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Ellinorliest

Bewertungen

Insgesamt 30 Bewertungen
Bewertung vom 22.07.2025
Schattengrünes Tal
Hauff, Kristina

Schattengrünes Tal


ausgezeichnet

Lisa und Simon sind seit vielen Jahren verheiratet. Die beiden haben eine fast Erwachsene Tochter, die aktuell ein Auslandsjahr macht. Lisa macht im elterlichen Hotel die Buchhaltung, arbeitet zusätzlich im örtlichen Tourismusbüro; Simon ist Förster. Die beiden leben schon immer in der kleinen Stadt mitten im Schwarzwald. Eines Tages taucht eine Fremde im Hotel auf, Daniela. Sie knüpft schnell Kontakt zu diversen Personen, macht sich auch im Hotel bald unentbehrlich. Doch wer ist diese Person und wieso wenden sich so viele Lisa nahestehende Personen auf einmal gegen sie?
Schattengrünes Tal ist mein drittes Buch von Kristina Hauff und meiner Meinung nach das bisher schwächste. Ich mochte das Setting sehr gerne, alles wirkt sehr realistisch, man hat sofort eine genaue Vorstellung von allen Gegebenheiten. Was weniger realistisch ist, sind die Figuren bzw. ihr Verhalten. Besonders Daniela und Simon sind in meinen Augen unglaubwürdig. Ich kenne manipulative Personen wie Daniela und es gibt kaum einen Typ Mensch, den ich weniger mag. Das ist aber nicht, was mich hier stört. Vielmehr weiß ich, dass auch manipulative Personen irgendwo an ihre Grenzen stoßen. Zu einer Manipulation gehören immer zwei, nicht jede*r ist so leicht beeinflussbar. Besonders in einer Region, die als eher verschlossen gilt, erscheint es mir daher völlig unglaubwürdig, dass sich jeder, aber wirklich jeder, von einer ihm fast völlig fremden Person derart lenken lässt. Daneben ist es Simons Verhalten, dass mir äußerst absurd erscheint. (Achtung Spoiler!) Er kennt Daniela sehr gut, weiß genau, wie sie tickt. Dennoch erwähnt er mit keinem Wort ihre frühere Beziehung. Ein paar Sätze von ihm zu Beginn und alles wäre aufgelöst gewesen. Das fand ich nicht nur von Simon sehr schwach, auch als erzählerisches Mittel ist es nicht das beste.

Bewertung vom 22.07.2025
Die Geschichte des Klangs
Shattuck, Ben

Die Geschichte des Klangs


sehr gut

Die Geschichte des Klangs ist ein kleines Büchlein, das aus zwei Erzählungen besteht. Das sollte man vor dem Lesen wissen, aus dem Klappentext ist es nicht erkennbar. Beide Geschichten stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang, bauen aufeinander auf. Dennoch ist die Erwartungshaltung eine andere.
Die erste Geschichte erzählt von Lionel und David, zwei Musikstudenten, die sich ineinander verlieben. Auf der Suche nach seltenen Musikstücken reisen die beiden durch die Wälder New Englands und verbringen einen unvergesslichen Sommer. Doch die beiden verlieren den Kontakt.
In der zweiten Erzählung hört eine Frau ein Interview mit Lionel. In ihrem Haus stößt sie einige Zeit darauf auf einen Koffer mit Rollen. Sie nimmt Kontakt mit der früheren Eigentümerin des Hauses auf.
Ich fand beide Geschichten sehr gut durchdacht. Besonders die Botschaft der zweiten ist sehr eindringlich. Bei der ersten Geschichte fehlte mir eingangs erwähnter Hinweis. Ohne diesen hatte ich Erwartungen an eine tiefgründige Liebesgeschichte. Die eigentliche Romanze war nach wenigen Seiten zu Ende, danach gab es nur noch eine kurze Zusammenfassung der weiteren Ereignisse. Vom Ende war ich daher ein wenig überrumpelt. Bis zum Schluss des Buches erwartete ich auch immer, dass es noch irgendwie eine andere Lösung, irgendein Geheimnis gäbe.
Insgesamt ein schön geschriebenes Buch, dass mir als etwas ausführlicherer Roman jedoch lieber gewesen wäre.

Bewertung vom 22.07.2025
Das Geschenk
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


sehr gut

Das Geschenk beruht auf einer wahren Begebenheit: Vor einem Jahr drohte Botswanas Präsident Deutschland damit, 20.000 Elefanten zu schicken. Hintergrund waren Bemühungen der damaligen Regierung, die Einfuhr von Jagdtrophäen zu begrenzen. In Botswana leben besonders viele Elefanten, durch weniger Abschuss würden sie laut Aussage des Präsidenten den Lebensraum der Menschen einengen und durch fehlenden Jagdtourismus käme weniger Geld ins Land.
Gaea Schoeters Buch setzt an diesem Punkt an. Bei ihr bleibt es jedoch bei keiner leeren Drohung, die Elefanten kommen tatsächlich in Deutschland an. Sie erscheinen einfach und kommen nicht (wie damals gewitzelt) im „Dumbo-Jet“ an. Zugleich folgt die Drohung, sollte irgendeinem der Elefanten etwas geschehen, würde unzählige weitere folgen. Die Regierung sieht sich ungeahnten Herausforderungen gegenüber: Wohin mit den Elefanten, denn vertuschen lässt sich das Problem schlecht? Und wohin auch mit ihren Hinterlassenschaften?
Die belgische Autorin hat eine sehr aktuelle und ziemlich brillante Politsatire geschrieben. Die handelnden Personen sind erfunden, ähneln aber in vielen Aspekten realen Personen. Gaea Schoeters überlegt sich immer neue Konstellationen, lässt auch Konflikte mit Nachbarländern nicht außer acht. Die Elefanten haben sowohl Fans als auch Gegner; teils verhalten sie sich unauffällig, teils verursachen sie gewaltiges Chaos, mitunter entstehen aberwitzige Situationen.
Ein rundum gelungenes Buch, lediglich das Ende konnte ich nicht zu hundert Prozent nachvollziehen, da es meiner Ansicht nach im Widerspruch zu der anfangs genannten Bedingung steht.

Bewertung vom 17.07.2025
Die drei ??? Kids, Geheimnis um CubeMax
Claus, Calle

Die drei ??? Kids, Geheimnis um CubeMax


ausgezeichnet

Wenn meine nicht besonders lesefreudigen Söhne seit Wochen auf das Erscheinen eines Buches hinfiebern, muss es schon etwas ganz besonderes sein. In dem Fall handelt es sich um die Kombination ihrer Lieblingsserie Die drei ??? Kids mit ihrem Lieblingsvideospiel Minecraft. Letzteres heißt hier zwar CubeMax, das stört aber nicht. Die Welt schaut fast genauso aus wie in Minecraft, das ist die Hauptsache (auch wenn die Unterschiede akribisch kommentiert werden).
Justus, Peter und Bob sind große Fans von CubeMax. Doch der Entwickler des Spiels ist plötzlich spurlos verschwunden. Natürlich machen sich die drei Detektive sofort auf seine Spur. Dabei landen sie wortwörtlich mitten im Spiel: ein riesiger Scanner saugt sie auf und transportiert sie in die Welt von CubeMax. Nun müssen sie nicht nur den Entwickler finden, sondern auch einen Weg zurück.
Meine Jungs sind total begeistert, so schnell haben sie schon lange keine Buch mehr verschlungen. Die Handlung ähnelt teilweise einer Staffel einer beliebten Serie mit Legofiguren (Eltern mit Kindern im entsprechenden Alter wissen sofort Bescheid). Macht aber auch nichts.
Das Buch ist so dick wie ein gewöhnliches Drei ??? Kids-Buch, die Kapitel sind jedoch kürzer. Neben dem normalen Text gibt es Comicseiten, die die Handlung fortsetzen, alles sehr farbenfroh gestaltet.
Das Buch ist die perfekte Mischung für Fans beider Welten, von denen es mit Sicherheit eine Menge gibt. Eine Fortsetzung ist für Februar angekündigt.

Bewertung vom 17.07.2025
Das Geschenk des Meeres
Kelly, Julia R.

Das Geschenk des Meeres


ausgezeichnet

Ein kleines schottisches Dorf, Anfang des 20. Jahrhunderts: Ein unbekannter Junge wird an der Küste angespült. Die Lehrerin Dorothy nimmt ihn bei sich auf. Er ähnelt stark ihrem Sohn Moses, der vor vielen Jahren als siebenjähriger im Meer verschwand und nie wieder gesehen wurde.
Langsam wird nun erzählt, was sich damals zutrug, wie Dorothy als Fremde in das Fischerdorf kam, von den Einheimischen als hochnäsig, gleichzeitig aber auch als Konkurrenz eingestuft wurde, besonders von Agnes, die ebenfalls ein Auge auf den Fischer Joseph geworfen hatte. Auch nach langer Zeit ist es für viele ein Rätsel, warum Dorothy und Joseph kein Paar wurden und welche Rolle auch Joseph bei allen Ereignissen spielte.
Das Geschenk des Meeres ist eine sehr vielschichtige Erzählung: Sie zeigt, wie gesellschaftliche Zwänge und Vorstellungen Leben zerstören können, was Klatsch und Gerede mit Menschen machen kann und wie Schuldgefühle für (vermeintliches) Unrecht, Einzelne noch Jahre später quälen kann. Das Buch ist oft recht traurig und bedrückend, gleichzeitig aber auch sehr spannend und gibt gegen Ende doch ein wenig Hoffnung. Julia R. Kelly schafft es meisterhaft, regionale Sagen und Legenden zu verknüpfen, ohne dabei in Richtung Fantasie abzudriften. Sie trifft die richtigen Töne, im Deutschen dank der großartigen Übersetzung von Claudia Feldmann.
Das Geschenk des Meeres ist ein hervorragendes Debüt, dem ich ganz viele Leser*innen wünsche.

Bewertung vom 26.06.2025
Der Junge aus dem Meer
Carr, Garrett

Der Junge aus dem Meer


sehr gut

Der Junge aus dem Meer ist ein sehr ruhiges Buch. Das Buch beginnt damit, dass in einem irischen Fischerdorf am Strand ein Neugeborenes gefunden wird. Der Junge wurde in ein angespültes Fass gelegt, zur Isolation hat man ihn auf eine Alufolie gebettet. Wer seine Eltern sind, weiß niemand. Der Fischer Ambrose und seine Frau Christine nehmen das Kind bei sich auf. Die beiden haben bereits einen zweijährigen Sohn. Obwohl die Eltern beiden Kindern gleich viel Liebe und Aufmerksamkeit schenken, entwickelt der ältere Bruder eine extreme Eifersucht.
Über zwanzig Jahre hinweg wird nun die Geschichte der Familie erzählt. Doch es ist nicht nur die Geschichte einer Familie. Es ist vielmehr die Geschichte eines ganzen Landes, vor allem der irischen Fischer. Beginnend im Jahr 1973, als sie noch auf relativ traditionelle Art mit kleinen Schiffen nachgingen, fängt langsam ein Prozess der Veränderung an. Irland tritt der EWG bei, nun fischen auch ausländische, wesentlich größere Schiffe in den Gewässern. Ein Teil der Fischer erkennt die Veränderung rechtzeitig und reagiert, die übrigen bleiben beim Alten oder verlassen das Land.
In den meisten Kapiteln gibt es einen Abschnitt, der aus der Wir-Perspektive geschrieben ist. Das Wir meint die Bewohner des kleinen Dorfes in Donegal im Nordwesten der Insel. Diese Perspektive ist sehr interessant gewählt, beschreibt sie doch etwas innen- und etwas außenstehendes zur gleichen Zeit.
Der Junge aus dem Meer ist ein sehr lesenswerter Roman, der weit über eine normale Familiengeschichte hinausgeht und dem ich wünsche, dass er ein breites Lesepublikum findet.

Bewertung vom 08.06.2025
Durch das Raue zu den Sternen
Kloeble, Christopher

Durch das Raue zu den Sternen


sehr gut

Arkadia genannt Moll ist musikalisch außergewöhnlich begabt. Sie möchte unbedingt singen - in einem Knabenchor. Moll ist überzeugt: wenn sie dort singt, wird ihre Mutter, die für einige Zeit weggegangen ist, zu ihr zurückkehren. Molls Mutter ist ebenfalls musikalisch sehr talentiert, komponiert und gemeinsam mit ihrer Tochter ist sie sicher, dass Beethoven eine Frau war. Daher weiß Moll, dass auch sie als Mädchen Teil eines Knabenchors werden kann.
Durch das Raue zu den Sternen ist eine ungewöhnliche zarte Geschichte. Moll ist ein starkes Mädchen mit eigenem Willen. In ihrem Dorf im bayerischen Oberland ist sie eine Außenseiterin; dennoch weiß sie sich durchzusetzen. Ihre einzige Freundin ist Bernhardina, eine ältere Dame, die im Seniorenheim lebt. Molls Vater ist von ihren Plänen wenig angetan, er ist zu sehr mit der Situation als alleinerziehender Vater beschäftigt.
Reales Vorbild für den Chor ist der Tölzer Knabenchor. Die meisten Personen und Schauplätze sind fiktiv, haben vermutlich echte Vorbilder. Dem ganzen Buch haftet etwas magisches an, Moll vermischt häufig Träume und Realität, teilweise wird in Rückblenden erzählt. Mit Molls musikalischer Entwicklung wird langsam auch ihre Geschichte enthüllt.
Das Buch liest sich sehr flüssig, Moll ist ein interessanter Charakter. Auch wenn ich bereits vor Enthüllung ihrer Geschichte ahnte, worauf alles hinauslaufen würde, berührte mich die Handlung sehr. Wer auf der Suche nach einer besonderen Geschichte ist, ist mit Durch das Raue zu den Sternen bestens bedient.

Bewertung vom 08.06.2025
Nachtlügen
Surborg, Lisanne

Nachtlügen


sehr gut

Isra ist ein Alb. Tagsüber führt sie ein normales Leben, doch nachts schleicht sie sich in die Schlafzimmer anderer Leute. Sie manipuliert stiehlt deren Lichtträume und ersetzt sie durch Albträume. Die fremden Lichtträume braucht sie zum Überleben und zum Abbau der Albgalle. Jeder Alb hat dabei bestimmte Stammträumer, zu denen er oder sie immer wieder geht. Vor kurzem ist Isra dabei ein Unglück passiert: Einer ihrer Stammträumer verstarb, da Isra seinen Traum so stark manipulierte, dass er vor Angst im Schlaf sein Leben aushauchte. Seitdem steht sie unter Beobachtung. Als sie einen weiteren Stammträumer besucht, findet sie diesen ebenfalls tot auf. Idea ist sich sicher, dass ihr jemand diesen Mord in die Schuhe schieben möchte. Auf der Suche nach dem Täter löst sie auch so manches alte Familiengeheimnis.
Nachtlügen ist genau die Art von Fantasy, die ich mag. Ein Fantasyelement, in diesem Fall die Albe, wird in eine ansonsten ganz normale Welt eingefügt. Hier wurde das sehr gut gemacht, ich war sofort in der Geschichte drin. Nach jedem Kapitel folgt immer ein kurzes Intermezzo, in dem meist lexikonartig ein Begriff der Albsprache erklärt wird oder ein Zeitungsartikel ein zurückliegendes, für die Handlung relevantes Ereignis erklärt. Sehr interessant fand ich auch die Kunst des luziden Träumens, die mich schon immer fasziniert hat.
Nachtlügen liest sich teilweise ein bisschen wie ein Krimi. Allerdings konnte ich nicht immer alles komplett nachvollziehen und fand nicht jeden Zusammenhang völlig logisch. Auch blieben mir manche Figuren ein wenig zu blass und ich hätte gerne noch etwas mehr über sie erfahren. Insgesamt war es jedoch ein schönes, abwechslungsreiches Leseerlebnis.

Bewertung vom 30.05.2025
Stromlinien
Frank, Rebekka

Stromlinien


sehr gut

Zunächst einmal: das Cover und die Gestaltung des Buches sind einfach der Hammer! Ich liebe die Farben und ich liebe auch die Haptik. Für mich das schönste Cover des Jahres,
Auch den Ausgangspunkt der Geschichte fand ich super gelungen: Zwei Zwillingsschwestern fiebern seit Jahren dem Tag entgegen, an dem ihre Mutter endlich aus der Haft entlassen wird. Als dieser endlich da ist, erscheint die Mutter jedoch nicht wie erhofft am Tor. Es stellt sich heraus, dass sie bereits zwei Wochen zuvor entlassen wurde und nun verschwunden ist. Gleichzeitig verschwindet eine der beiden Schwestern ebenfalls spurlos. Beide werden von der Polizei verdächtigt, für den Tod eines Mannes verantwortlich zu sein, dessen Boot in der Elbe versunken ist.
Nach und nach wird nun das Geschehen der vergangenen Jahre aufgedröselt. Das liest sich zunächst sehr gut, besonders die Landschaftsbeschreibungen sind ganz toll. Nach einiger Zeit zieht es sich jedoch etwas und erst nachdem endlich aufgelöst wird, warum die Mutter denn nun so lange im Gefängnis war, nimmt die Geschichte dann richtig an Fahrt auf. Dabei geschehen dann leider ein paar Dinge, die ich dann doch ein wenig zu weit hergeholt fand, auch wenn sich alles sehr spannend liest.
Vieles der Handlung basiert darauf, dass nicht oder zu wenig kommuniziert wird, immer etwas, das mich stört. Ich kann beispielsweise nicht nachvollziehen, wieso die Zwillinge mit fast 18 immer noch nicht den Haftgrund ihrer Mutter kennen. Dass sie sich als Kinder noch mit Ausflüchten zufrieden geben ist verständlich. Doch als Teenies hätten sie eigentlich nachfragen müssen oder es irgendwann von jemandem in der Schule hören müssen. Auch finde ich das Verhältnis zu ihrer Großmutter merkwürdig, die einerseits ihrer Tochter verspricht, sich liebevoll um die Kinder zu kümmern, sie gleichzeitig aber teilweise fast vernachlässigt. Daneben gibt es noch ein paar andere Charaktere, deren Verhalten ich schlichtweg merkwürdig finde, ganz abgesehen von den sehr klischeehaften wie Luca.
Stromlinien hat mich dennoch gut unterhalten und ist ein wunderbarer Schmöker, der nur leider an der ein oder anderen Stelle ein wenig zu dick aufgetragen ist.

Bewertung vom 22.05.2025
Der Kaiser der Freude
Vuong, Ocean

Der Kaiser der Freude


gut

Die Erwartungen an Der Kaiser der Freude hätten größer nicht sein können: bereits vor dem weltweiten Erscheinen wurde der Roman vom Spiegel unter die 100 besten Bücher der letzten hundert Jahre gewählt. Nach dem Lesen des ersten Kapitels, in dem der Schauplatz der Geschichte beschrieben wird, eine kleine Stadt in Connecticut, mit einer unglaublichen sprachlichen Gewandtheit, war ich auch überzeugt, da kommt etwas großes. Auch den Aufhänger, ein medikamentensüchtiger Studienabbrecher, dessen Rettungsanker eine über achtzigjährige Litauerin ist, die den zweiten Weltkrieg überlebt hat und nun durch ihre Demenz Vergangenheit und Gegenwart, Traum und Wirklichkeit vermischt, fand ich gelungen.
Nun kommt das große Aber. Für mich hatte der Roman nichts Neues, gleichzeitig wollte er zu vieles. Es werden zu viele Themen angeschnitten (ein Kritikpunkt, den ich übrigens auch schon bei Auf Erden sind wir kurz grandios hatte), jedoch größtenteils nicht zu Ende geführt. Einige Kapitel wirken zu sehr konstruiert (beispielsweise die Schweineschlachtung oder der mittlerweile schon fast obligatorische Roadtrip), bringen die Handlung jedoch nicht wirklich weiter. Auch bleibt am Ende nicht das Gefühl, dass sich Hai weiterentwickelt hätte.
Meine Erwartungen wurden also nicht erfüllt und ich kann die Einschätzung des Spiegels auch nicht nachvollziehen.

Zusätzlich bleibt noch folgendes anzumerken: Mir stößt es ein wenig sauer auf und es hat auch teilweise meine Lesefreude ziemlich getrübt, dass Ocean Vuong Mitunterzeichner eines Aufrufs zum Boykott israelischer Kulturinstitutionen ist. Das ist eine Einstellung gewisser linksgerichteter Intellektuellenkreise, die ich nicht nachvollziehen kann. Vuong schreibt einerseits unglaublich sensibel, gehört gleichzeitig einer marginalisierten Gruppe an. Meine Erwartungshaltung an ihn ist daher eine entsprechend andere.