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Sophia

Bewertungen

Insgesamt 76 Bewertungen
Bewertung vom 22.07.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

1961: der achtjährige Bear von Laar verschwindet im Naturreservat seiner Familie in den Adirondacks spurlos. Der Familie gehört das gesamte Naturreservat, in dem sie jeden Sommer ein Sommercamp für Jugendliche veranstalten. Die van Laars sind extrem reich, jedoch bleibt Bear trotz groß angelegter Suchaktion verschwunden. Mutter Alice zerbricht fast daran, Vater Peter, von Natur aus verschlossen, macht den Verlust mit sich selbst aus.
1975: die 13-jährige Barbara van Laar gilt als schwer erziehbares Kind. Sie ist die Tochter der van Laars und würde nur zu gerne ein Mal am Sommercamp teilnehmen. Diesen Sommer ist es soweit und die Leiterin des Camps, T.J. Hewitt, wird ein besonderes Auge auf sie haben, wie sie Mutter Alice verspricht. Doch am letzten Abend des Camps verschwindet auch sie spurlos. Wiederholt sich nun die Geschichte wie vor vierzehn Jahren? Zudem ist ein Serienmörder, der es auf junge Frauen abgesehen hat, aus dem Gefängnis ausgebrochen und auf dem Weg in die Adirondacks...

Ich kann nur sagen: wow! Das Buch hat mich komplett umgehauen und ist seinen Hype definitiv wert!
Liz Moore hat hier eine unglaublich dichte und spannende Geschichte geschaffen, die mehr ist als nur eine Gesellschaftskritik sondern ebenso Thriller und Familientragödie. Dazu tragen sowohl die Erzählweise als auch die Charaktere bei. Die Geschichte spielt in mehreren Zeitebenen und wird aus der Sicht mehrerer Personen erzählt. Das alleine macht das Ganze schon sehr lebendig und abwechslungsreich, die Kapitel sind gut strukturiert und man wirft die Charaktere und Zeitebenen beim Lesen nicht durcheinander. Außerdem werden die Figuren unglaublich gut und detailliert beschrieben, z.B. von Alice erfahren wir die Lebensgeschichte seit dem Kennenlernen von Peter.
Von Anfang an herrscht eine bedrohliche, kribbelnde und schwer greifbare Spannung, die das Lesen zum Genuss macht. Sie verdichtet sich immer weiter, man ahnt beim Lesen, dass ein oder mehrere schlimme Ereignisse passieren werden, aber immer, wenn ich dachte, ich habe die Geschichte durchschaut, schlägt sie eine ganz andere Richtung ein. Bis zur allerletzten Seite bleibt die Geschichte extrem spannend und unvorhersehbar.

Zudem gefallen mir die eingeflochtenen Themen besonders gut: die Rolle der Frau in der (damaligen) Zeit, zerrüttete Familienverhältnisse, Schuld und Trauerbewältigung sind nur ein paar wichtige Themen, die vorkommen. Die Atmosphäre ist stets fast mit den Händen greifbar, die Natur, die Personen und Gefühle werden so treffend und präzise beschrieben, dass man fast meint, man wär selbst im Camp zu Gast.

Für mich ein großes Highlight dieses Jahr, an dem man nicht vorbei kommt und das den Hype wert ist! Lasst euch nicht von den vielen Seiten abschrecken, es lohnt sich!

Bewertung vom 21.07.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Hannes Prager wird allein von seiner Mutter groß gezogen, die in einer alten Villa auf dem Land beim älteren Heinrich Hildebrand wohnt. Mit Polina und ihrer Mutter, die ebenfalls alleinerziehend ist, verbringt Hannes den größten Teil seiner Kindheit. Er entdeckt das Klavierspielen für sich und komponiert sogar ein Stück nur für Polina. Die beiden werden jedoch getrennt und Hannes schlägt sich als Klavierträger durch. Immer wieder denkt er an Polina, aber die beiden können einfach nicht zueinander finden, so viel ist passiert. Er muss Polina wiedersehen, denn ihm bleibt nur die Musik und die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit.

Ich habe zuvor noch nichts von Takis Würger gelesen, werde mir aber noch die anderen Bücher von ihm vornehmen, denn dieses Buch hat mich total umgehauen!
Der Autor hat eine wunderbare Geschichte entworfen, die leise ist, aber genauso kraftvoll nachhallt. Mit leisen Worten und einer fast schon nüchternen Erzählweise zeichnet er eine Geschichte, die ein ganzes Leben umspannt - melancholisch, traurig und trotzdem voller Hoffnung.
Im Mittelpunkt steht Hannes, der ruhig und schüchtern ist und in einem ungewöhnlichen, aber unglaublich liebevollen Umfeld aufwächst. Durch ein tragisches Ereignis wird sein Leben auf den Kopf gestellt und auch die plötzliche Trennung von Polina setzt ihm zu. Man leidet beim Lesen mit, man hofft aber genauso mit ihm, dass am Ende alles gut wird. Auch die Nebenfiguren sind toll und detailreich gezeichnet und fügen sich perfekt in die Geschichte ein. Vor allem hat mir der Umfang des Zeitraums gefallen, in dem die Geschichte spielt, denn man verfolgt Hannes' Leben bis ins Erwachsenenalter, was ihn uns als Leser unglaublich nah bringt.
Takis Würger behandelt in seinem Roman viele Themen, die geschickt miteinander verwoben werden: Erwachsenwerden, Verlust, Trauer und Melancholie. Es zeigt, dass das Leben nicht geradlinig verläuft sondern Höhen und Tiefen hat, Schicksalsschläge und Rückschläge bereit hält. Das Ende hat mich ebenfalls überzeugt, es wird der Geschichte gerecht und passt zur zarten und trotzdem intensiven vorangegangenen Handlung.

Der Roman hat mich sprachlos zurück gelassen, er schafft eine ganz eigene und besondere Atmosphäre und hat mich mit seinem Gefühl und der tollen Erzählweise restlos begeistert. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 20.07.2025
Before we were innocent
Berman, Ella

Before we were innocent


sehr gut

Als Joni nach zehn Jahren vor Bess' Tür steht, stellt das Bess' Leben direkt auf den Kopf. Die beiden haben sich seit fast zehn Jahren nicht gesehen, denn im Jahr 2008 hat ein tragisches Ereignis die beiden auseinander getrieben. Joni und Bess waren zusammen mit Evangeline beste Freundinnen. Nach der Highschool wollten die drei einen letzten Sommer zusammen verbringen und sind nach Griechenland gereist, wo sie im leer stehenden Haus von Evangelines Eltern wohnen konnten. Die Stimmung kippte allmählich jedoch immer mehr und während einer ausschweifenden Party stürzt Evangeline einen Fels am Strand hinunter in den Tod. Bess und Joni verarbeiten den Verlust gemeinsam. Doch jede geht auf Dauer anders damit um und die beiden entfremden sich. Als Joni Bess nach zehn Jahren um ein Alibi bittet, kommen die Geister der Vergangenheit zurück und Bess muss sich erneut Schmerz und Erinnerungen stellen.

Das Cover ist toll gestaltet und lässt schon einiges auf die Geschichte schließen. Die Handlung spielt auf zwei Zeitebenen: 2008 und 2018, die sich mit jedem Kapitel abwechseln. Diese Erzählweise hat mir gut gefallen, denn es bringt Abwechslung in die Handlung und als Leser kann man so immer wieder die Charaktere mit dem zeitlichen Abstand vergleichen. Die Kapitel sind übersichtlich lang und in beiden Zeitebenen wird aus der Ich-Perspektive von Bess erzählt. Man bekommt beim Lesen so einen sehr guten Eindruck ihrer Emotionen und Erinnerungen, Joni dagegen als zweite Hauptfigur blieb mir bis zuletzt fremd, sie bleibt "die Geheimnisvolle", was auch den Reiz der Freundschaft ausmacht. Die Figuren sind allesamt gut gezeichnet und durch Bess bekommt man zwar einen subjektiven Eindruck der Freundschaft, aber man kann auch einige Handlungen und Ereignisse besser nachvollziehen. Denn ein zentrales Thema des Buchs ist für mich die Frage, inwieweit man seinen Erinnerungen und die Interpretationen daraus vertrauen kann - vor allem zehn Jahre später. Die Autorin greift dieses Thema sehr gut auf und verflechtet es in eine Geschichte, die mehr ist als nur ein Roman über Freundschaft: es geht um Trauer, Schmerz, (toxische) Freundschaften und oft hatte ich das Gefühl, von einem True-Crime-Fall zu lesen, weil sowohl die Ereignisse in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart miteinander zusammen hängen.
Ein großer Kritikpunkt sind für mich allerdings die Längen, die das Buch gerade in der ersten Hälfte hatte. Zu Beginn fiel es mir schwer, die Charaktere zuzuordnen, denn sowohl Bess' als auch Evangelines Familie spielen eine wichtige Rolle, die Nebenfiguren konnte ich in der Gegenwart noch nicht richtig einordnen. Zum Ende hin nimmt das Buch nochmal an Fahrt auf und die Handlung legt an Tempo zu. Das Ende hätte ich mir persönlich anders gewünscht, es passt aber zum Stil der Geschichte und zu den Charakteren an sich. Der Erzählstil ist trotz der Ich-Perspektive abwechslungsreich, die Autorin baut einige tolle Textstellen ein, die nachhallen und zum Nachdenken anregen.

Nicht umsonst wurde das Buch von "Reese's Book Club" empfohlen, ich kann es jedem empfehlen, der gerne in zwei Zeitebenen eintaucht und über Freundschaft, Erinnerungen und Trauer liest. Man sollte sich nicht vom zähen Anfangsteil abschrecken lassen, denn das Buch ist mehr als spannend und toll geschrieben.

Bewertung vom 04.07.2025
Confession Room
Middleton, Lia

Confession Room


gut

Willkommen im Confession Room! Auf dieser Internetseite können Benutzer anonym ein Geständnis ablegen. Die ehemalige Polizistin Emilia verfolgt gebannt dem Confession Room, denn ihre Schwester wurde vor einem Jahr getötet und der Täter wurde nie gefunden. Als eines Nachts ein Mord angekündigt wird, beginnt Emilia mit der Recherche und Suche nach den Drahtziehern der Seite. Es werden jedoch die beiden Leichen der angekündigten Opfer gefunden. Die Polizei kommt mit ihren Ermittlungen kaum weiter und als immer mehr Mordankündigungen eintrudeln, ist auch Emilia in immer größerer Gefahr...

Mich haben das Cover und der Klappentext direkt angesprochen. Die Idee eines anonymen Beichtforums fand ich düster und spannend zugleich. Emilia wirkt sympathisch, denn sie hat immer noch Schuldgefühle wegen des Mordes an ihrer Schwester. Die Kapitel sind kurz und übersichtlich, insgesamt ist das Buch in drei Teile aufgeteilt. Sehr interessant ist dabei der Mittelteil, der für mich auch am spannendsten gemeinsam mit dem Ende des ersten Teils war. Emilia als Hauptcharakter ist gut gezeichnet, die Nebenfiguren bleiben zu dünn und ohne Tiefe. An manchen Stellen hat mich die Handlung an Horrorbücher und -filme wie "Saw" erinnert. Ich lese sehr gerne Thriller, auch Düsteres, aber oft war die Handlung zu horrorreich und unrealistisch.
Die Frage, wann man Opfer und wann Täter ist, greift Lia Middleton hier gekonnt auf. Emilia und viele andere, die einen Menschen verloren haben oder die Gewalt erfahren haben, möchten sich natürlich an den Tätern rächen. Macht es sie mit der Androhung schon zum Täter? Die Grenzen von Gut und Böse verschwimmen hier.

Die Idee des Buchs ist nicht neu und allgemein wurde sie gut umgesetzt, mir hat jedoch der Wow-Effekt gefehlt und eine Wendung am Schluss, der mich leider nicht zufrieden stellen konnte. Fans von (Horror)Thrillern mit viel Düsternis werden sicherlich mit "Confession Room" gut bedient sein.

3,5/5 Sternen

Bewertung vom 03.07.2025
Blondes Herz
Evaristo, Bernardine

Blondes Herz


gut

Doris wird als Mädchen in England von ambossanischen Sklavenhändlern verschleppt und nach Aphrika gebracht um als Sklavin verkauft zu werden. Aphrika ist die Weltmacht und Europa komplett kolonialisiert. Sie erlebt die schlimmsten menschenunwürdigen Dinge auf dem Schiff "Neue Welt", auf dem sie mit hunderten Anderen ausharren muss. Als Sklavin bei einem reichen ambossanischen Händler bekommt sie eine Arbeit als Sekretärin - weit über dem durchschnittlichen Standard, den sie als Sklavin normalerweise bekommt. Sie plant jedoch ihre Flucht und landet auf einer Zuckerrohrplantage, auf der sie harte körperliche Arbeit verrichten muss. Wird sie ihren Fluchtplan nochmals aufnehmen um aus dieser Hölle zu entkommen?

In diesem Gedankenexperiment wird die Geschichte umgedreht: was wäre, wenn Afrika, im Buch als Aphrika beschrieben, die Weltmacht darstellt und alle Weißen versklavt werden? Die Grundidee gefiel und gefällt mir sehr gut, die Autorin führt hier einen provokanten Gedanken weiter. Sie zeigt die Grausamkeit und Menschenverachtung, die Menschen zu Eigentum abstuft - egal, welche Hautfarbe man hat oder woher man abstammt. Sie entwirft eine detailreiche und durchdachte Welt, die immer wieder Anspielungen auf Europa beinhaltet wie die Großstadt Londolo oder das Land Großambossanien.
Der Großteil der Geschichte wird aus Doris' Ich-Perspektive erzählt, was einen guten Einblick in die Gefühlswelt bietet und das Geschehen nahbar macht. Sehr interessant ist auch der Mittelteil, der mithilfe einer Pseudo-Wissenschaft erklärt, warum die Weißen einen geringeren Intellekt haben und die Schwarzen klar überlegen sind.

Die Geschichte konnte mich trotzdem emotional nicht wirklich erreichen. Doris bleibt dem Leser fremd und distanziert. Dazu trägt wahrscheinlich auch die oft nüchterne Schreibweise bei. Auch das "Denglisch" im letzten Drittel des Buches hat den Lesefluss gestört und wirkte zu bemüht und schwierig zu folgen.

"Blondes Herz" ist ein Roman mit einem tollen Gedanken, den die Autorin gekonnt weiter verfolgt und dabei wichtige Themen anschneidet. Trotzdem konnte mich die Geschichte nicht ganz erreichen und es fehlte mir an emotionaler Tiefe.

3,5/5 Sternen

Bewertung vom 02.07.2025
Die Kollegin - Wer hat sie so sehr gehasst, dass sie sterben musste?
McFadden, Freida

Die Kollegin - Wer hat sie so sehr gehasst, dass sie sterben musste?


sehr gut

Als Nathalie Farrell morgens ins Büro kommt, bemerkt sie sofort, dass ihre Kollegin Dawn Schiff nicht neben ihr sitzt. Was erstmal normal klingt, ist für Dawn normalerweise undenkbar: sie sitzt jeden Morgen um Punkt 8:45 Uhr an ihrem Schreibtisch, geht zur gleichen Zeit zur Toilette und isst zur gleichen Zeit. Als dann auch noch ein anonymer Anruf auf Dawns Firmentelefon eingeht, beschließt Nathalie kurzerhand, zu ihr nach Hause zu fahren und nach ihr zu schauen. Sie ahnt nicht, dass sie damit einige Dinge in Gang bringt, die das ganze Geschehen komplett ändern werden und auch sie gerät in einen Strudel aus Lügen und Anschuldigungen...

Ich hatte zuvor "Wenn sie wüsste" von Freida McFadden und war begeistert, vor allem von den Plot Twists und der Handlung. Auch mit "Die Kollegin" erzählt die Autorin erneut eine spannende Geschichte, die voller Wendungen ist.
Ich selbst arbeite auch in einem Büro und bereits nach wenigen Seiten stellt man sich selbst die Frage, wie gut man seine Kollegen eigentlich kennt. Gerade in Nathalies Büro bleibt alles anonymer, jeder hat sein Arbeitsplatz-Abteil und man kommt zu Meetings und vielleicht noch dem Lunch zusammen. Die Ausgangslage hat mir sehr gut gefallen, denn das Büro ist in einer klassischen Struktur aufgebaut, wie es sie millionenfach gibt.

Die Geschichte wird zum Großteil aus Nathalies Ich-Perspektive erzählt, was Dawn in einem noch seltsameren Licht erscheinen lässt. Zwischen den Kapiteln sind immer wieder E-Mails zu lesen, die Dawn verfasst hat, zum Großteil an ihre einzige Freundin Mia. Sie schildert darin, wie sie im Büro vor allem von Nathalie immer mehr gemobbt wird, sich aber kaum wehrt. Der Schreibstil bleibt somit angenehm und abwechslungsreich zu lesen, die Kapitel und der E-Mail-Verkehr im Wechsel bilden ein gutes Gerüst um die Spannung aufzubauen.
Schnell wird klar, dass in der Geschichte nichts so ist, wie es scheint. Man schwankt beim Lesen, wer die Wahrheit erzählt und was sich wie genau zugetragen hat. An manchen Stellen zieht sich die Handlung etwas und dreht sich im Kreis, schnell kann man Vermutungen anstellen und das Ende hat mich überrascht, aber es war nicht der große Knall, den ich erwartet hätte.

"Die Kollegin" ist ein spannender Thriller, der mit einer guten Ausgangslage, gut gezeichneten Figuren und einem abwechslungsreichen Schreibstil punkten kann. Für Freida McFadden-Fans ein absolutes Muss und auch alle anderen Thriller-Fans werden sicherlich Gefallen an dem Buch finden.

Bewertung vom 01.07.2025
Halbinsel
Bilkau, Kristine

Halbinsel


gut

Annett ist Ende 40 und arbeitet in einer Kleinstadt an der Nordsee als Bibliothekarin. Ihre Tochter Linn ist Mitte 20 und engagiert sich für Umweltprojekte. Bei einem Klimavortrag in einem Hotel bricht sie zusammen und wird im Krankenhaus behandelt. Bei ihrer Mutter möchte sie sich von ihrem Burnout erholen. Annett hat nach dem frühen Tod ihres Mannes alleine für Linn gesorgt und alles versucht um ihr ein Studium zu ermöglichen. Anfangs möchte Linn nur eine Woche bleiben, daraus wird ein Monat und schließlich der ganze Sommer. Annett versucht, Verständnis für Linn aufzubringen und ihr zu helfen, wo sie kann, ist aber ebenso enttäuscht, dass sie sich so gehen lässt, wo sie einiges an Entbehrungen auf sich genommen hat um Linn ein sorgenfreies Leben zu ermöglichen.

"Halbinsel" ist mein erster Roman der Autorin und ich wurde auf Buch aufmerksam als es den Preis der Leipziger Buchmesse 2025 bekommen hat. Die Ausgangslage klingt zunächst vielversprechend und nach einer spannenden Mutter-Tochter-Beziehung. Schnell wird jedoch klar, dass es vielmehr eine Aneinanderreihung von mehr oder weniger wichtigen Situationen ist.
Der gesamte Roman ist "in einem Stück" geschrieben ohne Kapiteleinteilungen und nur durch Absätze getrennt. Das hat mir öfters das Lesen schwer gemacht, denn irgendwann bin ich durcheinander gekommen, wie viel Zeit nun vergangen ist und wo man gerade steht, da die Geschichte auch in Rückblenden die Familiengeschichte erzählt. Dazu trägt auch der Erzählstil und die Perspektive bei: Annett erzählt aus der Ich-Perspektive und das bringt sie in den Fokus der Geschichte, lässt das Ganze aber auch eindimensional und einseitig wirken.

Die Beziehung von Annett und Linn wird erstaunlich wenig beleuchtet, Annett erzählt von ihrem Frust und ihrer Enttäuschung über Linns Zustand, aber es kommt kaum ein Gespräch zwischen den beiden zustande. Generell plätschert die Geschichte eher vor sich hin, Annett zieht sich zurück und scheut die Konfrontation mit ihrer Tochter, Linn bleibt wortkarg. Oft habe ich mich beim Lesen gefragt, wo die Autorin die Geschichte hinführen möchte, denn für mich hat die Handlung gefehlt. Es wird aus Annetts Leben erzählt, die Ehe mit ihrem Mann und dessen früher Tos und Linns Kindheit. Gleichzeitig passiert mir zu wenig und es kommt keine Aussprache oder Konfrontation vor.

Kristine Bilkau verwebt wichtige Themen in ihrem Roman wie Erwartungshaltungen, Leistungsdruck, unbewältigte Trauer und von allem Generationenkonflikte. Das gefällt mir an dem Roman sehr gut, die Figuren jedoch und die Handlung bleiben an der Oberfläche und bekommen zu wenig Tiefe. Für mich ein Buch für zwischendurch, dass mir aber nicht groß im Gedächtnis bleiben wird.

Bewertung vom 30.06.2025
Das kleine Café der zweiten Chancen
Ota, Shiori

Das kleine Café der zweiten Chancen


weniger gut

Himari Misaki, einst Wunderkind am Klavier, kommt nach einem Unfall in England, wo sie auf ein Internat geschickt wurde, zurück zu ihrer Mutter nach Sapporo in Japan. Die Mutter hatte auf eine große Karriere ihrer Tochter gehofft, doch nun wird Himari auf eine normale Schule geschickt. Himari plagen große Ängste vor Mobbing an der neuen Schule, doch an ihrem ersten Schultag trifft sie auf ihrem Schulweg auf eine ältere Frau, die ihr mit Ratschlägen die Angst nehmen kann. Sie erwähnt auch ein Café, in dem sie sich mal treffen können, doch als Himari nach der Schule erneut bei der Frau vorbei schauen möchte, ist das Haus nicht mehr da. Kurzerhand fährt sie zu besagtem Café und erfährt dort, dass die beiden Besitzer den Kunden für 4 Minuten und 33 Sekunden in die Vergangenheit schicken können um zu einem Ereignis zurückzukehren, dass sie in der Gegenwart bereuen. Himari wünscht sich diese Möglichkeit auch für sich, doch das ist gar nicht so einfach.

Ich war sehr gespannt auf die Geschichte, weil ich die Idee und den Klappentext sehr interessant fand. Leider hat das Buch für mich nur wenig von dem spannenden Klappentext gehalten. Für mich war klar, dass das Café hier im Vordergrund der Handlung steht mit den Kunden und den Besitzern. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass Himari selbst den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte darstellt. Vielleicht etwas irreführend ist für Europäer auch die Bezeichnung "Student" im Klappentext, Himari ist Schülerin und geht noch in die Mittelstufe. Die Geschichte wird aus ihrer Ich-Perspektive erzählt, was dem Leser gut ihre eigene Geschichte näher bringt, aber von der eigentlichen Idee des Cafés abweicht.

Auch die "Regeln" des Zurückreisens im Café waren für mich nicht immer nachvollziehbar oder verständlich. Die Besitzer sind eigentümlich, aber waren mir noch am greifbarsten, Himari erscheint oft naiv und emotionslos, auch der Erzählstil konnte mich so leider nicht abholen. Andere Autoren wie Satoshi Yagisawa haben das meiner Meinung nach sehr viel besser geschafft und bringen trotz nüchternen Schreibstils die Emotionen gekonnt rüber.

Für mich war das Buch leider eher eine Enttäuschung, weil es mit dem Klappentext wenig gemein hat und eher ein Jugendbuch denn ein Wohlfühlbuch ist.

2,5/5 Sternen

Bewertung vom 27.06.2025
Emotional Female
Kadota, Yumiko

Emotional Female


gut

Yumiko Kadota studiert in Australien Medizin und möchte unbedingt Chirurgin werden. Als Tochter japanischer Eltern lebte sie in Singapur, London und Melbourne. Mit Bestnoten schließt sie die Schule ab und auch im Studium läuft es erstmal gut. Als Frau mit ausländischen Wurzeln in der Chirurgie wird sie nur allzu oft "emotional" genannt. Die angebliche weibliche Emotionalität zeichnet sie als gute Ärztin aus - jedoch steht ihr das auch in einem kompetetiven Gesundheitssytem allzu oft im Weg. Letztlich kann sie dem Druck nicht mehr standhalten und zieht sich mit einem Burnout, wie bereits im Untertitel zu lesen, aus dem Gesundheitssystem zurück. Sie gewährt dabei sehr persönliche Einblicke in diese Zeit voller Umbrüche.

Der Einstieg in die Geschichte fällt leicht, man begleitet sie zunächst in einem Epilog mit einem beginnenden Arbeitstag und direkt wird klar: das kann kein Mensch auf Dauer aushalten. Yumiko Kadota erzählt aus ihrer Perspektive und das hat mir auch gut gefallen: man bekommt Eindrücke und Gefühle der Autorin mit und das Buch wirkt sehr persönlich dadurch. Die Geschichte ist in drei große Teile mit einigen Unterkapiteln gegliedert. Sie erzählt aus ihrer Kindheit und Jugend und sofort wird klar, dass sie den Drang, immer die Beste sein zu wollen, gemocht zu werden und beliebt zu sein, bereits ihr ganzes Leben hat. Auch durch ihren kulturellen Hintergrund geprägt möchte sie die Karriereleiter steil nach oben erklimmen. Pausen gönnt sie sich auch im Studium kaum, passiert ihr ein Fehler, ärgert sie sich danach unglaublich und strengt sich noch mehr an, noch besser zu sein.

Bereits im Studium und anschließendem Praktikumsjahr zeigt sich, dass sie als Frau anders in der zwischenmenschlichen Ebene agiert als die zumeist männlichen Kollegen. Die Geschichte zeigt deutlich, was in wahrscheinlich den meisten Gesundheitssystemen falsch läuft und riesige Probleme darstellt: Misogynie, Rassismus, sexuelle Übergriffe und Belästigungen und Leistungsdruck sind an der Tagesordnung. Yumiko Kadota schiebt diese Probleme, die gerade sie als Frau noch mehr betreffen, stets beiseite und konzentriert sich auf Studium und später die Arbeit.
Das ist leider auch ein großer Kritikpunkt für mich: sie arbeitet ihre Vergangenheit als Ärztin nur auf indem sie ihre Geschichte "runter schreibt". Eine Reflexion oder lösungsorientiertes Denken fehlt hier, es scheint eher, als hätte sie Tagebücher und Einträge aus der Vergangenheit zusammen geschrieben und in ein Buch verpackt. Vom Klappentext und der Leseprobe her hätte ich mir eine andere Geschichte vorgestellt. Mir haben hier Expertenmeinungen, Statistiken und Meinungen von Kollegen und (Pflege)Personal gefehlt, die das Ganze runder und stimmiger gemacht hätten. So bleibt es eine Aneinanderreihung von verschiedenen "Stationen" auf der Karriereleiter der Autorin, die sie systematisch abhakt. Als Leser bekommt man einen guten Einblick in das Leben als (Jung)Ärztin, die mit vielen Hürden zu kämpfen hat, aber es bleibt eben alles auf einer sehr subjektiven Ebene ohne Reflexion.
Als Leser bemerkt schon früh, dass die Autorin geradewegs in ein Burnout steuert und möchte sie am liebsten schütteln und zur Pause und zum Innehalten regelrecht zwingen. Oft nüchtern erzählt sie aus ihrem Alltag und ihren verschiedenen Stationen, ein Privatleben gibt es so gut wie gar nicht, sodass sich ihr Leben im Krankenhaus abspielt. Passiert eine Ungerechtigkeit oder ein Fehler, hält sie nicht inne oder nimmt sich den Raum um mit Abstand auf die Situation zu schauen sondern bleibt in einer Art Empörung, die ihren Drang nach Perfektion nur weiter anstachelt. Dieser Umstand hat mir oft das Weiterlesen schwer gemacht, denn in diesem Stadium verharrt die Autorin den größten Teil der Geschichte.

Der Weg in den Burnout war von daher so gut wie vorgezeichnet, spätestens hier hätte ich mir mehr Reflexion, mehr Innehalten und Abstand ihrerseits gewünscht. Es kam mir vor als würde sie auch diesen Umstand, nun arbeitsunfähig zu sein, als Challenge sehen, die sie mit Bestleistung bestehen muss. Einen Weg aus Depression und Burnout zu finden ist ein steiniger Weg, den die Autorin allerdings wie immer schnellstmöglich abhandeln möchte ohne sich Gedanken machen zu müssen. Das Nachwort der Autorin hat dann für mich Einiges erklärt, es wäre allerdings als Vorwort zu Beginn des Buches besser aufgehoben gewesen, weil einem als Leser dadurch Einiges klarer wird in Bezug auf Kadotas Schilderungen.

Insgesamt ist "Emotional Female" eine Geschichte, die einerseits einen interessanten Einblick in das destruktive Gesundheitssystem gibt, die aber andererseits nur von den Schilderungen und Erzählungen der Autorin lebt und daher auf einer subjektiven Ebene verharrt ohne zu reflektieren oder ein Fazit zu ziehen.

3,5/5 Sternen

Bewertung vom 20.06.2025
No Hard Feelings
Novak, Genevieve

No Hard Feelings


ausgezeichnet

Penny ist Ende zwanzig und wenn sie so auf ihre Freundinnen schaut, läuft es nicht wirklich rund: sie wäre gerne erfolgreicher im Job, aktuell führt sie eine On-Off-Beziehung mit Max und wohnt bei einem Bekannten in dessen Haus in einer Art WG. Sie stolpert durchs Leben, sagt oft die falschen Dinge und ist hart zu sich selbst. Penny jedoch möchte weiter kommen, ihre Panikattacken in den Griff bekommen und endlich das Leben leben, von dem sie träumt.

Erstmal: Wow! Was für ein Debütroman! Ich selbst bin Anfang dreißig und konnte mich in Penny SO gut wiederfinden.
Penny als Ich-Erzählerin muss man gelesen haben. Mit viel Sarkasmus und Selbstkritik lässt sie uns an ihrem Leben teilhaben. Oft dachte ich beim Lesen, dass ich die ein oder andere Situation genauso erlebt habe - umso sympathischer ist es zu lesen, dass man damit nicht alleine ist. Ich habe mit Penny gelacht und geweint, manchmal wollte ich sie in den Arm nehmen und manchmal schütteln und sagen, was sie für ein toller Mensch ist und warum sie sich selbst oft so im Weg steht. Man fährt mit ihr durch alle Gefühlsebenen, mal heiter, mal rau und unangenehm, aber immer zu 100% authentisch.
Genevieve Novak greift hier so viele wichtige Themen auf: das Leben als Single-Frau in den Zwanzigern, Freundschaft, Selbstkritik, Selbstakzeptanz und gesellschaftlicher Druck. Mit Penny als Protagonistin webt sie diese Themen so gekonnt in die Geschichte ein, dass ich oft dachte, ich wäre selbst (als Freundin) dabei. Auch die Nebenfiguren wie ihre besten Freundinnen und ihr Mitbewohner sind toll gezeichnet. Sehr gut fand ich auch die Kapitel, in denen Penny bei der Psychotherapeutin Dr. Minnick sitzt - so herrlich erfrischend, ehrlich und wahr, dass man sich sofort ebenfalls einen Termin buchen möchte. Die Sitzungen helfen Penny, allmählich klarer zu sehen, zu akzeptieren und sich zu fokussieren. Es wird gezeigt, dass es gut ist, sich Hilfe zu suchen, wenn es nicht mehr geht und das ist in der heutigen Zeit wichtiger denn je.
Auch das Ende hat mich komplett abgeholt, es war ehrlich und "aus dem Leben", denn es zeigt, was kleine Veränderungen, die im Kopf beginnen und für die man manchmal etwas Hilfe benötigt, bewegen können.

Das Buch ist einfach - toll! Ehrlich, authentisch und mit einer guten Prise Humor legt die Autorin hier einen grandiosen Debütroman vor, der bei mir nachhallt. Unbedingt lesen!