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Benutzername: 
Jackolino
Wohnort: 
Rheinland-Pfalz

Bewertungen

Insgesamt 65 Bewertungen
Bewertung vom 04.02.2025
Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben
Decker, Anika

Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben


ausgezeichnet

Anika Deckers neuer Roman widmet sich neben der Liebe und dem Altern einem Thema, das nach dem Klappentext eher nicht vermuten würde: dem Machtmissbrauch in der Filmindustrie.

Der Titel ist geschickt gewählt und macht zumindest neugierig.

Es geht um Nina. Sie ist knapp 50, Mutter zweier erwachsener Kinder und seit einigen Jahren geschieden. Ein Ehevertrag hat sie recht mittellos zurückgelassen, so dass sie froh war, einen schlecht bezahlten Job als Produktionsassistentin in einem Filmstudio zu bekommen. Mit ihrer Kollegin Zeynep kopiert sie tagein/ tagaus Drehbücher und ist erste Anlaufstelle für neue Schauspieler. Beide betreuen zusammen eine Krimiserie mit einem Serienhelden, dem man übergriffiges Verhalten nachsagt.

Nina hat einiges an Familie in der Nähe. Wir lernen ihre Mutter Karin, ihre Schwester Lena mit Familie sowie ihre Kinder Ben und Marie kennen. Dazu kommt ihr Ex-Mann Phil und während einer Geburtstagsparty für Phils neue Kinder begegnet sie David, einem knapp 30jährigen jungen Mann mit ganz viel Charme. Beide verlieben sich ineinander. Dem Himmelhochjauchzend folgt aber schon ganz bald das zu Tode betrübt sein, denn welche Chance hat denn bitte eine Liaison einer 50jährigen mit einem 30jährigen? Bei ihrem Ex hat sich das niemand gefragt, dass er in seinem Alter noch einmal Chancen bei einer jungen Frau hatte und sogar noch Zwillinge gezeugt hat, das hat ihm sogar Respekt und Bewunderung eingebracht. Bei Nina regen sich alle nur auf, und Nina selbst macht da keine Ausnahme. Lediglich David scheint sich von Anfang an nichts aus dem Altersunterschied zu machen und ich würde seine Zuneigung zu Nina auch nicht als Ödipus-Komplex bezeichnen.

Diese Beziehung nimmt im Buch zwar viel Raum ein, mindestens genauso wichtig sind aber die Themen „Altern in der Familie“ und „Sexueller Missbrauch am Arbeitsplatz“. Es war bestürzend zu lesen, mit welchen Mitteln von den Filmproduzenten gegen Opfer von sexueller Gewalt vorgegangen wird. Auch wenn es sich um Fiktion handelt, so wird es doch Parallelen in der Wirklichkeit haben.

Die Geschichte ist jeweils aus der Sicht eines der Protagonisten geschrieben, hauptsächlich kommt die Familie zu Wort, weil es um sehr viel Ungesagtes, um lange zurückliegende Verletzungen geht. Erst als am Krankenbett der Mutter die Situation zwischen Kindern und Enkeln eskaliert und man zum ersten Mal ehrlich miteinander ist, ergibt sich dadurch auch eine neue Basis.

Anika Decker hat ein Buch mit viel Humor geschrieben, die Passagen rund um die Influencerin Lulu und ihre Followerinnen fand ich köstlich und habe mehrere Male laut gelacht. Aber auch Zeynep ist nicht auf den Mund gefallen. Mir ihr kann Nina so ehrlich sein, wie sie es sich mit ihrer Familie gewünscht hätte.

Für mich war das Buch mehr als nur eine Liebesgeschichte zweier Menschen mit einem großen Altersunterschied, gerade auch die anderen Themen gaben dem Buch Tiefe und Gehalt.

Bewertung vom 30.01.2025
Grenzfall - Ihre Spur in den Flammen / Jahn und Krammer ermitteln Bd.5
Schneider, Anna

Grenzfall - Ihre Spur in den Flammen / Jahn und Krammer ermitteln Bd.5


sehr gut

Es handelt sich hier um Band 5 der Reihe um Alexa Jahn und Bernhard Krammer, sie als Kommissarin auf der deutschen Seite der Grenze, er Österreicher, die im ersten Band zu beider Überraschung feststellten, dass sie Tochter und Vater sind.
Immer noch haben beide ihre Schwierigkeiten, eine engere Verbindung zueinander aufzubauen und tatsächlich wissen auch nur die engsten Kollegen der beiden von der verwandtschaftlichen Beziehung.
Dieses Mal geht es um Brandanschläge in der Zeit der Sonnwendfeiern in den Alpen. Sowohl bei einem Unfall als auch bei einem Hausbrand wurde dem Feuer nachgeholfen, bei beiden Anschlägen gab es Todesopfer. Auch auf der österreichischen Seite brennen Villen betuchter Bürger und so kommt es zu einer weiteren gemeinsamen Ermittlung, weil ein Zusammenhang vermutet wird.
In Einschüben „Zuvor“ erfährt der Leser mehr zum Hintergrund und hat damit gegenüber den Ermittlern einen Vorteil. Allerdings führte das auch dazu, dass ich ungefähr ab der Mitte klar sehen konnte, welches Motiv zu den Taten geführt hatte. Das nahm dem Krimi ein wenig die Spannung.
In diesem Band wird oft auf den Fall in Band 4 zurückgegriffen, es hilft, wenn man ihn gelesen hat. Die Beziehungen der Kommissare untereinander sowie mit ihren jeweiligen Partnern oder Ex-Partnern nahmen einen relativ großen Raum ein, was dem Krimi einige Längen bescherte. Für mich war es nicht der stärkste Band der Reihe. Trotzdem bin ich sicher auch bei Band 6 wieder dabei.

Bewertung vom 27.01.2025
Wackelkontakt
Haas, Wolf

Wackelkontakt


ausgezeichnet

Das Spannende an diesem Roman ist die Erzählweise. Beide Protagonisten lesen in voneinander zunächst unabhängigen Erzählsträngen ein Buch, das von dem Leben des jeweils anderen handelt.

Franz Escher wartet auf den Elektriker. Seine Steckdose hat einen Wackelkontakt. Um sich die Zeit zu vertreiben, liest er ein Buch über den Mafia-Kronzeugen Elio Russo. Elio sitzt im Gefängnis und wartet auf die Entlassung. Er hat so viele Leute verraten, dass er um sein Leben fürchtet. Aus Angst liegt er nachts wach und liest ein Buch. Es handelt von Franz Escher. Der wartet auf den Elektriker. Seine Steckdose hat einen Wackelkontakt.

Der Name des Protagonisten Escher ist absichtlich gewählt. Der niederländische Künstler M.C. Escher wurde mit seinen Grafiken berühmt. Er zeichnete, was perspektivisch eigentlich unmöglich war, eine Hand, die eine Hand zeichnet und genau dieses Bild war das Motiv des Puzzles, das er vor vielen Jahren von einer Freundin zum Geburtstag erhalten hatte. Dieses Puzzle entfachte eine wahre Puzzle-Leidenschaft in Escher, seitdem verbrachte er seine Freizeit damit.

Elios Biografie ist von Gewalt, Verrat und permanenter Flucht geprägt. Sein Leben ist in Gefahr, seit er in Italien zahlreiche Mafia-Verbrecher an die Polizei verriet. Im Gegenzug bekommt er Zugang zum Zeugenschutzprogramm und eine neue Identität. Als Marko Steiner kommt er zunächst nach Deutschland und baut sich dort mit einem Reparaturbetrieb für Zweiräder aller Art ein gutes Auskommen auf. Dennoch bleibt die Angst ständiger Begleiter und das Buch, das er damals im Gefängnis von einem Zellenkameraden erhielt und mit dem er sich seinen deutschen Wortschatz erarbeitete, erdet und beruhigt ihn ein wenig. Die Übergänge zwischen den beiden Erzählsträngen sind weich und fließend, wann immer Franz Escher oder Marko Steiner ihr Buch in die Hand nehmen, wechselt die Erzählperspektive.

Mit der Zeit werden beide Geschichten immer mehr zu einer Geschichte, bis schließlich Realität und Geschichte nicht mehr voneinander unterscheidbar werden und bis schließlich die Hauptprotagonisten ihre eigene Geschichte verfolgen können. Und offenbar hatte zumindest Elio/ Marko sein Buch zu Ende gelesen.

Für mich war die Idee, zwei Handlungsstränge parallel zu führen und dann ineinanderfließen zu lassen, neu und genial. Es soll zwar Vorbilder dafür geben, die kenne ich allerdings nicht.

Es war mein erstes Buch von Wolf Haas und insbesondere der feine, manchmal schon leicht makabre Humor hat mir gefallen.

Bewertung vom 13.01.2025
Not your Darling
Blake, Katherine

Not your Darling


ausgezeichnet

„Not your darling“ ist der passende Titel für dieses Buch. Die Protagonistin will nicht jedermanns Liebling sein, ganz im Gegenteil. Dennoch wählt sie genau diesen Namen als ihren Nachnamen aus. Es war die häufigste oberflächliche Anrede, wenn Stars sich in der Maske nett geben wollten, ihren richtigen Namen aber gar nicht kannten.

Die 20jährige Margret träumt davon, Maskenbildnerin in Hollywood zu werden. Und so entflieht sie dem tristen England der frühen 50er Jahre. Tatsächlich gibt sie sich als die Gattin eines Amerikaners aus, der heiß begehrte Schmuggelware aus den USA in England illegal auf den Markt bringt. Ihn überzeugt sie von einer Fahrt zurück in seine Heimat Kalifornien und dort trennt sie sich von ihm. Aber immerhin hat ihr diese Episode ihren neuen Namen eingebracht: nach der verstorbenen Frau des Amerikaners nennt sie sich Loretta.

Ihr geklautes Geld reicht nicht lange und so nimmt sie einen ersten Job als Kellnerin an. Als sie Raphael kennenlernt, verliebt sie sich Hals über Kopf in ihn. Aber er ist nicht das, was sie zu Anfang in ihm sah. In ihrer Hochzeitsnacht entführt er sie zu einer Orgie eines aufstrebenden Schauspielers, der versucht, sie zu vergewaltigen. Aber immerhin hat ihr diese Ehe eine Aufenthaltserlaubnis eingebracht. Ein ihr völlig unbekannter Schriftsteller Scott Elliot rettet sie aus der prekären Situation. Damit ist die Ehe schon nach einem Tag zu Ende und Loretta reichlich desillusioniert.

Loretta hatte zwischenzeitlich auf ihr Ziel hingearbeitet und noch eine Aufgabe in der Maske einer Modellagentur angenommen.
Dort erfährt sie eines Tages von der Maskenbilderlegende Hollywoods, einem Polen, Alecs Petrás, der sein eigenes Imperium aufgebaut hat. Laut seiner Legende ist er ein polnischer Prinz, der nach dem 1. Weltkrieg verarmte und in die Staaten auswandern musste. Sie hängt sich so lange an seine Fersen, bis man sie endlich bemerkt. Tatsächlich stellt er sie an, er findet sie hat Chuzpe, und sie lernt eine ganze Menge von ihm. Sie hat ihr Ziel erreicht, wären da nicht die bösen Erinnerungen an die versuchte Vergewaltigung und das, was sie in England zurückgelassen hat. Aber das erfährt der Leser erst ganz am Ende des Buches.

Loretta ist eine taffe Person, sie verliert ihr Ziel nie aus den Augen, aber sie vergisst auch nie. Hollywoods Männer müssen sich vor ihr in Acht nehmen, sie sinnt auf Rache und bekommt sie auch.

Als Leserin hatte ich schon ein gewisses Verständnis für Loretta, auch wenn ich damit der Selbstjustiz Vorschub leiste. Vor Gericht wäre sie in dieser Zeit niemals zu ihrem Recht gekommen. Der Mann, der sie vergewaltigen wollte, wäre freigesprochen worden und ihre Karriere wäre zu Ende gewesen. Erst vor wenigen Jahren hat die „Me too Bewegung“ hier einiges ins Laufen gebracht. Und so musste, als das Gericht den Frauen noch nicht zur Gerechtigkeit verhalf, so manche Frau sich selbst schützen oder zur Wehr setzen. Zumindest geht sie dabei so geschickt vor, dass sie nie in Verdacht gerät.

Davon abgesehen gefielen mir die ausführlichen Beschreibungen, wie ein Maskenbildner eine Person in eine ganz andere verwandeln kann und wie ein Filmdreh hinter den Kulissen abläuft. Man lernte die Traumfabrik Hollywood von einer ganz anderen Seite kennen und bekam eine Ahnung davon, dass sie auch zum Albtraum werden konnte.

Der Schreibstil ist angenehm und flüssig und die Mischung aus Glamour, Spannung und Selbstbestimmung der Frau hat mir gefallen.

Bewertung vom 22.12.2024
Still ist die Nacht / Maya Topelius Bd.2
Åslund, Sandra

Still ist die Nacht / Maya Topelius Bd.2


sehr gut

Es handelt sich hier um den zweiten Teil einer Trilogie rund um die Inspektorin Maya Topelius, die Tochter eines deutschen Schriftstellers und einer schwedischen Mutter.

Das Buch beginnt mit einem Mord, der dann aber zunächst gar keine Rolle mehr spielt. Wir erfahren nur, dass er sich Mitte April auf einer Schäreninsel zugetragen hat.

Maya hat anstrengende Ermittlungen hinter sich und will sich ab Mitte Juni auf der Schäreninsel Svartlöga bei einem Yoga-Retreat erholen. Ihre Freundin aus Jugendtagen, Emely, hat dieses Retreat organisiert und so treffen sich Anfänger und Fortgeschrittene zu einem 14-tägigen Entspannungsevent. Nur dumm, dass bereits in der ersten Nacht ein Mord geschieht. So ist es mit der Erholung schnell vorbei und Maya beginnt, verdeckt zu ermitteln.

Als es kurz darauf einen zweiten Todesfall auf der Insel gibt, beginnt die Stimmung zu kippen. Die Sommergäste auf der Insel wenden sich gegen die Yoga-Leute und auch innerhalb der Yoga-Gruppe macht sich Misstrauen breit. Zusätzlich kämpft Maya mit einer Enthüllung ihrer Freundin Emely und fühlt sich von ihr verraten.

Ich beginne mal mit den Dingen, die mir an dem Buch gut gefallen haben:

Ich mochte die Gegenüberstellungen deutscher und schwedischer Redewendungen. Maya benutzt aufgrund ihrer halb deutschen Vergangenheit gern deutsche Redewendungen, die von ihrem Kollegen Pär dann ins Schwedische übertragen werden. Das brachte eine gewisse Leichtigkeit in den Schreibstil, aber wie Maya meinte auch in ihre gemeinsamen Ermittlungen mit Pär.

Auch wenn Yoga, Atem- und Entspannungstechniken ziemlich viel Raum einnehmen, so fand ich es doch gut, darüber im Buch über den Sonnengruß hinaus mehr zu erfahren. Allerdings wurden im Verlauf auch die Grenzen dieser Techniken aufgezeigt. Bei so viel Spannung, Stress und Angst innerhalb der Gruppe hilft auch die beste Atemtechnik nicht mehr.

Es gab ein paar Längen, aber das letzte Drittel war durchweg spannend.

Maya reagierte für mein Empfinden über, als sie ihre langjährige Freundschaft mit Emely wegen deren Enthüllung auf den Prüfstand stellte. Und zum Schluss musste sie auch klein beigeben.

Auf jeden Fall hat die Autorin es geschafft, meinen Verdacht in die falsche Richtung zu lenken. Hätte ich ihre Frankreich-Krimis gelesen, wäre mir das nicht passiert 😊 Ganz charmant, dass es personelle Überschneidungen zwischen den Reihen gibt.

Bewertung vom 06.12.2024
La Louisiane
Malye, Julia

La Louisiane


sehr gut

Den Einband ziert ein seitenverkehrtes Bild von Eugène Delacroix „Jeune orpheline au cimitière“, das auf mich sehr aufmerksamkeitsstark wirkte, auch wenn es mit unserem Thema nicht unbedingt etwas zu tun hat. Aber vielleicht kann man sich die Frauen dieser Zeit in etwa so vorstellen.

Das Buch handelt von Frauen, die aus der großen Heil- und Pflegeanstalt La Salpetrière in Paris ausgewählt werden, um nach Louisiana, der französischen Kolonie in Nordamerika verschifft zu werden, dort zu heiraten und den Fortbestand der französischen Kolonie zu sichern. Wir begleiten sie in ihren letzten Tagen in Paris, bei ihrer Einschiffung auf der „Baleine“, dem Schiff, das sie über die Loire ans Meer und dann über den Ozean bringen soll. Wir sind dabei, als sie in der Karibik von Piraten überfallen werden, und wir werden Zeuge ihrer Ankunft in Biloxi, dem Hafen in Louisiana, von dem es dann nach Nouvelle Orléans oder nach Norden weitergeht. Ich war erstaunt, wie weit sich die französische Kolonie damals erstreckte und hatte mir auch wenig Gedanken über die noch dort lebenden Ureinwohner gemacht, von denen wir im Buch die Natchez und Illinois ein wenig kennenlernen dürfen. Das Buch ist gut recherchiert, laut Julie Malye haben die Recherchen 10 Jahre Zeit in Anspruch genommen, darüber hinaus Reisen in die Region und unzählige Gespräche und E-Mails mit Fachleuten.

Vier dieser Frauen freunden sich auf der langen Überfahrt über den Atlantik an und versuchen auch nach der Ankunft, sich nicht aus den Augen zu verlieren. Lediglich von Étienette ist später nicht mehr die Rede, es scheint sie weiter in den Norden verschlagen zu haben.

Für die Ausreise auserwählt zu werden ist die erste Hürde zu einem etwas freieren Leben und mehr Selbstbestimmung. Dennoch hat diese Selbstbestimmung ganz enge Grenzen und ist meistens an einen Ehemann gebunden. Am Beispiel von Geneviève erfahren wir, dass diese Frauen vollkommen abhängig waren und dann auch falsche Entscheidungen mit einer neuen Ehe trafen, um ihre Kinder zu retten und mitnehmen zu können. Und trotzdem wendete sich dann doch so manches zum Guten. Vor allem als Witwe hatte man, wenn man etwas geerbt hatte, gute Chancen, sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.

Die Kapitel sind jeweils aus der Sicht einer der Frauen geschrieben. Damit können wir ihren Werdegang verfolgen und erleben auch die Interaktionen mit den Freundinnen mal von einer, mal von der anderen Seite. Wir erleben aber auch ihre Offenheit den Frauen anderer Rassen gegenüber. Petronille verdankt später einer Frau aus dem Stamm der Natchez ihr Leben und Geneviève behandelt ihre schwarzen Angestellten mit Würde. Man würde sich wünschen, dass auch die Männer und vor allem die Regierenden im weit entfernten Frankreich ähnlich offen gewesen seien.

Ich fand es nicht immer einfach, den Schicksalen der Frauen zu folgen, hin und wieder waren
die Übergänge recht sprunghaft und durch die hohe Sterblichkeit der Männer hatten wir es auch immer wieder mit neuen Ehen, neuen Orten und neuen Entwicklungen zu tun. Aber trotz aller Schicksalsschläge hat die Freundschaft der Frauen, die auf der „Baleine“ begann, die Zeit überdauert und ihnen allen Rückhalt gegeben. Sie war auf jeden Fall wichtiger, als die aus Vernunft geschlossenen Ehen.

Bewertung vom 08.11.2024
Als wir im Schnee Blumen pflückten
Harnesk, Tina

Als wir im Schnee Blumen pflückten


sehr gut

Die Samin Mariddja lebt ganz im Norden Schwedens zusammen mit ihrem dementen Mann Biera. Sie erhält zu Anfang der Erzählung die Nachricht, dass der Unterleibskrebs, der in ihrem Bauch wütet, ihr vielleicht noch einige Monate Leben lässt, aber nicht sehr viel mehr.
Mariddja ignoriert diese Ankündigung und erzählt ihrem Mann nichts davon. Ihr innigster Wunsch ist es, den Jungen ihrer Schwägerin Risten noch einmal zu sehen, der als Kleinkind einige Jahre bei ihnen lebte, bevor die Schwägerin ihn ohne eine Erklärung einfach mitnahm und sie nie wieder Kontakt zueinander hatten.
Das Buch ist so geschrieben, dass wir auf der einen Seite Mariddja und ihren Mann Biera kennenlernen, dass es Rückblenden in Mariddjas Kindheit gibt, in die Zeit, als Biera sich um sie bemühte, in die Zeit, als die beiden so gerne ein Kind gehabt hätten. Die meisten Szenen spielen allerdings in der Jetzt-Zeit.

Auf der anderen Seite lernen wir Kaj und Mimmi kennen, beides Ärzte, die ihre Praxis in der Stadt für eine Landpraxis im Norden Schwedens aufgegeben haben und gerade versuchen, in ihrem neuen Wohnort heimisch zu werden. Kaj trauert um seine gerade verstorbene Mutter Laura, es gibt Szenen, in denen er sich zusammen mit seinem Bruder Gustav um den Nachlass kümmert, Szenen, als er sich an das Zusammenleben mit der Mutter erinnert. Laura war eine seltsame Frau, nie wirklich ganz da, etwas abgehoben, Künstlerin, oft in höheren Sphären schwebend.
Kaj hat das Gefühl, dass sie ihm etwas verheimlichte, eine bestimmte Zeit ihres Lebens war tabu, da durfte nicht darüber gesprochen werden.

Das Cover ist geschmackvoll und zeigt ein älteres Paar in einer wasserreichen Landschaft vor einer roten Holzhütte. Der Titel ist voller Poesie und gibt schon einen ersten Hinweis auf die unkonventionelle Art Mariddjas. Sie war schon als Kind für außergewöhnliche Ideen und die noch kreativere Erklärung dazu bekannt, warum also nicht im Schnee Blumen pflücken.

Sowohl Mariddja als auch Biera werden als etwas senil geschildert. Mariddja war schon immer etwas speziell gewesen, bei ihr hat es sich vielleicht nur gesteigert. Biera aber lebt in der Vergangenheit, ein freundlicher, alter, etwas verwahrloster Mann, der sich noch im Land der Samen wähnt und ihre Traditionen fortführt.

Es gab Ideen der Autorin, die ich gut fand und die mich zum Schmunzeln brachten. Siri von Apple eine Rolle in dem Buch spielen zu lassen, gefiel mir. Auch wenn ihre Kommentare meistens nichtssagend waren, so reichten sie für Mariddja vollständig aus. Spannend wird es nur dann, wenn Siri selbständig tätig wird und den Notdienst oder die Feuerwehr aktiviert.

Dadurch, dass die Autorin immer mal wieder alte Mythen in die Geschichte einwebt, gibt sie dem Buch manchmal einen spirituellen Touch.

Wenn man noch nie in Schweden war und so gar keine Beziehung zu dem Land hat, sind sowohl die Namen als auch Trachten, Musik oder Fortbewegungsmittel wie Schlitten fremd für den Leser. Mit „Kolt, Akkja und Joiken“ konnte ich bis zum Schluss nicht viel anfangen und ich hätte mir einen Anhang mit Erklärungen gewünscht. In diesem Anhang hätte vielleicht auch noch etwas Information über das Volk der Samen Platz gefunden. Im Buch ist es immer mal wieder am Rande erwähnt, dass es eine große Zwangsumsiedlung gab, die Hintergründe sind mir aber erst beim Recherchieren klar geworden.

Ich habe das Buch in wenigen Tagen durchgelesen, vielleicht hat es nicht ganz die Erwartungen erfüllt, die der Klappentext in mir geweckt hatte. Das mag aber damit zu tun haben, dass Schweden immer noch zu den weißen Flecken in meinem Reiseatlas gehört und ich wenig Zugang zu Menschen und dem Land habe.

Bewertung vom 24.07.2024
Solito
Zamora, Javier

Solito


sehr gut

Javier ist neun Jahre alt und lebt bei seinen Großeltern in El Salvador. Seine Eltern sind schon vor Jahren in die USA geflüchtet, der Vater aus politischen Gründen, die aber nicht näher erläutert werden, die Mutter, weil sie irgendwann bei ihrem Mann sein wollte. Nun soll auch Javier sich auf die lange Reise machen, das Geld für die Schlepper ist endlich beisammen und der Junge scheint alt genug, den Weg allein anzutreten.

Das Buch ist auch Sicht Javiers geschrieben. Es beginnt mit der Schilderung seines Lebens in Mittelamerika, der Geborgenheit bei den Großeltern und seiner Tante, seiner Erfolge in der Schule, dem Umgang mit seinen Freunden und seinen Tieren. Aber die Sehnsucht nach seinen Eltern wird durch wöchentliche Telefonate wachgehalten, seine Eltern schicken Pakete mit Spielzeug und Javier malt sich das Leben in den USA in den tollsten Farben aus.

Irgendwann ist es soweit. Niemand darf etwas wissen, von seinen Freunden und seinen Lehrern darf er sich nicht verabschieden, das könnte die Ausreise noch gefährden. Sein Großvater begleitet ihn noch bis Guatemala, ab dort reist er allein. Javier schließt sich einer Mutter mit Tochter an und später werden die gefälschten Papiere ihn auch als Sohn dieser Frau ausgeben, insgesamt ist es eine Gruppe von 6 Personen, die die Flucht gemeinsam unternimmt.

Für die Schlepper ist es ein Geschäft, der Mensch ist eine Ware, die auf irgendeine Weise von A nach B transportiert wird. Schon die ersten Pläne platzen und ganz oft muss die Reise umgeplant werden. Irgendwann reißt jeglicher Kontakt zu seiner Familie ab, er darf auch nicht mehr telefonieren. Zusätzlich verdienen auch immer die Grenzbeamten an jedem Ausreisewilligen. Sobald jemand als Flüchtling identifiziert wird, drücken sie nur gegen zusätzliches Geld alle Augen zu.

Das Buch ist sehr eindrücklich geschrieben. Die langen Zeiten des Nichtstuns, des Wartens, das Eingesperrtsein in Wohnungen, die langen Wege im Bus und später zu Fuß - das wird sehr plastisch beschrieben. In der Wüste habe ich mit gedurstet, in der Enge der Zelle mitgelitten und jeden Fehlversuch über die mexikanische Grenze zutiefst bedauert.

Ich habe aber nicht nur Schlechtes auf dieser Reise kennengelernt sondern auch Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit. Pati hat sich wie selbstverständlich des Jungen angenommen, die Nonnen an der Grenze haben den Flüchtlingen eine Unterkunft und Essen geboten und Chino war für mich ein wahrer Held.

Javier Zamora arbeitet mit diesem Buch seine Flucht auf, selbst nach so langer Zeit leidet er noch unter den Erfahrungen und Entbehrungen, die er damals erlebt hat. Ich frage mich, ob die Eltern nicht besser ausführlicher mit ihm darüber geredet hätten. Sie haben es einfach totgeschwiegen, er war endlich angekommen und damit war dieses Kapitel für sie beendet.

Ich wünsche ihm, dass er mit diesem Buch seine Reisegefährten von damals wiederfinden kann, auf jeden Fall ist das Buch eine Hommage an alle, die ihm damals hilfreich zur Seite standen.

Drei Kritikpunkte, die schon mehrfach genannt wurden, schränken den sehr positiven Eindruck zum Buch etwas ein:

. eine Karte mit den Fluchtpunkten wäre hilfreich gewesen
. die zahlreichen spanischen Ausdrücke und Sätze, die auch noch von Land zu Land unterschiedlich sein können, erschweren den Lesefluss
. zusätzliche Information zu den politischen Hintergründen in El Salvador hätte ich mir ebenfalls gewünscht

Trotzdem, das Buch ist eine Bereicherung und wird hoffentlich viele begeisterte Leser finden.

Bewertung vom 07.07.2024
Bedrohliche Provence / Commissaire Leclerc Bd.10
Lagrange, Pierre

Bedrohliche Provence / Commissaire Leclerc Bd.10


ausgezeichnet

Mittlerweile kenne ich Albin Leclerc schon von einigen Provence-Krimis und habe ihn und seine besonderen Ermittlungsmethoden ins Herz geschlossen.

In diesem Fall mischt er sich nicht selbst in die Belange seiner ehemaligen Mitarbeiter ein, er wird von einem alten Bekannten dazu aufgefordert. Dieser vermisst seine Nichte und ihren Lebensgefährten und tatsächlich werden die beiden kurze Zeit später erschossen aufgefunden. Und leider bleibt es nicht bei diesem einen Mord, es folgen weitere.

Es ist schon immer wieder interessant, den Ermittlern bei der Arbeit zuzusehen. Da hat man zwei Menschenleben, die ausgelöscht wurden und keiner kennt das Motiv. Man fängt an zu forschen, man wühlt sich durch ihr Leben, sammelt dieses und jenes ohne zu wissen, ob es mit der Tat im Zusammenhang steht.

Albin Leclerc kommt hier seine lange Erfahrung zugute und obwohl seine ehemaligen Mitarbeiter ihn lieber heute als morgen loswerden würden, wissen sie auch, was sie an ihm haben. Wie oft schon hat er sie auf die richtige Fährte geführt oder ihnen entscheidende Hinweise geben können. Im Zwiegespräch mit seinem Mops Tyson, der mittlerweile die ganze Polizeibehörde mit seinem Nachwuchs versorgt hat, klopft er seine Gedanken auf Plausibilität ab und entscheidet sich oft für ganz andere Wege, als es die Kollegen getan hätten.

Ich fand diesen neuesten Krimi von Pierre Lagrange lesenswert, auch deshalb, weil er nicht erst auf den letzten Zeilen in einem fulminanten Höhepunkt abrupt endet, sondern weil die Hintergründe, die zu den Taten führten, erklärt werden und man zumindest hoffen darf, dass es auch den Hintermännern an den Kragen geht.

Auch privat scheint sich für seine Tochter einiges zu entspannen und man darf auf eine neue glücklichere Partnerschaft hoffen.

Für das Gemüsemosaik hätte ich übrigens gerne eine Anleitung gehabt. Vor Jahren habe ich ähnliches in Frankreich gegessen, das Nachkochen ist mir zwar geschmacklich gelungen, aber leider nicht in dieser Form.

Bewertung vom 03.07.2024
Was der See birgt / Ermittlungen am Gardasee Bd.1
Koppelstätter, Lenz

Was der See birgt / Ermittlungen am Gardasee Bd.1


sehr gut

Ich hatte bereits mehrere Südtirol-Krimis von Lenz Koppelstätter gelesen und war daher direkt davon angetan, auch einmal einen Krimi vom Gardasee in die Hand zu nehmen. Und tatsächlich grüßt uns Riva vom Cover entgegen.

Im Jachthafen von Riva wird ein Toter gefunden. Gianna Pitti, Polizeireporterin der Lokalzeitung ist immer zur Stelle, wenn am See etwas passiert. Mit Entsetzen stellt sie fest, dass sie das Opfer kannte. Mehr noch: Sie war eine der Letzten, die den jungen Mann lebend gesehen hat. Während die Polizei im Dunkeln tappt, beginnt die Journalistin zu recherchieren. Unterstützung bekommt sie von ihrem Onkel Francesco und der Chefredakteurin Elvira.

Das Buch ist jeweils aus der Sicht eines der Hauptprotagonisten geschrieben. So lernt man Gianna, ihren Onkel Marchese Francesco Pitti-Sanbaldi und die Chefredakteurin des Messaggero di Riva Elvira Sondrini kennen. Von der Staatsanwaltschaft ist außerdem Staatsanwalt Foscolo mit von der Partie.

Häppchenweise erfährt der Leser mehr über die Hauptpersonen und den Hintergrund des Falles. Der Mord scheint außerdem etwas mit dem mysteriösen Verschwinden von Giannas Vater und Francescos Bruder Arnaldo, einem bekannten und engagierten Journalisten zu tun zu haben und macht somit die Ereignisse für Gianna und Francesco zu Ereignissen, die sie auch persönlich betreffen.

Zunächst aber ist Gianna hauptsächlich an Filippos Schicksal interessiert. Wer war er? In welcher Sache recherchierte er? In Sisyphusarbeit verfolgt sie seine letzten Schritte und die Tage vor ihrem Treffen. Ihr Weg führt sie nach Saló, nach Lazise und Sirmione und vor allem zum Vittoriale degli Italiani, wo alles zusammenläuft.

Der Leser lernt eine Geschichte Italiens kennen, von der man glaubte, dass sie der Vergangenheit angehört. Tatsächlich habe ich während des Lesens kurz zu Logen und Freimaurern in Italien recherchiert und fand vieles bestätigt. Da gibt es einen Staat im Staate und man weiß nie, wer zu welcher Gruppe gehört und wen unterstützt. Das muss auch Gianna erfahren, die sich von ihrem engeren Umfeld verraten sieht.

Von den Protagonisten gefiel mir der Marchese am besten. Er ist ein authentischer Charakter, ist sich seiner Schwächen bewusst und lebt damit und steht für seine Überzeugungen ein. Gianna war mir noch zu sehr Heißsporn, aber ihre Aktionen erhöhen natürlich die Spannung. Toll fand ich, mit wieviel Chuzpe sie sich in polizeiliche Ermittlungen einschaltet und hier Hürden überwindet.

Das Buch endete mit einem Cliffhanger. Und so werde ich wahrscheinlich auch Band 2 der Reihe um Gianna Pitti lesen, denn das Schicksal Arnaldos bleibt ja ungeklärt und bedarf noch einer Auflösung.