaft, deren Unterdrückung und eigenen Widersprüche darzustellen. Was aber, wie bei einigen anderen Werken ebenfalls, vernachlässigt wurde, ist, dass den Leser:innen die Möglichkeit geboten wird, die sprachliche Kultur verständlich zu machen. Auch in "Das Echo der Sommer" wird in der samischen Sprache gesprochen, doch leider wird es verabsäumt, wesentliche Ausdrücke in einem Glossar dem nichtwissenden Leser:innenpublikum näherzubringen. Zwar hat mich das wesentlich weniger gestört, wie in anderen Romanen, die das Schicksal der Sami thematisieren, weil die Bedeutung oft in Nachfolgesätzen gekonnt weiterverfolgt wurden. Trotzdem wäre es dem interessierten Lesepublikum durchaus zuzumuten, durch Fußnoten oder einem Glossar immer wieder auftauchende Begriffe wie "Giisá" oder "Eanni" zu erklären, einfach auch um mehr Verständnis den Protagonistinnen gegenüber zu erzeugen. Diese Auslassung im Sinne der Leser:innen begründe ich auch meine Entscheidung, eine Stern für dieses ansonsten wunderbar authentische Bild der Sami in Romanform abzuziehen.