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Urte Köhler

Bewertungen

Insgesamt 80 Bewertungen
Bewertung vom 20.05.2025
How To Save A Life
Jong, Silvia Maria de

How To Save A Life


ausgezeichnet

Das herausragende Merkmal dieses Thrillers ist die einfühlsame und tief ergreifende Schilderung der Gefühle der Protagonisten. Für jeden Leser, der selbst über ein hohes Einfühlungsvermögen und viel Empathie verfügt, ist die Lektüre dieses Buches ein Hochgenuss.
Die Protagonisten sind starke Persönlichkeiten, aber nicht diese toughen, abgebrühten Typen, die Härte demonstrieren und so tun, als hätte die Seele nichts zu melden und Gefühle seien ein Zeichen von Schwäche.
Das, was Cassie in der Geschichte widerfährt, ist ein einschneidendes, lebensveränderndes Moment. Darüber, dass dies Veränderungen nach sich zieht, muss niemand diskutieren. Das ist Fakt! Geschichten, die diese Tatsache ignorieren, gehen komplett an der Realität vorbei und erschaffen lebensfremde Figuren.
Was ich als wirklich schönes Plus an der Geschichte sehe, ist die Gegebenheit, dass beide Hauptfiguren auf der emotionalen Schiene fahren. Das bringt sie einander näher und ermöglicht tiefergehendes gegenseitiges Verstehen.
Hier wird nicht mit Gefühlen gekämpft, sondern mit ihnen gelebt und sie als Lebensmotor gesehen. Sie gestalten das weitere Handeln, nicht irgendein sturer Kopf, der von lebensfernen Überzeugungen nur so strotzt.
Gefühle lassen sich nun mal nicht steuern. Dieses Buch ist ein wunderbares Zeugnis davon, dass spannende Geschichten entstehen können, wenn Gefühle das Sagen haben. Und das diese Storys eine erzählerische Dynamik entwickeln können, die den Leser in seinem Innersten treffen.

Bewertung vom 07.05.2025
The Island - Auf der Flucht (eBook, ePUB)
Martin, Nicola

The Island - Auf der Flucht (eBook, ePUB)


gut

In diesem Thriller passiert unfassbar viel, doch bleibt meiner Meinung nach der Thrill etwas auf der Strecke. Es war für mich weder packend noch mitreißend, sondern 'nur' spannend. Eine Geschichte einer Flucht, die nicht wirklich die Flucht beschreibt, sondern eine Station während der Flucht vor einer ungeklärten Situation weit weit weg.
Was der Autorin sehr gut gelungen ist, sind die zum Teil sperrigen und widersprüchlich handelnden Personen, mit denen die Heldin es zu tun bekommt. Nicht wirklich einordbar, ob nun Freund oder Feind, hängt die Heldin in der Luft und muss sich immer wieder neu orientieren und ihre Handlungen danach ausrichten.
Das Ambiente auf einer abgelegenen Karibik Insel ist zwar als Setting sehr schön, doch kommen Landschaftsbeschreibungen und stimmungsbildende Atmosphärenschilderungen zu kurz. Das Wetter ist zwar handlungsbestimmend, aber nicht wirklich bedrohlich, so wie es auch nicht wirklich paradiesisch ist. Sand und Wasser, mal eine Palme. Kein Seele baumeln lassen an diesem klassischen Sehnsuchtsort.
Auch die ultrareichen Gäste mit ihren schrulligen Macken finden anfangs eine Schilderung, doch es reicht nicht aus, um dem Personal wirklich den letzten Nerv zu rauben. Diese Gäste werden rausgeworfen und das war es dann. Schade. Es wäre schön gewesen, hätte es noch mehr solch schräger Vögel gegeben, die das Geschehen beeinflusst hätten. So konnte sich die Heldin ganz auf die sonderbaren Todesfälle konzentrieren und sehen, wie sie aus dem Plot wieder herauskommt.
Letztlich etwas unspektakulär und der Höhepunkt der Geschichte ist schon vorbei, kaum das er begonnen hat.
Insgesamt eine spannende Geschichte. Allerdings kein Pageturner.

Bewertung vom 27.04.2025
Die geheime Sehnsucht der Bücher (eBook, ePUB)
George, Nina

Die geheime Sehnsucht der Bücher (eBook, ePUB)


sehr gut

Eine Geschichte wie ein gemütliches Kopfkissen. Hineinkuscheln und in die Story fallenlassen. Manchmal dabei einschlafen, aber die leichten Träume nehmen den Faden der Sehnsucht der Bücher auf.
Die Charaktere sind etwas eigenwillig, gelegentlich spröde aber auch kapriziös. Eine erfrischende Ansammlung von Schrägheit, abseits des Mainstream. Ein Leben für Bücher.
Thematisiert werden aktuelle Themen wie Angst vor Veränderungen, Mobbing und kindliche Verantwortung gegenüber Erwachsenen, deren fehlerhafte Seiten offen zu Tage treten. Bücher sind dabei immer wegweisend und hilfreich, die Leser assoziieren ihr Schicksal mit den Helden der Bücher - ein Leitfaden zum Leben.
Besonders gefallen hat mir die zunächst durch ihre Lebensunfähigkeit auffällige Mutter der Protagonistin Francoise. Eine Frau, die durch ihre Vergangenheit gelähmt ist, unter deren harter Schale der Gewohnheiten sich aber ein überraschend treffsicherer und energischer Charakter verbirgt. Zwei kennzeichnende Formulierungen sollen dabei exemplarisch stehen:
- "Beileidsrhetorik ist die wahre Beleidigung des Schmerzes."
- "Wenn man mitten am Tag vom Tod hört, übernimmt immer die Banalität die Regie."
Diese Sätze offenbaren einen reichen Schatz an Lebenserfahrung und bringen die Handlung gut auf den Punkt. Widerspruch fällt hier schwer.
Gegen Ende der Geschichte nimmt die Handlung Fahrt auf und führt die verschiedenen Stränge gekonnt zusammen. Auch wenn ich mir Einiges Ausführlicher in der Auflösung gewünscht hätte, als eine 'bloße' Zusammenfassung vorangegangener Handlung.
Eine gelungene Geschichte über Bücher, deren Wert und deren Bedeutung für den Menschen.
Eine Laudatio aufs Lesen!

Bewertung vom 23.04.2025
Devil's Kitchen
Fox, Candice

Devil's Kitchen


sehr gut

Voller Begeisterung und in der Hoffnung, von Flammen der Spannung quasi verbrannt zu werden, war ich doch einigermaßen ernüchtert, als ich die ersten Seiten las. Die Story entwickelte nicht den erwarteten Sog, den schon so manch anderer Thriller bei mir ausgelöst hat. Die Geschichte ist lesenswert, ohne Frage, aber der "Thrill" fehlt mir.
Die Charaktere sind sehr gut getroffen, die verkorksten, verbrecherischen Männer in ihrer Toxizität ansprechend. Die Sprache passt zum Milieu, sie unterstreicht das Derbe der Fire-Fighter.
Fox ist es hervorragend gelungen, die Ambivalenz der Härte zu der emotionalen Komponente des Berufs Feuerwehrmann herzustellen. Menschliche Schicksale und die Last der eigenen Existenz, in der vieles schief gegangen ist, treffen in den Protagonisten zusammen. Die Verzweiflung am eigenen Schicksal lässt Menschen ungewöhnliche Wege einschlagen, die Schwere der eigenen Seele zu ertragen.
In diesem Falle Mord und andere Verbrechen auf Kosten unschuldiger Zivilisten.
Fox zeichnet in aktiver Handlung der Personen auf, wie die Menschen an sich und dem was sie gemacht haben wachsen oder zerbrechen.
Diverse Handlungsstränge werden miteinander verknüpft, Vergangenheit und Gegenwart sind gleichermaßen Teil der Geschichte.
Das, was den Protagonisten zustößt sprengt nicht unbedingt die Grenzen der menschlichen Fähigkeit, Dinge zu ertragen. Sie leiden, zerbrechen aber an anderen Dingen.
Devil's Kitchen ist ein sehr gut gewählter Titel, weil die Hölle des Teufels viel Feuer enthält und der übertragene Sinn sich wunderbar in den Plot einfügt.

Bewertung vom 30.03.2025
Ein Raum zum Schreiben
Valla, Kristin

Ein Raum zum Schreiben


weniger gut

Wir erleben eine Frau und Mutter, die eigentlich auch Schriftstellerin ist, als zutiefst verunsicherte Person. Eine Person auf der Suche nach dem ultimativen Raum zum Schreiben, von dem sie hofft, dass es das ist, was sie will und braucht.
Dieses Nicht-Wissen durchzieht den Roman wie ein roter Faden und nicht zuletzt hat sie unfassbares Glück was die Toleranz ihrer Umwelt anbelangt.
Als Leserin dieser Geschichte brauchte ich eine gute Portion Gelassenheit um diese Suche nach dem Unbekannten zu ertragen. Mir fiel es teilweise sehr schwer nachzuvollziehen, was in der Protagonistin vor sich geht. Immerhin haben wir es mit einer gestandenen Frau mittleren Alters zu tun, von der man eigentlich annehmen sollte, dass sie weiß, was für sie und in ihr Leben passt. Und dann ist da immer noch die Frage, ob das, was man sich wünscht wirklich das ist, was man haben möchte.
Ich vermisse die Vorab-Auseinandersetzung und Vorstellung, ob der ersehnte Raum zum Schreiben wirklich den gewünschten Erfolg bringt. Offenbar ist ein tieferes In-sich-hinein-Hören nichts, was die Protagonistin zu leisten vermag. Im Gegenteil: sie sucht das Heil in Schilderungen von historischen Autorinnen und deren Lebensbedingungen um daraus abzuleiten, unter welchen räumlichen Gegebenheiten diese Frauen ihre Bücher geschrieben haben und darin eine Zielvorgabe für sich selbst zu finden.
Sie kommt dabei zu einem für sie recht unvorteilhaften Ergebnis, was hier aus Spoiler Gründen nicht verraten werden soll.
Allerdings stellt sich die für mich als Leserin schon vorab bekannte Tatsache heraus, das geistiges Arbeiten eine innere Disziplin erfordert, die mit dem Ort wenig zu tun hat. Disziplin und Konzentrationsfähigkeit sind die Basis, alles andere ist eine gut gepolsterte Komfortzone.

Bewertung vom 09.01.2025
Die Villa (eBook, ePUB)
Ryder, Jess

Die Villa (eBook, ePUB)


gut

Eine Villa irgendwo abseits von Marbella in Spanien ist Schauplatz dieses Dramas rund um einen Junggesellinnenabschied, der mit der Braut als Leiche geendet hat.
Um die Leerstellen in ihrer Erinnerung zu füllen, lockt die ehemals beste Freundin der Toten die anderen Frauen an den Ort des Geschehens zurück. Damit geraten die immer noch unter der Oberfläche schwelenden Ungereimtheiten in Bewegung.
Die Geschichte liest sich in einem zwar stetig ansteigenden, aber sehr verwinkelten Spannungsbogen, manchmal etwas zäh. Manches ist in seiner Ausführlichkeit der Spannung nicht förderlich und nimmt dem Thriller das Mitreißende.
Die Figuren sind am Anfang etwas farblos in ihrer Motivation, es mangelte ihnen an emotionaler Tiefe, so dass ihre Handlungsweisen flach erschienen. Erst als sich die Schleier der Vergangenheit zu lichten beginnen und sich neue Puzzlestücke in den löchrigen Rahmen fügen, nehmen die Figuren Kontur an. In den Rückblenden kann der geneigte Leser wunderbar die Diskrepanz im Verhalten der Protagonistinnen erkennen. Eine wirkliche Wandlung aber kann nur die ehemals beste Freundin der Braut vollziehen, da sie das Geschehen der Vergangenheit neu aufrollt. Alle anderen haben sich mit den Geschehnissen arrangiert und ihr Leben weitergelebt.
Als am Ende die Wahrheit ans Tageslicht kommt und jedes Puzzleteil an seinem Platz liegt, ist auch die Welt des Lesers wieder im Lot.
Auch wenn diesem Thriller an so manchen Stellen der Thrill fehlt, ist es doch eine spannende Lektüre und der Leser bleibt bei der Stange, weil er das Ende einfach erfahren muss.
Ich hätte mir die Story etwas straffer gewünscht und die Heldinnen lebensnaher. Sie sind schwer greifbar, aber der Plot ist gut gemacht und das Durchgeknallte einer solchen Alkohol lastigen Veranstaltung anschaulich geschildert. Doch so manches verbleibt im Verborgenen: Emotionen, Absichten und Unterschwelliges, was der Handlung möglicherweise das fehlende Mitreißende gegeben hätte.

Bewertung vom 28.12.2024
To Die For (eBook, ePUB)
Gray, Lisa

To Die For (eBook, ePUB)


sehr gut

Geld als Katalysator.
Eine Immobilie für crazy rich people in Los Angeles als Hintergrund für eine Geschichte, die der Frage nachgeht, was die Aussicht auf eine Million Dollar Provision mit Maklern machen kann. Wie groß ist die Gier oder steht finanzielle Not im Hintergrund?
Eine Leiche stört eine Besichtigungsparty für ein 50 Millionen Dollar Haus am Strand von Malibu. Soweit zur Ausgangslage.
Die polizeilichen Ermittlungen laufen parallel zu den Handlungssträngen, die sich vor und nach dem Auffinden der Leiche im Leben der Protagonisten ereignet haben. Sie sollen Klarheit über die Hintergründe und möglichen Motive des Mörders bringen. Was für Schicksale treiben die Menschen voran; zu was für Taten werden sie aus seelischer Not heraus getrieben?
Alle Lebensbilder der Protagonisten geben Motive her, die einen Mord rechtfertigen könnten (sofern ein Mord überhaupt zu rechtfertigen ist). Nur halten sich die Protagonisten bedeckt, sitzen der verlockenden Möglichkeit auf, durch Verschweigen von sich abzulenken. Vielfach werden Momentaufnahmen völlig aus dem Zusammenhang gerissen, falsch eingeordnet und führen damit zu einer Verzerrung der Sicht.
Was sich wirklich abgespielt hat, erfährt der geneigte Leser nach einer spannenden Lektüre selbstverständlich erst am Ende des Buches.
Hier zeigt sich das Können einer Autorin, die es versteht, den Leser zu fesseln, die weiß, wie ein guter Kriminalroman auszusehen hat und die den Leser bis zum Schlusspunkt bei der Stange hält.
Ein gelungener Kriminalroman, der aber das Attribut Thriller nur halb verdient hat. Dafür ist der Spannungsbogen über die gesamte Handlung hinweg an manchen Stellen verflacht. Was aber dem Plot keinen Abbruch tut, zumal das Ende der Geschichte einem neuen Anfang gleicht. Und das wiederum ist hervorragend.

Bewertung vom 12.11.2024
Neun Tage Wunder
Moninger, Kristina

Neun Tage Wunder


gut

Eine in sich stimmige und von den Charakteren folgerichtig angelegte Liebesgeschichte. Aber dennoch bin ich mit der Geschichte nicht richtig warm geworden. Das mag daran liegen, dass Anni ein gutes Stück jünger ist als ich und ich eine solche Situation anders angehen würde. Das würde schon damit anfangen, dass ich der Meinung bin, man sollte seinem Partner derart wichtige Dinge aus der eigenen Vergangenheit nicht verschweigen. Liebe verträgt Geheimnisse, aber hier ist eine Differenzierung nötig. Annis Tage mit Lukas haben etwas Magisches und warum sollte man diese Erfahrung nicht mit seinem neuen Lebenspartner teilen?
Nun ist es so, dass Geheimnisse in so vielen Liebesromanen ein wesentlicher Teil des Plots sind und die Basis für Lebenserfahrung des Protagonisten sind. Außerdem erzeugen sie Spannung.
Einige Figuren dieser Geschichte sind meiner Meinung etwas dürr in der Ausprägung geraten, wie z.B. Claire (Ex-Frau des einen männlichen Helden) und Michael (Freund von Annis Freundin).
Lukas selbst bewegt sich fast komplett in einer undurchsichtigen Wolke, er bleibt bis zum Höhepunkt wenig greifbar.
Was mir aber gefallen hat, war die Reaktion von Lukas auf das Verhalten von Anni. Hier hatte ich wirklich das Gefühl es mit realen Menschen zu tun zu haben, konnte die Verhaltensweisen nachvollziehen. Leider muss Anni durch ein Komplott dazu gebracht werden, sich mit Lukas zu treffen. Eigener Antrieb wäre besser gewesen.
Ein lebensnahes Bild auf sich selbst zeigt Anni nach ihrem Treffen mit Lukas. Und daran kann man gut sehen, was zehn Jahre Getrenntsein eben doch ausmachen können.
Insgesamt ein lesenswertes Buch, welches durch frische, witzige Dialoge besticht. Die Selbstreflexion der Protagonisten könnte tiefer gehen, aber das ist vielleicht etwas viel verlangt.

Bewertung vom 15.09.2024
Tage mit Milena
Burseg, Katrin

Tage mit Milena


weniger gut

Ein hochaktuelles Thema unserer Zeit wird zum Anlass genommen, die Heldin des Romans in einen Konflikt mit einem Vorfall in ihrer Vergangenheit zu stürzen. Das ist grundsätzlich ein guter Plot. Klimakleber, Letzte Generation und Klimaaktivisten sind ein Thema unserer Zeit und somit etwas, mit dem sich viele identifizieren können.
Der Konflikt der Heldin ist in einem ähnlich brisanten Umfeld angesiedelt, allerdings knapp 40 Jahre früher. Die Hausbesetzerszene in der Hamburger Hafenstraße. Auch das hat viele Gemüter damals erhitzt.
Bindeglied ist eine junge Frau, die sich auf die Straße klebt und unsere Heldin spontan dazu bringt, sich neben sie zu setzen. Das bringt alles ins Rollen.
Die Heldin wird von ihren Erinnerungen in die Vergangenheit gesogen und ein emotional unverarbeiteter Konflikt bricht auf. Das führt dazu, dass sie aus ihrem Alltag ausbricht und zusammen mit der jungen Frau eine Reise antritt, die schließlich zur Konfliktlösung führt.
Das Alltagssituationen zu Schlüsselerlebnissen werden können, kommt vor. Ein Déja vu und die Erinnerungen fließen, gute wie schlechte.
Was mich allerdings daran stört, ist die Heftigkeit, mit der Konflikt aus der Vergangenheit an die Oberfläche drängt. Inzwischen sind fast 40 Jahre ins Land gegangen. Die Heldin geht auf die sechzig zu und da soll etwas, das so lange her ist, derart Wellen schlagen? In den vergangenen 40 Jahren soll es keine Situation gegeben haben, die ebenso als Trigger hätte fungieren können? Und was ist mit der in den Jahren angesammelten Lebenserfahrung?
Es liest sich manchmal, als hätte die Heldin keine emotionale Reife in den 40 Jahren gewonnen. Als wäre es gefühlt gestern gewesen. Das ergibt für mich keinen Sinn. Und auch, dass ihr Ausbruch aus dem Alltag keine Konsequenzen für ihre Ehe hat und ausschließlich auf umfassendes Verständnis stößt, ist verwunderlich. Eine gute Ehe trägt das möglicherweise, aber das zieht Gespräche nach sich. Hierfür hat die Geschichte keinen Raum. Es hätte aber zumindest in die Schlussseiten eingeflochten werden müssen. Der Ehemann wird damit zu einer faden, schwachen Person degradiert. Was zu Beginn der Geschichte so gar nicht der Fall gewesen ist.
Auch die Parallelen zwischen der Freundin der Heldin in der Hafenstraße (Milena) und der jungen Frau in der Gegenwart muten konstruiert an. Das Menschen in gesundheitlichen Extremsituationen extrem handeln können, ist nachvollziehbar. Aber das unsere Heldin in beiden Situationen mit einer kranken Mitstreiterin agiert, ist seltsam.
In diesem Roman habe ich die emotionale Dichte der Helden, die ich aus anderen Romanen der Autorin kenne, vermisst. 40 Jahre sind eine lange Zeit, die viel Einfluss auf den Entwicklungs- und Reifeprozess eines Menschen haben. Die Reaktion der Heldin scheint mir weit überzogen und unglaubwürdig.

Bewertung vom 23.04.2024
Das Echo der Gezeiten (eBook, ePUB)
Frank, Rebekka

Das Echo der Gezeiten (eBook, ePUB)


sehr gut

Das Echo der Gezeiten zieht sich durch die Geschichte, wie ein dunkelroter Faden. Gerade die Gezeiten sind es, die schicksalhaft auf die beiden starken Frauen im 17. und im 20. Jahrhundert wirken. Im 20. ist das Echo des 17. noch nicht verhallt.
Beide Frauen haben in ihren Jahrhunderten mit extremen Vorurteilen und nicht vorhandener oder mangelnder Gleichberechtigung zu kämpfen, um sich irgendwie Gehör zu verschaffen und sich einen unabhängigen, selbständigen Platz im Leben zu erobern. Schon die Probleme, mit denen Tilla 1963 zu kämpfen hat, muten heute altmodisch an, auch wenn sie bis heute nicht vollständig ausgemerzt worden sind. Auch heute noch stoßen Frauen an Grenzen, die von Männern oder der Gesellschaft gesetzt werden.
Mutig kämpfen sie für ihre Ideen und Träume.
Nes Dorn, die Heldin im historischen Teil des Romans, muss allerdings einen sehr viel höheren Preis zahlen, um wenigstens Rache üben zu können. Zu sehr ist sie Aberglauben, Macht, mangelnder Bildung und gesellschaftlichem Druck ausgeliefert. Doch sie steht zu ihren Überzeugungen und lässt sich nicht unterkriegen.
Tilla Puls im 20. Jahrhundert kriegt es mit überholten, gesellschaftlichen Normen zu tun, die es Männern leicht machten, Frauen in die zweite Reihe (oder als ihr Anhängsel ohne Namen) zu drängen. Wollten sie Erfolg haben, mussten sie zäh sein und vor allem aus dem Leitbild der Ehefrau am heimischen Herd ausbrechen. Zu der Zeit war eine Ehe das Ende jedweder Ambitionen einer Frau auf Selbständigkeit oder eigene Entscheidungen.
Insofern ist auch der moderne Teil des Romans heute schon historisch. Die Gleichberechtigung der Frau hat in den letzten 60 Jahren enorme Fortschritte gemacht, die einer Frau im 21. Jahrhundert der westlichen Welt eine Unabhängigkeit ermöglichen, die sie noch nie gehabt hat.
Rebekka Frank schafft es in ihrer Geschichte, gesellschaftlichen Wandel zu beschreiben und weibliche Schicksale darin zu verknüpfen, die dem heutigen Leser vor Augen führen, was alles in Sachen Emanzipation erreicht worden ist. Unter anderem auch, weil es Frauen wie Nes und Tilla gegeben hat.