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Renas Wortwelt

Bewertungen

Insgesamt 187 Bewertungen
Bewertung vom 06.06.2025
Der Mordclub von Shaftesbury - Die Tote fällt nicht weit vom Stamm
Winston, Emily

Der Mordclub von Shaftesbury - Die Tote fällt nicht weit vom Stamm


ausgezeichnet

Der inzwischen vierte Band aus der unterhaltsamen Reihe um die Detektivin wider Willen Penelope St. James, die wieder einmal im kleinen Ort Shaftesbury mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen hat, macht sehr viel Spaß.
Diesmal wird im Dorf ein Liebesbriefwettbewerb veranstaltet. Dazu müssen alle, die teilnehmen möchten, einen Liebesbrief in einer alten Eiche verstecken. Doch die Gewinnerin scheint bereits längst festzustehen, hat doch die betagte Greta Huntington-Dillinger schon jedes Jahr den Wettbewerb gewonnen. Aber das Schicksal verhindert ihren erneuten Gewinn, denn eines Tages liegt Greta tot unter besagter Eiche, sie fiel von der Leiter, deren Sprossen offensichtlich jemand angesägt hatte.
Penelope, seit dem letzten Band glücklich verheiratet mit dem Tierarzt Sam, lebt nun mit ihm, seiner kleinen Tochter Lilly und diversen – nicht immer willkommenen – tierischen Mitbewohnern in einem ehemaligen Bauernhaus. Im Zuge von Penelope gewünschter Umbaumaßnahmen wird im Anbau eine Wand eingerissen, wobei eine vor etlichen Jahren dort eingemauerte Leiche zutage gefördert wird.
Nun braucht es nicht einmal wie sonst die Aufforderung des umtriebigen Briefträgers, damit Penelope herausfinden will, wer der Tote ist, wie er zu Tode kam, warum und durch wen. Doch nicht nur das beschäftigt sie, die doch eigentlich nur eine Partneragentur betreibt. Gleichzeitig soll sie den Liebesbriefwettbewerb weiter organisieren, die Jury bilden und den Mord an Greta aufklären. Penelope ist also gut beschäftigt.
All das wird so munter und lebhaft erzählt, so voller Tempo, Witz und skurrilem Personal, dass man nur so durch die Seiten fliegt. Ständig ergeben sich neue Wendungen, ständig passieren neue Zwischenfälle und ständig hat fast die gesamte Dorfbevölkerung irgendetwas zu tratschen, wobei nicht jeder immer die Wahrheit sagt.
Dazu kommen herrlich absurde Begebenheiten rund um die stets wachsende Tierschar im Haushalt von Sam und Penelope, ungemein witzige Szenen beispielsweise nachts auf dem Friedhof und viele unglaublich komische Dialoge. Diese Dialoge sind es, die vor allem sehr viel Spaß machen. Mal reden alle aneinander vorbei, mal verursachen unklare Andeutungen lustige Missverständnisse.
So sorgen alle für viel unterhaltsames Chaos, zu dem auch die Kinder beitragen, die im Haus von Penelope ein und ausgehen. Denn Lilly bringt ihre Freunde mit, die zusammen mit den vielen Tieren reichlich Leben in die Bude bringen. Die Kinder sind ebenfalls wunderbar gezeichnet, nie werden sie kindisch oder gar süßlich dargestellt, sondern auch sie, wie alle anderen Figuren, voller Tempo, leichter Ironie und Humor.
Dabei kommt die Spannung nicht zu kurz, will man doch trotz all des Humors auch wissen, wer wen warum um die Ecke gebracht hat. Die Spuren werden mal ziemlich breit gelegt, ein andermal führen sie geschickt in die falsche Richtung. Auch wenn nicht immer alles logisch, nicht immer alles plausibel, manches etwas überzogen ist, so verschlingt man den Roman, voller Freude bei der Lektüre, voller Sympathie für all die verschrobenen Figuren. Mir gefiel dieser vierte Band noch mehr als die vorigen, die auch schon gelungen waren. Es scheint, als werde diese Reihe um Penelope St. James mit jeder Folge immer besser, so dass ich auf eine baldige Fortsetzung hoffe.
Emily Winston – Der Mordclub von Shaftesbury: Die Tote fällt nicht weit vom Stamm
Aufbau Verlag, Mai 2025
Taschenbuch, 343 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 04.06.2025
Das Pubquiz für einsame Herzen
Farnsworth, Lauren

Das Pubquiz für einsame Herzen


gut

Donna hat ein Bedürfnis und eine Idee. Sie möchte neue Menschen kennenlernen und so sucht sie per App nach Gleichgesinnten für die Teilnahme an einem Quiz im Pub. So lernen sich Bryony, Harry, Jaime und Donna kennen. Wie von solch einer Story zu erwarten, tragen alle ihr Päckchen mit sich herum.
Bryony, sehr klug und belesen – weshalb sie die meisten Quizfragen korrekt beantworten kann – hadert mit ihrem unausgefüllten Leben als Ehefrau und Mutter. Sie wurde sehr jung schwanger, heiratete und musste so all ihre Pläne und Hoffnungen für ihr späteres Leben begraben.
Harry trauert seiner Ex-Freundin hinterher und hat zudem seine Stellung verloren. Nun lungert er den ganzen Tag zuhause herum, verflucht den neuen Freund seiner Ex (der zudem noch ein wesentlich erfolgreicherer Kollege ist) und sucht eher halbherzig nach einem neuen Job.
Jaime lebt zusammen mit ihrem Freund Luke. Beide sind vor nicht allzu langer Zeit erst nach London gezogen, wo Luke nie richtig angekommen ist. Er ist unzufrieden in seinem Job und verbringt die meiste Zeit bei Computerspielen. Jaime wünscht sich mehr Kontakte, will Luke helfen, ihn fördern. So übernimmt sie mehrere Arbeitsstellen, schiebt Nachschichten und verdient so das Geld für sie beide, nachdem Luke seinen Job auf ihren Vorschlag hin aufgegeben hat – um sich selbst zu finden.
Und Donna ist ständig auf Achse, verbringt eine Nacht mit Harry, eckt in ihrer Arbeitsstelle immer wieder an, macht Fehler, ist permanent aufgedreht. Unausgesprochen fürchtet sie, an derselben Krankheit zu leiden wie ihr Vater.
Natürlich kommen sich die Vier im Laufe der Zeit näher, berichten von ihren Problemen und versuchen einander zu helfen. Allerdings laufen die vier Handlungsstränge die meiste Zeit eher nebeneinanderher, wird jede Geschichte mehr für sich erzählt, als dass es eine gemeinsame Story wird. Erst nach und nach, wenn das Team mehrere Runden im Quiz gewinnt und im Turnier antritt, entsteht etwas mehr Spannung.
Die meiste Zeit aber plätschert das Geschehen eher belanglos dahin, die Probleme, mit denen die vier Hauptfiguren zu kämpfen haben, wirken überdramatisiert, sind selbst gemacht, wären wohl meistens sehr leicht lösbar. So wird der Roman irgendwann zäh, wenn sich lange keine Entwicklungen ergeben, die Figuren immer wieder über die gleichen Dinge jammern und lamentieren. Am sympathischsten ist noch Bryony, die auch am wenigsten in Selbstmitleid ertrinkt, so wie die anderen.
Insgesamt konnte mich diese Geschichte nicht wirklich abholen, meine Erwartungen waren andere, wurden nicht erfüllt.
Lauren Farnsworth - Das Pubquiz für einsame Herzen
aus dem Englischen von Katharina Naumann
rororo, Mai 2025
Taschenbuch, 479 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 02.06.2025
Killer Potential
Deitch, Hannah

Killer Potential


sehr gut

Laut Klappentext muss in diesem Roman eine junge Frau, die des Doppelmordes verdächtigt wird, den wahren Täter finden, um ihre Unschuld zu beweisen. Also erwartet man eine Story im Stil eines Krimis, eine Verdächtige bei der Recherche, Tätersuche und Aufklärung des Verbrechens.
Doch weit gefehlt, diese Geschichte entwickelt sich ganz anders. Es beginnt damit, dass die junge Evie, Nachhilfelehrerin im Haus der Familie Victor, eines Tages die Eltern ihrer Schülerin Serena ermordet auffindet. Bevor Evie die Polizei benachrichtigen kann, findet sie im Haus eine verwahrloste, abgemagerte Frau. Gerade als sie diese aus ihrem Versteck befreit, taucht Serena auf. In Panik schlägt Evie sie nieder, denkt, sie hätte sie ermordet und flieht, zusammen mit der Fremden.
Diese fremde Frau spricht nicht, lange sagt sie kein Wort, während Evie mit ihr davonfährt, in Panik, ohne Plan. Erst nach und nach wird ihr klar, was das alles für sie bedeutet. Sie wird des Mordes verdächtigt, gejagt von Polizei, FBI, Presse und jedem, der die Belohnung erlangen will. Dazu diese schweigsame Frau, die ihr immerhin eine große Hilfe ist, denn sie scheint begabt im Klauen von Autos, Geld und Lebensmitteln.
Die wilde Flucht führt die beiden Frauen zweimal quer durchs Land, durch mehrere Bundesstaaten. Immer wieder geraten sie in Gefahr, entdeckt zu werden, müssen sich – auch mal mit brutaler Gewalt – gegen Verfolger wehren.
Irgendwann beginnt die Unbekannte zu sprechen, nach und nach erfährt Evie ihre Geschichte, tauen beide Frauen gegenüber einander auf, öffnen sich. Doch immer bleibt die Frage, wer das Ehepaar Victor ermordet hat. Über die Toten erfahren Evie und die Fremde mit der Zeit immer mehr, entdecken die Machenschaften des Mannes und die Pläne der Frau.
Das Ganze wird ungemein temporeich und temperamentvoll erzählt, mit hoher Dynamik und vielen Wendungen und Höhepunkten. Dabei ist die Geschichte auch voller Dramatik, die beiden Protagonistinnen sind Figuren, die einem nahegehen, deren Hintergrund und Vergangenheit spannend geschildert werden. Auch wenn die Probleme Evies in der Vergangenheit ein wenig hausgemacht und etwas überbewertet zu sein scheinen, so könnten sie Erklärung für ihr jetziges Verhalten sein.
Auch wenn man irgendwann ahnt, wer das Ehepaar ermordet haben könnte, bleibt der Roman bis zum Ende spannend. Die Auflösung ist dann zwar also keine große Überraschung mehr, doch danach geht es noch eine ganze Weile nicht minder spannend weiter.
Insgesamt ein durchaus gelungener Thriller, mit einigen Längen zwar und an manchen Stellen war es mir etwas zu brutal, etwas zu unglaubwürdig, was die bislang unbescholtenen Frauen so alles können und zuwege bringen. Dennoch kann man den Roman auf jeden Fall empfehlen, für alle, die actionreiche Krimis mit interessanten Hauptfiguren mögen.
Hannah Deitch - Killer Potential
aus dem Englischen von Conny Lösch
List, Mai 2025
Klappenbroschur, 398 Seiten, 17,99 €

Bewertung vom 30.05.2025
Happiness Falls
Kim, Angie

Happiness Falls


sehr gut

Dieser Wälzer mit mehr als 500 Seiten erzählt von einer Familie voller Probleme, die im Grunde vor allem auf der Suche nach Glück ist. Sprachlose Hauptperson ist der 14jährige Eugene. Er leidet an diversen Beeinträchtigungen, wie einer Abart des Autismus sowie der Unfähigkeit zu sprechen. Seine älteren Geschwister sind die 20-jährigen Zwillinge Mia und John.
John arbeitet in der Betreuungseinrichtung, die auch Eugene normalerweise täglich besucht. Mia studiert, ist aber gerade wieder zu Hause eingezogen, denn die Geschichte spielt während der Covid-Pandemie.
Die Mutter der Familie ist Wissenschaftlerin, während der Vater zuhause ist und sich insbesondere um Eugene kümmert. Das beinhaltet unter anderem tägliche Spaziergänge der beiden in einem nahegelegenen großen Park. Von einem dieser Spaziergänge kehrt jedoch eines Tages nur Eugene zurück, völlig verstört, unfähig sich zu artikulieren, in einem blutverschmierten T-Shirt. Der Vater ist verschwunden.
Die hinzugezogene Polizei hat recht schnell Eugene in Verdacht, dem Vater irgendetwas angetan zu haben, während der Rest der Familie absolut überzeugt ist, dass der Junge dazu niemals imstande wäre.
Erzählt wird die Geschichte in Ich-Form von Mia, durchgängig aus ihrer Perspektive. Mia neigt dazu, alles zu hinterfragen, zu durchleuchten, zu recherchieren. Während Mutter und Bruder sich an der Suchaktion beteiligen, durchforstet sie Unterlagen und Computer des Vaters. Dabei entdeckt sie seine Studien zum Thema Glück und ist erschüttert über das, was sie herausfindet. Dass der Vater nämlich seine Kinder, vor allem Eugene fast wie Versuchskaninchen behandelte, ohne einen von ihnen darüber zu informieren. Was so weit geht, dass er auch die anderen nicht davon in Kenntnis setzte, welche Fortschritte Eugene zwischenzeitlich machte.
So läuft der Roman quasi auf zwei Ebenen ab. Die eine schildert auf wirklich spannende und fesselnde Weise die Suche nach dem Vater, die vielen Fragen, die sich auftun und insbesondere die Wirkung, die all das auf den Jungen Eugene hat, der das weder verarbeiten noch sich bisher irgendwie dazu äußern kann.
Die zweite Ebene sind die Gedanken, die sich Mia über all das macht, über die Beziehungen in ihrer Familie, über die Geschichte, die Herkunft ihrer Mutter aus Korea (wie die Autorin selbst ebenfalls), Erinnerungen an ihre Großmutter und vor allem die Dokumente des Vaters. Hieraus wird im Laufe des Romans sehr viel, oft seitenweise, zitiert. Dazu kommen zusätzlich zum eigentlichen Text weitere Ergänzungen Mias in Form von Fußnoten, was dem Roman fast den Anschein einer wissenschaftlichen Arbeit gibt.
Diese zweite Ebene ist zwar einerseits interessant, wenn man etwas über die Hintergründe und die Lebensumstände der Familie erfährt. Andererseits aber auch sehr oft langatmig, schleppend, wenig fesselnd und eher zäh. Hier habe ich, das muss ich gestehen, oft einiges überblättert, ohne dass dies dem Verständnis der Handlung geschadet hätte.
Insgesamt aber, von den eher mühsam zu lesenden Passagen abgesehen, ein wirklich gut konstruierter Roman, voller unvorhersehbarer Twists und mit gut ausgearbeiteten Figuren, vielleicht abgesehen von Mias Bruder John, der etwas blass bleibt.
Eine Straffung der Handlung, ein Kürzen des Romans um bis zu 200 Seiten hätte die Geschichte noch packender, noch thrillerartiger werden lassen. Dennoch ein empfehlenswerter Roman für alle, die verwickelte Familiendramen mögen.
Angie Kim - Happiness falls
aus dem Englischen von Wibke Kuhn
hanserblau, April 2025
Gebundene Ausgabe, 544 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 21.05.2025
Der Tote in der Crown Row / Sir Gabriel Ward ermittelt Bd.1 (eBook, ePUB)
Smith, Sally

Der Tote in der Crown Row / Sir Gabriel Ward ermittelt Bd.1 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Wenn eine Kronanwältin einen Kriminalroman schreibt, der unter Kronanwälten und Lordrichtern spielt, dann kann man davon ausgehen, dass Setting, Figuren und Stimmung des Romans authentisch sein können. Das genau ist hier der Fall, auch wenn die Autorin ihren absolut gelungenen Debütroman im London des Jahres 1901 ansiedelt.
Im Temple-Bezirk, dem völlig autarken, nur der eigenen Gerichtsbarkeit unterstehenden Bereich in London, in dem sich die Anwaltsbüros und die Wirkstätten der Lordrichter, der Barristers und Solicitors befinden, wird eines Morgens die Leiche des Lordoberrichters Dunning gefunden, ohne Schuhe und Strümpfe. Erstochen mit einem Tafelmesser, welches nur im Temple verwendet wird. Dieser Temple wiederum wird allabendlich verschlossen und nur Befugte haben Zutritt.
Gegen seinen Willen und nur unter Androhung des Verlust seiner geliebten Wohnung wird der Anwalt Gabriel Ward damit beauftragt, in dieser Mordsache zu ermitteln. Denn die Polizei hat innerhalb des Temple keinerlei Befugnisse. Dennoch bekommt Gabriel Unterstützung von Constable Wright, der quasi die Verbindung zur Außenwelt in Form der Polizei herstellt.
Gabriel, immer fest eingebunden in seine Gewohnheiten und Rituale, hat den Temple seit Jahrzehnten nicht verlassen. Er lebt allein mit seinen Tausenden Büchern, die ihm als Gesellschaft immer genügen und ihm stets neues Wissen vermitteln. Wissen, das ihm nun bei seinen zuerst widerwilligen, dann aber für ihn selbst auch immer fesselnderen Ermittlungen hilft. Diese führt er ebenso akribisch und auf reiner Logik und viel Menschenkenntnis aufbauend wie seine Prozesse.
Einen solchen Prozess hat er parallel zu seinen Recherchen zu erledigen. Darin geht es um ein Kinderbuch, dessen Manuskript ein Verleger einst vor seiner Tür fand. Trotz ungemeiner Anstrengungen war es diesem nicht gelungen, die Verfasserin ausfindig zu machen, auch nicht, nachdem das Buch ein enormer Erfolg wurde. Nun aber hat sich eine Frau gemeldet und behauptet, das Buch geschrieben zu haben. Ob das stimmt und wie man das beweisen oder widerlegen kann, darüber muss Gabriel nun ebenso nachdenken wie über die vielen Spuren und Hinweise im Mordfall.
Sally Smith erzählt diese Geschichte geruhsam und betulich, ohne das jemals Langeweile aufkommt. Alle Beschreibungen, alle Vorkommnisse und vor allem alle Figuren sind spannend, sehr interessant und mit scharfem Profil und viel Tiefgang dargestellt. Und trotz der behutsamen, langsamen und einfühlsamen Erzählweise entwickelt das Ganze eine enorme Spannung. Auch weil man natürlich ahnt, dass die beiden Handlungsstränge irgendwie miteinander verwoben sein könnten und nun darauf wartet, dass sich das erschließt. Und auch der Humor, leise und eher unterschwellig, kommt nicht zu kurz.
Die Autorin beschränkt sich aber nicht nur auf das Erzählen einer Kriminalgeschichte. Zwischen die Zeilen packt sie sozusagen noch einiges an Gesellschaftskritik. Da geht es zum einen um die enorme Diskrepanz zwischen Arm und Reich, dargestellt an den krassen Unterschieden zwischen den reichen und verwöhnten Anwaltsgattinnen und dem schwer arbeitenden, gerade mal 14jährigen Küchenmädchen. Und es geht um die Unterdrückung von Frauen, denen noch lange nicht die gleichen Rechte eingeräumt werden wie den Männern. So war es zu dieser Zeit Frauen absolut verwehrt, Jura zu studieren und damit Anwältin oder Richterin zu werden. All das thematisiert Sally Smith in ihrem Roman, ohne dogmatisch zu werden, ohne aufdringlich ihre Meinung kundtun zu wollen. Gerade deswegen wirkt es umso eindringlicher.
Auch dass sie nicht jedes Klischee vermeidet, ist nicht negativ, im Gegenteil. Die oben erwähnten Anwaltsgattinnen sind quasi wandelnde Klischees, aber auch das passt vollkommen und zeigt genau diese gesellschaftlichen Unterschiede besonders deutlich.
Alles in allem ein absolut und vollkommen gelungener Erstlingsroman, den man unumwunden empfehlen kann. Und natürlich möchte ich dem so liebenswerten Gabriel Ward und dem sympathischen Constable Wright unbedingt einmal wiederbegegnen.
Sally Smith - Der Tote in der Crown Row
aus dem Englischen von Sibylle Schmidt
Goldmann, April 2025
Gebundene Ausgabe, 399 Seiten, 22,00 €

Bewertung vom 21.05.2025
Alpakas, Agate und mein neues Leben
Bow, Erin

Alpakas, Agate und mein neues Leben


ausgezeichnet

Wer möchte schon in einem Ort mit dem Namen Augen-zu-und-durch wohnen? Ganz einfach: Ein Junge, der nicht gefunden werden möchte. Dieser Junge ist Simon, der ein enormes traumatisches Erlebnis verkraften muss und mit diesem Ereignis unter seinem Namen ganz leicht im World Wide Web zu finden ist.
Doch genau dieses Web gibt es nicht in Augen-zu-und-durch, denn dieser Ort ist komplett abgeschirmt gegen jedwede Internetverbindung, Handynetze und so weiter. Weil an diesem Ort nämlich ein Radioteleskop steht und viele Wissenschaftler versuchen, Verbindung zu Außerirdischen herzustellen, wobei all diese „irdischen“ Strahlen und Netze stören würden. Sogar Mikrowellengeräte sind verboten in dieser Stadt.
Dorthin nun zieht der jetzt zwölfjährige Simon mit seinen Eltern. Sein Vater ist Diakon und seine Mutter Bestatterin, sie übernimmt das Geschäft mit dem treffenden Namen „Gemetzel & Söhne“. Vordergründig wird eine viral gegangene Geschichte um einen Vorfall in der Kirche von Simons Vater genannt für den Umzug nach AZUD, doch im Grunde geht es darum, dass Simon geschützt werden soll.
Er hat als einziger seiner Klasse vor zwei Jahren einen Amoklauf an seiner Schule überlebt, alles darüber, vor allem sein Name und sein Bild, ist im Internet zu finden. Ein Grauen für ihn, der Gedanke, dass nun auch in der neuen Schule, die er besuchen muss, jemand entdeckt, wer er ist. Denn er möchte einfach nur der Junge Simon sein.
Aber er ist nicht einzige an dieser Schule, der anders ist. Simon lernt Agate kennen, die unbedingt Fake-Signale von Außerirdischen erzeugen will, um die Wissenschaftler hereinzulegen. Agates Eltern züchten Alpakas und haben noch viele andere Tiere und vor allem noch viele weitere Kinder. Doch Simon mag Agate sehr gern, sie werden enge Freunde, auch wenn er ihrem Plan wegen dieser Signale eher skeptisch gegenüber steht.
Ein weiterer neuer Freund für Simon wird Kevin, dessen Mutter eine der Wissenschaftlerinnen ist und die zuhause sogar eine Mikrowelle besitzen darf. Diese wird noch eine entscheidende Rolle spielen.
Derweil hat Simons Vater mit Eichhörnchen in der Kirche und seine Mutter mit einer verloren gegangenen Leiche zu tun, Simon und Kevin müssen irgendwann als Geburtshelfer bei Ziegen einspringen und natürlich spielen auch die Alpakas noch eine wichtige Rolle.
Das Ganze ist so wunderbar anrührend erzählt, so warmherzig und dabei immer mit herrlich pointiertem Humor, dass man durch die Geschichte fliegt, all diese Kinder ungemein liebgewinnt, mit ihnen lacht, weint, fühlt. Die Autorin hat ganz offensichtlich ein sehr feines Gespür für die Gedanken- und Gefühlswelt von Kindern in diesem Alter, ihr gelingt die Darstellung ihrer Sprache, ihrer Aktionen und ihrer Reaktionen absolut glaubwürdig.
Dazu die anderen Figuren, voran Simons Eltern, die man einfach mögen muss in ihrer alles überragenden Bemühung, ihren Sohn zu schützen, den sie fast verloren hätten, Mutter und Geschwister von Agate oder die Lehrerinnen an der Schule, alle diese Figuren sind so lebensecht, so lebendig und so humorvoll gezeichnet, dass man meint, sie leibhaftig zu kennen.
Besonders das Geschick von Erin Bow, diese Gratwanderung zwischen Humor und Drama, zwischen der Schilderung des Alltäglichen und der Beschreibung des Grauens, das Simon erlebte, dieses Geschick muss man bewundern. Nie driftet es in Rührseligkeit ab, nie wird das Ganze kitschig, nie werden Kinder süßlich oder kindisch geschildert.
Dazu kommen all die Absurditäten, die sie in ihren Roman einbaut, wie beispielsweise den Nachbarn von Agatas Familie, der Emus züchtet, die ausbüxen und mühsam und in herrlichen Szenen wieder eingefangen werden müssen.
Ein Buch, das ich aus vollem Herzen und uneingeschränkt allen empfehle, nicht nur jugendlichen Leser:innen ab 14, wie es der Verlag angibt, sondern auch allen Erwachsenen. Ein Buch, das man so schnell nicht wieder vergisst. Und eigentlich möchte man schon wissen, wie Simons Leben weitergeht…
Erin Bow - Alpakas, Agate und mein neues Leben
aus dem Englischen von Ute Mihr
dtv Reihe Hanser, April 2025
Gebundene Ausgabe, 395 Seiten, 16,00 €

Bewertung vom 16.05.2025
Ms Darling und ihre Nachbarn
Sampson, Freya

Ms Darling und ihre Nachbarn


ausgezeichnet

Wieder hat diese wunderbare Autorin einen herzerwärmenden Roman verfasst, voller liebenswerter Gestalten, die alle ihr Päckchen zu tragen haben und sich schwer tun, Hilfe anzunehmen.
Im Mittelpunkt steht die titelgebende Ms Dorothy Darling – auf dem Ms besteht sie ostentativ. Sie ist inzwischen weit über 70, lebt seit vielen Jahren allein in ihrer Erdgeschosswohnung in einem etwas in die Jahre gekommenen, einst sehr herrschaftlichen Mietshaus. In der Wohnung ihr gegenüber wohnt der etwa gleichaltrige Joseph, der eine neue Untermieterin aufnimmt. Diese, die sich Kat nennt, zieht sofort den Unwillen Dorothys auf sich, einfach nur, weil Kat pinkfarbene Haare und einen zerfransten Rucksack hat.
Dorothy ist grundsätzlich nicht wohlgesinnt gegenüber ihren Nachbarn, kontrolliert alles und jeden. So geht sie täglich eine Runde durchs Haus, prüft die Türen, schaut nach der korrekten Müllentsorgung und kämpft einen ebenfalls täglichen Kampf gegen den jungen Mann in der Wohnung über ihr, der stets und ständig viel zu laute Musik hört.
Weitere Bewohner sind Omar und Ayesha Siddiq, ein verwitweter Vater und seine Teenagertochter, sowie im obersten Stockwerk Gloria, die zum Leidwesen Dorothys zahlreich wechselnde Männerbekanntschaften hat und Tomasz, ein Berg von einem Mann, der meistens schweigt.
Nun erhalten alle Mieter Post vom Vermieter mit einer Kündigung, da das Haus abgerissen werden soll. Nach vielem Hin und Her und etlichen Streitigkeiten einigen sich alle dann doch, gemeinsam gegen den Abriss des Hauses und gegen ihre Kündigungen zu protestieren. Der Vermieter ist ein dubioser Bauunternehmer, der für seine brutalen Methoden stadtbekannt ist. Hilfe erhält die Hausgemeinschaft von dem jungen Journalisten Will, der sich irgendwann nicht mehr nur für die Story, sondern auch sehr für Kat interessiert.
Für zusätzliche Aufregung sorgt ein Überfalls auf Joseph, der in seiner eigenen Wohnung niedergeschlagen wird, wofür Dorothy sofort einen der anderen Hausbewohner verdächtigt. Doch all diese Ereignisse sorgen auch dafür, dass man sich schließlich – wie nicht anders zu erwarten – näher kommt. So erfährt Dorothy irgendwann, was Kat für eine Vergangenheit mit sich herumschleppt und auch Dorothy öffnet sich am Ende und man versteht, warum sie ist wie sie ist.
Das Ganze wird, wie immer bei dieser Autorin, sehr einfühlsam erzählt, dabei immer mit einer ordentlichen Prise Humor, der jedoch nie ins Alberne oder Seichte abgleitet. Die Dialoge sind lebendig, lebensnah und oft spritzig, vor allem, wenn Dorothy mal wieder eine ihrer Breitseiten abfeuert. Die Figuren sind profiliert, fast alle sehr liebenswert, wenn auch nicht ganz klischeefrei, wie beispielsweise der gemeine Baulöwe, der schlicht ein wandelndes Klischee ist. Was aber überhaupt nicht stört.
Dass alle Bewohner des Hauses ihre Päckchen zu tragen haben, ist logisch. Allerdings bleiben fast alle eher blass im Vergleich mit Kat und Dorothy, aus deren Perspektiven wechselweise die ganze Geschichte erzählt wird. Die Hintergründe und Probleme von Tomasz, Gloria und dem Störenfried in der Wohnung über Dorothys werden nur angerissen und vor allem Will, der Journalist mit dem Faible für Kat bleibt eher diffus, über ihn erfährt man zu wenig.
Davon abgesehen ist die Lektüre dieser warmherzigen Geschichte eine reine Freude und weckt schon jetzt Vorfreude auf das hoffentlich bald erscheinende nächste Buch von Freya Sampson.
Freya Sampson - Ms Darling und ihre Nachbarn
aus dem Englischen von Claudia Voit
DuMont, April 2025
Klappenbroschur, 366 Seiten, 18,00 €

Bewertung vom 14.05.2025
Die Engel von Alperton
Hallett, Janice

Die Engel von Alperton


sehr gut

Erneut stellt diese geniale Autorin einen Roman vor, der lediglich in Form von Sprachnachrichten, Mails, Notizen und Transskripten von Aufnahmen eine spannende, wenn auch sehr verzwickte Geschichte erzählt.
Deren Inhalt man kaum geschickt zusammenfassen kann, so komplex ist das Ganze. Im Grunde geht es um einen Mord und mehrere Selbstmorde, geschehen vor 18 Jahren in Zusammenhang mit einer Gruppe, einer Art Sekte, die sich die Engel von Alperton nannten.
Für den Mord an einem jungen indischstämmigen Mann sitzt Gabriel Angelis in Haft als verurteilter Mörder, obwohl er stets beteuert, die Tat nicht begangen zu haben. Gabriel war Teil oder vielmehr eine Art Anführer oder Guru dieser Engel. Zu ihnen gehörten auch noch Holly und Jonah, beide damals gerade 17 Jahre alt und Eltern eines Säuglings.
Heute nun bekommt Amanda Bailey, eine Autorin und Journalistin, den Auftrag, über diesen Jahre zurückliegenden Fall zu schreiben. Anlass ist die Tatsache, dass das Baby von damals nun seinen 18. Geburtstag feiert und niemand weiß, wo es lebt, wie es heißt, ja nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.
Also ist Amandas vorrangiges Ziel, dieses Kind ausfindig zu machen. Dazu nimmt sie mit unendlich vielen Menschen Kontakt auf, mit den Ermittlern von damals, mit Kollegen und anderen Schriftsteller:innen, mit Sozialarbeiterinnen und auch mit Gabriel versucht sie in Kontakt zu treten. Gegen ihren Willen muss sie mit Oliver Menzies zusammenarbeiten, der ein ähnliches Projekt begonnen hatte, obwohl sie mit ihm schlimme Erinnerungen verbindet. Eine Unterstützung hat sie in Ellie Cooper, die sie ebenfalls von früher kennt und die all ihre Sprachaufzeichnungen der Verhöre und Gespräche transkribiert und immer wieder ihre Kommentare dazu einfügt.
Alles wird so aus Sicht von Amanda gezeigt, ohne dass man bei der Lektüre von ihr selbst ein rechtes Bild bekommt, sie, die eigentliche Hauptfigur, bleibt diffus, auch als man im späteren Verlauf erfährt, was zwischen ihr und Oliver vorgefallen war, trägt das nicht zu mehr Verständnis dieser Figur bei.
Überhaupt treten unglaublich viele Figuren auf, was sehr verwirrt. Manche haben nur einen Auftritt, andere treten einmal in Erscheinung und danach erst sehr viel später ein weiteres Mal, wo man schon längst vergessen hatte, wer das war. Zwar gibt es vorne eine Art Liste der Personen, die Amanda bei ihren Recherchen kontaktiert, das hilft aber nicht sehr viel weiter.
Auch ist alles sehr in die Länge gezogen, es gibt viele Dinge, die die Handlung nicht wirklich weiterführen, zumindest auf den ersten Blick, wie z.B. Auszüge aus Romanen oder Theaterstücken, die den Fall der Engel von Alperton fiktional bearbeiteten. Da zieht es sich oft, so dass dieser Roman leider nicht die Spannung, die Tiefe und die Qualität erreicht von dem ersten Roman, den ich von Janice Hallett las „Die Aufführung“, der wirklich ungemein fesselte, sowohl durch Spannung wie auch emotionalen Tiefgang. Gerade letzteres vermisste ich hier ein wenig, alle waren eher kühl, keine Figur konnte mich emotional erreichen, konnte Empathie wecken. Dazu kommt das Gefühl, dass der Roman schlicht ein wenig zu lang ist, ein wenig Kürzen hätte vielleicht ganz gut getan.
Dafür ist schließlich die Auflösung vollkommen überraschend einerseits, das Ende so nicht vorhersehbar, andererseits kann man das eine oder andere irgendwann erahnen. Und doch bleiben am Ende noch einige Fragen offen, einige lose Fäden hängen.
So ist das Ganze zwar ein wirklich gut geschriebener, ungemein geschickt gestalteter und sehr dramatischer Roman, der durchaus zu empfehlen ist. Aber etwas fehlte dann doch.
Janice Hallett - Die Engel von Alperton
aus dem Englischen von Stefanie Kremer
Atrium Verlag, April 2025
Gebundene Ausgabe, 543 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 12.05.2025
Sommer ohne Plan
Swanberg, Johanna

Sommer ohne Plan


gut

Eine junge Frau, die alles hat – Erfolg, Freunde, Halt und Zukunft – wirft das alles weg aus Enttäuschung über eine vergangene Liebe. Sie beginnt zu trinken, statt wie bisher als Managerin eines erfolgreichen Restaurants arbeitet sie als Regaleinräumerin in einem Billigladen, statt in ihrer bisherigen schicken Wohnung wohnt sie in einem schäbigen Kellerzimmer.
Dann wird sie dort rausgeworfen und erwirbt von ihrem letzten Ersparten ein verfallendes Haus auf dem Land. Dort wird sie von den Dorfbewohnern dank eines Irrtums für eine Yogalehrerin, eine Art Guru zur Selbsthilfe gehalten. Cassi, statt das aufzuklären, lässt sich weiter treiben und spielt den anderen genau das vor, für das man sie hält. Sie gibt vor, etwas zu sein, was sie nicht ist. Dabei trinkt sie immer weiter und lässt sich eigentlich auch nur immer weiter treiben. Ergreift keine Initiative, außer dass sie beschließt, das erworbene Haus wieder ein bisschen auf Vordermann zu bringen.
Dabei hilft ihr der alte Pavel, der mit den früheren Bewohnern von Cassis Haus eng befreundet war. Nach und nach öffnet er sich ihr und erzählt ihr von damals und wie viel ihm sein Freund bedeutet hatte.
Nett gezeichnet sind die verschiedenen Dorfbewohner, die alle ihre Schrullen und Eigenarten haben. Erst sehr zögerlich, dann immer williger kommen sie zu Cassis Veranstaltungen, ihren Yogasitzungen und Beratungen, deren Inhalte sich Cassi aus dem Internet zusammensucht.
Ansonsten tröpfelt die Geschichte ziemlich vor sich hin, ohne wirklichen Sinn, ohne Tempo, ohne erkennbares Ziel. Dazu kommt die sehr spröde, für mich wenige liebenswerte Hauptfigur, die nicht nur eigentlich eine Betrügerin ist und allen Dorfbewohnern etwas vorgaukelt. Sondern auch ansonsten nicht sympathisch ist, mich nicht überzeugt.
Der Grund für ihren laut Klappentext Burnout (wohl eher eine Depression) schien mir arg überkonstruiert, überzogen, wie auch ihre Reaktion. Warum das Ganze erst nach und nach herauskommt und so ein Wirbel drum gemacht wurde von ihr, wurde mir nicht klar, war für mich nicht schlüssig, nicht nachvollziehbar.
Dazu kommt, dass ich den Roman lange nicht so warmherzig und vor allem nicht so lustig fand, wie der Klappentext verheißt. Ich musste an keiner Stelle lachen, fand Cassis Verhalten eher abstoßend als unterhaltsam, nur die kleinen Pointen in den Dialogen der Dorfbewohner brachten etwas Komik in die Handlung.
Einzig Pavel, der traurige alte Mann, ist sowohl liebenswert wie interessant als Figur und wegen seiner berührenden Geschichte. Die nicht so richtig zu dem ganzen Roman passen will, sich von der übrigen Handlung stark abhebt.
Dieser Roman hatte es wieder einmal sehr schwer, mich zu überzeugen, weil ich die Protagonistin nicht mochte, sie mir fast unsympathisch war. Ich fand weder Zugang zu ihr oder ihrem Verhalten, ihren Reaktionen, ihren Gedanken. Noch fand ich Zugang zur Geschichte, die mir sehr mühsam konstruiert vorkam. So fällt leider mein Urteil über den Roman entsprechend aus, auch wenn mir der Schreibstil der schwedischen Autorin, deren Debütroman das ist, durchaus gefiel. Er ist leichtfüßig, ihr gelingen gute Beschreibungen sowohl vom Setting wie auch von den Figuren.
Johanna Swanberg - Sommer ohne Plan
aus dem Schwedischen von Nina Hoyer
Hoffmann und Campe, April 2025
Gebundene Ausgabe, 413 Seiten, 25,00 €

Bewertung vom 09.05.2025
Eichhörnchenglück
Lukas, Dana

Eichhörnchenglück


sehr gut

Ich-Erzählerin Annike kommt nach Hause in ihr Elternhaus, weil ihr Onkel Theo sie darum gebeten hat. Denn ihre Mutter Edith liegt nur noch im Bett, weigert sich, ihr Zimmer zu verlassen, lässt sich stattdessen von ihrem Bruder Theo bedienen und umsorgen.
Annike hat schon seit jeher kein gutes Verhältnis zu ihrer Mutter und nun, einige Monate nach dem Tod ihres Vaters ist es auch nicht besser. Beide finden keinen Zugang zueinander, jedes Wort wird verdreht, jede Unterhaltung endet im Streit. Annike, inzwischen Mitte Vierzig, hat nie einen sogenannten „anständigen“ Beruf erlernt, verdient ihr Geld mehr schlecht als recht als Musikerin, lebt in einer WG, hat ganz offensichtlich kein Interesse daran, eine eigene Familie zu gründen oder ein „geregeltes“ Leben zu führen.
Doch nicht nur daran entzündet sich immer neuer Streit. Als Annike bemerkt, dass ihre Mutter die im Baum vor dem Haus turnenden Eichhörnchen mit Walnüssen bewirft, um sie zu vertreiben, ist sie empört. Dann findet ein Nachbarsmädchen ein verletztes Eichhörnchen und bittet Annike um Hilfe.
Erst widerstrebend, dann immer mehr eingebunden, pflegen nun Annike, die kleine Malou und Onkel Theo das verletzte Tier, was schließlich dazu führt, dass sogar Edith, von Neugier getrieben, ihr Bett verlässt.
Doch natürlich wird es nicht so einfach aufgelöst, es dauert noch, bis Annike mehr Verständnis für ihre Mutter aufbringt und diese sich mehr damit abfindet, dass Annike ihr eigenes Leben lebt. Schließlich entdeckt Annike im Keller Geheimnisse ihres verstorbenen Vaters, Onkel Theo erklärt das merkwürdige Verhalten seiner Schwester in all den Jahren und auch, was es mit Malou auf sich hat, klärt sich schließlich auf.
All das wird munter und leichtfüßig erzählt. Der Autorin gelingt es, eine gewisse Spannung zu erzeugen, man will wissen, was hinter dem ewigen Zwist zwischen Mutter und Tochter steckt und natürlich ist man interessiert daran, wie das Ganze für das verletzte Eichhörnchen ausgeht, dem Malou täglich einen neuen Namen gibt.
So sympathisch die Figuren geschildert sind, vor allem Theo, der ehemalige Lehrer, dem immer wieder Formulierungen aus der Jugendsprache entfliehen, so angenehm „normal“ das Kind Malou dargestellt wird, ohne ins Süßliche abzurutschen, so wenig nachvollziehbar war für mich die Figur der Annike. Für eine Frau von 44 legt sie eher penetrant das Verhalten einer pubertierenden 14jährigen an den Tag. Kaum einmal erschien mir schlüssig, wie sie reagiert, wie sie agiert.
Davon abgesehen war der Roman recht unterhaltsam, wenn auch etwas seicht und oberflächlich. Einige lose Fäden blieben hängen, manchmal wurde der Zufall etwas arg strapaziert. Herrlich dagegen die Schilderung des Besuchs im Tierfachhandel, wo Annike, Malou und Theo einen Käfig für das Eichhörnchen erwerben wollen. Sehr schön auch die Beschreibung des Tieres und seines Verhaltens. Dass die Autorin, die vom Besuch eines Eichhörnchens auf ihrem Balkon zu dieser Geschichte inspiriert wurde, tierlieb ist, spricht aus jedem Satz.
Dana Lukas – Eichhörnchenglück
Piper, April 2025
Taschenbuch, 365 Seiten, 12,00 €