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Benutzername: 
Yernaya
Wohnort: 
Linz

Bewertungen

Insgesamt 20 Bewertungen
12
Bewertung vom 12.07.2025
Wohin du auch gehst
Fonthes, Christina

Wohin du auch gehst


ausgezeichnet

Zwischen Kinshasa und London - zwei Frauenleben, miteinander verwoben wie "cornbraids"

- Großartiger Debütroman über Frauenleben und Identität vor dem Hintergrund kultureller Identität und patriarchaler Strukturen -

Unglaublich, welche Themenvielfalt Christina Fonthes in ihr Erstlingswerk gepackt hat! Wo soll ich da beginnen?

Zunächst einmal geht es um zwei kongolesisch-stämmige Frauen, die miteinander verwandt sind und gemeinsam in einer kleinen schäbigen Wohnung in London leben. Bijoux ist jung und hat ein lesbisches Coming out, ihre Tante Mira ist Mitglied einer protestantischen Sekte und richtet ihr Leben an der dort verkündeten patriarchalen Interpretation der Bibel aus. Homosexualität ist für sie aber nicht nur des Teufels , sondern zudem unafrikanisch.

Erst nach und nach erfahren wir, warum Bijoux überhaupt bei Tante Mira wohnt. Dazu verwebt Fonthes sehr eindrücklich die Lebensgeschichte von Mira, beginnend 1974 mit der von Bijoux. Die zahlreichen Rückblenden erfordern die volle Aufmerksamkeit der Lesenden. Und durch sie erfahren wir sehr viel über die kongolesische Geschichte. Immerhin ist die Demokratische Republik Kongo das zweitgrößte Land Afrikas, gemessen das der Bevölkerung das viergrößte. Allein in der Hauptstadt Kinshasa leben mehr als 16 Millionen Menschen.

Doch auch wenn die Geschichte des Landes und die politische Situation im Laufe der Jahrzehnte immer wieder eine Rolle spielt, geht es in „Wohin du auch gehst“ vor allem um Indentität. Wir begleiten Mira, einst ein wilder und aufmüpfiger Teenager auf ihrem oft schmerzvollen Weg von Kinshasa über Brüssel und Paris nach London. Und wir erleben, wie Bijoux sich erste eine eigene Identität erkämpfen muss. Obwohl das Buch viele schmerzhafte Themen berührt, und eindrücklich beschreibt, wie Ausgrenzung und patriarchale Strukturen, familiäre und politische Machtinteressen, Religion und Moralvorstellungen ineinandergreifen, ist es eine wahnsinnig spannende Lektüre.

Fonthes beweist eindrücklich, dass sie komplexe Geschichten erzählen kann, geschickt ineinander verwoben wie die einzelnen Strähnen der cornrows afrikanischer Frauen. Die deutsche Übersetzung stammt von Michaela Grabinger, die u.a. Elif Shafak übersetzt. Bereichert wird das Buch zudem durch die Verwendung eines Glossars, in dem die auftauchenden Begriffe aus der kongolesischen Sprache Lingala erläutert werden.

Ich vergebe eine eindeutige Leseempfehlung und fünf Sterne.

Bewertung vom 15.06.2025
Alice und das Blau des Wassers
Keweritsch, Katja

Alice und das Blau des Wassers


ausgezeichnet

Ein Wechseljahr auf Guernsey

Katja Keweritsch schreibt wundervolle Bücher über Frauen in Umbruchsituationen. In ihrem dritten Roman geht es um Alice, die ausgerechnet an ihrem Hochzeitstag damit konfrontiert wird, dass ihr Mann eine neue - jüngere - Frau hat, und die ist auch noch schwanger. Alice ist 49, die Kinder sind erwachsen und sie selbst kämpft mit den körperlichen Veränderungen der Wechseljahre. Bislang hat sie im Betrieb des Ehemannes mitgearbeitet, hat die Care-Arbeit übernommen und steht nun gefühlt vor dem Nichts.

Die Autorin lässt ihrer Heldin Zeit, diesen Umbruch zu verarbeiten. Sie beschreibt eindrücklich die Leere, die nach solch einem Schock zunächst entsteht. Doch dann beginnt eine zaghafte, sanfte Entwicklung. Alice Tochter arrangiert einen Haustausch, und wir tauchen mit Alice ein in die wundervolle Welt der Kanalinsel Guernsey. Geradezu wohltuend sind die Landschaftsbeschreibungen, die nun die Handlung ergänzen.

Keweritsch erzählt von Frauen auf dem Weg zu sich selbst. Was mir an diesem Buch besonders gefallen hat, ist dass Alice dabei viele Unterstützerinnen findet. Während oft die Konkurrenz zwischen Frauen thematisiert wird, steht hier die Solidarität von Frauen im Mittelpunkt. Sie unterstützen Alice auf vielfältige Weise dabei, sich mit ihrer Situation, ihrem sich verändernden Körper, aber auch mit der gesellschaftlichen Rolle von Frauen in den Wechseljahren auseinanderzusetzen. Das ist für mich ein deutlicher Unterschied zu "Agnes geht", denn Agnes hatte zwar auch Begegnungen, ging ihren Weg aber alleine. Auch Alice hat aber eine aktive Form der Reflektion: sie schwimmt, und auf Guernsey tut sie das im Meer.

Besonders gefallen hat mir wieder die schöne Sprache, das einfühlsame Erzählen, welches so typisch ist für die Bücher von Katja Keweritsch.

Fazit: ein Buch für alle, die keine Superfrau erwarten, die von jetzt auf gleich ihr Leben umkrempelt, sondern die sich auf einen Veränderungsprozess einlassen. Ich vergebe fünf von fünf Sternen ⭐⭐⭐⭐⭐

Bewertung vom 15.06.2025
Lauter kleine Lügen
Kemp, Kate

Lauter kleine Lügen


ausgezeichnet

Ein Blick hinter die Fassaden einer Vorstadt

Kate Kemps Debütroman „Lauter kleine Lügen“ beginnt mit einem spektakulären Mordfall. Ein Krimi also? Keineswegs, oder eben nicht ausschließlich. Die reine Krimihandlung ist eher unspektakulär und die Aufklärung des Falles steht nur scheinbar im Mittelpunkt des Buches. Vielmehr blicken wir hinter die Hecken der Vorgärten und die Fassaden der Einfamilienhäuser in einer beschaulichen Vorstadt Canberras. Wir schreiben das Jahr 1979 und über der kleinen Siedlung, die in einer Sackgasse liegt, drückt die Hitze des australischen Sommers. Hier leben ganz gewöhnliche Menschen – doch was bedeutete das in der damaligen Zeit? Es gilt das weiße, christlich geprägte, patriarchale, heterosexuelle Normativ. Ungeachtet der Tatsache, dass die Menschen diesem auch damals schon nicht entsprochen haben. Kemp spricht viele Themen an, Rassismus, Sexismus, Ausgrenzung und Mobbing, Vorurteile und Lügen. Und trotzdem ist „Lauter kleine Lügen“ keine schwere Lektüre. Im Gegenteil, ich habe mich durch den lebendigen Schreibstil und die gelungene Darstellung der Atmosphäre der kleinen Straße großartig unterhalten gefühlt. Kemp beschreibt, ohne den Zeigefinger zu erheben. Und so tauchen wir ein in diese Welt mit all ihren Gerüchten und Geheimnissen, lernen die Bewohner kennen und erleben hautnah, wie es sich damals angefühlt hat. Wir betrachten vieles durch die Augen der 12jährigen Tammy, erleben die unterschiedlichen Frauenbilder, machen uns Gedanken über hetero- und homosexuelle Geschlechterrollen, erleben Multiethnizität, Unzufriedenheit und unerfüllte Wünsche, erlittene Traumata und befreiende Entwicklungen. Man merkt dem Buch an, dass Kate Kemp systemische Psychotherapeutin ist. Und das ist alles andere als ein Manko. Denn meine Antwort auf die Frage, worum es in diesem Roman geht, lautet: Es geht um Identität. „Lauter kleine Lügen“ ist ein großartiges feministisches Buch, ein Sittengemälde der Endsiebzigerjahre des 20.Jahrhunderts, ein Spannungsroman und ja, irgendwie auch ein Krimi. Ich spreche voller Überzeugung meine uneingeschränkte Leseempfehlung aus.

Bewertung vom 04.05.2025
Die Schlange von Sirmione
Archan, Isabella

Die Schlange von Sirmione


sehr gut

Mördersuche im Sabatical

Zunächst einmal ist da das Cover. Ich mag das Design mit dem schönen einladenden Titelbild und den abgerundeten Ecken. Ein richtig schönes Taschenbuch, perfekt für den Urlaub.

Eine Hauptrolle in dem Büchlein spielt der Gardasee. Gerade die wunderbaren Landschaftsbeschreibungen sind es, die die Lektüre zu einem zauberhaften Genuss machen. Also Achtung: „Die Schlange von Sirmione“ verführt zum Koffer packen und hinfahren.

Edwina Teufel, eine österreichische Kriminalinspektorin, die sich am Gardasee zur Genesung befindet, ist eine nicht ganz einfache Heldin. Sie ist keine, der die Herzen zufliegen. Im Cosy Crime ermittelt gemeinhin eine Privatperson. Eigentlich ein Stilmerkmal des Genres. In Edwinas Fall wird es dadurch verkompliziert, dass sie zwar vor Ort eine Privatperson ist, selbst aber immer wieder in einen Fall einmischt und dabei ihre berufliche Rolle betont. Das macht es aus meiner Sicht so schwierig, sich mit ihr anzufreunden. Sie wirkt oft besserwisserisch, arrogant und selbstsüchtig. Doch im Laufe des Buches erklärt sich dieses Verhalten. Man muss nur dranbleiben.

Der Stil ist typisch für Isabella Archan, voller Temperament und Humor. Wie bei der Autorin üblich bestechen auch hier ihre bunte Erzählweise, die Bildhaftigkeit ihrer Sprache und der erkennbare Background als Schauspielerin. Mit Sprache kann Isabella Archan umgehen! Der Kriminalfall wird schlüssig aufgelöst.

Fazit: Ein netter Cosy Crime für den Urlaub, mit viel italienischem Flair, frech und typisch Isabella Archan.

Bewertung vom 08.04.2025
Stromlinien
Frank, Rebekka

Stromlinien


ausgezeichnet

Faszinierender Mehrgenerationenroman aus der Elbmarsch

Die Elbe ist en vogue. Waren mir zunächst vor allem die Krimis von Romy Fölck bekannt, die in der Elbmarsch angesiedelt sind, lies mich Katja Kewerisch in ihrem Roman „Agens geht“ einen anderen Blick auf die Elbe gewinnen. Jüngst begeisterte mich die Flusslinien von Katharina Hagena und nun also sind es die Stromlinien von Rebekka Frank. Was ist da los an der Elbe? Wieso animiert sie nun endlich dazu, in der Literatur wahrgenommen zu werden? Vielleicht liegt es daran, dass dieser unspektakuläre Fluss bedroht ist. Frank beschreibt, wie übrigens auch Hagena, die dramatischen Auswirkungen der Elbvertiefung auf Flora und Fauna. Das ist übrigens nicht die einzige Parallele zwischen diesen beiden großartigen Romanen, die sich sogar im Titel ähneln. Die Elbe ist dort in der Elbmarsch kein romantischer Flusslauf; sie ist eine gefährliche Autobahn für vollkommen überdimensionierte Containerschiffe. Und doch, sie ist ein berührend verletzlicher Fluss, Lebensraum bedrohter Arten und offenbar zunehmend Inspiration für Autorinnen.

Ich komme nicht umhin, Hagenas Flusslinien und Franks Stromlinien immer wieder zu vergleichen. Beide Romane sind generationsübergreifend. Es geht um Familienbindungen, um Frauenleben, um Feminismus. Sehr gut gefällt mir, dass in beiden Romanen auch junge Frauen eine Rolle spielen. Beide Bücher sind gesellschaftskritisch, politisch, feministisch, ohne dabei die große Moralkeule zu schwingen. Gerade Frank zeigt auf, dass auch Irrungen und Wirrungen zum Leben gehören. Eine ihrer Protagonistinnen war 38 Jahre lang in Haft. Alea, die Mutter der Zwillinge Enna und Jule. Wir erfahren lange nicht, wie es dazu gekommen ist. Flusslinien ist eben kein Kriminalroman, auch wenn das Motiv der Schuld, moralisch und juristisch, eine große Rolle spielt. Frank gelingt der große Wurf, eine komplexe Geschichte über mehrere Generationen zu spinnen, beginnend 1923 und endend im hier und jetzt. Sie weckt Emotionen, rührt ihre Leserschaft zutiefst an, und lässt doch genug Freiraum für eine eigene Bewertung.

Ich möchte direkt sagen, dass ich durch Stromlinien großartig unterhalten wurde. Die Protagonistinnen wurden stimmig beschrieben, die Handlungsstränge genial verbunden und aufgelöst. Der Schreibstil hat mir gut gefallen, auch wenn Frank dabei aus meiner Sicht hinter Hagena minimal zurückbleibt. Dafür ist das Cover für mich jetzt schon ein Highlight des Jahres. Optisch und haptisch passt dieses Cover so wunderbar zum Buch, dass es mich richtig glücklich macht.

Voller Überzeugung vergebe ich auch hier fünf Sterne und spreche eine unbedingte Leseempfehlung aus!

Bewertung vom 07.04.2025
Der irische Fremde
Moor, Matthias

Der irische Fremde


sehr gut

Was ist wirklich passiert?

Mary, eine junge Frau mit einem schweren Trauma aus ihrer Kindheit, verbirgt ihre seelischen Narben hinter einer coolen Fassade. Sie ist unfähig Bindungen einzugehen, betäubt sich mit Alkohol, Kaffee, Nikotin und Sex. Doch was ist damals tatsächlich passiert? Die plötzliche Begegnung mit einem mysteriösen Fremden bringt sie völlig durcheinander. Plötzlich erinnert sie sich an Ereignisse, die lange zurückliegen. Als Leserin muss man sich darauf einlassen, dass dieser Krimi ausschließlich aus Marys Perspektive geschrieben ist. Doch das passt richtig gut zu dieser lebhaften Geschichte. Matthias Moor verwendet dazu eine bildhafte und mitreißende Sprache, lässt uns teilhaben an Marys Erinnerungen und neuen Erlebnissen, egal ob es um die wunderschöne Landschaft oder um eine schnelle Bettgeschichte geht. Die Erzählung ist intensiv, Marys innerpsychische Prozesse werden anschaulich beschrieben. Oft geht sie über Grenzen, um sich selbst wahrnehmen zu können. Dabei findet Mary Schritt für Schritt zu sich selbst zurück. Genau darin liegt für mich die Stärke dieses Krimis.

Es ist schwer über den Rest zu schreiben, ohne zu spoilern. Mary kommt dem Geheimnis ihrer Kindheit näher, doch irgendwann wird die Geschichte etwas verworren. Was ist wirklich passiert? Moor bietet hier mehr als eine Lösung. Das nervt am Ende sogar die Protagonistin. Dennoch ein sehr gutes Buch mit einer spanenden Geschichte.

Ich vergebe 4 Sterne. ⭐⭐⭐⭐

Bewertung vom 07.04.2025
Schwebende Lasten
Gröschner, Annett

Schwebende Lasten


ausgezeichnet

Kennen Sie Hanna Krause?

Was für ein Roman! Annett Gröscher lässt uns teilhaben am Leben der Hanna Krause. Wer das ist? Wie bitte, Sie kennen Hanna Krause nicht? Hanna ist eine einfache Frau, vielleicht wohnt sie ja in Ihrer Nachbarschaft. Sie ist keine Heldin, sie handelt rein pragmatisch. Was bleibt ihr auch übrig in diesem Leben, das ihr nichts schenkt. So viele Schicksalsschläge, so viele historische Ereignisse, die sich auf ihr Leben auswirken. Geboren im Kaiserreich durchlebt sie ein ganzes Leben in Deutschland, Kriege, eine Revolution, zwei Diktaturen. Sie liebt die Blumen, die in diesem Buch eine nicht unwichtige Rolle spielen, und muss doch ihren Beruf als Blumenbinderin mit dem der Kranführerin tauschen. Sie erträgt so vieles, und doch geht das Leben immer irgendwie weiter. Damit steht Hanna Krause symbolisch für all die unerzählten Frauenleben in diesem Land. "Schwebende Lasten" ist ein Buch mitten aus dem Leben derer, über die gemeinhin keine Bücher geschrieben werden. und gerade dadurch ist unglaublich lesenswert.

Bewertung vom 22.03.2025
Echokammer / Ein Fall für Benjamin & Tong Bd.1
Johnsrud, Ingar

Echokammer / Ein Fall für Benjamin & Tong Bd.1


sehr gut

"Wäre die Politik nicht schmutzig, könnte es schließlich jeder machen."
Norwegen steht kurz vor der Parlamentswahl. Alleine die Ränkespiele und Intrigen rund um die fiktive Kandidatin der Arbeiterpartei, Christiane Nielson, würden schon ausreichend Stoff für einen Politthriller bieten. Ihr scheint jedes Mittel recht zu sein, um an die Macht zu kommen. Ihr zur Seite steht ihr juristischer Berater Jens Meidell, ein ehemaliger Polizeijurist und Verfechter einer harten Hand gegenüber Kriminellen. Als Sohn der ehemaligen Parteivorsitzenden Ingrid Meidell kennt er das politische Geschäft seit Kindesbeinen, war bislang aber nicht selbst politisch aktiv. Innerparteilich hat Nielson nicht nur Befürworter, doch die Presse feiert sie. Unterstützt wird sie auch von einer politischen Beraterfirma. Welches Mittel ist dabei legitim, um die Wahl zu gewinnen?
Doch Ingar Johnsrud belässt es nicht dabei, sondern zeichnet ein Bild von einer Gesellschaft, deren Demokratie von rechtem Gedankengut bedroht ist. Gerade die verschiedenen Facetten des Rechtsextremismus fand ich sehr gut dargestellt, von der Prepperszene, sozial benachteiligten Jugendlichen mit Neonazi-Tendenzen, einer gewaltbereiten rechten Szene, den ideologischen und finanziellen Unterstützern aus gutem Hause, und Menschen, denen alles recht ist, um ein gutes Geschäft zu machen. Ebenso wird der gesellschaftliche Twist wurde gut dargestellt, rechte Positionen werden bis weit über die sogenannte bürgerliche Mitte bis in die Arbeiterpartei hinein salonfähig. Die Populistin Christina scheut nicht davor zurück, wenn es ihr zum Wahlsieg verhelfen könnte.
Man müsste mehr wissen über die norwegische Politik, um einordnen zu können, weshalb Ingar Johnsrud ausgerechnet die Arbeiterpartei in den Mittelpunkt seines Romans gestellt hat. Die Partei, deren Jugendorganisation 2011 vom Rechtsterroristen Anders Breivik auf Utøya angegriffen wurde. In Johnsruds Thriller droht ein weiteres Terrorszenario. Rechtsextremisten bedrohen das Land, ein Terroranschlug steht unmittelbar bevor. Das tödliche Gift Rizin ist im Spiel. Der Countdown läuft.
Inhaltlich ein spannender Politthriller, den ich weiterempfehlen würde, auch wenn die Ermittlungen mir teilweise zu oberflächlich dargestellt wurden. Das Ermittlerduo, bestehend aus Liselott Benjamin, einer ehemaligen Polizeiunterhändlerin, und dem ehemaligen Anti-Terrorexperten Martin Tong, bleibt leider ziemlich blass. Insbesondere von Benjamin konnte ich mir bis zum Ende des Buches kein wirkliches Bild machen.
Der Thriller endet mit einem spannenden Cliffhanger, der Lust auf die Fortsetzung macht. „Echokammer“ ist der erste Band einer Trilogie, der im norwegischen Original den Titel „Patrioter“ (Patrioten). Der deutsche Titel erklärt sich nicht von selbst. Gemeint ist damit der Effekt, dass Menschen im Internet nur noch mit Gleichgesinnten kommunizieren und sich dadurch immer weiter in eine Ideologie verstricken. „Echokammer“ ist erschreckend real und dabei vor allem eins: hochspannend.

Bewertung vom 20.03.2025
Geheimnisvolles La Rochelle / La Rochelle Bd.3
Vinet, Jean-Claude

Geheimnisvolles La Rochelle / La Rochelle Bd.3


weniger gut

Für mich war es der erste Roman aus dieser Reihe, und vielleicht liegt es auch daran, dass ich mit dem Buch bis zum Ende nicht wirklich warm geworden bin.

Was habe ich erwartet? Einen spannenden Kriminalfall, Familiengeheimnisse und Einblicke in die Cognac-Welt, das alles vor einer traumhaften Urlaubskulisse. Leider wurden meine Erwartungen nur zum Teil erfüllt.

Als "Quereinsteigerin" hat mich anfangs die Vielzahl der auftretenden Personen schlichtweg erschlagen. Tatsächlich habe ich nach 100 Seiten nochmal von vorne angefangen, weil ich nicht mehr mitkam, und mir dann ein Personenregister angelegt. Ich habe Nebenfiguren weggelassen und trotzdem standen am Ende mehr als dreißig Namen auf meinem Zettel. Das ist zu viel für 138 Seiten, zumal zumeist nur die Namen erwähnt werden, ohne dass die Personen wirklich vorgestellt werden,. Erst auf S. 118 erfährt man etwa den Vornamen des Kommissars. Dass es sich bei Adrien und Moreau um ein und die selbe Person handelt, wurde mir auch erst spät in der Handlung klar.

Es ist ja bei Büchern dieser Art üblich, dass der deutsche Autor sich hinter einem französischen Pseudonym verbirgt. Französisch vom Stil her wird das Buch dadurch allerdings nicht. Besonders anregend fand ich die Geschichte bis zum Ende nicht. Sie bewegt sich auf dem Level einer deutschen Fernsehproduktion. Die Handlung plätschert vor sich hin. Stereotype aller Art werden bedient, der miese Chef, der teekochende Maghrebiner, der maffiöse Italiener, die zickige Upperclass-Tussie,. die Gauloise-rauchende Lesbe etc. etc. Männer werden tendenziell eher mit ihrem Nachnamen genannt, Frauen mit ihrem Vornamen. Ich habe keine der Figuren als charakterlich tiefgehend beschrieben wahrgenommen. Stattdessen werden Klischees bedient.

Passend dazu verbreitet der Autor eine Familienidylle rund um den Kommissar, die mich nicht überzeugen konnte. Das Geheimnis um seine Mutter könnte spannend sein, wird aber nur am Rande erwähnt, und lässt sich für Quereinsteiger nicht gut nachvollziehen.

Besser gefallen haben mir die Landschaftsbeschreibungen und die enthaltenen Informationen zur Cognac-Herstellung.

Absolut ärgerlich, dass der Klappentext ja schon nahegelegt hat, dass es um die Cognac-Familie und ihre „dunklen Geheimnisse“ geht. Somit war klar, dass die erste Spur sich als Irrweg erweist. Dem Autor ist das nicht zwingend anzulasten, wohl aber dem Verlag. Zudem hätte ein ordentliches Lektorat dem Buch gut getan. So enthält es zahlreiche Rechtschreib- und Grammatikfehler, die vermeidbar gewesen wären.

Die Handlung hat mich nicht wirklich überzeugt, und ab einem gewissen Punkt war die Auflösung absehbar.

Fazit: eine sehr deutsche seichte Unterhaltungsliteratur für zwischendurch mit ein bisschen Frankreich-Feeling (2 1/2 Sterne)

Bewertung vom 16.02.2025
Flusslinien
Hagena, Katharina

Flusslinien


ausgezeichnet

Die Stille, die eintritt, wenn der Besuch gegangen ist - Berührender Generationenroman mit der Elbe als stiller Akteurin

Flusslinien von Katharina Hagena kommt eher unscheinbar daher. Der Schutzumschlag zeigt eine Flusslandschaft, leicht verschwommen, etwas melancholisch. Der Einband ist lindgrün, das Vorsatzblatt passend zum Titel von feinen Linien durchzogen. Einen optischen Akzent setzen das Kapitalband und das Leseband in pink. Wer in Zeiten auffälliger Covergestaltung mit grellen und aufwändigen Farbschnitten zu diesem eher schlichten Buch greift, wird mit einem wunderbaren Leseerlebnis belohnt.

Im Mittelpunkt des Buches stehen drei Akteur*innen, die wir an zwölf Tagen durch ihr Leben an der Elbe begleiten dürfen. Die hochbetagte Margit wohnt in einer Seniorenresidenz an der Elbe. Ihre Sinne lassen nach, doch manches scheint die ausgebildete Stimmbildnerin dadurch noch viel bewusster und sensibler wahrzunehmen. Ihr Erinnerungen, die bis in ihre Kindheit zurückreichen, sind anrührend und erzeugen einen Leseeindruck, der gut mit dem Coverbild harmoniert; während manches verschwommen bleibt, treten andere Ereignisse deutlich hervor. So erfahren wir durch Margits Erinnerungen von der Landschaftsgärtnerin Elsa Hoffa, der Gestalterin des Römischen Gartens in Hamburg. Zauberhaft beschreibt Hagena dieses Kleinod, ebenso wie die Landschaft der Elbe, die Bedrohung und bedroht zugleich sein kann. Der Naturschutz spielt eine unaufdringlich Rolle. Arthur, der am Fluss wohnt und in der Seniorenresidenz als Fahrer arbeitet, ist engagiert beim Nabu, rettet Kröten, ist ein Sondengänger und erfindet Sprachen. Dabei sucht er Halt nachdem er einen Schicksalsschlag erlitten hat. Und dann ist da noch Luzie, Margits Enkelin, die mit ihren gerade 18 Jahren versucht, ein Trauma zu überwinden und den Weg zurück ins Leben zu finden. All dies erzählt Hagena in undramatischer Weise, einfühlsam und manchmal humorvoll. So entsteht ein Raum, in dem wir nach und nach Einblick erhalten, in das, was die Protagonist*innen bewegt.

Flusslinien ist ein wundervoll geschriebenes, feinfühliges und poetisches Buch, vielschichtig und absolut lesenswert!

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