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eight_butterflies

Bewertungen

Insgesamt 3 Bewertungen
Bewertung vom 09.02.2025
Bis die Sonne scheint
Schünemann, Christian

Bis die Sonne scheint


ausgezeichnet

Mit „Bis die Sonne scheint“ entfaltet sich ein ebenso feinfühliges wie eindringliches Porträt einer Familie, die auf großem Fuße und einst in gesicherten Verhältnissen lebte, doch nach dem Scheitern der unternehmerischen Bestrebungen des Vaters in eine finanzielle Abwärtsspirale gerät. Im Mittelpunkt steht der junge Daniel, dessen Lebensrealität von zunehmenden Entbehrungen geprägt ist, während die Familie verzweifelt versucht, nach außen hin den Schein eines intakten Daseins zu wahren.
Der Roman überzeugt nicht allein durch die detailreiche Schilderung des gegenwärtigen Schicksals der Familie, sondern auch durch die kunstvolle Verflechtung mit der Vergangenheit der Eltern und Großeltern, die von den Entbehrungen und Traumata des Zweiten Weltkriegs gezeichnet ist. Auf diese Weise gelingt es dem Autor meisterhaft, die subtilen Mechanismen familiärer Prägung sichtbar zu machen und aufzuzeigen, wie Vergangenes nachwirkt und künftige Generationen formt.
Mit großer psychologischer Tiefe und nuancierter Beobachtungsgabe fängt der Autor die inneren Kämpfe und unerfüllten Sehnsüchte der einzelnen Familienmitglieder ein. Er zeigt auf, wie Vernunftbegabung abhanden kommt, wenn der Pleitegeier über dem eigenen Dach fliegt und wie das Ignorieren der realen finanziellen Schieflage hilft, den historisch geprägten, über Eigentum und Wohlstand definierten Selbstwert zu erhalten. Daher ist der Titel entscheidend gut gewählt, wenn die Familie der Zwangsversteigerung entfliehend in den Süden fährt, „bis die Sonne scheint“. Die stetig wachsenden finanziellen Nöte werden von einer unerschütterlichen Fassade begleitet, hinter der sich nicht nur eine Täuschung des sozialen Umfelds verbirgt, sondern auch eine Selbstillusionierung der Familie, sogar gegenüber den beiden Großmüttern. Insbesondere die Perspektive des Protagonisten Daniel, dessen Blick zwischen kindlicher Hoffnung und der ernüchternden Realität changiert, verleiht dem Roman eine besondere Intensität.
Der Roman kommt ohne spektakuläre Wendungen aus, entfaltet seine Wirkung jedoch durch die feinsinnige Charakterzeichnung und die überzeugende Zeitkolorit der 1980er Jahre. Diese atmosphärische Darstellung der geschilderten Epoche geht unter die Haut ob ihrer Authentizität und lässt beim Lesen mental und emotional durch und in die Zeit reisen. Besonders berührend ist das Nachwort des Autors, in dem er offenbart, dass große Teile der Handlung autobiografische Züge tragen – eine Erkenntnis, die dem Werk im Nachhinein eine noch tiefere Authentizität verleiht.
„Bis die Sonne scheint“ ist eine eindrucksvolle Reflexion über familiären Zusammenhalt, soziale Konventionen und den Versuch, unter widrigen Umständen die eigene Würde zu bewahren. Eine unbedingte Leseempfehlung für all jene, die literarische Familiengeschichten mit psychologischer Raffinesse und historischem Tiefgang zu schätzen wissen.

Bewertung vom 09.02.2025
Flusslinien
Hagena, Katharina

Flusslinien


ausgezeichnet

Katharina Hagena gelingt es in "Flusslinien", mit einem ruhigen und feinfühligen Erzählstil drei Generationen miteinander zu verbinden und ihre Geschichten kunstvoll zu verweben. Die Handlung begleitet die 102-jährige Margrit, ihre Enkelin Luzie und den jungen Pfleger Arthur, die alle auf ihre Weise mit der Vergangenheit ringen und versuchen, ihren Platz im Leben zu finden. Dabei entsteht ein Roman voller Melancholie und Wärme.
Margrit verbringt ihre Tage in einer Seniorenresidenz, doch ihre Gedanken schweifen oft in die Vergangenheit. Täglich fährt Arthur sie in den Römischen Garten, wo sie sich an prägende Momente ihres Lebens erinnert. Besonders tief verwurzelt sind die Erinnerungen an ihre Mutter und Else Hoffa, die den Garten einst gestaltet hat. Mit ihrem trockenen Humor und ihrer scharfsinnigen Art meistert sie den Alltag und beweist, dass Alter nicht bedeutet, den Blick auf die Welt zu verlieren.
Luzie hingegen steht an einem Wendepunkt ihres Lebens. Sie hat die Schule abgebrochen und lebt vorübergehend in einem alten DLRG-Turm an der Elbe. Tätowieren ist ihre Art, sich auszudrücken, und als sie ihrer Großmutter ein Tattoo zu stechen beginnt, entwickelt sich zwischen ihnen eine besondere Verbindung. Ihre raue Schale verbirgt eine große Unsicherheit, doch durch die Zeit mit Margrit findet sie langsam zu sich selbst.
Arthur bleibt ein eher zurückhaltender Charakter, dessen innere Konflikte sich nur nach und nach entfalten. Der Verlust seines Zwillingsbruders lastet schwer auf ihm, und sein Engagement für den Naturschutz scheint nicht nur ein Hobby, sondern auch eine Form der Bewältigung zu sein. Er wirkt oft in sich gekehrt, doch in den Momenten mit Margrit und Luzie blitzen tiefe Emotionen und eine unerwartete Sensibilität auf.
Das Besondere an diesem Roman ist seine nicht-lineare Erzählweise. Gedanken und Erinnerungen vermischen sich, sodass man als Leser immer wieder innehalten muss, um sich zu orientieren. Doch genau diese Struktur macht die Geschichte so einzigartig – sie fühlt sich an wie eine Reise durch Zeit und Generationen, wie ein Fluss, der sich seinen eigenen Weg bahnt.
Hagenas Sprache ist dabei eindrucksvoll: bildhaft, poetisch, aber niemals kitschig. Die Beschreibungen des Römischen Gartens und der Elbe erzeugen eine ganz eigene Atmosphäre, die den Roman durchzieht. Auch der Humor kommt nicht zu kurz – vor allem durch Margrits trockene Bemerkungen, die immer wieder für ein Schmunzeln sorgen.
"Flusslinien" ist ein Roman über Erinnerungen, Verlust und das Weiterleben – ein Buch, das nachhallt und den Leser mit seiner ruhigen Schönheit in den Bann zieht.

Bewertung vom 03.02.2025
Von hier aus weiter
Pásztor, Susann

Von hier aus weiter


ausgezeichnet

Der Roman erzählt mit beeindruckender Leichtigkeit von einem schweren Thema: Verlust, Trauer und dem schwierigen Weg zurück ins Leben. Die Hauptfigur, Marlene, steht nach dem Tod ihres Mannes vor einem Abgrund. Sie zieht sich zurück, meidet Kontakt zu anderen Menschen und scheint keinen wirklichen Lebenswillen mehr zu haben. Doch wider Erwarten sind es ausgerechnet ein Klempner und ihre hartnäckige Hausärztin, die sie langsam aus ihrer Isolation holen.
Besonders beeindruckend ist die Balance zwischen Melancholie und feinem Humor. Bereits die erste Szene zeigt, dass die Geschichte trotz der Schwere des Themas nicht erdrückend wirkt: Marlene bleibt auf der Trauerfeier ihres Mannes in einer Toilettenkabine stecken – eine absurde Situation, die dem Roman von Anfang an eine gewisse Leichtigkeit verleiht.
Die Figuren sind wunderbar gezeichnet – allen voran Marlene, deren innere Zerrissenheit authentisch und nachvollziehbar beschrieben wird. Aber auch Jack, der gutmütige Klempner mit eigener Lebensgeschichte, und die einfühlsame, aber bestimmte Ärztin Ida bringen eine besondere Wärme in die Erzählung. Ihr Zusammenspiel verleiht der Geschichte eine besondere Dynamik und macht sie noch lebendiger.
Mit viel Fingerspitzengefühl schildert die Autorin Marlenes langsamen Wandel: von der Verzweiflung über erste kleine Schritte hin zum Weiterleben. Besonders ab der zweiten Hälfte, als sich die drei Hauptfiguren gemeinsam auf eine Reise begeben, entfaltet sich die Geschichte noch einmal auf eine ganz neue, bewegende Weise.
Ein tiefgehender, berührender Roman, der auf wunderbare Weise Humor und Ernsthaftigkeit verbindet. Eine Geschichte, die nachhallt – einfühlsam, klug und mit viel Herz erzählt.