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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Kwinsu
Wohnort: 
Salzburg

Bewertungen

Insgesamt 125 Bewertungen
Bewertung vom 27.10.2025
Heimat
Lühmann, Hannah

Heimat


gut

Jana und Noah leben seit kurzen in einer Neubausiedlung im Dorf. Sie beschließt plötzlich, ihre Arbeit zu kündigen, was bei ihrem Mann so gar nicht auf Verständnis stößt. Dieses findet Jana dann bei einigen Frauen im Ort, allen voran Karolin. Die Insta-Influencerin zieht Jana schnell in ihrem Bann, auch wenn deren konservative Haltung sie - zumindest am Anfang - irritiert.

Ich hatte mich wirklich schon sehr auf diesen Roman gefreut, da er so viele positive Kritiken bekommen hat. Allerdings bin ich im Nachgang irgendwie enttäuscht. Die Protagonistin Jana ist völlig naiv und unreflektiert. Mir kommt vor, dass sie zu gar nichts eine eigene Meinung hat. Warum sie ihren Job gekündigt hat, ist nicht wirklich nachvollziehbar. Dass ihre neue Freundinnen erzkonservativ sind und sich ihren Männern unterstellen, um ganz für die Kinder da zu sein, lässt sie zwar anfänglich etwas wundern. Doch im Laufe der Zeit entwickelt sie eine beinahe krankhafte Obsession mit Karolin, man fragt sich, ob sie sich nicht in sie verliebt hat. Deren Mann, der offensichtlich nicht vor Gewalt seiner Frau gegenüber zurückschreckt, findet sie ebenfalls ziemlich anziehend. Dass Noah über ihre unnachvollziehbare Wandlung nicht glücklich ist und Jana kaum mehr erkennt, scheint sie überhaupt nicht zu stören.

Ab und an lesen wir über die Aktivitäten der AfD im Dorf, über die Ablehnung von fremder Kinderbetreuung und Impfungen. Über die augenscheinliche Differenz zwischen Insta-Wahrheit und Wirklichkeit, über Gewalt gegen Frauen und Lästereien sogenannter Freundinnen. Das hätte grundsätzlich das Potential für eine packende, gesellschaftskritische Story, doch die Protagonistin bleibt m.E. so farb- und hirnlos und unrealistisch, dass ich mich nur drüber ärgern kann. Außerdem werden absichtlich etliche Lücken eingebaut, die Leser*innen wissen über vieles nicht Bescheid und das Ende bleibt absolut offen. Das wäre ja an und für sich kein Problem, Spekulationen besonders bei einem offenen Ende sind reizvoll. Aber hier bleibt bereits im Fortgang der Geschichte so viel unerzählt, dass ich mich frage, warum es überhaupt thematisiert wurde. Die rechtsextremen und tradwifeigen Tendenzen werden auch eher nur eingestreut, ohne eine stimmiges Gesamtbild geschweige denn eine entsprechende Dorfatmosphäre zu ergeben. So frage ich mich am Schluss: was sollte hier eigentlich erzählt werden?

Mein Fazit: Heimat ist ein gut zu lesender Roman mit einem aktuellen Thema, aus dem man eine gute, gesellschaftskritische Geschichte bauen hätte können. Leider ist für mich die Story und vor allem die Protagonistin weder stringent noch nachvollziehbar, auch wenn das offene Ende seinen Reiz hat.

Bewertung vom 26.10.2025
Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels
Kaiser, Vea

Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels


sehr gut

Angelika ist eine gute Buchhalterin. Sie arbeitet im Grand Hotel Frohner in Wien und wird schnell die Vertraute vom Direktor, der sie ab und an bittet, nicht ganz legale Sachen für ihn zu erledigen. Da sie mit ihrer neu gekauften Wohnung Probleme hat und sie auch nicht das allerbeste Händchen für Männer besitzt, beschließt sie, sich ein bisserl was vom Hotel zu borgen. Erst ist sie panisch, erwischt zu werden, schnell aber merkt sie, dass das Borgen so überhaupt nicht auffällt. Und so läppert sich im Laufe der Jahre ein hübsches Sümmchen zusammen...

Vea Kaiser ist mit "Fabula Rasa oder Die Königin des Grand Hotels" ein amüsanter und kurzweiliger Roman gelungen, der nie im Leben leugnen kann, dass er aus Österreich stammt. Da ist die vielfältig eingesetzte österreichische Sprache (sogar mit einem wienerischen - deutschen Wörterbuch am Ende), da ist die österreichische Bussi-Bussi-Gesellschaft, zu der Angelika gern dazu gehören möchte und da ist der Fakt, dass man es mit der Buchhaltung nicht so genau nimmt, weil der Direktor das sagt und er schließlich auch seine Golfurlaube bezahlen muss - die natürlich nur im Sinne des Hotels getätigt werden.

Die Protagonistin ist zwar gut im Buchhalten, ein Menschengespür scheint sie aber nicht zu haben. Immer wieder klappt es nicht mit den Männern, auch nicht mit ihrem Sohn, für den sie alles, wirklich alles tut (u.a. natürlich sich für seine Spielschulden ein bisserl was vom Hotel ausleihen). Dann hat sie noch eine typisch österreichische Mutter, die mit ihrem ordinären Slang nicht in der Lage ist, Zuneigung zu zeigen, sondern lieber in ihrem Grant den Gemeindebau beglückt und einfach nicht in Pension gehen will, obwohl sie es mit dem Vergessen hat - sprich: dement ist.

Der Humor ist amüsant, die Sprache der Autorin sehr eingänglich zu lesen und lange Zeit kann man irgendwie Verständnis für Angelika aufbringen. Das hat auch damit zu tun, dass wir ausführlich und zum Mitfühlen mit der Figur vertraut werden, mit ihrem Karrierebewusstsein, ihren Männergeschichten, der Beziehung zu ihrer Mutter und zu ihrer heroinsüchtigen Freundin Ingi. Bis dass sich Angelika das erste Mal etwas borgt, dauert es sehr viele Seiten. Noch interessanter macht die Geschichte, dass zwischen den Kapiteln immer auch wieder die vermeintliche Autorin berichtet, wie sie Angelika im Gefängnis besucht und sie sie zu ihrer Lebensgeschichte interviewt. Vea Kaiser berichtete in Interviews, dass sie sich an einer realen Geschichte orientierte, die Interviews im Roman dürften aber reine Fiktion sein.

Trotzdem das umfangreiche Buch wirklich gut und schnell zum Lesen geht, bleibt bei mir am Ende ein wenig ein fahler Beigeschmack. Während wir wirklich sehr ausführlich in Angelikas Leben eingeführt werden und vorerst eher nur über wenige Monate und Jahre begleiten, beginnt die Geschichte ab ca. der Hälfte zu hetzen. Ganz schnell wird ihr Sohn groß, plötzlich gibt es neue Partner, ihre kriminellen Machenschaften bleiben immer eher im Hintergrund (auch wenn wir doch immer wieder von ihren Schuldgefühlen erfahren). So hat für mich das Erzählte ein Ungleichgewicht und ich konnte den Kern der Geschichte nicht so ganz ausmachen. Denn plötzlich ist Angelika auf Luxus aus, obwohl davon in der langen Einleitungsphase noch überhaupt nichts zu ahnen war. Der Tiefpunkt kommt ebenso schnell und auf wirklich den letzten Seiten des Buches. Von mir aus hätte das Buch ruhig noch ein paar Seiten mehr haben dürfen, damit ich besser nachvollziehen hätte können, wie sich der Wandel der Hauptfigur einstellte.

Mein Fazit: Fabula Rasa ist ein eingänglich zu lesendes Buch, dass mit viel österreichischem Kolorit und einem Humor, der eine viel schmunzeln lässt, aufwartet. Trotzdem ich das Buch wirklich sehr gern gelesen habe, finde ich schade, dass der Wandel der Hauptfigur für mich nicht ganz schlüssig von statten gegangen ist. Trotzdem kann ich das Buch allen empfehlen, die Lust auf humorig Österreichisches haben und sich nicht vom Umfang abschrecken lassen.

Bewertung vom 26.10.2025
Das glückliche Leben
Foenkinos, David

Das glückliche Leben


sehr gut

Das Leben von Éric ändert sich schlagartig, als seine ehemalige Schulkollegin Amelié ihn in die Politik holt. Als der zuverlässige Karrierist bei einer wichtigen Geschäftsreise in Seoul auf eine außergewöhnliche Dienstleistung stößt, haut es ihn buchstäblich aus den Socken: er erlebt seine eigene Beerdigung und weiß, er will etwas in seinem Leben ändern. Prompt importiert er das Konzept nach Frankreich und trifft damit den Zahn der Zeit. Dadurch, dass er wieder zu seiner eigenen Mitte findet, verbessert sich auch die Beziehung zu Familie und Freunden und bringt unerwartete Wendungen.

David Foenkinos Roman "Das glückliche Leben" ist eine wohlige Erzählung darüber, dass Karriere und Erfolg nicht alles ist im Leben. Wir erleben die stressige und auslaugende Welt der Politik, in der man genauso schnell abgeschrieben werden kann, wie man einst hineingerutscht ist, wir erfahren aber auch von der Kraft und dem Willen zur Veränderung, wenn man mit seinem eigenen Ende konfrontiert ist. Die Beschreibungen wie die Menschen "Happy Life", wie die Fake-Eigene-Beerdigung heißt, wahrnehmen und wie sie die Erfahrung verändert, ist einnehmend, wenn auch teilweise etwas zu schnell abgehandelt und nicht voll nachvollziehbar argumentiert. Grundsätzlich scheint dem Protagonisten Éric schier alles zu gelingen, was er nach seiner Wandlung anfasst. Er reflektiert gut, was er will und was nicht und handelt auch dementsprechend.

Sehr gut hat mir der Schreibstil gefallen. Er ist oft humorig, besonders die Nachsätze oder Kommentare, welche die Gedanken der Protagonist*innen ergänzen und als Klammer oder Fußnoten eingeschoben werden, sind sehr lustig. Wir lesen auch in verschiedenen Perspektiven - von Amelié und von Éric - was auch die Spannung gut aufbaut. Grundsätzlich lässt sich das Buch sehr kurzweilig lesen. Zudem wechseln sich Tiefe, Oberflächlichkeit und leichte philosophische Gedanken in einem guten Verhältnis ab.

Was man bekritteln kann, ist, dass alles schon fast zu glatt läuft, alles so wohl bedacht ist und dann auch noch alles so fein ausgeht. Normalerweise bin ich davon kein großer Fan, doch irgendwie hat es der Autor durch seine sympathische Figurenzeichnung und den einnehmenden Schreibstil geschafft, dass das Buch ein wohliges Gefühl in mir hinterlassen hat und ich es wirklich gerne mag: ich finde es nämlich trotz allem nicht kitschig.

Mein Fazit: Das glückliche Leben ist ein wohliger Roman über eine außergewöhnliche Geschäftsidee, die den Protagonisten zu sich selbst finden lässt und damit Erfolg hat - nicht nur beruflich, sondern auch in seinen Beziehungen. Es ist keine hochliterarische Erzählung und scheinbar alles löst sich in Wohlgefallen auf - aber warum darf man sich beim Lesen nicht auch einmal entspannen und die glücklichen Vibes mitnehmen? Und das nämlich ohne Kitsch!

Bewertung vom 04.10.2025
Sharkpedia - Die erstaunliche Welt der Haie (eBook, ePUB)
Abel, Daniel C.

Sharkpedia - Die erstaunliche Welt der Haie (eBook, ePUB)


sehr gut

Sharkpedia ist ein Hai-Lexikon der besonderen Art: Autor Daniel C. Abel untermalt die lexikalischen Einträge mit seiner eigenen, ganz persönlichen Note, denn er lässt uns an seinen persönlichen Erfahrungen als Ozeanologe teilhaben. Der Schreibstil ist typisch für englischsprachige, akademische Texte - leicht verständlich und sehr niederschwellig. Hinzu kommt die humorvolle Art, indem alles Wissenswerte über Haie dargeboten wird. Von anatomischen Begebenheiten, über Hai-Rezeptionen in der Populärkultur und Kunst, hin zu der Bedeutung von Haien fürs Ökosystem und den verschiedenen Haiarten ist alles dabei, was sich interessierte Haifans wünschen. Auch die Jagd auf den Hai und die Angst vor ihm wird ausreichend thematisiert, sodass man nach dem Lesen den Eindruck hat, selbst zum Haiexperten oder zur Haiexpertin geworden zu sein.

Einen Stern muss ich aber doch abziehen: die Begrifflichkeiten, die lexikalisch voran gestellt werden, beispielsweise "Apfeltauchen" oder "CSI: Shark" mögen zwar catchy sein, waren für mich aber teilweise schwer nachvollziehbar und ich musste häufig mehrere Male nachlesen, bis ich verstand, was sie zu bedeuten haben. Das ist aber nur mein persönlicher Eindruck, denn mir sind sachliche Begrifflichkeiten lieber. Auch die immer wieder eingeworfenen persönlichen Episoden des Autors empfand ich als stellenweise unpassend und haben mich von der tatsächlichen Sache abgelenkt. Diese sehr persönliche Note in Sachbüchern ist in letzten Jahren sehr beliebt und gefällt wohl vielen Leuten, für meinen Geschmack dürfte es oft aber etwas wissenschaftlicher sein.

Mein Fazit: Sharkpedia ist ein äußerst informativer Beitrag, um die Lebensweisen, Fakten und den Umgang mit Haien besser zu verstehen. Durchgehend schildert der Autor, selbst Ozeanologe und Haiforscher, viele seiner persönlichen Begegnungen mit Haien und verleiht dem Hailexikon seine ganz persönliche Note.

Bewertung vom 21.09.2025
Der Hase im Mond
Flasar, Milena Michiko

Der Hase im Mond


sehr gut

"Anders als in der Fernsehserie gab es weder eine Pointe noch eine Moral noch das obligatorische Happy End." (S. 214)

Dieses Zitat aus Milena Michiko Flasars Erzählband "Der Hase im Mond" fasst vortrefflich zusammen, wie ich ihre neun Kurzgeschichten wahrgenommen habe. Ich konnte oft weder eine Moral, noch eine Pointe, geschweige denn ein Happy End finden. Das ist grundsätzlich auch nicht nötig. Der Schreibstil der Autorin ist sehr besonders, er hat mich eingenommen, auch wenn der Ablauf der Geschichten ab und an zäh und nervig daherkam. Es erfordert einiges an Geduld, eine Geschichte so hinzunehmen, ohne dass sie augenscheinlich Sinn ergibt. Das Zitat, was zum Ende des Buches aufgeworfen wird, scheint mir auch sehr bewusst dorthin gesetzt worden zu sein.

Sie setzt die Realität oft in einem schwebenden Zustand, der ab und an ins Fantastische gleitet, an. "Was ist tatsächlich geschehen?" ist eine zentrale Frage, die ich mir beim Lesen ständig gestellt habe. Die verhandelten Themen sind vielfältig und wiederkehrend: Mann-Frau- & Eltern-Kind-Beziehungen, Rollenverteilung, Verwahrlosung, Aufgabe des Alltags, Äußerlichkeiten (v.a. weiße Zähne), Gefühlsstörungen & Wahnhaftigkeiten, ein intensives sich-Hineinsteigern in unterschiedliche Beobachtungen, die Suche nach dem Selbst, das eigene Scheitern und andere Abhängigkeiten. Auch Tiere spielen immer wieder eine Rolle.

Es wäre schön, das Buch mit einer japanischen Brille lesen zu können: die Autorin hat einen japanischen Elternteil, die Geschichten spielen in Asien und wären vermutlich greifbarer, hätte man einen entsprechenden kulturellen Background. Meine Gefühlslagen zu den Erzählungen schwankte zwischen Bezauberung, Mitgerissen-sein, Abstoßung, Langeweile, Entnervung, Verwirrtheit und Begeisterung. Solche Schwankungen zu verursachen, zeugt von großem Talent, vor allem unter dem Aspekt, dass sich eine Sinnhaftigkeit der Geschichten nur selten einstellt. So alltäglich sie sein mögen, so sehr versetzen sie einen in eine andere, beinahe schon alienesque Welt. Begleitet werden die unterschiedlichen Protagonist*innen stets von philosophischen Gedankengängen. Eines steht fest: hinterher ist man keineswegs schlauer.

Mein Fazit: "Der Hase im Mond" ist eine sehr spezielle Kurzgeschichtensammlung, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Sie glänzt durch eine magische literarische Sprache, die einen in eine andere Welt zu versetzen mag. Eine Leseempfehlung spreche ich aus für alle, die es nicht stört, nach dem Lesen keinen Sinn entdecken zu müssen.

Bewertung vom 21.09.2025
Das Geschenk
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


gut

Die Leute staunen nicht schlecht, als sie nach und nach Elefanten in der Hauptstadt entdecken, die badend, fressend und trompetend durch Seen und Straßen ziehen. Bald wird klar: sie sind ein besonderes Geschenk, das der botswanische Präsident Deutschland gemacht hat, nachdem es ein Einfuhrverbot von Jagdtrophäen beschlossen hat. Die Anzahl von 20.000 Stück stellt das ganze Land vor eine riesige Herausforderung...

Gaea Schoeters gelingt mit "Das Geschenk" eine humorige und kurzweilige Satire, die der deutschen Politik und Gesellschaft gekonnt den Spiegel vorhält. Auf nur rund 140 Seiten begleiten wir 435 Tage des Ausnahmezustands und der zunehmenden Handlungsunfähigkeit von Politiker*innen und Expert*innen. Die Autorin thematisiert unterschiedlichste Schieflagen, von der europäischen Überheblichkeit gegenüber Afrika, über den fehlenden Mut von Politiker*innen, unpopuläre Entscheidungen zu treffen, aus Angst bei der nächsten Wahl zu scheitern, bis hin zu der Frage ob ein Elefantenleben mehr wiegt als ein menschliches. Besonders im ersten Teil hat sie die Geschichte perfekt durchdacht, sie stellt Fragen, wie sich die Landschaft durch die Anwesenheit so vieler lebensraumfremder Tiere verändert, sei es durch deren Nahrungsbedürfnissen, deren Kot oder deren Beeinflussung der menschlichen Ansiedelungen.

Erheiternd sind hierbei die Anspielungen auf tatsächliche Personen, wie die ehemalige Kanzlerin, die als Ratgeberin des Protagonisten und derzeitigen Kanzler Winkler dient und meint "Wir schaffen das". Traurig stimmt die Erkenntnis des Patriarchats, das die kluge Hartmann, die zur Elefantenministerin auserkoren wird und als einzige wagt konstruktive Lösungen vorzuschlagen, gegen die Wand fahren lässt. Überhaupt sind die Anspielungen auf die Realpolitik gekonnt und deswegen auch ernüchternd.

So hundertprozentig konnte mich "Das Geschenk" aber nicht überzeugen. Besonders die erste Hälfte ist kurzweilig, utopisch, mutig und satirisch, ab der zweiten Hälfte jedoch überlagert die ausweglose Realpolitik alles. Da geht es nur mehr um Machterhalt und Wählerstimmen und die Handelnden weigern sich, mutige Schritte zu setzen aus Angst, ihre eigene Position zu verlieren. Wir erhalten hier nähere Einblicke in das persönliche Leben des Kanzlers, ohne dass ich herausfinden konnte, weshalb dies nun für den Fortgang der Geschichte notwendig ist. An etlichen Stellen habe ich mich gelangweilt und habe es bedauert, dass die Autorin ihre begonnenen Utopien nicht mutig fortführt. Beginnt "Das Geschenk" als lustiges Spiel, das 20.000 Elefanten im Porzellanladen veranstalten, hinterlässt es uns im zweiten Teil mit dem traurigen Trümmerhaufen der zerbrochenen Realität.

Mein Fazit: "Das Geschenk" beginnt als humorig satirisches Büchlein, das einen viel zum Schmunzeln animiert und eine eigentlich tragische Geschichte augenzwinkernd betrachtet. Die zweite Hälfte wird überschattet von einer trostlosen Politik, die einen viel zu oft an die Realität erinnert. Schade, dass die Autorin nicht mehr Mut zur Utopie hatte. Nichtsdestotrotz ist das Buch eine kurzweilige Geschichte, die zum Nachdenken anregt.

Bewertung vom 21.09.2025
Rabenthron / Helmsby Bd.3
Gablé, Rebecca

Rabenthron / Helmsby Bd.3


sehr gut

England im Jahr 1013: der junge Aelfric of Helmsby reist nach London, um seinen wertvollen, dänischen Gefangenen zu Geld zu machen - und gerät rasch in die komplizierten Verstrickungen des Königshauses. Er wird zum Vertrauten der klugen Königin Emma, für die er in den nächsten Jahrzehnte treue Dienste leistet und stets an ihrer Seite verweilt. Denn es ist eine Zeit, in der nur Emma die strahlende Konstante zu sein scheint...

Rebecca Gablé liefert mit "Rabenthron" in gewohnt souveräner Manier ein Prequel zu "Das zweite Königreich" ab, das aber absolut alleinstehend gelesen werden kann - wie alle ihre historischen Romane. Es ist wieder hervorragend recherchiert und wie keine andere schafft es die Autorin, ihre fiktiven Protagonist*innen auf glaubwürdige Art und Weise in das historische (politische) Geschehen einzubetten und sie zu zentralen Figuren in der Geschichte zu machen.

Wie immer bei Gablé lernt mal viel über die mittelalterliche Welt Europas, mit Fokus auf England und die Normandie. Wir lesen über Könige, die sterben wie die Fliegen, über einen fliegenden Mönch, über den Sklavenhandel und das Leben der Sklav*innen zu dieser Zeit, über Geschlechterrollen, die Vielehe und die unglaubliche Macht, die Dänemark dazumals hatte. Wir erfahren, dass ein Zusammenleben von Dän*innen und Engländer*innen in England existierte, das mal mehr, mal weniger funktioniert hat. Und über die weiterreichenden politischen Verstrickungen, die sich durch ganz Europa gezogen haben.

Die Protagonist*innen im Buch sind vielfältig. Aelfric ist treuherzig, ehrenhaft und glaubt (oft schon übertrieben) an das Gute im Menschen. Sein Gegenspieler Offa ist ein absoluter Stinkstiefel, der aber ab und an auch Gutes aufblitzen lässt. Aelfrics Sohn Penda weiß was er will und holt es sich auch. Die leuchtendste Figur ist aber Königin Emma, die es mit ihrer Intelligenz schafft, die politischen Geschicke zu ihren Gunsten zu nutzen. Dann gibt es noch Hakon, der ehemalige Gefangene von Aelfric, der leider nur oberflächlich beschrieben wird. Doch ihn, Aelfric und den großartig humorigen Bruder Eilmer verbindet eine tiefe Freundschaft, die über Jahrzehnte hinweg lebendig bleibt. Diese Charaktere begleiten uns beinahe 30 Jahre durch die Geschichte.

Der Schreibstil Gablés ist wie immer einnehmend und kurzweilig. Trotzdem habe ich mir diesmal nicht so leicht getan, Zugang zu den Figuren zu finden. Die Szenen, in denen wir sie begleiten, scheinen mir diesmal besonders kurz und eher an der Oberfläche zu bleiben. Da wir gleich mehreren Charakteren folgen, ist es mir diesmal nicht gelungen, eine Verbindung zu ihnen herzustellen. Meines Empfindens nach bekommt diesmal lediglich Königin Emma einen Auftritt, zu dem man in den rund 900 Seiten nachvollziehbaren Zugang findet. Ich war es von der Autorin gewohnt, dass sie es sehr gut schafft, (zeitliche und handlungstechnische) Lücken durch Hinweise zu füllen, das habe ich in Rabenthron etwas vermisst. Nichtsdestotrotz wird man gut und lehrreich unterhalten. Außerdem ist der Fokus auf Liebesgeschichten sehr im Hintergrund, was ich als erfrischend und sehr positiv wahrgenommen habe.

Mein Fazit: Rabenthron ist ein souverän geschriebener historischer Roman aus der Helmsby-Reihe, dessen Figuren uns in die Welt des englischen, normannischen und dänischen Mittelalters eintauchen lässt. Die Charaktere scheinen unzugänglicher als gewohnt, da man sehr vielen von ihnen folgt, dafür treten Liebesgeschichten eher in den Hintergrund. Wie immer ein hervorragend recherchierter und informativer Roman der Autorin, die uns wieder wundervoll in die politischen Ränkespiele vor rund 1000 Jahren eintauchen lässt.

Bewertung vom 17.09.2025
Schattengrünes Tal
Hauff, Kristina

Schattengrünes Tal


weniger gut

Lisas Leben ist ganz ok, zwar hat die Ehe mit Simon die besten Jahre schon hinter sich und ihr sturer, alter Vater Carl will einfach nichts an dem immer maroder werdenden Hotel, das seinen Glanz längst verloren hat, ändern, aber sie gibt sich mit wenig zufrieden. Dann jedoch betritt Daniela die Bühne. Die eigenartige Frau ist Lisa nicht so recht geheuer, doch als diese es schafft, Lisas Umfeld immer mehr für sich einzunehmen, lässt sie sich mehr und mehr auf sie ein. Hätte sie sich doch lieber auf ihre Bauchgefühl verlassen...

Die erste Hälfte des Buches macht echt Spaß zu lesen - der Schreibstil ist sehr kurzweilig, es wird ein gewisser Spannungsbogen aufgebaut, die Autorin baut atmosphärische Bilder auf, man kann Lisas Zweifel und ihr schlechtes Bauchgefühl was Daniela betrifft gut nachvollziehen, genauso wie die nicht mehr so frische Beziehung zu ihrem Mann und den Ärger über ihren Vater, der einfach nicht sieht, dass die gute alte Zeit im Hotel längst vorüber ist und vollkommen unwillig ist, sich auf Neues einzulassen. Schnell lesen lässt sich die Geschichte auch, weil sie in kurzen Kapiteln immer verschiedenen Figuren folgt. Und man verfällt rasch in Spekulationen, was es mit dieser ominösen Daniela wohl auf sich hat und wie sich das Erzählte wohl weiterentwickeln wird. Soweit so gut.

Als dann aber im zweiten Teil des Buches fast jede Vermutung dann tatsächlich eintritt und dann auch noch ein Geschlechterstereotyp nach dem anderen bedient wird, hat sich der Spaß für mich aufgehört und ich musste mich einigermaßen ärgern. Schwanzgesteuerte Männer, rachsüchtige, manipulative und als Gegentyp naive Frauen, Frauen, die alles mit sich machen lassen und zur Krönung noch ein Happy End auf allen Ebenen. Alles bleibt oberflächlich, die Figuren haben keinerlei Tiefe, leider stelle ich mir persönlich so eine gute Geschichte nicht vor. Schade, es hatte vielversprechend begonnen.

Mein Fazit: Schattengrünes Tal beginnt vielversprechend mit einem kurzweiligen Schreibstil und einem schnell einsetzenden Spannungsboden, bedient aber rasch sämtliche Geschlechterstereotypen und ist sehr vorhersehbar. Wem das nicht stört, könnte das Buch gefallen.

Bewertung vom 15.09.2025
Jenseits der See
Lynch, Paul

Jenseits der See


ausgezeichnet

Der Fischer Bolivar begeht einen fatalen Fehler: er entscheidet sich, trotz Unwetterwarnung in See zu stechen und überredet den jungen Hector, ihm zu assistieren. Die Konsequenzen sind so grauenhaft wie unvorstellbar: der Sturm reißt sie auf offene See, alles was ihnen bleibt ist das defekte Boot und sie selbst. Es beginnt ein Kampf um Leben und Tod, der beide weit über ihre Grenzen treibt.

Was für ein wahnsinnig gutes Buch ist Autor Paul Lynch hier gelungen! Die philosophischen Betrachtungen auf das Leben und das Sein, der immer intensiver werdende Wahn, die rohe Grausamkeit alles zu tun um zu überleben - oder aber auch nicht, das Existieren im Nichts mit einem fremden Menschen, der Freund und Feind zugleich wird - all das schildert der Autor atemberaubend überzeugend und in metapherngeladener Sprache.

Bolivar war vor dem einschneidenden Erlebnis, das über mehrere Monat andauert, ein Schlitzohr, ein Kleinkrimineller, der Frauen benutzte und nur auf sein eigenes Wohl aus war. Hector wiederum ein junger, fröhlicher Mensch, dem das Leben noch bevorstand. Die Ausnahmesituation scheint ihre Charaktereigenschaften zu brechen, während Bolivar zum Optimisten wird, öffnet Hector dem Wahn Tür und Tor, seine Gedanken werden paranoid, soweit, dass er irgendwann bei Gott landet. Bolivar kommt nicht mehr zu ihm durch und hört doch nicht auf, seine Überzeugung, dass für sie alles gut ausgehen wird, dem jungen Mann zu übertragen - vergebens.

Lynch erzeugt ein so realistisches Bild von dieser auf wahren Begebenheiten beruhender Geschichte, dass ich den Schmerz und die Hoffnung der Protagonisten fühlen konnte, als würde ich als stille Beobachterin mit im Boot sitzen. Die Wandlungen der Figuren ist stet und nachvollziehbar, während der eine in eine unberechtigte Dauerbeichte verfällt, erkennt der andere seine Fehler, reflektiert sie und setzt Hoffnung darin, sie wieder gutmachen zu können. Neben der philosophischen Komponente verbaut der Autor auch eine Spiegelung der Abgründe der Menschheit in die Umgebung der Weltmeere. Hier treiben Maßen an (Plastik)Müll, die in der ausweglosen Situation aber zu dankbaren Werkzeugen werden. Trotzdem ist die Anzahl und auch die bloße Existenz der achtlos entsorgten Verbrauchsgüter mitten im offenen Meer ein Umstand, der mich höchst traurig gestimmt hat. Ein weiterer schwer erträglicher Aspekt ist die Grausamkeit gegenüber Tieren, die Bolivar an den Tag legt, um zu überleben. Hier geht es nicht ums reine Töten, sondern ums Quälen, um das eigene Überleben zu sichern.

Nichts an der Geschichte wirkt unrealistisch, sie zieht einen Sog aus Ausweglosigkeit und Hoffnung, Aufgeben und Kämpfen, Verhandeln von Existenz und Tod. Und als Draufgabe die umwerfende Sprache des Autors, der sich mit Metaphern austobt, die nicht immer nachvollziehbar, dafür aber eine literarische Wohltat sind.

Mein Fazit: Jenseits der See ist ein großartiger Roman über den Existenzkampf auf hoher See in einer ausweglosen Situation, der den beiden Protagonisten alles abverlangt und sie in einen Zustand versetzt, der sie zwischen Wahn und Wirklichkeit, Hoffnung und Aufgabe, Grausamkeit und Zuneigung gefangen hält, um sie schließlich in ihrer eigenen Erkenntnis auszuspucken. Hier zeigt sich Sprachgewalt in metaphernhafter Höchstleistung, die in keiner Sekunde auf Kosten der Geschichte geht. Jenseits der See ist für mich eines der Jahreshighlights 2025 und ich kann allen, die beim Lesen emotional gerne an ihre Grenzen getrieben werden, raten: lest dieses Buch!

Bewertung vom 14.09.2025
Die Probe
Kitamura, Katie

Die Probe


sehr gut

Akt 1: Eine Begegnung mit dem jungen Xavier bringt das Leben der erzählenden Schauspielerin durcheinander. Er eröffnet der Protagonistin, er glaube sie wäre seine Mutter. Dabei kann das gar nicht sein, nie hat sie ein Kind geboren. Trotzdem lässt sie die Begegnung nicht los.
Akt 2: Xavier ist bei der namenlosen Schauspielerin und ihrem Mann Tomas eingezogen. Während sie über ihr bisher verbrachtes, gemeinsames Familienleben sinniert, das Großziehen von Xavier, ihre Gefühle zu ihm, ihre nicht greifbare Beziehung, scheint dieser gekommen sein, um zu bleiben - und das nicht alleine.

Katie Kitamura nimmt die beobachtenden Leser*innen in "Die Probe" mit in ein gekonntes Verwirrspiel, das - je weiter man in die Geschichte vordringt - immer undurchsichtig wird. Was ist wahr und was ist falsch, gibt es sowas wie die Wahrheit überhaupt und worin kann man Theater und Realität unterscheiden? Was ist passiert, in der Lücke, die zwischen dem ersten und dem zweiten Teil klafft? Und ist die Protagonistin überhaupt zurechnungsfähig oder befindet sie sich in einer sich stetig steigernden Wahnvorstellung? Diese Fragen und viele mehr begegnen einem unwillkürlich beim Lesen dieses Dramas in zwei Akten. Es gibt unzählige Weisen, wie man welches Ereignis / wie man die Gedanken der Protagonistin und ihrer Familie, seien es jene im Theater oder jene der vermeintlichen Realität, interpretieren kann, es bieten sich viele Spielräume, die unklar und glasklar zugleich sind. Fest steht: diesen Roman sollte man am Besten in einem Lesekreis lesen, denn alleine macht das Rätselraten, das Zurechtbiegen der eigenen Wahrnehmung, die Anstrengungen der Hirnwindungen nur halb soviel Spaß.

Man sollte gefasst sein auf eine dichte Sprache, die jedes Wort ernst nimmt und gleichzeitig ad absurdum führt, nur eines ist gewiss: die Erzählerin ist absolut unzuverlässig. Zwar hat das Büchlein nur wenige Seiten, es sind nur 176 abzüglich der üblichen Leerseiten, aber es verlangt die volle Aufmerksamkeit, damit einem die Geschichten nicht davon rennen. Zu der ganzen Unklarheit kommt dann auch noch die Gewissheit, dass die Protagonistin eine hervorragende Schauspielerin ist, nicht nur im wörtlichen Sinn, sondern auch im beruflichen. Ist man mit dem Lesen fertig, beginnt erst die richtige Arbeit, denn verstehen tut man nur das, was man selbst hineininterpretieren will. Und das ist pure Absicht der Autorin. Für dieses Spiel muss man offen sein, muss sich darauf einlassen und auch bereit sein, die eigene Meinung zu revidieren.

Viele kluge Fragen ergeben sich, über das Zusammenleben, über Beziehungen und Wünsche, über Karriere, über Mann und Frau - und natürlich übers Theater. Letzteres ist bekanntlicherweise eine spezielle Welt und war für mich auch der Grund, weshalb ich bei den teilweise längeren Schilderungen darüber manchmal etwas entnervt war. Überhaupt war das Milieu, in dem sich die Protagonistin bewegt, für mich sowohl unzugänglich, wie auch unverständlich. Annahmen über Menschen wirkten teilweise befremdlich, weshalb ich auch keine wirkliche Anteilnahme an dem verwirrenden Leben der Schauspielerin nehmen konnte.

Mein Fazit: "Die Probe" ist ein gekonnt inszeniertes Verwirrspiel, das wohl bewusst so geschrieben wurde, dass es nicht aufgelöst werden kann. Es taucht tief ein in die wirre Psyche der Protagonistin sowie die Welt des Theaters und glänzt durch eine präzise eingesetzte Sprache. Es ist eine Empfehlung für alle, die offen sind einem unlösbaren Rätsel gegenüberzutreten und sich nicht scheuen, in die Welt des Theaters einzutauchen.