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Benutzername: 
Dreamworx
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 1368 Bewertungen
Bewertung vom 03.02.2025
Nacht über der Havel / Fräulein Gold Bd.7
Stern, Anne

Nacht über der Havel / Fräulein Gold Bd.7


ausgezeichnet

Der Hass der Schwachen ist nicht so gefährlich wie ihre Freundschaft. – Luc de Clapiers
1930 Berlin. Während die Stadt durch die Wirtschaftskrise immer mehr einem Pulverfass gleicht und die Nationalsozialisten immer mehr Zulauf bekommen, arbeitet Hulda in der Mütterberatungsstelle im Stadtteil Schöneberg am Nollendorfplatz als Hebamme, wo sie viele schwangere Frauen nach Kräften unterstützt, obwohl sie sich nach mehr sehnt. Privat hofft sie, endlich mit Max ihr Glück gefunden zu haben, der sich rührend um sie und ihr 5-jähriges Töchterchen Meta kümmert. Als Hulda die schwangere Hella betreut, erfährt sie, dass deren 18-jährige Schwester Jutta einer Jugendgruppe namens „Steglitzer Wandervögel“ angehört, die nachts an der Havel trinken und feiern. Eines Morgens wird der Anführer der Gruppe tot aufgefunden, in den Jutta heimlich verliebt war. Hulda wittert einen Fall und stellt ihre detektivischen Fähigkeiten wieder auf die Probe...
Anne Stern hat mit „Nacht über der Havel“ den 7. Teil ihrer wunderbaren historischen Fräulein Gold-Reihe vorgelegt, der den Leser nicht nur ins Berlin der 30er Jahre entführt, sondern mit Hulda Gold auch eine sympathisch-unangepasste Protagonistin mit einem Hang zu ungelösten Kriminalfällen erschaffen hat, die dem Leser sofort ans Herz wächst und ihn nicht von ihrer Seite weichen lässt. Der flüssige, farbenfrohe und empathische Erzählstil wirft den Leser direkt zurück in die vergangenen 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, wo er sich sofort an Huldas Fersen heftet. Die Umbrüche in Berlin durch die wachsende Arbeitslosigkeit und Armut sind gut zu spüren, die Nazis gewinnen mit ihren schrecklichen Parolen und Versprechungen immer mehr an Boden. Als sie schwangere Hella betreut und in deren nächstem Umfeld ein Mord geschieht, folgt Hulda wieder ihrer kribbelnden Spürnase und macht sich auf eigene Faust daran, die Umstände aufzuklären, obwohl Kommissarin Irma Siegel und auch der mittlerweile verheiratete Detektiv Karl North ebenfalls an der Lösung des Falls arbeiten. Stern hat ein besonderes Händchen dafür, ihre Handlung mit dem exzellent recherchierten politischen und gesellschaftlichen Zeitgeist der damaligen Zeit zu verbinden. Die damalige Zeit war für alle eine große Herausforderung, der Leser spürt die aufkommende drohende Gefahr der Nationalsozialisten, während er mit Hulda gemeinsam eine wahre Gefühlsachterbahn durchläuft bei der Lösung des Falls. Dabei schraubt sich die Spannung bis zum Ende immer weiter in die Höhe. Stern versteht es wunderbar, ihre Leser in ihre Handlung mit einzubinden und sie an die Seiten zu fesseln.
Die Charaktere sind mit menschlichen Eigenschaften sehr lebendig gezeichnet, der Leser fühlt sich ihnen sehr verbunden und folgt ihnen nur zu gern auf Schritt und Tritt. Hulda überzeugt einmal mehr mit ihrer unangepassten offenen und direkten Art. Sie ist hilfsbereit, verantwortungsbewusst und mutig, dabei eine liebevolle ledige Mutter, die es in jenen Zeiten gar nicht leicht hat. Max ist ein toller Mann, der Hulda und Meta zur Seite steht, jedoch gerade nicht erreichbar ist. Meta hat ihren eigenen Kopf, mit ihrem kindlichen Wissensdurst bringt sie Hulda oft an ihre Grenzen. Bert ist Huldas Schulter zum Anlehnen und ihre erste Anlaufstelle bei Problemen. Aber auch Irma und Karl sowie weitere Protagonisten machen die Geschichte durchweg spannend und lebendig.
„Nacht über der Havel“ überzeugt mit einem exzellent recherchierten historischen Hintergrund, einer starken liebenswerten Hauptprotagonistin sowie einem fesselnden Kriminalfall, bei dem der unsichtbare Leser von Anfang an zum Ermittlerteam gehört. Anne Stern besitzt das Talent, das Kopfkino des Lesers auf Hochtouren zu bringen, ihn an die Seiten zu fesseln und die Zeit zu vergessen. Absolute Leseempfehlung – einfach wunderbar!!!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.02.2025
Ein Morgen in Paris
Maybach, Katja

Ein Morgen in Paris


sehr gut

Ganz gleich, wie beschwerlich das Gestern war, stets kannst du im Heute von Neuem beginnen. - Buddha
1939 - 1945. Fleur Durand kommt nach Paris bringt ihren ersten autobiografischen Roman unter einem Pseudonym im Verlag von Maurice Mouret unter, in dem sie ihr schreckliches Leben an der Seite eines bekannten Anwalts aufs Papier gebracht hat. Schon die erste Begegnung genügt, dass sich Maurice in die geheimnisvolle Frau verliebt. Doch während die Deutschen in Paris einmarschieren und Maurice um seinen Verlag und sein Leben als Jude fürchten muss, wird Fleur von ihrem gewalttätigen Ehemann überwältigt und mit unbekanntem Ziel entführt. Dort wird Fleur unter Drogen willenlos gemacht, eingesperrt und bewacht, es scheint, als wenn sie sich aus dieser Lage nicht mehr befreien kann. Gleichzeitig muss Maurice mit Hilfe von Freunden aus Paris fliehen. Ob sich Fleur und Maurice jemals wiedersehen und ein gemeinsames Glück haben werden?
Katja Maybach hat mit „Ein Morgen in Paris“ einen berührenden Roman vor historischer Kulisse vorgelegt, der neben dem Schicksal von Fleur und Maurice auch das von Elisabeth und Eve beleuchtet, die ebenfalls größere Rollen spielen. Der flüssige, farbenfrohe und empathische Erzählstil lässt den Leser schnell in die Seiten eintauchen, um als unsichtbarer Gefährte sowohl das Schicksal von Fleur und Maurice als auch das von Elisabeth und Eve mitzuerleben. Als junge Frau wurde Fleur schwanger von ihrer großen Liebe sitzengelassen und von ihren Eltern mit einem viel älteren Geschäftspartner verheiratet, um die Schande zu umgehen. Die gewalttätige und lieblose Ehe ließ Fleur nach Paris fliehen, um dort unter falschem Namen ein neues Leben anzufangen und mit ihrem Roman ihren Unterhalt zu sichern. Maurice, der bisher als Lebemann galt und mit der Chansonsängerin Eve ein langjähriges Verhältnis unterhielt, verliebt sich fast auf Anhieb in Fleur. Nicht nur der beginnende zweite Weltkrieg, sondern auch Fleurs Ehemann macht den beiden einen Strich durch die Rechnung und trennt Maurice und Fleur auf unbestimmte Zeit. Maybach führt den Leser gekonnt durch ihre wohldurchdachte Handlung, wobei sie einige spannende Überraschungsmomente einfließen lässt. Die Schicksale der Protagonisten sind miteinander verknüpft und werden dem Leser geschickt erst nach und nach offenbart, während die Spannung sich immer weiter steigerte.
Die Charaktere sind glaubwürdig mit menschlichen Ecken und Kanten versehen, so dass der Leser sich gern an ihre Fersen heftet, um keinen Augenblick in ihrem bewegten Leben zu verpassen. Fleur ist eine freundliche und warmherzige Frau, die sich endlich ihren Traum von einem unabhängigen Leben erfüllen will. Maurice ist ein Macher, dabei offen, ehrlich und clever. Eve lebt unter falschem Namen in Paris, ist eine erfolgreiche Sängerin und ebenso eine Kämpfernatur. Sie wirkt hart und unerbittlich, doch zeigt sie auch ihren weichen Kern sowie ihre Loyalität zu Freunden. Elisabeth sehnt sich nach Liebe und Geborgenheit, ist innerlich zerrissen und immer auf der Suche.
„Ein Morgen in Paris“ ist nicht nur ein fesselnder Roman vor historischer Kulisse, sondern vereint auch Hoffnungen, Neustart, Liebe, Lügen und ein Familiengeheimnis um drei starke Frauencharaktere, die den Leser schnell in ihren Bann ziehen. Verdiente Leseempfehlung für den Auftakt einer Familiensaga. Auf die Fortsetzung darf man schon jetzt gespannt sein!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 03.02.2025
Das Buch der letzten Briefe (eBook, ePUB)
Barrett, Kerry

Das Buch der letzten Briefe (eBook, ePUB)


sehr gut

Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. – Jean Paul
1941 London. Die junge Elsie Watson arbeitet als Krankenschwester und wird während ihrer Arbeit tagtäglich mit Opfern des zweiten Weltkrieges konfrontiert. Als in einem Außenzelt die verwundeten Air Force-Soldaten untergebracht werden, kommt Elsie auf die Idee, für diese auf Wunsch Briefe an deren Familie zu schreiben. Anhand des großen Andrangs kommt Elsie auf die Idee, ein Buch anzuschaffen, in dem jeder, der etwas hinterlassen möchte, als Erinnerung oder Hinterlassenschaft etwas in das Album eintragen oder malen kann. Während Elsie sich um ihre Patienten und ihre Einträge kümmert, lernt sie dabei ihre große Liebe Harry kennen...
Gegenwart. Stefanie ist eigentlich Künstlerin, doch seit einem einschneidenden privaten Erlebnis hat sie sich von der Kunst verabschiedet und arbeitet seitdem in einem Seniorenheim, wo auch ihre Oma Nan untergebracht ist. Als Stefanie sich für ein Kunststipendium bewirbt und gewinnt, springt ihr der junge Historiker Finn zur Seite, der ihr für ihr Kunstprojekt ein altes Album zur Verfügung stellt...
Kerry Barrett hat mit „Das Buch der letzten Briefe“ einen unterhaltsamen historischen Roman vorgelegt, dessen Handlung nicht sich nur über zwei Zeitebenen erstreckt, sondern mit einem Album aus alten Briefen die Verbindung zwischen der Vergangenheit und Zukunft sowie den beiden Hauptprotagonistinnen geschickt verbindet. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil lädt den Leser ein, sich mal an der Seite von Elsie, mal an der Seite von Stevie wiederzufinden, um ihre jeweiligen Lebenswege sowie ihre Gedanken- und Gefühlswelt kennenzulernen. Elsie hat keine Familie mehr, muss sich gegen einen aufdringlichen Kerl wehren und legt all ihre Kraft in die Versorgung der Patienten, um ihnen das Leben zu erleichtern. Stevie meistert ihr Leben ebenfalls allein, ihre Eltern sind in alle Himmelsrichtungen verstreut und ihr Bruder hat nicht nur ihre Karriere zerstört, sondern lässt sie seine Schulden abbezahlen, während er im Knast sitzt. Das Seniorenheim, in dem Stevie arbeitet, war früher das Krankenhaus, wo Elsie als Schwester tätig war. Beide Frauen müssen sich durchs Leben kämpfen, wobei ihr Schicksal unvorhergesehen durch ein altes Buch miteinander verbunden wird. Die Autorin versteht es gut, ihre Handlungsstränge miteinander zu verweben, Parallelen aufzuzeigen und mit wechselnden Spannungsmomenten zu spielen, so dass der Leser das Buch kaum aus der Hand legen kann. Schicksalhafte Momente sowohl bei Elsie als auch bei Stevie lassen dem Leser die Luft anhalten und durch eine Achterbahn der Gefühle sausen, wobei ständig die Frage im Raum steht, wie man wohl selbst in der einen oder anderen Situation handeln würde.
Die Charaktere sind liebevoll ausgestaltet und mit glaubwürdigen Eigenschaften versehen. Der Leser tritt gern in ihre Fußstapfen, folgt ihnen unauffällig und nimmt Anteil am Geschehen. Elsie ist eine liebenswerte, warmherzige und mutige Frau, die einem den größten Respekt abnötigt. Sie kämpft an allen Fronten, dabei ist sie eine wirkliche Freundin in der Not und ihre Hilfsbereitschaft kennt keine Grenzen. Stevie leidet so sehr unter ihrer familiären Situation, dass sie sich schon fast aufgegeben hat. Doch auch sie zeigt Kampfbereitschaft, denn gute Freunde treten sie immer wieder in den Hintern, damit sie endlich die Kurve kriegt. Finn ist ein toller Typ, der Stevie sofort verstanden hat, ebenfalls der Teenagersohn ihres Vermieters. Aber auch weitere Protagonisten tragen mit ihren Handlungen viel zur Stimmungslage des Romans bei.
„Das Buch der letzten Briefe“ ist nicht nur eine Geschichte über zwei Zeitebenen und zwei außergewöhnliche Frauen, sondern auch über Hilfsbereitschaft, wirkliche Freundschaft, Liebe und das Überleben. Fesselnd und mit viel Empathie erzählt, gibt es hier eine verdiente Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.01.2025
Das verborgene Weihnachtskind
Müller, Titus

Das verborgene Weihnachtskind


ausgezeichnet

Alte Werte in neuen Zeiten
KI Athena ist für die Überwachung eines Hochhauses zuständig, wobei sie nicht nur die Kontrolle über die Einwohner übernommen hat, sondern normalerweise auch Fremden den Zugang zu dem Wohnhaus versperrt. Inzwischen weiß sie alles über die Lebensumstände und Eigenheiten der Hausbewohner, doch es gibt auch einen, der sich nicht überwachen lassen will und eigene Vorkehrungen getroffen hat, um dies zu verhindern. Als sich eine fremde KI in den Mikrokosmos des Hauses einhackt, um finsteren Gestalten für die Entführung eines Kindes Zugang zum Haus zu ermöglichen, finden sich ausgerechnet vier Nachbarn derselben Etage zusammen, die vorher nie miteinander zu tun hatten. Ausgerechnet der KI-Verweigerer Heinrich gewährt den Nachbarn nebst dem Kind Asyl, wo sie nicht nur Schutz genießen, sondern auch die alten Weihnachtsbräuche wieder in Erinnerung gerufen werden. Und KI Athena zeigt plötzlich, dass auch sie doch ein Herz besitzt...
Titus Müller hat mit “Das verborgene Weihnachtskind” eine zauberhafte Geschichte vorgelegt, die trotz ernüchternder Zukunftstechnologie und daraus resultierender allumfassender Kontrolle mit Menschlichkeit, Empathie und dem Geist der Weihnacht überzeugen kann. Der Erzählstil ist flüssig, bildhaft und feinfühlig, der Leser versinkt sofort in den Seiten, um die beängstigende Überwachung mitzuerleben, aber auch die Anonymität des Hochhauses in sich aufzunehmen, wo man seinen nächsten Nachbarn nicht mehr kennt und auf sich allein gestellt ist. Doch gerade der unvorhergesehene Notfall – die geplante Entführung eines Kindes reicher Eltern - lässt die vorher fremden Nachbarn zu einer Gemeinschaft werden. Heinrich, der sich der Zukunftstechnologie verweigert und sein Leben, wie er es immer kannte, selbst in der Hand behalten will, lädt Fremde, darunter die junge Junika, in seine Welt ein, um ein Verbrechen zu verhindern. Gleichzeitig bringt er mit seinem Weihnachtsbaum, den Büchern und den Weihnachtsliedern bei seinen Besuchern alte, lange vergessene Erinnerungen an die Oberfläche. Titus Müller malt nicht nur ein erschreckend realistisch wirkendes Bild über die nahe Zukunft mit KI, sondern öffnet die Herzen seiner Leser mit christlichen Werten wie Hoffnung, Menschlichkeit, Nächstenliebe und Zusammenhalt, während er gleichzeitig die Spannung innerhalb seiner Handlung auf einem hohen Level hält.
Die Protagonisten sind sehr lebensecht gezeichnet und vermitteln dem Leser das Gefühl, sie zu kennen. Heinrich ist ein Urgestein, der sich nicht verbiegen lässt, das Herz am rechten Fleck hat und sich für andere einsetzt. Junika ist ein Kind des neuen Zeitalters, aber sie lässt sich von alten Traditionen und Emotionen einfangen. KI Athena wirkt effizient, kühl und organisiert, doch am Ende zeigt auch die Technik, dass sie zu Gefühlen fähig ist.
“Das verborgene Weihnachtskind” ist eine futuristische Weihnachtsgeschichte, die die nahe Zukunft ins Haus des Lesers bringt, doch dabei nie verzagt, sondern vielmehr hoffnungsvoll bleibt. Wunderschön erzählt mit viel Herz und Optimismus, aber auch mit Denkanstößen für den Leser, wie weit er den Zukunftstechnologien sein Leben anvertrauen will. Absolute Leseempfehlung – einfach wunderbar!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.01.2025
Die Sehnsucht, die bleibt
Lange, Kerstin

Die Sehnsucht, die bleibt


ausgezeichnet

Auch der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt. – Laozi
1953 Wien. Die 10-jährige Reni lebt mit ihren älteren Brüdern und ihrer depressiven Mutter bei ihrer Großmutter in ärmlichsten Verhältnissen. Der Vater ist aus dem Krieg nie zurückgekehrt. Als der örtliche Pfarrer in der Schule von einem Austauscherholungsprogramm der Caritas für besonders mangelernährte Kinder berichtet, träumt Reni insgeheim davon, ein Teil davon zu sein, um endlich mal genug zu essen zu haben. Ihr Wunsch geht in Erfüllung, schnell befindet sie sich auf einem Schiff Richtung Portugal, wo sie von der freundlichen Familie Figueira nebst deren Tochter Marissa aufgenommen und gepäppelt wird. Die Zeit vergeht wie im Flug, Reni möchte am liebsten gar nicht zurück, verliebt sich sogar heimlich in den Bauerssohn Joao, doch ihre Mutter macht ihr einen Strick durch die Rechnung, so dass Reni nach Wien zurück muss…
Kerstin Lange hat mit „Die Sehnsucht, die bleibt“ einen bewegenden historischen Roman vorgelegt, der dem Leser nicht nur die Entbehrungen der Menschen nach dem Krieg deutlich vor Augen führt, vor allem das Schicksal der Kinder steht hier im Vordergrund. Der flüssige, empathische und bildhafte Erzählstil stellt den Leser sofort an die Seite der 10-jährigen Reni, wo er sie drei Jahrzehnte begleitet und sowohl den Kontrast zwischen ihrer lieblosen Wiener Familie und ihrer warmherzigen portugiesischen Gastfamilie miterlebt als auch Renis Entwicklung in eine selbständige Frau, deren Gedanken- und Gefühlswelt wie ein offenes Buch vor ihm liegt. Reni ist schon in der Schule eine Außenseiterin, doch mit ihrer kindlich-offenen Art und dem Herz am richtigen Fleck trifft sie mitten in des Lesers Seele. Das Verhalten ihrer depressiven Mutter und der Egoismus ihrer Brüder sind unerträglich, einzig ihre Oma lässt ihr Liebe zuteilwerden. Reni lechzt regelrecht danach und findet diese in der Gastfamilie in Portugal. Als Leser kann man es ihr nicht verdenken, dass Reni am liebsten für immer dort bleiben möchte, aber der Tod der Oma bringt sie zurück nach Wien. Die Autorin schafft es mühelos, neben dem geschichtlichen Hintergrund beide Welten wunderbar in Szene zu setzen und dem Leser die gravierenden Unterschiede näher zu bringen, die Reni gefühlsmäßig in einen Zwiespalt bringen. Der Leser durchlebt eine Achterbahn der Gefühle, während die Seiten nur so durch seine Hände fliegen.
Die Charaktere sind glaubwürdig und lebensnah ausgestaltet, so dass der Leser sich ihnen verbunden fühlt und ihnen nicht von der Seite weicht. Reni ist liebenswert und wissbegierig, sie besitzt Mut und Stärke, dabei aber auch eine tiefe innere Verletzlichkeit. Marissa ist eine tolle „Stiefschwester“, die alles mit Reni teilt. Renis Mutter ist die personifizierte Selbstsüchtigkeit, ebenso ihre Brüder, einzig die Oma wirkt zwar herrisch, kümmert sich aber besonders liebevoll um Reni. Ebenso tragen weitere Protagonisten wie Senor Duarte oder Joao dazu bei, die Handlung lebendig zu halten.
„Die Sehnsucht, die bleibt“ erzählt nicht nur von den schlimmen Lebensumständen nach dem Krieg und dem Austauscherholungsprogramm für Kinder, sondern vor allem von Reni und ihrer Entwicklung, ihrer Suche nach Liebe, Glück und ihrem ganz eigenen Platz im Leben, wobei sie sich von Rückschlägen nicht aufhalten lässt. Wunderbar erzählt – absolute Leseempfehlung!!!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.01.2025
Be with Me / Die Adairs Bd.4
Young, Samantha

Be with Me / Die Adairs Bd.4


sehr gut

Die beste Heilungstherapie ist Freundschaft und Liebe. – Hubert H. Humphrey
Arran Adair kehrt nach langen Jahren zurück zu seiner Familie nach Schottland, die dort das Luxus Resort Ardnoch Castle führt. Dort erhofft er sich, endlich seine Schuldgefühle loszuwerden und sich mit seinen Brüdern auszusprechen. Doch schon bald treibt die geheimnisvolle, aber sehr zurückhaltende Pilates-Lehrerin Eredine Willows, die für seine Brüder arbeitet, seinen Puls in die Höhe. Erst noch gute Freunde entwickelt sich schon bald eine Beziehung zwischen Arran und Eredine, wobei sie ihn aber auf Distanz hält. Was Arran nicht weiß: Eredine hütet ein Geheimnis und ist nicht bereit, sich zu offenbaren. Wird es Arran gelingen, Eredine die Wahrheit zu entlocken? Haben die beiden eine gemeinsame Zukunft? Und wird Arran auch seine Schuldgefühle endlich los?
Samantha Young hat mit „Be with me“ den vierten Band ihrer unterhaltsamen Adair-Reihe vorgelegt, der sich um den jüngsten Adair-Bruder Arran und Eredine dreht. Der flüssige, gefühlvolle und bildhafte Schreibstil nimmt den Leser sofort mit ins schottische Ardnoch, um dort mal an der Seite von Arran, mal an der von Eredine die Handlung hautnah mitzuerleben und deren Gedanken- sowie Gefühlswelt kennenzulernen. Nach Jahren als Weltenbummler ist Arran endlich wieder daheim bei seiner Familie, wo er Geborgenheit sucht nach einem schweren Verlust, an dem er sich die Schuld gibt. In Eredine findet er nicht nur eine geduldige Gesprächspartnerin, sondern hegt schon bald auch große Gefühle für sie. Doch Eredine will sich nicht an ihn binden, zu groß ist ihre Angst aufgrund ihrer geheimnisvollen Vergangenheit. Die Art und Weise, wie Arran und Eredine miteinander umgehen und ihre jeweiligen Baustellen abarbeiten, hat die Autorin sehr gut herausgearbeitet. Schön ist auch das Wiederlesen mit alten liebgewonnenen Protagonisten aus den Vorgängerbänden sowie der Familienzusammenhalt der Adairs und wie sie sich umeinander kümmern und unterstützen. Der Spannungsbogen wird langsam aufgebaut, steigert sich dann aber immer mehr bis zum finalen Schluss. Der Leser klebt regelrecht an den Seiten, um keinen Augenblick zu verpassen.
Die Charaktere sind sehr lebensnah in Szene gesetzt und mit menschlichen Eigenschaften versehen worden. Sie schleichen sich sofort ins Leserherz, so dass dieser sich unsichtbar in ihren Fußstapfen bewegt und ihnen nicht von der Seite weicht. Arran ist ein Mann mit Prinzipien, auch wenn er wie ein Playboy wirkt, kämpft er für die Dinge, die ihm wichtig sind, oft macht er alles mit sich allein aus. Eredine ist sehr zurückhaltend und mit viel Einfühlungsvermögen ausgestattet. Sie schaut sich ständig über die Schulter, als würde sie verfolgt. Ebenso überzeugen Thane, Lachlan, Robyn, Regan, Mac und Arrochar mit ihren Auftritten und verleihen der Handlung Wärme und Geborgenheit.
„Be with me“ überzeugt nicht nur mit einem fesselnden Erzählstil und vielschichtigen Charakteren, sondern auch mit einer spannenden Handlung sowie einer unterhaltsamen Familiengeschichte, bei der Geheimnisse an der Tagesordnung sind. Großes Gefühlskino mit einer verdienten Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.01.2025
Alles, was wir sagen
Fisher, Nicole

Alles, was wir sagen


schlecht

Seichte Lektüre ohne Tiefe
Bei einem Treppensturz hat sich Natalie das Bein gebrochen und ist auf die Hilfe ihrer Freunde angewiesen, die sich nur zu gern um sie kümmern. Doch dann steht auf einmal ihr ehemals engster Freund Janik in ihrer Wohnung, um Essen vorbeizubringen. Mit Janik verbindet Natalie traurige Erinnerungen, hat doch eine hoffnungsvolle Beziehung ihr jähes Ende gefunden durch ein blödes Missverständnis, das Natalie inzwischen sehr bereut. Ist dies eine neue Chance für ihre Freundschaft, vielleicht sogar für eine engere Beziehung zwischen ihnen?
Nicole Fisher hat mit “Alles, was wir sagen” einen Roman vorgelegt, der wohl eher für Teenager denn für Erwachsene gedacht ist. Der Erzählstil ist zwar flüssig, kann den Leser jedoch nicht für sich einnehmen, weil er von Anfang an keinen Bezug zu Protagonisten und Handlung findet. Während Natalie nach einer verkorksten Beziehung schwer Vertrauen fassen kann, leidet Janik unter Depressionen und einer Mutter, die an Alzheimer erkrankt ist. Natalie versucht immer wieder, Janik aufzubauen, doch sie selbst hat Schwierigkeiten, sich wirklich auf etwas Neues einzulassen. Sie muss erst über ihren eigenen Schatten springen, bevor sich überhaupt etwas wie Nähe zwischen den beiden einstellen kann, wenn auch die alte Vertrautheit von früher bereits schnell wieder da ist. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass die Autorin die jeweiligen Probleme empathisch behandelt hat, bleiben diese dennoch sehr oberflächlich und können deshalb nicht überzeugen.
“Alles, was wir sagen” ist mehr ein Roman für junge Erwachsene für kurzweilige Lesestunden. Die Thematik geht kaum in die Tiefe und erinnert eher an einen Jugendroman, den man schnell wieder vergessen hat. Keine Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.12.2024
Wer mit den Wölfen heult / Die Canterbury-Fälle Bd.2
Duncan, Tessa

Wer mit den Wölfen heult / Die Canterbury-Fälle Bd.2


ausgezeichnet

Die Stärke des Wolfs ist das Rudel, die Stärke des Rudels ist der Wolf.
2019 Dover. Als die Polizei zu einem Banküberfall gerufen wird, schießt ausgerechnet Police Sergeant Martin Gordon absichtlich während des Einsatzes auf seinen Kollegen Clark Jarrett. Fast sieht es so aus, als wäre die Tat vorprogrammiert, denn zwischen den beiden Männern gibt es einiges an Konfliktpotential. Therapeutin Lily Brown hat einen schweren Job vor sich, denn sie soll ein psychologisches Gutachten über Martin Gordon und dessen Diensttauglichkeit erstellen, wobei dieser sich allerdings sehr zugeknöpft gibt. Kurze Zeit später begeht Gordon spektakulär Selbstmord und stellt Lily vor eine große Herausforderung, denn sie soll die Gründe für seinen Freitod herausfinden. Mit ihren Nachforschungen kommt sie einigen Dingen auf die Spur, die bisher verschleiert wurden…
Tessa Duncan alias Marita Spang hat mit „Wer mit den Wölfen heult“ den zweiten Band ihrer Psychothriller-Reihe „Die Canterbury-Fälle“ rund um die Psychologin Lily Brown vorgelegt, der dem Vorgänger an Spannung und Unterhaltung in nichts nachsteht und den Leser wieder in einen grandiosen fesselnden Fall verwickelt, der echten Verbrechen zugrunde liegt. Der flüssige, bildhafte und packende Erzählstil wickelt den Leser schon mit einem atemberaubenden Prolog ein, so dass dieser das Buch kaum aus der Hand legen kann. Anhand wechselnder Perspektiven lernt der Leser in dem neuen Fall nicht nur die Gedankenwelt und Sichtweise von Lily kennen, sondern darf auch Martin Gordon in den Kopf schauen. Während Lily versucht, Martins Handlungsweise zu verstehen und den Gründen dafür auf die Spur zu kommen, merkt man Martin nicht nur seine Zerrissenheit deutlich an, sondern wartet gespannt darauf, was sich hinter seiner Verschwiegenheit wirklich verbirgt. Sein Tod spornt Lily erst recht an, tiefer zu graben und so unglaubliche Machenschaften aufzudecken, die neben Mobbing und sexueller Übergriffigkeit gegenüber Frauen auch das Phänomen der Gruppendynamik sehr gut beschreiben. Nebenbei hat Lily noch eine schwangere Patientin, die ihr ebenfalls einiges abverlangt. Zusätzlich ist es die Beziehung zu ihrem verheirateten Freund Dan, der ihr Privatleben immer wieder einer Achterbahn gleichen lässt. Der Spannungsbogen wird schon im Prolog relativ hoch gelegt, flacht dann erst etwas ab, um sich dann jedoch immer mehr zu steigern. Der Leser durchläuft nicht nur das gesamte Gefühlsbarometer, sondern klebt aufgrund der Sogwirkung der Handlung regelrecht an den Seiten, damit ihm keine Kleinigkeit entgeht und er eigene Spekulationen zur Lösung des Falles zu entwickeln. Spang alias Duncan hat ein wunderbares Händchen dafür, ihre Leser durchweg bei der Stange zu halten.
Die Charaktere wurden lebendig und lebensnah erschaffen und in Szene gesetzt, der Leser kann seine Sympathien gerecht verteilen und sich an ihre Fersen heften, um das Geschehen hautnah mitzuerleben. Lily Brown ist fast zu gut für diese Welt, sie besitzt ein großes Maß an Empathie und Einfühlungsvermögen, dazu besitzt sie einen messerscharfen Verstand und lässt sich so schnell nichts vormachen. Im Privatleben verlässt sie allerdings ihre Menschenkenntnis, denn mit Freund Dan hat sie sich ein echtes Ei ins Nest gelegt. Der denkt ausschließlich an sich und hat es sich gemütlich eingerichtet mit Freundin und Ehefrau. Praxiskollege Matt ist ein feiner Kerl, der zwar schwerkrank, doch immer eine Anlaufstelle und guter Freund für Lily ist. Martin Gordon ist ein aufrechter Mann, der einiges durchlebt hat und irgendwann keinen Ausweg mehr sieht. Und Lilys Kater Mick weiß ganz genau, wie er seine Karten ausspielt, er ist ein richtiger Filou!
„Wer mit den Wölfen heult“ beschreibt nicht nur exakt die Rudelbildung, um die es in diesem Roman zum Teil geht. Duncan hat einen gut strukturierten, wunderbar packenden Psychothriller vorgelegt, der dem Leser spannende Lesestunden beschert und mit Lily Brown eine Protagonistin an die Seite stellt, die nicht nur nahbar, sondern auch sehr intelligent an die zu lösenden Fälle herangeht. Absolute Leseempfehlung für tollen Nervenkitzel – Prädikat besonders lesenswert!!!!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.12.2024
Endlich das ganze Leben
Recchia, Roberta

Endlich das ganze Leben


ausgezeichnet

Die Summe unseres Lebens sind die Stunden, in denen wir geliebt haben. - Wilhelm Busch
50er bis 80er Jahre Italien. Marisa Ansaldo wächst in einem behüteten Umfeld auf, ihre Familie führt einen kleinen gutgehenden Feinkostladen. Als Marisa ungewollt schwanger und vom Vater des Kindes sitzengelassen wird, muss schnell ein geeigneter Ehemann her, der im Lieferanten Stelvio gefunden wird, welcher insgeheim in Marisa verliebt ist und sie fortan auf Händen trägt. Stelvio und Marisa übernehmen schon bald den Familienladen und bekommen neben Tochter Betta auch noch einen Sohn. Das Familienglück endet jäh, als eines Sommers die 16-jährige Betta nachts mit ihrer Cousine Miriam an den Strand schleicht und es dort zu einem furchtbaren Verbrechen kommt. Danach ist Betta tot, während Miriam alles in sich hineinfrisst und sich selbst für die Tragödie bestraft, indem sie sich völlig zurückzieht. Die polizeilichen Ermittlungen verlaufen im Sande, Marisa und Stelvio stehen vor den Scherben ihres Lebens. Doch dann begegnet Miriam zufällig dem Drogendealer Leo, der das Leben aller verändern wird…
Roberta Reccia hat mit „Endlich das ganze Leben“ eine eindrucksvolle, fesselnde Familiengeschichte vorgelegt, die den Leser nicht nur durch eine Achterbahn der Gefühle jagt, sondern auch die damalige Zeit mit all ihren Facetten wiederspiegelt. Der flüssige, bildhafte und empathische Erzählstil saugt den Leser direkt hinein in die Handlung, wo dieser sich als unsichtbarer Gast bei den Ansaldos einnistet und von dort alles hautnah miterleben darf. Schnell schleicht sich die Familie in das Leserherz, vor allem Marisa und Stevio mit ihrer erst ungewollt arrangierten Heirat, aus der schon bald eine wirkliche Liebe wird und deren gemeinsames Leben von gegenseitigem Respekt und Harmonie geprägt ist. Alles scheint wunderbar, bis der Feriensommer am Meer ihnen die geliebte Tochter Betta auf furchtbare Weise entreißt. Die Autorin versteht es meisterhaft, die Protagonisten die Tat auf unterschiedliche Art verarbeiten zu lassen. Während Marisa sich von allem zurückzieht und die Wohnung zu ihrer Höhle macht, stürzt sich Stevio in die Arbeit und findet Trost in der abendlichen Flasche Wein. Miriam allerdings schottet sich innerlich ab, landet bei einem schlechten Arzt, um am Ende das Vergessen in Drogen zu suchen. Als sie Leo begegnet, ist es ausgerechnet er, der sich gemeinsam mit seiner Schwester Corallina um sie kümmert, während ihre eigenen Eltern egoistisch ihre Karrieren verfolgen und das Leid ihrer Tochter gar nicht bemerken. Die Geschichte hat durch die zwischenmenschlichen Beziehungen und ihre Verknüpfung miteinander eine solche Sogwirkung, dass der Leser das Buch kaum aus der Hand legen kann.
Die Protagonisten sind wunderbar lebensnah und glaubwürdig gestaltet, der Leser fühlt sich ihnen schnell verbunden und verfolgt ihre Handlungen auf Schritt und Tritt. Marisa ist eine liebenswerte Frau, die die Familie zusammenhält. Stevio ist ein wahrer Schatz, der seine Familie beschützt und liebt. Miriam ist eine arme Seele, die keinen Rückhalt in ihrer Familie hat und auf sich allein gestellt ist. Leo ist zwar ein Filou, aber er besitzt Anstand und Herz, vor allem aber Mitgefühl. Corallina ist der heimliche Star der Geschichte, denn ohne sie wäre vieles nicht ans Tageslicht gekommen.
„Endlich das ganze Leben“ umfasst Familiengeschichte, Tragödie, Hilflosigkeit, Liebe, Sehnsucht und Hoffnung in einer wunderbaren wirklichkeitsnahen Art wie im wahren Leben. Reccia hat mit ihrem Debütroman Großartiges geleistet, denn sie bannt den Leser an die Seiten und lässt ihn mit ihren Protagonisten durch die Hölle gehen, um zum Schluss doch noch das Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Meisterlich erzählt und ein wahres Lesehighlight, absolute Empfehlung – Chapeau!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.09.2024
Herbstglühen am Liliensee
Büchle, Elisabeth

Herbstglühen am Liliensee


ausgezeichnet

Ein jeder ist so viel wert, wie die Dinge wert sind, um die es ihm ernst ist. – Marc Aurel
1966 Schwarzwald. Nachdem Bärbel Stein ihr Studium und ihre Ausbildung zur Lehrerin absolviert hat, kehrt sie an ihren Heimatort Vierbrücken am Liliensee zurück, um dort die Kinder in Dorfschule zu unterrichten. Schon bald begegnet sie ihrer alten Jugendliebe Ralf Vogel wieder, der als Tierarzt ebenfalls in die Heimat zurückgekehrt ist. Bärbel trägt eine alte Last aus der Vergangenheit herum, die sie nicht nur äußerlich gezeichnet hat, sondern auch innerlich so unsicher hat werden lassen, dass sie kaum wirkliche Freude beim Unterrichten empfindet aus Angst, dass den Kindern irgendetwas zustoßen könnte. Schon bei einem Schulausflug rettet Ralf sie unwissend vor einer heimlichen Panikattacke. Doch als ein großes Unwetter Vierbrücken und Umgebung völlig überschwemmt, sieht sich Bärbel auf einmal allein mit Ralf in der ungemütlichen Natur, wo zwischen den beiden einige Dinge aus der Vergangenheit zur Sprache kommen und auch die alten Gefühle wieder Oberhand zu gewinnen scheinen. Kann und vor allem will Bärbel sich wirklich dagegen wehren?
Elisabeth Büchle hat mit „Herbstglühen am Liliensee“ den vierten und leider letzten Band ihrer Liliensee-Jahreszeiten-Reihe vorgelegt, der ebenso wie seine Vorgänger mit viel Tiefgang und großen Gefühlen sowie zauberhaften Charakteren für wunderbare Unterhaltung sorgt. Der flüssige, farbenfrohe, gefühlvolle Erzählstil mit feinem Humor lädt den Leser in den kleinen Ort Vierbrücken zu Mitte des letzten Jahrhunderts ein, wo er sich unter bereits liebgewonnenen Protagonisten wiederfindet und nun intensiver in das Leben von Bärbel und Ralf eintaucht. Die Autorin versteht es hervorragend, die Örtlichkeiten lebhaft und farbenprächtig zu beschreiben, so dass der Leser alles regelrecht vor Augen sieht, während er Bärbels Neustart in ihrer Heimat ebenso hautnah miterlebt wie ihre innere Gedanken- und Gefühlswelt und ihre Unsicherheit. Schon in der Jugend war Bärbel in Ralf heimlich verliebt, doch nun als Lehrerin, die zur damaligen Zeit unverheiratet sein musste, bringt die Begegnung sie in einen zusätzlichen Zwiespalt. Nicht nur alte Erinnerungen und Gefühle drängen an die Oberfläche, auch ihre übervorsichtige Art, jegliches Unglück vermeiden zu wollen, lässt Bärbels Nervenkostüm dünn werden. Ralf liest in Bärbel wie in einem Buch und versucht auf jegliche Art und Weise, ihr Mut zuzusprechen. Gleich einem geschlossenen Kokon wirkt die Dorfgemeinschaft, die alle irgendwie miteinander verbunden sind und den Leser einfach mit aufnehmen. Großartig die Kuppeleiversuche von Charlotte, die Schwiegervater Johann gern unter die Haube bringen würde, dieser aber den Spieß umdreht und dadurch Charlotte in die Bredouille bringt. Der christliche Aspekt ist unaufdringlich mit der Handlung verbunden und sendet die Botschaft, jeder ein Geschöpf Gottes ist, das in seiner Art wertvoll ist.
Die Charaktere sind liebenswert und glaubwürdig gezeichnet und in Szene gesetzt. Der Leser fühlt sich unter ihnen sofort wohl und folgt ihnen nur zu gern. Bärbel ist eine freundliche, herzensgute Frau, die in ihrer Lehrtätigkeit aufgeht und über die ihr anvertrauten Kinder wie eine Glucke wacht. Ihre innere Zerrissenheit rührt nicht nur von ihrem versehrten Gesicht, sondern auch von Unsicherheit vor den Gefahren des Lebens. Ihre Entwicklung während der Geschichte ist wunderschön zu beobachten. Ralf ist ein selbstbewusster, empathischer Mann, der hinter die Fassade blickt und einfühlsam Mut zuspricht. Opa Johann ist ein Spaßvogel der besonderen Art, während Schwiegertochter Charlotte fast schon etwas übergriffig wirkt, obwohl sie es nur gut meint. Aber auch die anderen Protagonisten stützen mit ihren Handlungen den Wohlfühlcharakter der Geschichte.
„Herbstglühen am Liliensee“ isst eine wunderbar tiefgründige Geschichte über Ängste, Sorgen, Hoffnungen und Neuanfang. Auch die Romantik sowie ein feinsinniger Humor kommen nicht zu kurz, so dass den Leser ein zauberhaftes Leseerlebnis erwartet, dass ihn wie eine warme Kuscheldecke umhüllt und ihn mitten ins Herz trifft. Absolute Empfehlung für ein echtes Lesehighlight!

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