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Woertergarten

Bewertungen

Insgesamt 89 Bewertungen
Bewertung vom 24.12.2025
Lass mich dir von einem Mann erzählen, den ich kannte
Fletcher, Susan

Lass mich dir von einem Mann erzählen, den ich kannte


sehr gut

Ein Schreibstil à la Van Gogh

Erst nach seinem Tod wurde Vincent Van Gogh ein der weltberühmtesten Künstler, wie seine Werke heutzutage zelebriert werden. In seiner Lebenszeit sah es für ihn ganz anders aus. 1889 kommt er als Patient nach Saint-Rémy-de-Provence in die von Charles Trabuc geleiteten Heilanstalt. Dieses Ereignis ändert das Leben seiner Frau Jeanne Trabuc, zwischen Erinnerungen und neue Erfahrungen, sich wiederentdeckt.

Dieser Roman ist keine Romanbiographie von Vincent Van Gogh. Schon das schöne Cover macht es klar: Eine unkenntlich gemachte Frau, die Richtung Zukunft zugucken scheint, steht im Vordergrund. Van Goghs Sternennacht, halb verdeckt, wurde in den Hintergrund gedrängt.

Es handelt sich auch nicht um eine Romanbiographie von Jeanne Trabuc. Wie die Autorin im Nachwort erklärt, hat sie einfach zu wenig Anhaltspunkte gelassen. Es ist also eine Fiktion, die Susan Fletchers Feder entsprang. Die nicht mehr so junge, aber auch noch nicht so alte Protagonistin, Jeanne Trabuc, ist bereit gegen langjährige Regel zu verstoßen, um den neuen faszinierenden Patienten kennenzulernen.

Die Autorin hat einen besonderen und sehr angenehmen Schreibstil: Sie schreibt ihre Geschichte wie ein Gemälde. Durch ihre Pinselführung entsteht die rührende Geschichte einer Frau, die sich sucht und wiederfindet. Verziert wird diese Geschichte mit einigen bunten Szenen, die das Entstehen einiger Werke Van Goghs beschreiben. Auch die provenzalische Atmosphäre trägt zum Zauber dieses Romans bei.

Bewertung vom 13.12.2025
In den Scherben das Licht
Korn, Carmen

In den Scherben das Licht


sehr gut

Die Hoffnung wächst aus den Trümmern

Der hoffnungsvolle Titel und das pastellfarbene Cover haben mich auf Anhieb begeistert. Auch der Klappentext war für mich eine Offenbarung: Diesen Roman mit seiner Geschichte im Hamburg der Nachkriegszeit würde ich lesen!

Seite für Seite, Monat für Monat folgt der Leser die Jugendlichen Gert und Gisela, sowie Frieda Wahrlich, die einstige Schauspielerin, die den beiden ein Dach gegeben hat. Über die Jahre nimmt diese kleine Gemeinschaft verletzter Seelen zu und baut sich in den Trümmern eine Zukunft.

Dieser Roman gleicht einer Zeitgemälde und beschreibt akkurat diverse Szenen des Alltags der Hansestadt Hamburg, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihren Aschen erwacht. Die Geschichte vermittelt Hoffnung und zeigt wie wichtig Verbundenheit in schweren Zeiten ist.

Die Protagonisten sind sehr verschieden und wirken mit ihren Marotten authentisch, auch wenn einige ihrer Reaktionen mir fraglich erscheinen. Das Ende fühlt sich irgendwie auch aufgesetzt, als ob die Geschichte unbedingt eine Ende finden musste.

Der Roman wirkt durch die wachsende Anzahl der Gemeinschaftsmitglieder teilweise planlos. Genau diese Figuren teilen sich nur durch leere Zeilen getrennte Absätze innerhalb eines Kapitels, was das Lesen zwischendurch erschwert.

So auch zwischendurch der Schreibstil. Ziemlich abgehackt. Oft ohne Verb. Nicht so meins. Gewöhnungsbedürftig. Aber zum Glück nicht durchgehend so.

Fazit: Eine ansprechende und hoffnungsvolle Geschichte mit einigen stilistischen Schwächen.

Bewertung vom 13.12.2025
Lebensbande
Borrmann, Mechtild

Lebensbande


ausgezeichnet

Schicksalhafte Verbindungen

Da Mechtild Borrmann eine meiner Lieblingsautor*innen ist, war klar, dass ich ihren neuen Roman lesen würde. Was für ein Vergnügen, ihren unverwechselbaren Schreibstil und ihr Gabe für fesselnde und herzergreifende Geschichten zu genießen…

Nach einer Ode an die Freundschaft in dem Prolog nimmt die Autorin die Leser auf eine bewegende Reise in einigen der dunkelsten Stunden Deutschlands mit. Nach einem unbeschwerten Jugend lernt die Rheinländische Lene das Leben in einem anderen Licht kennen. Ihr geliebter Sohn ist im dritten Reich unerwünscht und wird ihr weggenommen. Die Krankenschwester Nora wird Lene zur größten Unterstützung, um der Junge zu retten. So entsteht eine Verbindung fürs Leben. Nach dem Rheinland wird Nora nach Danzig versetzt und lernt Lotte kennen, mit der auch ein „Lebensband“ verknüpft wird.

Mehr über die Geschichte von Lene, Nora und Lotte darf ich gar nicht erzählen. Eins ist aber sicher: Mechtild Borrmanns neues Meisterwerk bietet spannende und rührende Lesestunden. Die Erzählstränge bieten Einblicke in unterschiedlichen Epochen und Orte. Diese werden sehr glaubhaft beschrieben, so dass man sich die verschiedenen Stationen und Situationen sehr gut vorstellen kann. Die Autorin reißt den Leser in einem unaufhaltsamen Gefühlskarusell mit, das ein ziemlich vorhersehbares Ende ausgleicht. Es wird schwierig, das Buch beiseitezulegen.

Bewertung vom 02.11.2025
Provenzalischer Wintergenuss
Bonnet, Sophie

Provenzalischer Wintergenuss


ausgezeichnet

Eine gastronomische Einladung in die herbstliche und winterliche Provence

In ihrer provenzalischen Krimireihe um Pierre Durand in Sainte Valérie steht normalerweise Charlotte am Herd. In diesem hochwertigen Kochbuch hat Sophie Bonnet selbst die Schürze angezogen und liefert zahlreiche, vielfältige, Herbst- und Winterrezepte aus der Provence.

Sie lässt auch ihrer Leidenschaft für die Provence freien Lauf und berichtet über die Weihnachtstraditionen der Region, wie die des „blé de la Sainte Barbe“ oder der „treize desserts de Noël“. Auch einige Zutaten, wie die „châtaigne“ (Maronen) und die Trüffel erhalten einen besonderen Platz in ihrem Kochbuch.

Jedes Rezept wird gut erklärt und von einem wunderschönen appetitanregenden Foto des Gerichts begleitet. Es werden gängige Zutaten genutzt, die in den meisten Supermärkten zu finden sind. Auch die Zubereitung erfordert in den meisten Fällen keine langjährige Erfahrung als Koch oder Köchin. Und trotzdem werden die vorgestellten Gerichte die ganze Familie, sowie alle Gäste beeindrucken.

Für Lokalkolorit sorgen außerdem die Namen der Gerichte in Molières Sprache. Kein Grund zur Panik: Die Untertitel in Goethes Sprache unterstützen die Leser*innen, die kein Französisch in der Schule hatten.

Im Gegensatz zu Kochbüchern einiger selbstverliebter, berühmter Köche entdeckt man die Autorin nur selten auf den zahlreichen Fotos. Bei ihr stehen Zutaten und Gerichte, so wie Eindrücke aus der Provence, wirklich im Scheinwerferlicht.

Dieses Kochbuch trifft mit seinen Rezepten vollkommen meinem Geschmack. Viele Gerichte werden ihr Weg auf unseren Esstisch in den nächsten Herbst- und Wintermonaten finden. Die Eindrücke und Fotos laden zu einer zauberhaften Reise in die Provence in einer unüblichen aber wunderschönen Jahreszeit. Eine Zeit ohne Trubel, die Pierre und Charlotte wahrscheinlich auch sehr genießen… Für ihre Fans das perfekte Weihnachtsgeschenk…

Bewertung vom 24.10.2025
Das Jahr voller Bücher und Wunder
Page, Libby

Das Jahr voller Bücher und Wunder


ausgezeichnet

Ein Jahr voller Bücher ist für Vielleser*innen, wie Matilda „Tilly“ Nightingale es mal war, selbstverständlich. Ihr Leidenschaft für Bücher hat leider unter der tödlichen Krankheit ihres Ehemannes stark gelitten. Bevor der Tod sie trennte, hat sich der liebenswerte Joe eine wunderschöne Idee einfallen lassen, damit die Lebensfreude wieder ins Leben seiner geliebten Tilly einzieht: Ab ihrem ersten Geburtstag nach Joes Tod soll Tilly monatlich und für ein Jahr ein Buch und einen Brief bekommen.

„Querbeet“, wie einige Leser*innen ihre Lektüren beschreiben, bezeichnet gut die Bücher, die Joe für Tilly ausgesucht hat. Sie geben Tilly neue Gründe, das Leben zu lieben. Auch die kleine unabhängige Buchhandlung Book Lane und ihre Gemeinschaft begleiten Tilly auf ihrem Weg der „Besserung“. Der Buchhändler Alfie Lane hat ein bisschen was von einem Zauberer, der seinen Kunden immer das passende Buch anbietet.

Laut Tilly weiß man bei einem der den zwölf Büchern (dem Liebesroman einer berühmten Autorin) von Anfang an, wer mit wem zusammenkommt. Aber, man möchte das Buch dennoch lesen und wissen, was geschieht. Mit diesem Roman, dessen Protagonistin die gleiche Tilly ist, geht es dem Leser nicht anders: Die Ausgangssituation ist auch ziemlich vorhersehbar. Aber, der Weg dahin birgt viele Überraschungen und neue Erfahrungen für Tilly und die Leser.

Die Geschichte ist sehr unterhaltsam und die relativ kurzen Kapitel machen aus diesem Buch einen wahren Pageturner. Libby Pages Schreibstil ist zauberhaft und verleiht den liebenswerten Protagonisten eine gewisse Zärtlichkeit und eine verträumte Dimension. Das verstärkt die Magie, die Tilly und Alfie Seite für Seite ausstrahlen.

Obwohl das dunkle Cover mit dem Schneekugel was magisches an sich hat und mir unabhängig vom Buch sehr gefällt, passt es nicht wirklich zur Geschichte. Der Roman dagegen verfehlt sein Ziel nicht: Es hat alles, was es braucht, um sich einen guten Platz bei den Feel-Good-Roman zu machen. Die kurzweiligen Lesestunden sind Balsam für die Seele!

Fazit: Das perfekte Feel-Good-Roman für die dunkle Jahreszeit! Auch ein schönes Geschenk für Vielleser…

Bewertung vom 20.09.2025
Die Briefeschreiberin
Evans, Virginia

Die Briefeschreiberin


sehr gut

Eine leidenschaftliche Briefeschreiberin mit Geheimnissen

Die Briefeschreiberin, die dem Roman ihren Titel gegeben hat, ist die in Maryland allein lebende Rentnerin Sybil van Antwerp. Ihr langjähriges Hobby gewährt sie mehrere Tage pro Woche und korrespondiert mit einer Vielzahl von unterschiedlichen Menschen. Mit den einen besteht eine langjährige Beziehung. Die anderen lernt Sybil über die Jahre kennen.

Das Buch fasst nicht alle Briefe und Emails, die Sybil in den vom Roman gedeckten zehn Jahren geschrieben und erhalten, zusammen. Aber, die Vielfalt der Briefe entspricht der Vielfalt ihrer Austauschpartner und bringen Sybils Persönlichkeit und Vergangenheit ans Licht.

Der Briefroman ist eine besondere Form der Literatur und pflegt einige Eigenheiten, die schwer auf die Geschichte wirken können. Virginia Evans ist es gelungen, einen glaubwürdigen Briefroman mit Spannung, Wendungen und einem gut eingefädelten Plot zu schreiben. Es liegt unter anderem daran, dass jeder Briefeschreiber seinen eigenen Schreibstil hat, der Alter, persönlichen Hintergrund und Erfahrung entspricht. Sybils Stil, dank ihre Leidenschaft fürs Lesen und Schreiben, klingt reif und routiniert, manchmal auch poetisch. Dagegen merkt man, dass ein Harry Landy oder eine Caroline Dobsen viel weniger erfahren sind.

Der Leser wird Seite für Seite Voyeur einer herzergreifenden Geschichte und erlebt in diesem packenden Briefroman die Höhen und Tiefen von Sybils Alltag und Vergangenheit. Ob geschickt oder nicht, das Schreiben von Briefen ist eine wirksame Methode, sein Leben zu verarbeiten.

Bewertung vom 20.09.2025
Apfelzeit am Deich
Lamberti, Frieda

Apfelzeit am Deich


gut

Familienfehde im Alten Land

Die Norddeutsche Merle Börnsen verdient ihr Lebensunterhalt als Flugbegleiterin. Durch ihr Arbeit hat sie einen Pilot kennengelernt, mit dem sie liiert ist. Die Scheidung ihrer Eltern hat Spuren in der ganzen Familie hinterlassen, so dass sie unter vorzeitiger Midlifecrisis leidet und sich für eine Pause im Alten Land bei Oma Grete entscheidet.

Für die Lokalkolorit sorgt das Cover mit dem für das Alte Land charakteristischen Fachwerkhaus und den Apfelbäumen. Die Geschichte wurde mit einigen Ortsnamen und Apfelsorten gespickt. Aber, die Beschreibungen, Erklärungen und Traditionen dieser wunderschönen Gegend hinterm Elbdeich sind rar und ziemlich fad für meinen Geschmack.

Geschichte und Protagonisten haben Potential. Dieser wird aber nicht immer ausgeschöpft. Die Familie Börnsen ist zum Beispiel unergründlich zerstritten. Der Leser wird aber mit einer skizzenhaften Begründung abgespeist. Dadurch wirken die Figuren karikaturenhaft und ihre Beweggründe oft lächerlich.

Dank der ständig wechselnden Perspektiven, fliegt man durch die Kapitel, so dass man diesen unterhaltsame Roman im Nu verschlungen hat. Frieda Lambertis flüssiger und angenehmer Schreibstil, so wie die zahlreichen Wendungen, verleihen der Geschichte Elan und Leichtigkeit. Genau das rettet diesen Roman von einer Bauchlandung.

Fazit: Dieser Roman bereitet einige Entspannungsstunden im Alten Land. Unvergesslich ist er allerdings nicht.

Bewertung vom 20.09.2025
Die Holunderschwestern
Simon, Teresa

Die Holunderschwestern


ausgezeichnet

Die Erbschaft einer bayerischen Familie

Eines Tages erhält die junge Restauratorin Katharina Raith aus München einen Besuch aus England, der ihr Leben und das ihrer Familie verändern wird: Alex Bluebird aus London bringt ihr die Tagebücher, die ihre Urgroßmutter Franziska „Fanny“ Raith zwischen beiden Weltkriegen geschrieben hat. Alles, was Katharina über ihre Familie zu wissen glaubt, nimmt einen anderen Geschmack…

Durch den Aufbau in zwei Zeitebenen erlebt der Leser hautnah einige Ereignisse der bayerischen und deutschen Geschichte, wie die Münchner Räterepublik, die wachsende Macht einer gewisseren Partei und und die Anfänge der Judenverfolgung, mit. Teresa Simon bereitet den Leser aber auch einige freudige Begegnungen mit berühmten Künstlern dieser bewegten Zeiten und spannende Momente mit Katharina und ihrer Familie.

In der Gegenwart entwickelt sich der Plot nach einem sehr voraussehbaren Plan, so dass man auch einige Ereignisse der Vergangenheit erraten kann, bevor sie wirklich beschrieben werden. Jedoch wird die Geschichte nie langweilig dank gut ausgearbeiteten Figuren und detailreichen Beschreibungen der von Fanny gekochten Rezepte und des von Katharina geübten Berufs.

Teresa Simon weiß, wie man eine spannende Geschichten über die Geschichte schreibt und in ihr historische und kulturelle Einzelheiten webt. Im Nachwort verrät sie uns, wo sie ihre Inspiration für diesen Roman gefunden hat… Es erklärt auch, wieso ich bei dieser Lektüre mich zutiefst berührt fühlte. Zusätzlich zu den wunderbaren Lesestunden, schenkt die Autorin allen Lesern ein Stück Familienerbes: Fannys Rezepte wurden zum Nachkochen niedergeschrieben. So bleibt die Geschichte in Erinnerung…

Bewertung vom 16.07.2025
Provenzalisches Licht / Pierre Durand Bd.11
Bonnet, Sophie

Provenzalisches Licht / Pierre Durand Bd.11


ausgezeichnet

Willkommen in der Modehauptstadt Sainte-Valérie

Im 11. Band der Krimireihe um Pierre Durand, den Dorfpolizisten von Sainte-Valérie, entführt Sophie Bonnet die Leser*innen in der Modewelt. Die Modeschau eines berühmten Designers soll nach einem Mord und Morddrohungen nach Sainte Valérie verlegt werden. Hektik und Enthusiasmus herrschen im kleinen provenzalischen Dorf.

Sophie Bonnet liefert erneut einen perfekt eingefädelten und spannenden Plot, der sich um die Indiennes (die provenzalischen Stoffe) und verschiedene Aspekten der Modewelt. Wie immer ist die Lösung das Ergebnis einer akribischen und fesselnden Ermittlungsarbeit, an der Pierre Durand einen aktiven Teil hat. Mehr dazu darf ich nicht verraten.

Wie gewohnt werden in einer raffinierten Weise verschiedene interessanten Themen und Spuren, die zum Täter führen (oder nicht), zusammen gewoben. In diesem Band kommen brandaktuelle Fragen, wie (Ultra-)Fast Fashion und die damit verbundenen Problemen, zur Sprache.

Die im unverwechselbaren Schreibstil der Autorin beschriebenen Orte bringen den Leser*innen die wunderschöne Atmosphäre der Provence nach Hause. Lokalkolorit hoch zehn… Auch die liebevolle Dorfgemeinschaft von Sainte-Valérie wird wieder in diesem Roman vollständig einbezogen. Sie gehört ganz zum Universum dieser Krimireihe, genauso wie die inspirierenden Rezepte am Ende des Buches.

Fazit: Wieder ein umwerfendes Rezept à la Sophie Bonnet! Von der ersten bis zur letzten Seite spannend!

Bewertung vom 09.06.2025
Zypressensommer
Simon, Teresa

Zypressensommer


sehr gut

Auf Nonnos Spuren in der Toskana: eine verkannte Geschichte

Einige Wochen nach dem Tod ihres Großvaters begibt sich die Hamburgerin Julia Matthiesen nach Lucignano in der Toskana. Ihr Nonno Gianni ist dort vor dem zweiten Weltkrieg aufgewachsen und hat Julia eine Liste gelassen, die sie zu entziffern versucht. In Lucignano scheint keiner Gianni Conti zu kennen, nicht mal der gutaussehende Matteo, der den gleichen, im Dorf seltenen, Nachname teilt. Bei der Recherche in der italienischen Vergangenheit ihres Nonnos entdeckt Julia, welches tragische Schicksal die Gegend um Lucignano im zweiten Weltkrieg erfahren musste.

Durch den Aufbau in zwei Zeitebenen erlebt der Leser hautnah einige der dunkelsten Kapitel der italienischen Geschichte mit. In ihrer Familie Conti hat Teresa Simon zwei ungleiche, aber beide interessante und liebenswerte Brüder geschaffen, die keine unterschiedlicheren Wege hätten einschlagen können. Der erstgeborene Gianni wurde als italienische Soldat verhaftet und nach Norddeutschland deportiert, wo er wie über einem halben Million Landsmänner als italienische Militärinternierter (IMI) versucht zu überleben. Sein Bruder Vito hat sich der Resistenza angeschlossen und kämpft als italienische Partisan in den toskanischen Bergen, um sein Land zu befreien.

Im gleichen Zeitebene bewegen sich auch zwei starke Frauen: Marieke in Hamburg und Giulia in Lucignano, die beide eine Rolle in Giannis Leben spielen. Die Italienerin, die als Stafetta die Resistenza unterstützt und jede Nacht ihr Leben riskiert, stellt die Vergangenheit dar, die er als IMI nicht mehr erreichen kann. Die Hamburgerin, die Gianni trotz aller Risiken unterstützt, ist letztendlich seine Zukunft.

In der Gegenwart entwickelt sich der Plot nach einem sehr voraussehbaren Plan, so dass man auch einige Ereignisse der Vergangenheit erraten kann, bevor sie wirklich beschrieben werden. Ein Glück auch, dass so viele Leute, auch Unbeteiligte, Deutsch sprechen und Julia auf ihrer Suche helfen können. Vielleicht nicht immer ganz realistisch, aber für die Spannung nötig.

Und Teresa Simon weiß, wie man eine spannende Geschichten über die Geschichte schreibt und in ihr historische und kulturelle Einzelheiten webt. Ein schönes Beispiel dafür ist der Albero d‘Oro, der Lucignanos ganzer Stolz ist. Ich musste unbedingt einige Fotos suchen, um seine überirdische Schönheit zu bestätigen. Zu der Region gehört auch die toskanische Gastronomie, der die Autorin am Ende des Buches mehrere Seiten widmet. So lecker sie auch klingen (und ich werde sicherlich das eine oder andere probieren), fand ich die zahlreichen Rezepte am Ende des Buch überflüssig, wenn nicht sogar unangebracht, in Anbetracht der schrecklichen Ereignisse, über die in diesem Roman berichtet wird.

Fazit: In Julias Begleitung habe ich eine wunderschöne und geschichtsträchtige Gegend kennengelernt. Auch die historischen Ereignisse und Einzelheiten, so wie der Nachwort, waren höchst interessant. Dieser Roman bietet lehrreiche und unterhaltsame Lesestunden bei einer faszinierenden Suche in verkannten Episoden der zweiten Weltkrieg.