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Benutzername: 
Mirko
Wohnort: 
Oelde

Bewertungen

Insgesamt 5 Bewertungen
Bewertung vom 08.07.2025
Der Krabbenfischer
Wood, Benjamin

Der Krabbenfischer


ausgezeichnet

Benjamin Wood erzählt hier die Geschichte von Thomas, einem jungen Mann, der allein mit seiner Mutter lebt und sich als Krabbenfischer im Großbritannien der Sechzigerjahre verdingt. Jeden Morgen fährt er mit seinem Pferd heraus an den Strand, um dort sein täglich Brot zu verdienen. Er führt ein einfaches, teils hartes Leben, ist mit wenig zufrieden, hat bescheidene Träume. Es gibt ein Mädchen, die Schwester seines Freundes, die ihn fasziniert. Aber er traut sich nicht, sie anzusprechen. Und er träumt davon, Musiker zu sein, und wenn es nur ein Auftritt auf einer heimischen Bühne mit seiner Gitarre ist. Eines Tages kommt ein Fremder in das Dorf und fragt Thomas, ob er ihm helfen kann, den Strand besser kennen zu lernen, weil er plant dort einen Film zu drehen. Denn der Fremde ist ein Regisseur, ein Freigeist, der seine Kreativität kaum zügeln kann.
Dies ist das Grundgerüst der Novelle von Benjamin Wood, einem 44-jährigen britischen Autor. Man sollte hier keine ausschweifende Handlungsstränge erwarten. Es ist eine einfache, kurze Erzählung, die allerdings einiges aufzubieten hat. Da ist zum einen die Sprache. Bereits auf den ersten Seiten ist man als Leser dazu in der Lage, sich in das Erzählte bestens hineinzuversetzen. Denn das Ganze ist so plastisch geschrieben, dass man die Gerüche und Geräusche der See förmlich erspüren kann. Die Charaktere sind einem von Beginn an nah. Sie sind authentisch und greifbar.
Und da ist die Symbolik der Erzählung. Denn das Auftauchen des fremden Regisseurs wird natürlich Bedeutung erlangen, die Balance im Leben von Thomas aus dem Gleichgewicht bringen. Auch hier darf man nicht eine zu komplexe Handlung erwarten, sondern sollte vielmehr auf das achten, was zwischen den Zeilen stattfindet.
Man findet hier eine Geschichte, die von Träumen, Hoffnung, den Beschränkungen des Lebens, Kreativität, Inspiration und noch viel mehr erzählt. Es geht darum, wie uns unbekannte Menschen in der Lage sind, unserem Leben eine neue Richtung zu geben. Und es geht darum, nicht nur auf den äußeren Schein zu achten, sondern sehr genau hinzusehen. Denn auch das, was uns erstrebenswert scheint, zeigt bei genauem Hinschauen häufig Risse.
Der Autor liefert nicht an jeder Stelle Antworten, regt aber den Leser, trotz der Kürze seiner Novelle vielseitig zum Nachdenken an. Er beeinflusst die Gefühlswelt des Lesers mit einfachen Mitteln. Es ist nicht die Komplexität von Handlung oder Sprache, mit welcher der Autor beeindruckt, sondern die Liebe zu seinen Figuren und die Fähigkeit gefühlvoll und tiefgründig zu schreiben. Deshalb ist dieser Kurzroman eine klare Leseempfehlung. Lässt man sich darauf ein, kann man tatsächlich reich belohnt werden.

Bewertung vom 15.05.2025
Der Kaiser der Freude
Vuong, Ocean

Der Kaiser der Freude


gut

In Ocean Vuongs neuem Buch erzählt er die Geschichte von Hai, einem vietnamesisch-stämmigen Jungen aus einem kleinen Ort in New England. Bereits im ersten Kapitel wird man als Leser in eine raue, harte Wirklichkeit hereingezogen. Wie eine Stimme aus dem Off wird die Stadt mit all ihren unangenehmen Seiten beschrieben. Man hat das Gefühl, dass jemand erzählt, der dort lebt. Das ist technisch gut gemacht, aber man bekommt direkt und ungeschönt ein Gefühl davon, was einen im weiteren Verlauf des Romans erwartet.
Denn kurz später ist man an der Seite von Hai, der von einer Brücke springen will, um sich das Leben zu nehmen. Eine alte Frau, die das beobachtet, hält ihn davon ab. Die beiden freunden sich an und er zieht bei ihr ein. Auf diesem Grundgerüst baut die weitere Geschichte auf. Man erfährt etwas aus Hais Vergangenheit, was ihn in seine Situation gebracht hat, und etwas aus seinem Leben danach.
Es hat nicht lange gedauert, bis ich beim Lesen des Buches ein unangenehmes Gefühl hatte. Das liegt daran, dass der Autor den Leser einfach maßlos, mit negativen Dingen überfordert. Es geht um Suizidthemen, Krieg, Medikamenten- und Drogenmissbrauch, Entzug, Schizophrenie, Depression, Albträume, soziale Ungerechtigkeit, Gefängnisstrafen etc. In meinen Augen ist das maßlos. Und sorgt somit dafür, dass es schwer wird, Nähe zu den Charakteren aufzubauen. Die Gabe zu schreiben besitzt Vuong ganz sicher. Und seine Entscheidung, die düstere Seite des Lebens zu zeigen, ist eindeutig. Aber wie immer im Leben ist weniger häufig mehr. Er gerät mit der Anhäufung der Themen in eine Disbalance. Ein Beispiel dafür ist eine Szene, in der ein Vater mit seinen zwei Kindern in einen Diner kommt, in dem Hai arbeitet. Eigentlich geht es dort um die Kinder, die sich über die Angestellten lustig machen und sie rassistisch beleidigen. Ich habe mir nur die Frage gestellt, warum der Vater auch noch unter den Folgen einer Kehlkopf-Krebserkrankung leiden muss, in dem er sich ein Gerät an den Kehlkopf halten muss, um sich ausdrücken zu können. Mit diesen teils abstoßenden Szenen sorgt er natürlich dafür, dass man als Leser solche Szenen im Kopf behält. Bei mir allerdings sorgte es dafür, dass ich auf eine erhöhte Distanz zu dem Roman und seinen Figuren ging, was nicht hilfreich ist. Ich würde es am ehesten als Trash-Poesie beschreiben, etwas, was ich schon in früheren Romanen von Vuong gespürt hatte, aber nicht mit den passenden Worten beschreiben konnte. Er leuchtet die dunkle Seite des amerikanischen Traums aus. Und seine Version davon hat wenige Lichtblicke.
Es gibt immer auch wieder gute literarische Momente, wenn Vuong z.B. von Dostojewskyj spricht. Oder wenn er in mehreren zeitlichen Schichten schreibt und über diese Zeitsprünge weitere Hintergründe preisgibt, damit der Leser die Welt von Hai besser versteht. Aber es hält nie lange an, bis wieder Trash auf ihn wartet.
Aber es gibt auch die starken, die leisen Momente, in denen Ocean Vuong strahlt. Ich habe die in der Beziehung zu Grazina, in Gesprächen mit seinem Cousin Sony oder in den wenigen Kontakten zu seiner Mutter gefunden. Hier geht es häufig um Herkunft und Spuren aus der Vergangenheit, die im Jetzt eine starke Wirkung entfalten. Manchmal kommt alles zusammen, wenn der Autor tief in die Seelen schaut, in einer Situation, die den Leser verstummen lässt, wenn er gleichzeitig das Licht beschreibt, das diese Szene ausleuchtet und die Sinne berührt. Das waren Momente, in denen ich mich an John Irving oder Benedict Wells erinnert gefühlt habe. Das waren die starken Momente des Romans.
Und nach einer gewissen Zeit waren auch die Trashthemen plötzlich nicht mehr da. Ab der knappen Hälfte des Romans fokussiert sich der Autor auf das, was er eigentlich erzählen will. Die Beziehung von Hai und Grazina, die Geschichte der Menschen, die im Diner arbeiten. Er erzählt die Geschichte von Außenseitern, die am Rand der Gesellschaft leben, von Leben, die sich häufig schwer ertragen lassen, Von dem, was das Leben wirklich ausmacht: Freundschaft, Zusammenhalt, Akzeptanz. Und auf den letzten Seiten bringt der all das in vollkommener literarischer Kraft zueinander.
Fazit: Es ist unglaublich schwer, diesen Roman angemessen und fair zu bewerten. Vuong macht es dem Leser im ersten Drittel extrem schwer , indem er belastende Themen in den Mittelpunkt stellt und meines Erachtens damit zu viel will. Hätte er sich auf wesentliche Felder fokussiert, hätte man es besser und auch eindringlicher verarbeiten können. Mit zunehmender Dauer wird der Roman immer stärker, genau dann, wenn er sich auf die Geschichte selbst konzentriert und die Gesellschaftskritik in den Hintergrund rückt. Insgesamt bleibt bei mir ein Gefühl von Disbalance zurück, obwohl die Charaktere mir zunehmend ans Herz gewachsen sind. Wahrscheinlich hätte das Ganze um 100 Seiten gekürzt werden müssen und möglicherweise wäre dann ein überragendes Werk entstanden. So bleiben aber letztlich nur Facetten, die strahlen und nachwirken.

Bewertung vom 14.04.2025
Das Haus der Türen
Eng, Tan Twan

Das Haus der Türen


gut

Der Roman des malaysischen Autors Tan Twan Eng ist auf drei Zeitebenen angesiedelt - dem Jahr 1921, als einer der beiden Hauptprotagonisten, Willie Somerset Maughan, seines Zeichens Schriftsteller, nach Penang kommt, um seinen alten Freund Robert zu besuchen und sich von einer Schreibblockade zu befreien. Er wird begleitet von seinem Sekretär und Geliebten Gerald. Lesley, Roberts Frau, ist die zweite Hauptprotagonistin und wird Willie zum Schreiben einer neuen Geschichte animieren. Dazu wird der Leser ins Jahr 1910 zurückversetzt werden. Auf dieser Ebene erzählt ausschließlich Lesley in der Ich-Form. Den Rahmen bildet dann noch die dritte Ebene, welche im Jahr 1947 angesiedelt ist.
Der Autor bedient sich wahrer Figuren und Geschehnisse. Das ist insofern interessant gemacht, als man dadurch auf einen Schriftsteller aufmerksam gemacht wird, der mir zumindest bis dato nicht bekannt war. Die Authentizität der Geschichte erhöht sich entsprechend. Allerdings hatte ich von Beginn an Schwierigkeiten, mich auf einer Gefühlsebene mit den Charakteren wiederzufinden. Ich wusste lange nicht, wo Tan Twan Eng hinsteuern will. Auch wenn alles in einer eleganten, stilistisch einwandfreien Sprache geschrieben ist, bleibt die Erzählung so eher verhalten, oberflächlich und kühl.
Man erfährt das ein oder andere über den Umbruch in China während der damaligen Zeit. Das ist interessant, insbesondere, da ich bislang wenig darüber weiß. Es gelingt dem Autor, das Interesse für Kultur, Politik und Menschen im sich vom Kaiserreich zur Republik wandelnden China zu wecken. Aber all das bleibt letztlich wieder an der Oberfläche. Denn Eng macht lange nicht klar, was er erzählen will. Eine Liebesgeschichte? Eine Geschichte über China? Einen Justizthriller? Alles wohl eher nicht. Aber doch von allem ein bisschen. Und so werden aufkommende Gefühle schnell wieder im Keim erstickt.
Fazit: Der Roman des malaysischen Autors ist sowohl sprachlich als auch vom Aufbau gut durchdacht. Wahre Ereignisse und Personen bilden den Kern der Geschichte. Verwoben mit Fiktion, die unerkannt bleibt, entspinnt er eine leise Geschichte auf mehreren Ebenen. Leider passen die parallelen erzählten Geschehnisse nur bedingt zueinander, wodurch die einzelnen Ebenen verblassen, ebenso wie die Charaktere. Diese haben mich auf der Gefühlsebene nicht erreicht, tatsächlich kalt gelassen. Schon 24 Stunden nach dem Ende des Romans bleiben nur vereinzelte Bruchstücke zurück.

Bewertung vom 31.03.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


sehr gut

Unmittelbar vor Takis Würgers neuem Roman „Die Brüder Karamasow“ von Fjodr Dostojewskij gelesen zu haben, ist Fluch und Segen zugleich. Denn im Grunde kann nach einem solchen Jahrhundertroman jedes andere Werk daneben nur verblassen. Dazu später mehr. Auf der anderen Seite ist es wohl Schicksal gewesen, dass bereits nach wenigen Seiten der Name dieses großen russischen Autors fiel - und zwar nicht nur einmal. Es stellt sich schnell heraus, dass Würger sein Buch nach einer Figur aus einem Roman Dostojewskijs („Der Spieler“) benannt hat…
Ich musste mich also darauf einlassen, diesem Buch seinen eigenen Raum zu geben. Und das war insofern reicht einfach möglich, als dass es Würger bereits nach wenigen Seiten gelingt, einige zauberhafte Figuren zu erschaffen. Er benötigt dafür weder ausufernde Psychoanalysen noch intensive Erzählstränge. Vielmehr ist er dazu in der Lage, in kurzen Beschreibungen eine intensive Wärme zu erzeugen, die mich als Leser sofort berührt hat. Ich habe mich zu Hannes und Polina unmittelbar hingezogen gefühlt. Aber das gilt ebenso für die Orte, an denen die Erzählung spielt, oder besondere Momente, welche der Autor erschafft. In mir hat das immer wieder eigene Bilder erzeugt, an schöne Erinnerungen, an tiefe Gefühle, an wichtige Personen…
Eine wichtige Bedeutung in dem Roman hat das Klavierspiel. Ich habe beim Lesen zum Teil die dort benannten Stücke im Hintergrund gehört, was eine ganz eigene und besondere Stimmung geschaffen hat. Zudem hatte ich das Glück, in den Tagen, in denen ich „Für Polina“ gelesen habe, ein Klavierkonzert live erleben zu dürfen. Das hat alles in einen fantastischen Zusammenhang gebracht.
Im letzten Drittel des Romans verfällt der Autor zunehmend in konstruierte Muster. Das ist insofern schade, als ich glaube, dass dadurch der Roman nicht so lange nachhallt, wie es möglich gewesen wäre.
Fazit: Ich will insbesondere die Sensibilität hervorheben, mit der Takis Würger seine Charaktere erschaffen hat. Hierin steckt so viel Wärme, dass man als Leser nicht unberührt bleiben kann. Das ging auch mir so. Ich möchte deshalb noch einmal den Dostojewski-„Vergleich“ vom Anfang aufmachen: Manche Musikliebhaber verehren Miles Davis, andere Taylor Swift. Auch wenn Taylor Swift nicht die Tiefe und Intensität eines Miles Davis erreicht, wird sie von Millionen von Menschen geliebt, weil sie Licht in ihren Alltag bringt. Oder wie verhält es sich bei Kaviar und Pizza? Kaviar ist exklusiv, teuer, aber nicht jedermanns Geschmack. Eine einfache Pizza Margherita lässt mehr Herzen höher schlagen, obwohl sie mit einfachsten Zutaten zubereitet ist. Und so ist auch Dostojewski sicher nicht jedermanns Sache. Vielmehr glaube ich, dass ein Roman, wie ihn Takis Würger geschrieben hat, trotz begrenzterer literarischer Mittel eher die Herzen der Leser erreicht. Und so werde auch ich wohl noch einige Zeit an Hannes und Polina zurückdenken

Bewertung vom 31.03.2025
Tuberkulose
Green, John

Tuberkulose


ausgezeichnet

In seinem neuen Buch schreibt John Green, der große Autor von „Eine wie Alaska“, „Margos Spuren“ oder „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, keinen neuen Roman, sondern ein Sachbuch. Es geht dabei um Tuberkulose, die Krankheit, welche wahrscheinlich die meisten Menschenleben, auf unserem Planeten gekostet hat. Und doch ist sie für die meisten von uns eine große Unbekannte…
Der Autor nimmt uns dabei mit auf eine unfassbar spannende Reise. Er verwebt dabei auf höherer Flugebene die Geschichte von Tuberkulose mit harten Fakten, woraus man als Leser tatsächlich eine Menge lernen kann. Und er bindet das Schicksal des jungen Henry aus Sierra Leone mit ein. Damit macht er das Ganze deutlich nahbarer, man bekommt als Leser ein klareres Bild von dem, was die Betroffenen erleiden müssen. Selbst wenn Green im Grunde schonungslos berichtet, wird man dabei nicht heruntergezogen. Das Buch liest sich fast so spannend wie seine Romane. Er kann halt einfach schreiben. Und dadurch, dass er auch in der Lage ist ein Sachbuch lesenswert zu machen, ist er in meinem Ansehen noch höher gestiegen. „Eine wie Alaska“ gehört seit Jahren zu einem meiner Lieblingsromane. Er erzeugte hier so lebendige Figuren, wie es nur wenige schaffen. Und nun gelingt es ihm, eine Krankheit und damit wohl eins der abstraktesten Themen, die man sich für ein Buch vorstellen kann, ebenfalls lebendig darzustellen. Was er dadurch erzeugt, ist nicht nur einzigartig, sondern auch wichtig. Denn er legt vor allem beim Thema soziale Ungerechtigkeit den Finger in die Wunde. Er führt dem Leser deutlich vor Augen, wie unfassbar es ist, das auch heute noch, etwa 70 Jahre, nachdem Tuberkulose erstmals heilbar war, immer noch zahllose Menschen darunter leiden müssen und elendig daran sterben. Das liegt insbesondere daran, dass die Medikamente dort sind, wo sie nicht gebraucht werden, und die Länder, in denen sie gebraucht werden, nicht über das notwendige Geld verfügen.
Fazit: John Green gelingt mit diesem Buch ein einzigartiges Plädoyer gegen die Ungerechtigkeit in unserer Welt. Er schildert die Geschichte einer Krankheit, deren Auswirkungen und die Ungerechtigkeit, die sie bis heute weltweit auslöst, in so lebendiger Sprache und voller interessanter Fakten, dass ich völlig darin versunken bin. Wenn das mal nicht die perfekte Vorbereitung für Thomas Manns „Zauberberg“ ist. 😉 Green lässt es sich natürlich nicht nehmen, diesen Jahrhundertroman an zwei Stellen zu erwähnen. Wie gesagt, das Buch steckt voller spannender Fakten. Und genau das macht es so interessant.