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nessabo

Bewertungen

Insgesamt 131 Bewertungen
Bewertung vom 17.04.2025
Die Summe unserer Teile
Lopez, Paola

Die Summe unserer Teile


gut

Ein interessanter Aufhänger, aber mir zu wenig Tiefgang

Ich finde Familienromane über mehrere Generationen hinweg und dann noch mit verschiedenen Erzählperspektiven richtig toll und habe mir deshalb auch von diesem viel erwartet. Ganz enttäuscht wurde ich nicht und doch ist „Die Summe unserer Teile“ für mein Empfinden einfach ein wenig zu kurz für sein Vorhaben.

Wir begleiten drei Generationen von Frauen in der Wissenschaft und erfahren nach und nach, vor allem durch Lucy als jüngste Generation, mehr über die Geheimnisse sowie Herausforderungen aller Figuren. Festgefahrene Rollenverteilungen, Sexismus in der Wissenschaft, Weitergabe von Traumata an die eigenen Kinder - wirklich interessante Aspekte, die mir doch leider alle zu kurz kamen. Viel wurde angeschnitten, aber bevor es für mich emotional wirklich greifbar wurde, war die Szene schon wieder vorbei.

Die emotionale Distanziertheit wird durch die Wahl der dritten Person als Erzählperspektive noch einmal verstärkt, weshalb ich sie nicht optimal fand. Die Autorin schreibt auch allgemein eher bildhaft und atmosphärisch, Emotionen werden selten vorgegeben. Damit habe ich auch nicht grundsätzlich ein Problem, gern mache ich mir selbst ein Bild. Hier fehlte es mir für diesen Prozess jedoch oft an weiteren Informationen und Zusammenhang.

Für Daria als Lucys Mutter hatte ich am Ende am meisten Verständnis und auch die Enthüllungen rund um Lyudmilas Vergangenheit haben mich betroffen gemacht. Lucy nimmt jedoch am meisten Raum ein und gerade ihre Parts blieben mir bis zum Schluss größtenteils nicht greifbar. Fast wirkte es auf mich so, als ob sie gar nicht Teil der Handlung wäre, sondern vor allem Informationen beschaffen soll.

Das Ende bleibt offen und auf seine eigene Art unversöhnlich, was ich aber in Ordnung fand. Alles andere hätte ich als zu naiv kritisiert. Und so bleibe ich etwas zwiegespalten zurück. Der Roman hat für mich sein Potenzial nicht ausgeschöpft und war mir in der Charakterentwicklung zu oberflächlich. Hier hätte ich eindeutig noch mehr Seiten gebraucht. Trotzdem thematisiert die Handlung einige wichtige Aspekte, wie z. B. Mental Load, subtil und ohne viel an Interpretation vorzugeben. Ein Buch für Menschen, die nicht so gern dickere Romane lesen, Atmosphäre wichtig finden und sich am liebsten selbst eine Meinung bilden.

3,5 ⭐️

Bewertung vom 14.04.2025
Männer töten
Reisinger, Eva

Männer töten


sehr gut

Temporeicher Racheroman, der feministischer hätte sein können

Der doppeldeutige Titel ist großartig gewählt und ich mochte auch die Grundidee. Schon vorweg möchte ich aber anmerken, dass hier das auf dem Klappentext versprochene Matriarchat meiner Meinung nach zu kurz gedacht ist. Das ist sicherlich eine Definitionssache, aber für mich bedeutet ein solches System vorrangig Gleichberechtigung und Solidarität - nicht die Umkehrung des Patriarchats.

Wenn ich das mal beiseite lasse, haben mir Schreibstil und Tempo des Romans extrem gut gefallen. Ich habe ihn fast in einem Rutsch durchgelesen, weil er aufgrund der nüchternen Sprache mit kurzen Sätzen einfach auch leicht zu inhalieren ist. Nachteil einer solchen Sprache ist natürlich, dass es hier emotional weniger nahbar wird - auch, weil die dritte Person als Perspektive gewählt wurde. Oft stört mich das, aber hier irgendwie nicht. Vielleicht, weil es sowieso schon harter Stoff ist, der gleichzeitig durch die Männermorde ins Absurde gedreht wird. Zusätzliche Emotionen hätten mich an der Stelle wohl eher überfrachtet.

Die Figuren gehen mit den Geschichten im Ort, den eigenen Taten und den „verschwundenen“ Männern auf eine schwarzhumorige Art um, die mir gut gefallen hat. Das konnte die schweren Passagen rund um 6ualisierte und häusliche Gewalt doch hinreichend auflockern. Die Charaktere fand ich interessant, wenn auch nicht sonderlich vielschichtig, und überwiegend angenehm in ihrem Umgang untereinander. Die Autorin bringt zudem immer wieder die ernüchternde Realität rund um Femizide und Täterschutz zur Sprache, auch eine grundlegende Gesellschaftskritik in Bezug auf menschenfeindliche Ideologien blitzt am Rande auf.

Nicht gefallen hat mir die Romantisierung der Tierhaltung auf dem Land. Wenn Tiere ermordet und ausgebeutet werden, ist es moralisch reichlich egal, ob sie dann wenigstens viel Platz und frische Luft hatten. Auch der völlig normalisierte Alkoholkonsum nervt mich doch immer wieder auf’s Neue. Und schließlich fand ich das Ende ziemlich unbefriedigend. Leerstellen wurden auch schon vorher wiederholt gelassen, doch konnte ich sie da noch gut füllen. Vielleicht soll der Schluss den Kontrollverlust darstellen, aber gefallen hat er mir dennoch nicht.

Weil ich den Roman aber thematisch spannend und schriftstellerisch schlicht mitreißend fand, empfehle ich ihn gern. Er wagt den Versuch, grundlegend gewaltvolle Strukturen zu dekonstruieren und gibt dabei nur ansatzweise Emotionen vor. Mittels der Umkehrung kommt mensch nicht umhin zu fragen, wie Hunderte von (versuchten) Femiziden pro Jahr gesellschaftlich als Einzelfälle normalisiert werden können. Es lohnt sich sicherlich, ein kritisches Auge beim Lesen zu bewahren und das Gelesene logischerweise nicht als Utopie zu verstehen, aber abstrahiert steckt doch auch viel Gutes in diesem Buch.
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[TW: Vergew@ltigung, physische/patriarchale Gewalt, M0rd]

Bewertung vom 11.04.2025
Behindert und stolz
L'Audace, Luisa

Behindert und stolz


ausgezeichnet

Leicht verständlich und eindringlich - absolute Pflichtlektüre!

Luisa L’Audace ist mir als Aktivistin bereits bekannt und ich durfte schon viel von ihr lernen. Daher war ihr Buch in vielen Bereichen eine Auffrischung bereits vorhandenen Wissens, ich konnte aber auch noch einmal neue Zusammenhänge verstehen.

Die Autorin hat einen tollen Schreibstil, der eindringlich und zugleich sehr verständlich ist. Gleichermaßen empfehlen kann ich außerdem das von ihr selbst hervorragend eingesprochene Hörbuch. L’Audace webt in grundlegendes Wissen rund um Ableismus immer wieder persönliche Geschichten ein, was den Text unglaublich nahbar macht. Manchmal hätte das Private für mich strukturell zwar noch klarer vom Faktischen abgegrenzt sein können, aber das hat mich insgesamt nicht nennenswert gestört.

Das Werk ist wirklich ein absolutes Muss, gerade weil es so wenig Sichtbarkeit für Ableismus und die unter ihm leidenden Menschen gibt. Es enttarnt die zugrundeliegenden Denkmuster und verflicht diese Diskriminierungsform mit anderen. So konnte ich noch einmal neu verstehen, wie stark immer auch Kapitalismuskritik mit Anti-Ableismus einhergehen muss. Denn das Denken, Menschen seien aufgrund unterschiedlicher Leistung unterschiedlich wertvoll, ist untrennbar mit dem kapitalistischen System verbunden. Besonders die geschichtlichen Hintergründe rund um Eugenik allgemein und die NS-Zeit ganz konkret haben mich extrem berührt - ebenso wie die Erinnerung an gegenwärtige Opfer ableistischer Gewalt.

„Behindert und stolz“ kann ich als Einstiegswerk gar nicht deutlich genug empfehlen. Es macht so betroffen wie wütend und schafft es, trotz aller Frustration noch kämpferisch zu bleiben. Alle nicht-behinderten Menschen sollten es lesen, aktiv gegen Barrieren sowie fehlende Teilhabe angehen und lernen, dass Behinderung ein willkürlich geschaffenes Konstrukt ist, das ebenso wieder abgeschafft werden kann (und muss).

Bewertung vom 10.04.2025
The Lesbiana's Guide to Catholic School
Reyes, Sonora

The Lesbiana's Guide to Catholic School


ausgezeichnet

Lesenswerter Coming-of-Age-Roman mit viel Herz, Humor und Ernsthaftigkeit

Mir hat dieser thematisch vielfältige Roman wirklich außerordentlich gut gefallen. Ich kann mir Yami richtig gut als Protagonistin einer Serie vorstellen, weil sie mich an Devi aus „Never have I ever“ erinnert hat. Sie ist einfach eine sehr zugängliche, direkte und nahbare Figur, die ich emotional oft gut nachvollziehen konnte und äußerst authentisch fand.

Mit einem tollen Humor und ganz viel Herz hat Sonora Reyes hier eine diskriminierungssensible Geschichte geschrieben, in welcher them wohl viel aus eigener Erfahrung spricht. Und das macht sich darin bemerkbar, dass der Text wirklich extrem einfühlsam und verständlich geschrieben ist. Gleichzeitig bespricht das Buch auch sehr schwere und wichtige Themen. Es geht um Rassismus und Queerfeindlichkeit, ganz besonders in einem katholisch geprägten Umfeld, aber auch um mentale Gesundheit. Ich finde es sehr gut, dass Reyes diese Themen hier in einen Roman gepackt hat, der eine junge Zielgruppe adressiert.

Damit komme ich zu einem ersten kleinen Kritikpunkt: Ich fand in einigen Szenen zu klar auserzählt, was die Protagonistin gerade denkt, ohne dass sie dann jedoch auch die Schlussfolgerung zieht, die mir aufgrund der Informationslage ziemlich klar erschien. Vielleicht, und das ist mir ganz wichtig abzugrenzen, liegt es aber daran, dass ich nicht die Haupt-Zielgruppe bin. Eventuell ist es für eine jüngere Leser*innenschaft wichtig, die Dinge konkreter zu formulieren und weniger zwischen den Zeilen zu belassen. Von daher ziehe ich hier auch nichts von der Wertung ab.

Wofür ich jedoch einen halben Stern abziehe, ist die Glaubwürdigkeit einiger Nebenfiguren. Vielleicht bin ich da auch naiv, aber ich fand den Charakterumschwung mehrmals zu drastisch und damit etwas unglaubwürdig. Das mag durchaus auch der Realität entsprechen und doch hat es mich spürbar gestört.

Das Buch ist insgesamt aber zu gut, um da sonderlich viel zu kritisieren. Die Protagonistin erobert sich im Verlauf der Handlung Raum, was ich sehr empowernd finde. Die farbenfrohe Gestaltung des Romans selbst passt hervorragend zur Kraft seiner Figuren. Er geht absolut mit der Zeit und erinnert in der liebenswerten Art vieler Charaktere an „Heartstopper“, was ihn für mich zu einer klaren Leseempfehlung macht - ganz besonders, aber nicht nur, für ein junges Publikum.

4,5 ⭐️

Bewertung vom 03.04.2025
Das Fest
Fricke, Lucy

Das Fest


ausgezeichnet

Eine schlau konstruierte Geschichte

„Das Fest“ ist mein erstes Buch von Lucy Fricke und ich war sehr begeistert. Sie schafft es meisterinnenhaft, subtile Botschaften ohne viele Schnörkel zu vermitteln.

Überwiegend habe ich das Buch als Hörbuch gehört und fand es von Bettina Hoppe wirklich großartig eingesprochen. Sie gibt den Figuren Lebhaftigkeit und macht ihre Unterscheidung voneinander leichter. Denn, und das wäre mein einziger Kritikpunkt, im Text selbst arbeitet Fricke zwar mit direkter Rede, jedoch ohne Anführungszeichen, was die Unterscheidung von Erzählstimme und Dialog nicht immer leicht macht.

Abgesehen von meiner formellen Kritik war ich jedoch vom Inhalt hin und weg! Jakob ist von seinem 50. Geburtstag alles andere als begeistert, blickt pessimistisch in die Zukunft und möchte dem Tag am liebsten keinerlei Aufmerksamkeit schenken. Seine Freundin Ellen sieht das jedoch anders und so reisen wir an Jakobs Seite in seine Vergangenheit ohne uns aus der Gegenwart wegzubewegen.

Die geschickte Erzählweise hat mir in ihrer Verschränkung von Vergangenem und Gegenwärtigem richtig gut gefallen. Die Sprache ist schörkellos und klar, transportiert jedoch subtil ganz viel. Während Jakobs Körper regelrecht tragikomisch innerhalb eines Tages rasant verfällt, wächst er auf mentaler und sozialer Ebene fast über sich hinaus. Die Handlung ist schlau konstruiert, alles wirkt organisch und doch manchmal auch auffällig schicksalhaft. Alle Figuren sind glaubhaft, vielschichtig und in ihrer Aufrichtigkeit herzerwärmend. Außerdem geht es in der Geschichte nicht nur um Jakob, was ich besonders am Ende einen schönen Twist fand.

Fricke schenkt uns hier eine sehr kurzweilige Geschichte rund um Vergebung, Zwischenmenschliches im Allgemeinen und Liebe im Speziellen. Der Roman ist auf seine besondere Art inspirierend, ohne dabei das Leben zu romantisieren. Er kommuniziert stattdessen ganz klar: Das Altern ist von Veränderungen geprägt, die Angst machen können, aber gemeinsam besser auszuhalten sind.

4,5 ⭐️

Bewertung vom 02.04.2025
Geht so
Serrano, Beatriz

Geht so


ausgezeichnet

Eine Kapitalismuskritik voller Biss, Zynismus und trockenem Humor

Marisa befindet sich in dem Widerspruch, in welchem sich wohl alle kapitalismuskritischen Menschen befinden: Sie durchblickt die Wirkweisen von Werbung, Patriarchat und Wettbewerbskultur, kann sich selbigen aber nicht vollends entziehen. Stattdessen arbeitet sie sogar selbst seit Jahren in einer Werbeagentur und trägt so auch aktiv zu unnötigem Konsum bei. Die Protagonistin ist von ihrem Bullshit-Job abgrundtief gelangweilt und versucht, so wenig wie möglich in ihn zu investieren. Deshalb tut sie 90 % der Zeit eigentlich nur so, als würde sie gerade etwas ganz Wichtiges erledigen oder wäre völlig von den Socken ob eines neuen Produkts, welches wieder einmal absolut gar keinen Mehrwert für die Menschen haben wird.

Der Text ist bissig und stellenweise bitterböse, was ich thematisch absolut passend und einfach großartig fand! Mehrfach habe ich laut aufgelacht, obwohl die Situation eigentlich zum Schreien wäre. Wer kein Problem hat mit trockenem Humor und Zynismus, wird das bestimmt ähnlich empfinden.

Primär habe ich mit der Protagonistin mitgelitten, aber richtig sympathisch wurde sie (und damit auch die Autorin) mir aufgrund von 2 Stellen. Zum einen ist sie überaus freundlich zu den Stadttauben, die sie trifft, und erkennt deren Wert als zu Unrecht verachtete Wesen an. Zum anderen gibt es eine kurze Sequenz, in der über 6arbeit als das gesprochen wird, was sie eben ist: Arbeit. Nicht mehr und nicht weniger, hier wird weder glorifiziert noch verteufelt. Wir alle müssen Geld verdienen und wenn wir das nicht müssten, würden wir wahrscheinlich nicht lohnarbeiten - egal, in welchem Feld.

Die erste Hälfte des Buches war schon echt deprimierend, weil Marisa so feststeckt in ihrem nachvollziehbaren Frust und dabei auch ziemlich isoliert ist. Aber dann liefert uns die Autorin glücklicherweise Erleichterung in Form eines tollen Gesprächs mit einer früheren Freundin. Beide öffnen sich, sind ehrlich miteinander und können darüber connecten. Das war Balsam für’s Herz und kommuniziert deutlich: Ein Leben im Falschen kann nur im Miteinander irgendwie richtig werden.

Den E-Mail-Verlauf kurz vor Ende fand ich einfach HILARIOUS! 🤣 Zum Schluss selbst habe ich wiederum ambivalente Gefühle und kann nicht abschließend beurteilen, ob ich ihn gelungen fand. Zum einen ändert sich kurzzeitig der Erzählstil, zum anderen ist er einfach ziemlich realitätsfern. Gleichzeitig greift er einen wiederholten Gedanken Marisas auf und ich wüsste auch nicht wirklich, wie die Geschichte besser hätte enden können. Ich spreche deshalb eine klare Leseempfehlung mit Diskussionspotenzial aus.

4,5 ⭐️

Bewertung vom 02.04.2025
Leonard und Paul
Hession, Rónán

Leonard und Paul


ausgezeichnet

Eine ruhige Geschichte über das Glück im Einfachen

Wer eine handlungsgetriebene, spannungsgeladene Geschichte erwartet, wird hier nicht glücklich. Wer aber auf der Suche ist nach einem Buch, das seine überaus liebenswerten Figuren mit viel Ruhe beobachtet, ist mit „Leonard und Paul“ an der richtigen Stelle!

Phasenweise habe ich zudem das Hörbuch gehört, welches ich sehr gut umgesetzt fand und empfehlen möchte. Der Sprecher ist der Besonderheit der Protagonist*innen absolut gerecht geworden.

Der Text selbst ist von einer angenehmen Ruhe geprägt. Es gibt keine überbordenden Krisen im Alltag der Figuren, lediglich das Leben selbst wirft das ein oder andere Hindernis auf, welchem aber stets mit viel Rationalität und Pragmatismus begegnet wird. Dabei empfinde ich die Geschichte aber nicht als grundlegend langweilig, wenn nur mit der entsprechenden Erwartung an sie herangegangen wird.

Leonard wohnt nach dem Tod seiner Mutter allein im Haus und verbringt neben seinem Beruf als Ghostwriter von Kinderlexika viel Zeit mit seinem besten Freund Paul. Beide sind von ähnlichem Naturell: sanft, introvertiert, geduldig, überlegt und auf Korrektheit im Umgang mit anderen bedacht. In ihren Dialogen, die das gemeinsame Spielen begleiten, tauschen sie sich in einer solchen Detailverliebtheit über vermeintlich Unwichtiges aus, dass ich als Leserin die Situation auf gutmütige Art unterhaltsam fand. Beide sind Menschen, die wohl oft als „eigenartig“ einklassiert werden und mir gefällt sehr, dass der Autor diesen fragwürdigen Impuls bei den Lesenden aufzubrechen vermag.

Auch die Nebenfiguren wie Pauls Schwester Grace, deren Verlobter Andrew sowie Pauls Eltern Peter und Helen sind einfach durch und durch liebenswerte Charaktere. Dabei schafft der Autor es, sie nicht unauthentisch oder romantisiert zu zeichnen, sondern auf herzerwärmende Art glaubhaft. Sie sorgen sich umeinander, sind sicherlich nicht perfekt, aber einander stets zugewandt und einfach freundlich.

Gleichzeitig wird die klare, beobachtende Sprache von einem feinen Humor begleitet, die sich aus der Kuriosität so mancher Situation, der seitens der Figuren mit absoluter Ernsthaftigkeit begegnet wird, speist. Etwa, wenn Paul voller Tatendrang versucht, für einen Wettbewerb die perfekte E-Mail-Grußformel zu entwerfen - nicht des Gewinnes wegen, sondern aus reiner Hilfsbereitschaft. Und ich sage mal so: Das Ergebnis hat mich ebenso amüsiert wie begeistert! 😅

Ein wirklich tolles Buch, das aufgrund seiner Ruhe eine Alltagsflucht sein kann, dadurch aber auch ein paar Längen hat. Wen das zu sehr stört, kann auf das Hörbuch zurückgreifen und wird da sicher glücklicher werden. Ich fand beide Formen gut, halte die richtige Erwartungshaltung bei diesem Buch aber für ein Schlüsselelement. Die Einfachheit der Figuren und deren Glücks ist auf unpathetische Art inspirierend und hat mir schlicht gut getan.

4,5 ⭐️

Bewertung vom 02.04.2025
Heartsick
Stephens, Jessie

Heartsick


ausgezeichnet

Eines der besten Bücher, die ich je gelesen habe

Dieses Buch hat mein Leben verändert. Und das meine ich völlig ohne Übertreibung und Pathos. Es ist einfach ein unglaublich schlaues Werk, ein Zuhause für viele unliebsame Gefühle, ein Jahreshighlight, ein süchtigmachendes Buch.

Jessie Stephens erzählt anonymisiert die Geschichten von drei echten Menschen, ganz konkret deren Liebe, dem Verlust dieser Liebe und allem, was danach passiert. Ich mag Bücher, die in der Lage sind, Gefühle stehen zu lassen, ihnen Raum zu geben und nicht den Anspruch haben, irgendetwas heile zu machen.

Und genau das passiert in „Heartsick“ auch nicht. Es ist von vornherein völlig klar, wie die Geschichten der drei Menschen enden werden. Damit tut es beim Lesen auch schon von Anfang an weh, obwohl Vieles gut erscheint. Alle porträtierten Personen sind absolut spannend. Ana ist seit 25 Jahren in einer Ehe mit Kindern, liebt aber auch einen anderen Mann und gerät angesichts der zu fällenden Entscheidung in einen Strudel aus Aufregung, Lügen und vor allem Schmerz. Patrick hat seine erste Beziehung mit Caitlin und wir dürfen ihn bei all dem Schönen und Erschütternden begleiten. Claire trifft auf Meggie und was schön beginnt, bekommt irgendwann schlimme Risse.

Das Sachbuch, welches wie ein Roman geschrieben und damit schlicht rasant zu lesen ist, gibt einem Gefühl, das oft existenziell bedrohlich erscheint, einfach wertfrei Raum. Die Charaktere treffen manchmal fragwürdige Entscheidungen, doch das lässt schlicht Raum für die Komplexität menschlichen Lebens und Liebens. Der Schmerz, den ich beim Lesen empfunden habe, sorgt gleichzeitig für das heilsame Gefühl eines Miteinanders. Trauer aufgrund einer Trennung fühlt sich für die Betroffenen fundamental an - warum gibt es für sie gesellschaftlich aber so gar keinen Akzeptanzraum oder wenn, dann nur zeitlich begrenzt? Wieso haben wir keine Trauerrituale, die auch im Falle einer Trennung greifen?

Stephens versucht nicht, diese Fragen zu beantworten, sondern vielmehr Worte zu finden für etwas, das so oft in Einsamkeit verarbeitet oder gar verdrängt wird. Sie schreibt so nah, so respektvoll über diese Menschen, versucht sie nicht in eine Form zu pressen und verwehrt sich jeglichen Urteils. Durch diese Echtheit kann wahrscheinlich jede*r Leser*in etwas aus diesem Werk ziehen und das macht es auch so wertvoll. Ich habe mich besonders in einer Figur so sehr wiedergefunden, dass es mir physische Schmerzen bereitet hat. Gleichzeitig hat es mir aber auch geholfen, einen Teil meines eigenen Lebens noch einmal neu zu betrachten.

„Jede romantische Zurückweisung steht für ein ungelebtes Leben. Für einen Weg, der an einer Klippe endet. […] Ich habe den Eindruck, dass wir diesen Teil unserer Realität nicht ernst genug nehmen.“

Bewertung vom 29.03.2025
Nowhere Heart Land
Lara, Emily Marie

Nowhere Heart Land


weniger gut

Sprunghafte, um sich selbst kreisende Protagonistin - leider kein Buch für mich

Ich schätze den Ansatz und das Verlagsprogramm des Pola-Verlags wirklich sehr, aber die erste Direktveröffentlichung war für mich leider eine herbe Enttäuschung. Das liegt zum einen am Schreibstil, für den mensch wohl einfach gemacht sein muss, und zum anderen an der Hauptfigur, die im Zentrum der Handlung steht. Sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, andere Figuren erscheinen nur am Rand. In solchen Fällen brauche ich entweder eine handlungsgetriebene Erzählung oder eine emotional vielschichtige, nahbare Protagonistin. Beides ist in meinen Augen nicht geglückt.

Rosa ist einfach (und damit steht und fällt meine Bewertung) eine mir unglaublich unsympathische Protagonistin. Sie dreht sich eigentlich die ganze Zeit nur um sich selbst, ihre Vergangenheit und irgendwelche Fantasien zu bereits vergangenen Freundinnenschaften, ohne sich aber auch nur in irgendeiner Form um diese zu bemühen. Sie ist absolut grenzüberschreitend und stalkt so zum Beispiel ihre ehemalige Freundin Leni, verfolgt diese und deren Kinder sogar bei einem privaten Ausflug. Gleichzeitig interessiert sie sich dann aber auch überhaupt nicht für Leni, sondern will nur die eigene Wahrnehmung schildern. Wie kann eine Figur denn so egozentrisch sein und sich dann fragen, warum sich Menschen von ihr abgewendet haben? Auch ihre kurzen Treffen mit Männern sind immer kühl, distanziert und einfach komplett uninteressiert von ihrer Seite aus. Nicht, dass sie irgendwem irgendetwas schuldig wäre, aber wer Beziehungen haben möchte, muss halt auch in sie investieren. Sie hat mich einfach die ganze Zeit nur genervt. Selbst, als sie später im Buch mit Konsequenzen für ihr Handeln bedacht wird, denkt sie noch, dass sie einfach missverstanden ist. Meine Güte! 😠

Rosa ist auch regelrecht besessen von ihrer Vergangenheit im Kloster, was ich in dieser Intensität einfach nicht nachvollziehen konnte. Klar, sie hat ihre Mutter Conny jung verloren, was eine traumatische Erfahrung sein kann. Aber die Beziehung zu Conny wird an keiner Stelle so wirklich emotional beschrieben, sodass ich sie nicht greifen kann und mir das Verständnis für Rosas kindliches Festhalten an allem Alten fehlt. Es findet kein Wachstum statt, keine Selbstreflexion (bis auf wenige Momente), stattdessen säuft sie sich regelmäßig halb in die Bewusstlosigkeit und raucht maßlos. Der Trope ist ja leider noch immer ein zweifelhafter Standard, hier hat er meiner Genervtheit die Krone aufgesetzt. Progressiv finde ich diese Darstellung wirklich nicht.

Als Tag zum Buch wurde auch Klassismus angegeben, was ich für eine fehlleitende Angabe halte. Leni und ihr erfahrener Klassismus sowie die frühere Armut kommen nur in wenigen Sätzen vor, ohne dass es irgendeine Relevanz für die Handlung hat oder Reflexionsprozesse bei mir angestoßen hätte.

Der Schreibstil hat mir leider auch gar nicht zugesagt. Die eingestreuten englischen Phrasen sollen sicherlich Rosas Entfremdung zur Muttersprache und auch zu den deutschen Wurzeln abbilden, ich fand sie aber äußerst unauthentisch gesetzt. Es wird mit einer poetischen, sprunghaften, emotional wenig tiefen Sprache gearbeitet, die mir einfach nicht gefällt. Zu oft war ich nach 3 Sätzen raus aus dem Lesefluss, weil Rosa schon wieder zum nächsten Gedanken springt, bei dem dann manchmal nicht einmal klar ist, ob er der Realität oder ihrer Fantasie entspringt. Teilweise verschwimmen auch die Erzählperspektiven, sodass es sich im späteren Verlauf des Buches irgendwie so anfühlte, wie ich mir eine Psychose vorstelle. Mein Lesefluss wurde zum Ende hin etwas besser, aber bis zum Schluss fehlte mir jeglicher emotionaler Tiefgang und ich behalte das Buch in erschöpfender Erinnerung.

Bewertung vom 27.03.2025
Das Haus über dem Fjord
Valla, Kristin

Das Haus über dem Fjord


sehr gut

Ein ruhiges Buch mit sanftem Tiefgang, aber emotional ziemlich distanziert

Ich finde, dass Kristin Valla hier ein solides Buch mit klarer schnörkelloser Sprache geschrieben hat, welches durch viel Ruhe überzeugt und mich am Ende auch emotional ziemlich bewegt hat. Es hat allerdings seine Längen und weigert sich, die Protagonistin wirklich nahbar zu machen. Die auf dem Klappentext ausgewiesene Spannung kam mir doch etwas zu kurz, da wäre mehr Potenzial vorhanden gewesen.

Elin kehrt in ihre Heimat zurück, trifft dort unter anderem auf eine Jugendliebe und kommt hinter ein großes Familiengeheimnis. Der Roman ist wirklich gut lesbar, auch wenn er im Mittelteil ein wenig schneller hätte sein dürfen. Ich gehe absolut mit den anderen Rezensierenden mit, dass die Protagonistin wirklich sehr distanziert bleibt und emotional nicht sonderlich tief blicken lässt. Irgendwie passt es für mich aber zu dem, was ich von einer norwegischen Figur erwartet habe - auch wenn das vielleicht ein fürchterliches Klischee ist. Somit war ich nicht über die Maßen enttäuscht, obwohl ich emotional vielschichtige Charaktere präferiere.

Am Ende hab ich sogar ein paar Tränen verdrückt, obwohl ich mir die Enthüllungen wirklich deutlich eher erhofft hatte und die Handlung ganz schön vor sich hin plätschert. Das passte wiederum gut zum gewählten Ton und ich habe den Roman gern gelesen, auch wenn er aus den genannten Gründen kein Highlight für mich war. Zu weiteren Büchern der Autorin würde ich wieder greifen, wenn ich eine eher unaufgeregte Lektüre mit sanftem Tiefgang suche.

3,5 ⭐️