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Lesenderfrosch
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Deutschland

Bewertungen

Insgesamt 11 Bewertungen
12
Bewertung vom 10.06.2025
Himmlischer Frieden
Wen, Lai

Himmlischer Frieden


sehr gut

„Himmlischer Frieden“ ist eines dieser Bücher, die sich kaum in eine Schublade stecken lassen – und genau das macht es so spannend. Lai Wen schreibt mit einer Mischung aus Klarheit und Tiefe, die einen sofort in den Bann zieht. Es geht um persönliche Erinnerung, politische Repression und das, was zwischen den Zeilen einer offiziellen Geschichte verschwindet.
Im Zentrum steht das Tiananmen-Massaker, jedoch nicht in Form eines historischen Tatsachenberichts. Vielmehr erleben wir, wie dieses Ereignis in das Leben eines Einzelnen hineinschneidet – auf leise, aber eindringliche Weise. Dadurch fühlt sich der Roman fast wie ein inneres Tagebuch an: nachdenklich, poetisch, manchmal auch wütend, aber nie pathetisch.

Besonders gut gelingt Lai Wen der Spagat zwischen dem Persönlichen und dem Politischen. Die große Geschichte und die kleinen Biografien treffen hier direkt aufeinander – ohne erhobenen Zeigefinger, aber mit klarem Blick. Und ja, es ist stellenweise richtig berührend.
Der Stil ist ruhig und eher zurückgenommen, aber nicht langweilig. Er erinnert an den Erzählstil von jemandem, der viel gesehen und erlebt hat – und lieber genau hinschaut, als laut zu werden. Das hat was.
„Himmlischer Frieden” ist kein Pageturner im klassischen Sinn, sondern ein eindrucksvolles, stilles Buch, das lange nachwirkt. Es ist etwas für alle, die Literatur mögen, die etwas zu sagen hat, ohne gleich alles zu erklären.

Bewertung vom 10.06.2025
Der Kaiser der Freude
Vuong, Ocean

Der Kaiser der Freude


sehr gut

Mit „Der Kaiser der Freude“ beweist Ocean Vuong einmal mehr, dass er ein Meister der Sprache ist. Poetisch, feinfühlig und voller Intensität erschafft er eine literarische Atmosphäre, die von der ersten Seite an fesselt. Die Sprache ist wunderschön – teils zart, teils schonungslos – und verleiht dem Roman eine schwebende Qualität, die weit über das hinausgeht, was viele zeitgenössische Romane leisten.

Inhaltlich wagt sich Vuong an eines der drängendsten Themen der Gegenwart: die Fentanyl-Krise in den USA. Mit scharfer Beobachtung und literarischem Feingefühl zeichnet er ein düsteres Porträt eines zerrissenen Amerikas, das zwischen Schmerz, Abhängigkeit und dem verzweifelten Wunsch nach Liebe taumelt. Der Roman ist dabei weniger eine klassische Erzählung mit klarer Handlung als vielmehr ein atmosphärisches Mosaik aus Erinnerungen, Gedanken und Empfindungen.

Gerade diese erzählerische Entscheidung ist Fluch und Segen zugleich: Über weite Strecken trägt allein die Sprache. Die Handlung bleibt zurückhaltend, fast nebensächlich, was sich bei einem Umfang von über 500 Seiten als spürbare Schwäche bemerkbar macht. Wer auf eine dichte, stringente Handlung hofft, könnte enttäuscht werden. Vielmehr gleicht das Lesen einer poetischen Meditation, bei der es weniger ums Geschehen als um das Gefühl geht.

Trotz dieser dramaturgischen Schwäche bleibt „Der Kaiser der Freude” ein bemerkenswertes Werk. Es ist kein einfaches Buch, aber ein eindrucksvolles, das nachhallt. Vuong gelingt es, Schmerz in Poesie zu verwandeln und dabei den Finger auf die offenen Wunden unserer Zeit zu legen.

Fazit: sprachlich brillant, thematisch relevant, atmosphärisch stark, aber mit deutlichen Längen. Ein Buch, das man eher fühlt als „liest“. Trotzdem absolut lesenswert.

Bewertung vom 22.04.2025
Cinema Love
Tang, Jiaming

Cinema Love


sehr gut

Jiaming Tangs Debütroman Cinema Love erzählt einfühlsam die Geschichte homosexueller chinesischer Männer, deren Leben sich um ein altes Kino in Mawei dreht - ein geheimer Zufluchtsort in einer repressiven Gesellschaft. Im Mittelpunkt stehen Old Second und Bao Mei, deren Leben von familiärer Ablehnung, gesellschaftlichen Erwartungen und unausgesprochenen Gefühlen geprägt ist.

Tang verwebt mehrere Jahrzehnte und Schauplätze - von China bis zum New Yorker Chinatown - und zeigt die langfristigen Folgen von Ausgrenzung, Migration und unterdrückter Identität. Besonders stark ist die Darstellung weiblicher Figuren wie Yan Hua und Bao Mei, die trotz allem Resilienz beweisen.

Mit poetischer Sprache und großer Empathie entwickelt Tang vielschichtige, zutiefst menschliche Charaktere. Cinema Love ist ein leises, aber kraftvolles Plädoyer für Mitgefühl, Erinnerung und queere Sichtbarkeit - ein bemerkenswertes literarisches Debüt.

Fazit: Berührend, klug und wichtig. Sehr lesenswert.

Bewertung vom 21.04.2025
Greta & Valdin
Reilly, Rebecca K

Greta & Valdin


sehr gut

Greta & Valdin ist eines dieser Bücher, das man am liebsten jedem in die Hand drücken möchte mit den Worten: „Lies das – du wirst es lieben.“ Es erzählt von zwei queeren Geschwistern, die in einer Maaori-russisch-katalanischen Familie aufwachsen. Allein diese Ausgangslage verspricht schon Tiefe, Vielfalt und eine Menge spannender Dynamiken – und genau das liefert der Roman auch.

Rebecca K Reilly schafft es, queere Identität, multikulturelles Aufwachsen und komplexe Familienverhältnisse mit so viel Leichtigkeit und Witz zu erzählen, dass man sich beim Lesen gleichzeitig gesehen, unterhalten und emotional abgeholt fühlt. Es gibt keinen großen Plot – das braucht es auch nicht. Das Buch lebt von seinen einzigartigen, witzigen und liebenswerten Figuren, von pointierten Dialogen und einem Humor, der irgendwo zwischen queerer Popkultur und tiefer Lebenserfahrung oszilliert.

Und obwohl es so oft zum Lautlachen ist, trifft es auch immer wieder ins Herz. Reilly verwebt humorvoll-alltägliche Szenen mit gesellschaftskritischen Beobachtungen, ohne je belehrend zu sein. Man wünscht sich, Teil dieser liebevollen, klugen und absolut schrägen Familie zu sein – denn so sieht ideales, unterstützendes Familienleben aus.

Greta & Valdin ist die perfekte Mischung aus Romcom-Vibes, politischem Scharfsinn und echtem Gefühl. Ein Buch, das bleibt.

Bewertung vom 07.04.2025
Peggy
Godfrey, Rebecca;Jamison, Leslie

Peggy


sehr gut

Der Roman "Peggy" ist eine wunderschöne Geschichte über das Leben der Peggy Guggenheim. Geboren 1898 in eine wohlhabende New Yorker Familie, erlebte Peggy zahlreiche familiäre Tragödien. Trotz dieser Schicksalsschläge entwickelte sie sich zu einer bedeutenden Förderin der Kunstszene, gründete einflussreiche Galerien in London und später in Venedig und pflegte Beziehungen zu Künstlern wie Man Ray und Samuel Beckett. Der Roman erzählt Peggys mutigen Kampf gegen Sexismus und Antisemitismus und ihre unermüdliche Suche nach künstlerischer Freiheit und Selbstverwirklichung.
Schon die packende Handlung ist toll, aber was wirklich begeistert, sind die lebendig und vielschichtig gestalteten Figuren. Jede Figur scheint mit großer Sorgfalt und Tiefe gezeichnet worden zu sein – niemand wirkt flach oder bloß funktional. Manche der Charaktere werden einem richtig ans Herz wachsen, andere werden einen vielleicht ein wenig herausfordern.
Die Erzählweise ist so harmonisch und gleichzeitig vielschichtig.
Ohne zu viel zu verraten: Die Geschichte entfaltet sich mit einer stillen, aber stetigen Spannung, die einen nicht mehr loslässt.

Bewertung vom 29.03.2025
Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken
Lorenz, Sarah

Mit dir, da möchte ich im Himmel Kaffee trinken


gut

Das Buch ist besonders, und das meine ich gut und auch etwas eigenartig. Sarah Lorenz schreibt auf eine eigene, fast versponnene Art, die man mögen muss – oder eben nicht. Ich fand viele ihrer erfundenen Worte und Bilder schön, manchmal sogar richtig poetisch. Ihre Sprache hat Charakter, das ist keine 08/15-Prosa.

Sie erzählt auch Persönliches, was ich respektiere. Teile des Buches wirken wie Tagebucheinträge oder Erinnerungsfetzen, manchmal roh, manchmal sehr berührend.Das Leben der Protagonistin ist chaotisch, wild, traurig, frei – alles auf einmal. Wenn man sich drauf einlässt, macht das auch etwas mit einem.

Aber der Aufbau des Buches hat mir nicht gefallen. Es gibt keinen klassischen Plot, sondern eher eine lose Sammlung von Erinnerungen, meist rund um vergangene Lieben. Das kann man machen, aber mir hat dabei der rote Faden gefehlt. Ich hatte oft das Gefühl, von einer Episode in die nächste zu stolpern, ohne zu wissen, wohin das alles führen soll. Auch das Gespräch mit "Mascha" hat für mich nicht wirklich Struktur reingebracht.

Es ist ein mutiges Debüt mit einer besonderen Sprache und ein paar sehr ehrlichen Momenten. Aber es ist auch wirr. Kein schlechtes Buch, aber auch kein Must read

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.10.2024
Ein anderes Leben
Peters, Caroline

Ein anderes Leben


gut

Caroline Peters präsentiert in "Ein anderes Leben" eine Geschichte, die auf den ersten Blick eine Suche nach Identität und Veränderung darstellt. Für mich bleibt jedoch unklar, was der Roman letztlich aufzeigen will - ob es um eine persönliche Neuorientierung, eine Kritik an gesellschaftlichen Normen oder eine tiefere, introspektive Selbstreflexion geht. Vieles wirkt wie aus dem Leben gegriffen, was den Verdacht nahelegt, dass Peters hier biografische Elemente verarbeitet hat. Dadurch entsteht zwar eine gewisse Nähe zur Figur, aber der Gesamtfokus des Buches bleibt etwas unscharf.

Dennoch lädt der Roman dazu ein, sich auf eine Reise durch die verschiedenen Facetten des Lebens einzulassen. Wer biografisch geprägte Erzählungen und die Auseinandersetzung mit persönlichen Erfahrungen schätzt, könnte hier interessante Ansätze finden.

Bewertung vom 24.09.2024
Sing, wilder Vogel, sing
O'Mahony, Jacqueline

Sing, wilder Vogel, sing


ausgezeichnet

Bei Sing, wilder Vogel, sing handelt es sich um eine tiefgründige Geschichte über Verlust, Trauer und Hoffnung. Mit poetischer Sprache und einer starken, emotionalen Erzählweise beschreibt O’Mahony die Reise von Nora, die nach einem persönlichen Schicksalsschlag Zuflucht in der wilden irischen Natur sucht.
Die Charaktere sind wunderbar ausgearbeitet und besonders die Entwicklung von Nora bewegt den Leser. Ihre Auseinandersetzung mit der Natur als Mittel zur Heilung und Selbstfindung bildet das emotionale Zentrum des Romans. Die Umgebung spielt dabei fast selbst eine Hauptrolle, denn die Landschaftsbeschreibungen sind so lebendig und fesselnd, dass man das Gefühl hat, mit Nora durch die karge, aber wunderschöne irische Landschaft zu wandern.
Was das Buch besonders macht, ist der ruhige, fast meditative Stil, den O'Mahony wählt, um die schwierigen Themen des Lebens, wie Verlust und inneren Schmerz, zu erkunden. Es gibt keine übertriebenen Dramen, sondern stille Momente der Reflexion, die tief berühren.
Für Leser, die sich von ruhigen, introspektiven Geschichten angesprochen fühlen und die gerne in bildhafte, atmosphärische Erzählungen eintauchen, ist dieses Buch eine klare Empfehlung. " Sing, wilder Vogel, sing " ist ein Roman, der lange nach dem letzten Wort nachhallt und den Leser ermutigt, über den eigenen Umgang mit Verlust und Erneuerung nachzudenken.

Bewertung vom 07.08.2024
Taumeln
Scherzant, Sina

Taumeln


ausgezeichnet

Für alle mit einer kurzen Aufmerksamkeitsspanne: „Taumeln“ von Sina Scherzant gehört jetzt schon zu meinen Jahreshighlights.
Der Aufbau der Geschichte ist genial, durch das verbindende Element des Verschwindens der Schwester baut Sina Scherzant hier keinen Thriller auf, sondern ein packenden Pageturner, bei dem man mehr über die Figuren und Hintergründe erfahren möchte.
Sie zieht uns auf eine direkte und teils poetische Weise in die Gefühlswelt komplexer Charaktere. Der Schmerz schwingt subtil zwischen den Zeilen mit, ohne zu erdrücken. Für mich genau die richtige Dosis. Nicht nur, dass die Charaktere und die Story großartig aufgebaut sind, auch Scherzants Schreibstil ist ein Highlight in sich. Mal ganz simpel, dann wieder metaphorisch schön, zeichnet sie Situationen im Kopf der Lesenden, über die man noch eine Weile nachdenkt.

Bewertung vom 30.07.2024
Sobald wir angekommen sind
Lewinsky, Micha

Sobald wir angekommen sind


gut

“Sobald wir angekommen sind” von Micha Lewinsky ist so ein Buch, bei dem ich nach dem Lesen nicht weiß, ob es mir gefällt oder nicht.

Ben ist ein eins gefeierter Autor, der nach seinem Debüt kein weiteres Werk zustande bringt. Außerdem steckt er gerade mitten in der Scheidung von der Mutter seiner beiden Kinder und in einer Liebesbeziehung mit einer erfolgreichen Künstlerin. Neben dieser ohnehin angespannten Situation belastet ihn der Krieg zwischen Russland und der Ukraine so sehr, dass er den Atomkrieg kommen sieht und mit Frau und Kindern nach Brasilien flieht.

Die Themenwahl hat mir sehr gut gefallen. Ben ist Jude und kämpft stark mit dem Generationentrauma, das sich bei ihm immer wieder in Form von Angst und Panik zeigt. Micha Lewinsky macht dieses komplexe Thema in seinem Roman sehr greifbar. Die Geschichte von Bens Familie gibt Einblicke in eine Geschichte, die ich nur aus Geschichtsbüchern kenne. Trotz des ernsten Themas bleibt Lewsinky durch seine humorvolle Art locker und baut mit der Flucht und der Beziehung zu den beiden Frauen einen Spannungsbogen auf, der mich durch das Buch gezogen hat.

Was mich davon abhält, das Buch wirklich gut zu finden, ist besagter Humor. Ich finde es einfach nicht lustig, wenn ein ‘Verlierertyp’ falsche Entscheidungen trifft und damit vor die Wand fährt. Da muss ich immer an diese Bananenausrutscher-Sketche denken. Ben ist ein Typ, bei dem einfach nichts so klappt, wie es soll und der meistens auch nicht weiß, was er eigentlich will. Solche Figuren finde ich meistens nervig und eintönig.

Wenn man diese Art von Humor und Leichtigkeit mag, kann ich das Buch empfehlen. Das Thema und der Schreibstil sind durchaus gelungen.

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