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Bewertungen
Insgesamt 20 BewertungenBewertung vom 27.07.2025 | ||
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Man hört immer wieder von Menschen, die ihre persönliche Geschichte oder Teile davon mit ins Grab nehmen, und durch Zufall kommt sie posthum heraus. So ist es auch bei Chunyu, der Mutter von Feng. Seit zwanzig Jahren leben sie in Kanada, und nach Chunyus plötzlichem Tod findet Feng heraus, dass ihre Mutter nicht die Person war, die sie vorgab zu sein. In China gibt es noch eine Schwester der Mutter, auch schon sehr alt, und Feng begibt sich auf eine Reise in ihre Vergangenheit in der Hoffnung, von ihrer Tante Mei die Geheimnisse ihrer Mutter zu erfahren. So beginnt Zhang Lings Roman. Was dann folgt, ist die ereignisreiche wechselvolle chinesische Geschichte des 20. Jahrhunderts, in der Chunyu wenig erspart geblieben ist - kein Wunder, dass sie ihre Tochter damit nicht belasten wollte. Aber nicht nur das, denn hinter allem, was Feng über ihre Mutter, deren Familie und ihren längst verstorbenen Vater herausfindet, der auch nicht mit Glück gesegnet war, zeigt sich zudem eine ganz andere Frau als die, mit der sie die meiste Zeit ihres Lebens zusammen gelebt hat. Und Feng überkommen Selbstzweifel, denn Vieles hat sie ganz anders wahrgenommen, als es sich nun darstellt. |
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Bewertung vom 22.07.2025 | ||
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Von diesem kleinen, feinen Buch bin ich derart hingerissen, dass ich es gleich zweimal hintereinander lesen musste, und selbst danach waren meine Gedanken so davon beseelt, dass ich mich nicht sofort auf eine neue Lektüre einlassen konnte. Das zeigt, wie begeistert bin. |
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Bewertung vom 20.07.2025 | ||
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Inhaltlich kommt der Roman nach „Als sei alles leicht“ und wird erzählt von Dora, die in dem vorgenannten Roman das Baby ist. Jetzt, 1962, ist sie 17, und wie die meisten ihres Alters probiert sie sich aus. Sie erzählt von ihrer dysfunktionalen Familie in ärmlichen, improvisierten Wohnverhältnissen. Dora besucht das Gymnasium, was nicht selbstverständlich ist in jener Zeit, schon gar nicht für Mädchen, hat Musikunterricht und kümmert sich auch sonst um alles. Die Mutter ist chronisch krank, außerdem unzufrieden, unglücklich und enttäuscht vom Leben und ihrem Ehemann. Im Harz hat es ihr, der ehemals glühenden Nazisse aus gutbürgerlichen Verhältnissen in Schlesien, nie gefallen, sie hat nicht das Leben, das sie leben wollte. Dora hat die Werturteile und den Blick ihrer Mutter verinnerlicht. Sie wird streng und mit Gewalt erzogen, vor allem der Vater hat genaue Vorstellungen und bestraft jedes Fehlverhalten körperlich. Die Ehe der Eltern funktioniert nicht, es wird nicht argumentiert, sondern gestritten, und der Vater hat cholerische Ausbrüche. Doras Mutter ist ihm zu jener Zeit ausgeliefert, denn wie und wovon sollte sie im Falle einer Scheidung leben? Obwohl Dora dieses Rollenmodell nicht gefällt und sie die gesellschaftlichen Konventionen ablehnt, begehrt sie nicht auf, sondern adaptiert beides, wie sich später noch zeigen wird. Die Mädchen sind alle Lolitas, so ist jedenfalls Doras Sicht, und setzen ihre Körperlichkeit ein, um die Jungs zu beeindrucken, orientieren sich an Brigitte Bardot, und das ist gesellschaftlich anerkannt. Um sich zu beweisen, macht Dora einem jungen Lehrer so lange Avancen, bis der verheiratete Mann seinen Widerstand aufgibt. Das kann nicht gut ausgehen, und für den jungen Mann endet es tragisch. |
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Bewertung vom 05.07.2025 | ||
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Anna oder: Was von einem Leben bleibt Was bleibt von einem Leben? Ein paar Fotos. Wahrscheinlich. Ein Familienstammbuch. Vielleicht. Ein paar Briefe oder Dokumente. Kann sein. Ein paar Erbstücke. Wenn man Glück hat. Henning Sussebach sagt, jeder Mensch stirbt zweimal. Das erste Mal physisch. Das zweite Sterben vollzieht sich langsamer, es ist dann vollendet, wenn sich niemand mehr an diesen Menschen erinnert. Also wahrscheinlich, wenn niemand mehr am Leben ist, der ihn noch persönlich gekannt hat. Henning Sussebachs Buch „Anna oder: Was von einem Leben bleibt“ ist der Versuch, seine Urgroßmutter Anna vor diesem Vergessen-Werden zu bewahren. Um ihre Geschichte niederzuschreiben hat er zusammengetragen, was zu finden ihm möglich war. Ein paar Fotos, ein paar Dokumente. Anhand der bekannten Daten und Stationen ihres Lebens hat er nachgeforscht und mit mühevoller Recherche viele Details herausgefunden. Eine zeitraubende Tätigkeit, bei der er viel Hilfe benötigt und erhalten hat. Trotzdem sind Lücken geblieben. Was und wie hat Anna gedacht? Wie war sie eingestellt? Als Lehrerin soll sie eine große Handschrift gehabt haben, eine Formulierung, die ein Synonym ist: zu ihrer Zeit war die Prügelstrafe an der Tagesordnung, und laut Überlieferung hat sie davon gerne und oft Gebrauch gemacht. War sie also eine harte Frau? Oder hat sie sich lediglich zeitgemäß verhalten? Annas Leben war nicht unbedingt typisch für ihre Zeit. 1866 ist sie geboren. Schon sehr früh, als 12-jährige, hat sie das elterliche Haus verlassen, um eine Schullaufbahn einzuschlagen, die es ihr ermöglichte, Lehrerin zu werden. Das muss nicht unbedingt ihr Wunsch gewesen sein. Doch ihr Vater war gestorben, und ihre Mutter wollte für alle Kinder das Bestmögliche arrangieren. Zum Heiraten war Anna zu jung, also musste sie für sich selbst sorgen können. Viele Möglichkeiten hatten Frauen dazu damals nicht. Ob Anna wohl Heimweh hatte? Solche Fragen sind es, die die beste Recherche nicht beantworten kann. Aus der Gesamtheit der Daten und Belege setzt der Autor ein Bild zusammen. So könnte es gewesen sein, Annas Leben. Vielleicht. |
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Bewertung vom 10.06.2025 | ||
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Die Verlockung des Autoritären „Kein politischer Sieg ist für die Ewigkeit, keine Definition der Nation ist von Dauer, und keine Elite, sei es eine aus Populisten, aus Liberalen oder aus Aristokraten, herrscht für immer.“ (Seite 187) |
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Bewertung vom 29.05.2025 | ||
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In Irland gab es bis 1996 keine Ehescheidung. Erst dann wurde sie durch ein Referendum mit einer äußerst knappen Mehrheit von noch nicht einmal einem Prozent (!), so die Anmerkung des Autors, eingeführt. |
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Bewertung vom 29.05.2025 | ||
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„Leuchtende Jahre“ hat mich sehr begeistert. Collage-artig montiert, aber in chronologischer Reihenfolge erzählt es im Plauderton von sieben bedeutenden Frauen der Künstlerszene der Weimarer Republik. Die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts hatten für kurze Zeit das Potenzial, Frauen ein Stück voran zu bringen. Allerdings liefert das Buch keine soziologische Analyse, denn alle sieben Frauen, die hier herausstellt werden, waren genau das: auf unterschiedliche Weise privilegiert, dem Durchschnitt der Mehrheit entsprachen sie definitiv nicht. |
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Bewertung vom 30.04.2025 | ||
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Das Geheimnis von Pinewood Crest Ein dramatischer Familienroman in zwei Zeitebenen Mason Hicks ist überfordert von seinem Leben und verlässt seine Frau ohne Erklärung. Während einer mehrtägigen Fahrt in den Norden von Michigan reflektiert er sein Dasein. Wie schon sein Vater vor ihm leidet er an Depressionen und mangelndem Selbstwertgefühl. Das komplizierte Verhältnis zu seinen Eltern macht es nicht einfacher für ihn. Wie gut, dass seine Frau ihn nicht so schnell aufgibt ... |
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Bewertung vom 03.04.2025 | ||
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1994 kam Dmitrij Kapitelman als 8-jähriger als jüdischer Kontingent-Flüchtling aus der Ukraine nach Deutschland. Die Familie ließ sich in Leipzig nieder, wo sie einen russischen Spezialitätenladen eröffnete, ein „Magasin“, und knappe 30 Jahre führte. Der Autor hat ein inniges Verhältnis zu seinen Eltern. Doch mit dem russischen Überfall auf die Ukraine wird die Beziehung zu seiner Mutter einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt, denn diese steht stramm an der Seite Putins. Sie sieht sich den ganzen Tag Propagandasendungen im russischen Fernsehen an, deren Statements sie gebetsmühlenartig wiederholt und sich auf keine Argumentation einlässt. Sie überwirft sich mit sämtlichen ukrainischen Freunden, und auch zwischen Mutter und Sohn führt diese Haltung zu starken Spannungen, einem „lebenstiefen Riss“ (S. 106). Sein Vater geht da nicht mit. „Ein KGBschnik hat nur eine bestimmte Art, die Welt zu sehen. Nur eine Art, zu denken. Der ist immer noch im Kalten Krieg und kann richtig gefährlich werden, wenn man ihn lässt.“ (S. 21) Seine Worte über Putin, als dieser Präsident wurde. Als letzten Argumentationsversuch besteigt Dmitrij den Flixbus Berlin-Kyjiw und tritt eine Reise in die Ukraine an, weil er hofft, seine Mutter mit einem Augenzeugenbericht erreichen zu können. |
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Bewertung vom 02.03.2025 | ||
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Sophie Luise, 14, möchte eine Freundin mit in den Toskana-Urlaub nehmen. Aber Aayana ist nicht irgendeine Freundin, sie ist ein Flüchtling aus Somalia. Und Sophie Luise ist auch nicht irgendein Teenager, sondern die Tochter von Elisa Strobel-Martinek, einer hochrangigen Politikerin Österreichs. Doch Aayanas Eltern erlauben die Reise nicht. Das kann die Politikerin nicht auf sich sitzen lassen. Sie bemüht verschiedene Stellen, und nach deren sanftem Druck darf Aayana mitfahren. |
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